100 Deutsche Lieblingsfilme #59: Metropolis (1984)
„Eines schönen Tages erschien ein freundlicher Mann, der sich bescheiden als Giorgio Moroder vorstellte, bei Enno Patalas, dem Leiter des Münchner Filmmuseums. Er erzählte, daß er Komponist sei und sich für die Vertonung von Stummfilmen interessiere, es fehle ihm nur der geeignete Film. Ahnungslos und erfreut über das seltene Interesse breitete Patalas, der noch an das Gute im Komponisten glaubte, die Perlen der Filmkunst vor ihm aus und schlug ihm „Metropolis“ vor. Das Ton-Drama nahm seinen Disco-Lauf.“
Robert van Ackeren im SPIEGEL
Steile These: Fritz Lang hat sich erst im Tonfilm so richtig gefunden. Davor inszenierte er allzu oft Bombastisches, an das er ohnehin nicht geglaubt hatte. Und ist Metropolis etwa nicht biederer Kitsch, der von den epochemachenden Bildern übertüncht wird? Ist er kein Weimarer Blockbuster, kein beeindruckender, doch schwerfälliger Dinosaurier? Kein gigantischer Jahrmarkt der Attraktionen, den man vor allen Dingen Otto Hunte und den anderen Filmarchitekten zu verdanken hat? Als Regisseur jedenfalls interessiert sich Fritz Lang nicht für den Film. Vielleicht hat er irgendwann in den 16 Monaten des Drehs die Lust verloren, den Jahrmarkt zu verwalten.
Daher ist Giorgio Moroders Schnittfassung auch keine Blasphemie oder Zeitgeistverirrung, sondern eine notwendige Re-Evaluation und, mehr noch, die konsequente Übersetzung des Films in die 80er Jahre – wo er auch hingehört.
Giorgio Moroder hat nicht nur einen Oscar für seinen Midnight Express-Score bekommen, sondern hat den Stil von Paul Schraders American Gigolo und Cat People erheblich mitbestimmt. Er hat eine Sensibilität fürs Kino, den viele Musiker haben (und viele Regisseure sind auch Musiker und das ist kein Zufall), aber auch den Schneid (den viele nicht haben), den heiligen Gral des deutschen Stummfilms zu heben und mit der Spraydose seine Signatur zu hinterlassen. Er ist ein Bilderstürmer, ein Kinopirat, ein Marcel Duchamp des Films, der nicht viel tun muss, um ein Kunstwerk komplett auf den Kopf zu stellen.
Dabei hat Moroder damals den ersten Versuch einer Restauration gewagt und die längste Fassung des Films präsentiert. Weil er Metropolis aber zudem „auf modern“ getrimmt hat, mit Nachkolorierung, Unter- statt Zwischentiteln, moderner Musik und sogar Soundeffekten ausstattete, wurde er für zwei Goldene Himbeeren nominiert (aus heutiger Sicht eher ein Indikator für große 80er Jahre Filmkunst), ganz abgesehen davon, dass er sich den ewigen Zorn von Filmhistorikern und anderen Skeptikern eingehandelt hat. „Die ‚Metropolisierung‘ der Filmkunst beginnt“, fürchtete Regisseur Robert van Ackeren damals. In Wirklichkeit ist Moroders Version absolut singulär geblieben. Und verdrängt hat sie den ursprünglichen Film auch nicht, der mittlerweile in einer nahezu vollständigen restaurierten Version existiert. Aber das musste erst die Zeit beweisen.
Moroders Metropolis ist genauso überschwänglich wie es Langs Bilder suggerieren, aber der ursprüngliche Film einfach nicht war. Das Sound-Design brodelt, die Musik führt geradewegs in die Zukunft, die schnellen (oder schnell vorgeführten) Bilder explodieren. Die Emotionen sind grell und wuchtig, sie überdecken die Erzählung von Thea von Harbou, die Romeo und Julia und Die Weber, E.T.A. Hoffmann und H.G. Wells in ein halbgares melodramatisches Korsett zwängt. Moroder hat Metropolis in das Musical, besser: in die Revue verwandelt, die es von Anfang an hätte sein müssen. Aber dazu hat es den cineastischen Hedonismus, die nervöse Ekstase der Achtziger Jahre gebraucht. Nur dieses Jahrzehnt konnte Filme wie Breathless, L’amour braque, De vierde man, Staying Alive oder eben Moroders Metropolis hervorbringen.
Metropolis – Deutschland 1927/1984 – 80 Minuten – Adaption/Musik: Giorgio Moroder – Regie: Fritz Lang – Buch: Thea von Harbou – Kamera: Karl Freund, Günther Rittau – Darsteller: Gustav Fröhlich, Alfred Abel, Brigitte Helm, Rudolf Klein-Rogge
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