100 Deutsche Lieblingsfilme #57: Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960)



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„Der berühmte Druck auf den Knopf. Ich hätt’s getan!“
„Sie sind wahnsinnig!“
„Vielleicht. Aber wo ist die Grenze?“

Die atomare Gefahr war zu der Zeit näher als man sich heute vorstellen kann. Und doch ist sie erst am Ende von Fritz Langs letztem Film ein Thema, wenn alles aufgelöst wird, wenn Identitäten entblößt werden, wenn Masken fallen, wenn Low über High Tech siegt (wird doch Mabuse von einem Schäferhund enttarnt!). Und da sie wie ein Schleier über dem Film liegt, wie über der gesamten Laufzeit ein Schleier von diffuser Gefahr liegt, ist sie letztendlich präsenter als alles andere. Der berühmte Druck auf den Knopf – eine viel zu verlockende Idee, um ihr nicht doch nachzugehen.

Im Hotel Luxor gehen mysteriöse Dinge vor, wieso auch nicht, es ist die Erbsünde dieses 1944 von den Nazis begonnenen Baus. Mabuse hat lediglich alte Gestapo-Pläne realisiert. Ein Hotel, dessen noch so entlegenster Winkel rund um die Uhr von Kameras überwacht wird, perfekt für Erpressung und Industriespionage. Das geht heute zwar alles schneller und unkomplizierter, und das mithilfe von einer Million statt lächerlichen tausend Augen, aber schön zu wissen, dass die Nazis so vorausschauend waren. Kracauer hätte jetzt die alten Braunhemden mit Mabuse gleichgesetzt, doch der schattenhafte Schurke mit Doktortitel war viel pragmatischer und bescheidener. In diesem Film braucht er keine Paraden, Trophäen oder Statuen, er braucht keine Propaganda und er braucht auch kein Land zu führen. Es reicht, wenn er es ins Chaos stürzen kann. Mabuse wusste schon immer, was nach dem Kapitalismus kommt.

Und das Beste: es gibt ihn nicht einmal mehr. Er ist ein Schatten, dessen Wort Gesetz ist. Dessen Rache gefürchtet wird. Der sein Image für sich arbeiten lässt. Er versteckt sich hinter den Männern, die an ihn glauben, die ihm nacheifern, die ihn nachäffen. Genauso sehr versteckt er sich aber auch hinter den Menschen, die ihn fürchten, die ihn nur noch aus Geschichten aus der Wirtschaftskrise kennen, die versuchen, die Welt durch ihn zu erklären. Überhaupt ist Mabuse die Verschwörungstheorie, auf die alles zutrifft. Mordanschläge, Verschwörungen, technischer Fortschritt, spiritistische Sitzungen, das Mystische wie das Weltliche bekommen durch ihn Sinn. Und Fritz Lang vereint sein durch den film noir geschultes Können mit seiner eigenen Mythologie und der damit untrennbar verwobenen deutschen Geschichte für einen letzten Taschenspielertrick, für ein letztes großes Ablenkungsmanöver, das so elaboriert, so umständlich, so lustvoll arrangiert ist, dass David Mamet daran seine helle Freude haben müsste (und ist sein Spanish Prisoner nicht ein entferntes Echo an Langs letzten Streich?).

Das Spiel, das hier mit Menschenleben und Identitäten getrieben wird, reicht sogar bis zur Besetzung und über den Film hinaus. Gert Fröbe spielt Kommissar Kras, der an Otto Wernickes Lohmann aus Das Testament des Dr. Mabuse angelehnt ist. Und Fröbe wird in zwei weiteren Mabuse-Filmen auf die exakt gleiche Art wie hier einen Kommissar Lohmann spielen. Werner Peters ist der mysteriöse Hieronymus B. Mistelzweig (das B steht für Bauch), in weiteren Mabuse-Filmen wird er sowohl Schurken als auch Polizisten verkörpern. Peter van Eyck ist hier ein menschelnder Millionär, in den beiden letzten Mabuse-Filmen ist er ein Möchtegern-James-Bond. Lex Barker ist in Im Stahlnetz des Dr. Mabuse der FBI-Agent Joe Como, der aber eigentlich Nick Scapio ist, ein zur Chicagoer Mafia gehörender Gangster, der aber eigentlich doch Joe Como ist, aber ins Gefängnis unter dem Namen Bob Arko eingeschleust wird, um… ja, wozu eigentlich? Aber was ist eine Identität schon anderes als ein Selbstbedienungsladen? Eine Illusion, wie alles andere auch?

Safarow schreibt

Die 1000 Augen des Dr. Mabuse – BRD, Italien, Frankreich 1960 – 103 Minuten – Regie: Fritz Lang – Produktion: Artur Brauner – Drehbuch: Fritz Lang, Heinz Oskar Wuttig, nach Motiven von Jan Fethke und Norbert Jacques – Kamera: Karl Löb – Musik: Bert Grund – Darsteller: Dawn Addams, Peter van Eyck, Wolfgang Preiss, Gert Fröbe, Werner Peters, Andrea Checchi, Howard Vernon

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Dezember 1st, 2015 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “100 Deutsche Lieblingsfilme #57: Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960)”

  1. Sano Cestnik on Januar 25th, 2016 at 06:49

    Was fuer ein Bild! Und was fuer ein Zitat dazu!

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