Encore une fois: La cave et le cinéma



Wiederholt wurde Platons zu Beginn des siebten Buches seiner Politeia beschriebene Höhle als erstes Kino der Geistesgeschichte bezeichnet, und das aus naheliegenden Gründen: Unsere Alltagsrealität wird dort mit einer finsteren Höhle verglichen, in der die Menschen gefesselt unter einer Mauer sitzen und auf eine große (Lein-)Wand starren, auf die, kraft einer in ihrem Rücken befindlichen Funzel, der einzigen Lichtquelle der Höhle, die Schattenrisse von allerart Zeugs projiziert werden, das hinter der Mauer in ihrem Rücken entlanggehende Unbekannte dort vorbeitragen. Morphologisch deckt sich dies sicher relativ weitgehend mit den Lebensverhältnissen gerade obsessiver Cineasten, welche tatsächlich an die Leinwand gefesselt sind, da sie das Kino – eingestandener- oder uneingestandenermaßen – für die bessere, eigentlichere Form der Realität halten. Man könnte im Cineasten also mit Platon in der Tat eine besonders degenerierte Form seines Höhlenmenschen sehen, zumal er nicht nur mit der Masse die eigentliche Realität für die wahrnehmbare Alltagswelt eintauscht, sondern selbst dieser noch deren auf Zelluloid gebannte und damit noch einseitigere und seinsärmere Abbilder vorzieht. Der Cineast wäre somit das abschreckendste Beispiel von Degeneration einer auf die (scheinbar) wirksame und wahrnehmbare Oberfläche der Dinge fixierten Menschheit, die jede Fähigkeit, diese auf deren transzendenten Grund hin zu übersteigen, abgelegt, und sich gänzlich im Spiegelkabinett materieller Defizienz verfangen hat.

Andererseits muß nicht jeder Cineast das Kino mit der wahren Wirklichkeit verwechseln. Im Gegenteil kann ein reflektierter Umgang mit Kino und Medialität überhaupt sogar genau dazu beitragen, wozu Platon durch das Höhlengleichnis aufrufen will: Seine Fesseln zu lösen, zum Ausgang aufzusteigen, draußen die wahre Wirklichkeit zu schauen und nach deren Schau schließlich wieder zurückzukehren, um anderen zu selbigem Aufstieg zu verhelfen. Platon selbst rekurriert ja ausdrücklich auf die wahrnehmbare Abbildstruktur, um das von ihm anvisierte Verhältnis von uneigentlicher, wahrnehmbarer und wahrer, intelligibler Wirklichkeit zu verdeutlichen: Wie wir einen wahrnehmbaren Gegenstand in einem Spiegelbild oder auf einer Abbildung als solchen immer nur defizient erkennen können, da die Abbildung eben nur eine Perspektive, einen durch ein Medium wie Malerei oder Bildhauerei vermittelten Ausschnitt oder Aspekt dieses Gegenstandes vermitteln kann, so vermittelt die wahrnehmbare, ausgedehnte, an eine konkrete Raum-Zeitstelle gebundene Instanz einer Wesenheit immer nur einen durch die konkreten Gegebenheiten eingeschränkten und durch den Blickwinkel der Wahrnehmung getrübten Aspekt dieser Wesenheit selbst: Was es wirklich, überall und zu allen Zeiten hieß, Mensch zu sein, werden wir niemals erkennen, wenn wir nur diesen konkreten oder auch beliebig viele andere menschliche Körper anstarren: Dies gelingt vielmehr nur durch die geistige Besinnung auf die elementarsten und wahrsten Ausdrücke des Menschseins und die sich ihnen äußernde eine, ewig sich gleichbleibende Essenz. Natürlich wird diese ständig verdeckt durch ihre durch die Alltagserfahrung immer neu induzierte Verwechslung mit einer ihrer konkreten Ausprägungen, also genau derjenigen medialen Täuschung, die Platon im Höhlengleichnis ankreidet. In einem selten beachteten Paralleltext, dem Schlußmythos des Phaidon, macht er dies noch etwas klarer: Dort entwirft er eine Vorstellung der Erde als von unterschiedlich tiefen und teilweise mit Wasser oder Nebel gefüllten Höhlen durchlöchertem „Fußball“, dessen unterschiedliche Regionen sehr unterschiedliche Arten von Bewohner hervorbringen, je nach dem Medium, durch das diese nach oben, auf die Wirklichkeit der wahren Oberfläche blicken: entweder aus dem nur durch gebrochenes Licht erleuchteten Wasser, dem allzumal von einem filigranen Glanz durchlichteten Nebel oder der in den Höhlen angestauten „dicken Luft“. Wie viele verschiedene Begriffe von Wirklichkeit diese unterschiedlichen Medien hervorbringen müssen, kann man sich vorstellen: Jede Region imponiert die im eigenen Medium gewohnte Wahrnehmung auf die Bewohner und läßt sie diese für die ultimative Form der Wirklichkeit halten, wobei diese jedoch nur an der echten Oberfläche, im reinen Medium des Äthers wirklich gesehen werden kann.

Wie würde es nun in diesen unterschiedlichen Regionen mit der Kunst stehen? Ist Kunst für Platon im Prinzip nichts anderes als Abbild des Abbilds, so würden die Künstler der verschiedenen Regionen die jeweils unterschiedlich gebrochenen Abbilder ihrer Wirklichkeit in einer analog gebrochenen Weise wiederum abbilden: Es käme zu nebelhaften Schemen umwölkter Silhouetten oder zu trüben Spiegelungen wässriger Brechungen. In jedem Fall würde die Kunst für das philosophisch erwachte Auge in der Art ihrer Abbildung immer die Signatur des jeweiligen Mediums tragen und auf diese Weise dazu beitragen können, die Art der medialen Täuschung, Stilisierung oder Vereinseitigung zu durchschauen. Kunst könnte dann nicht nur als Abbild des Abbild, sondern als Abbilden des Abbildens wahrgenommen werden und so als Anfang, wenn nicht sogar als Medium der Philosophie dienen.

Wäre dies jedoch der Fall, so böte gerade die besagte analoge Struktur von Kino und Höhle eine hervorragende Chance, mediale Repräsentation in ihrer Reinstform zu studieren, also die Wahrnehmung von etwas als etwas durch etwas drittes, ein Medium, das dabei selbst aber unthematisch bleibt. Und genau in diesem unthematischen Charakter des Mediums liegt die Gefahr in Platons Höhle: Die Gefangenen sehen die Dinge als Schemen, vermittelt durch die in ihrem Rücken befindliche, ihnen selbst unbewußte, Funzel am Höhlenausgang. Der Philosoph hingegen sieht direkt in die Sonne, blickt in die Idee des Guten und wird sich so über das Medium klar, dem alle Dinge ihr Sein und ihre Existenz verdanken. Auf einer niedrigeren Stufe kann die Reflexion auf das Medium Film ähnliches leisten, um mit unserem alltäglichen Generalmedium, der Erfahrung bzw. der Höhlenfunzel, reflektierter umzugehen.

Es gilt also, darauf zu achten, wie uns ein Film den Menschen, die Welt als Mensch oder Welt (wie er sie sieht) wiederum in einem bestimmten Medium zeigt, dialogisch, situativ oder visuell. Szenen oder Geschichten, Gespräche und Bilder bilden alle für sich genommen, aber auch in der jeweils konkreten Summe nur einen bestimmten erfahrungsabhängigen Ausschnitt dar, in dem wir Welt oder Mensch als das sehen, als was wir sie (in unserer eigenen Erfahrung) sehen wollen bzw. (in dem vom Film gezeigten Ausschnitt) sehen sollen. So zeigt uns ein Fassbinder den Menschen als in sich selbst gefangenes, an jeglicher Beziehung zum scheitern verdammtes Individuum im Medium konkreter Szenen und Dialoge aus dem tristen Alltagsleben, das klassische Hollywoodkino, etwa eines Frank Capra, hingegen als eingebettet in eine letzten Endes gelingende, von metaphysischer Sinnganzheit getragene Weltgemeinschaft in großen, paradigmatischen und von der Alltagsrealität abgelösten Geschichten. Die von Platon ausgehende Herausforderung an den Cinéasten besteht nun darin, keine der beiden Aspekte mit der Realität zu verwechseln und damit selbst in der jeweiligen Höhle angekettet zu bleiben, sondern sich zu einer Perspektive aufzuschwingen, die beides in einer umfassenden Idee von Welt und Menschheit, die ihrerseits nur im transzendenten Grund erschwinglich ist, zu vermitteln.

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, August 25th, 2009 in den Kategorien Ältere Texte, Benjamin, Blog, Blogautoren, Essays veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

5 Antworten zu “Encore une fois: La cave et le cinéma”

  1. Alexander Schmidt on August 26th, 2009 at 00:10

    Toller Text! Hinabgestiegen in die Höhle meines Rausches, gelesen in gediegener Ekstase, auferstanden in den Synapsen meines Schädels, oder vielmehr des weichen Kerns darin. Stellungnahme folgt!

  2. Sam Spade on August 29th, 2009 at 21:26

    Lustig, gerade jetzt auf einen solchen Text zu stoßen, wo ich zur Zeit doch Platons „Staat“ lese – und damit auch das Höhlengleichnis. Interessante Idee, den visuellen Aspekt des Gleichnisses unter die Lupe zu nehmen und einen Bezug zum Kino herzustellen – wenn auch etwas gewagt, denn Platon geht es ja um die Veranschaulichung der verschiedenen Erkenntnisformen bzw. -stufen (wobei die Höhle ja für die „Welt des Gesichtssinns“ steht, die Oberwelt für die „welt des Denkbaren“). Insofern bin ich nicht so ganz einverstanden damit, daß Platon vor allem eine „mediale Täuschung“ ankreiden wolle, denn das mediale macht ja im Gleichnis eher den abstrakten Gedankengang über den Weg zur Erkenntnis auf anschauliche Weise sichtbar. Aber vielleicht habe ich da auch den Text nicht ganz richtig verstanden (vielleicht wäre es besser, ihn auszudrucken, um ihn ganz in Ruhe lesen zu können).

    Daß aber der Cineast aus Platons Sicht ein abschreckendes Beispiel wäre, könnte ich mir gut vorstellen, aber weniger wegen seiner Vorliebe für Bilder, die ihrerseits nur die Gegenstände der Außenwelt, die für Platon ja nur Abbilder der Ideen waren, abbilden, sondern einfach auch wegen seines generellen Mißtrauens der Kunst gegenüber, das gerade im „Staat“ ja sehr deutlich wird, wenn er etwa von der Erziehung spricht und dabei beträchtliche Teile Homerischer Dichtung als ungeeignet verwirft, weil Götter und Helden anders dargestellt werden, als es seiner Auffassung entspricht. Was hätte er da erst zum Kino gesagt? Platons Kunstauffassung ist doch sehr restriktiv und schreibt der Kunst ziemlich genau vor, was erlaubt ist, und was nicht (und das meiste ist nicht erlaubt) – schon mal ein Grund, warum ich – neben vielen anderen Gründen – auch nicht in seinem „Idealstaat“ leben wollte. Aber damit komme ich schon vom Kino weitab und zu einer eher grundlegenden Kritik an Platon, für die hier vielleicht nicht der rechte Platz ist.

    Nun war aber das damalige Kunstverständnis allgemein auch ein anderes: Kunst wurde in der Tat als Nachahmung gesehen. Der Gedanke, mit dem Kunstwerk einen eigenständigen Kosmos zu erschaffen, der auch wieder durchaus „idealen“ Gesetzen folgt und eine Idee(!), die dem Kunstwerk zugrundeliegt, umzusetzen versucht, und dann aber trotzdem wieder auf die reale (Außen-)welt verweist, wäre den Griechen fremd gewesen. Genau dies ist aber eine Chance der Kunst im allgemeinen und damit auch das Kinos, und daher kann ich in der Hinsicht zustimmen, daß Film eben ermöglichen kann, zu Einsichten zu gelangen, die aus dem Dunkel der Höhle herausführen. Kunst (und damit auch Film) kann so ein Mittel sein, eine Verbindung zwischen realen und ideellen Welten herzustellen (wobei ich aber die ideellen Welten im Gegensatz zu Platon nicht als die „eigentlichen“ ansehe, sondern viel mehr als Schöpfungen menschlichen Verstandes als Ergebnis eines Abstraktionsprozesses), wobei der große Vorteil der Kunst m.E. ihr offener Charakter ist, im Gegensatz zu manchen geschlossenen Denksystemen, die ein wirkliches Philosophieren sogar zu ersticken drohen (was in dem Moment passiert, in dem sie zur Ideologie werden – und das tragische an Platons Werk ist, daß er mit seinem Streben nach dem Absoluten vielleicht sogar etwas zu solchen Tendenzen beigetragen hat).

    Das waren jetzt so ein paar Anmerkungen, die mir dazu in den Sinn kamen. Ich hoffe, nicht zu sehr am Thema vorbei.

    Stammt das schöne Bild zum Höhlengleichnis aus dem dtv-Atlas zur Philosophie, es kommt mir nämlich so bekannt vor.

    Auf alle Fälle ein sehr anregender Text, auch wenn ich vielleicht nicht alles verstanden habe.

  3. The Critic on August 30th, 2009 at 13:26

    Sam, bist Du nicht implizit der Voraussetzung Platons aufgesessen, die Welt sei nur ein Reich der Schemen, die das eigentliche Wesen der Dinge verdecke? Anders kann ich mir nicht erklären, was Du mit „…und daher kann ich in der Hinsicht zustimmen, daß Film eben ermöglichen kann, zu Einsichten zu gelangen, die aus dem Dunkel der Höhle herausführen.“ meinst. Um in der Metapher zu bleiben: Denken, Kommunikation, Kunst kann uns in einen anderen Teil der Höhle führen, meinetwegen auch in eine andere Höhle, die darüber, darunter oder daneben liegt – aber was sollte das lichte „Draußen“ sein?

    Platons diktatorischem Idealismus möchte ich übrigens auch nicht ausgesetzt sein. Angefangen schon bei seiner ominösen Einwohnerzahl von 7!, die man heutzutage nur noch mit … äh … technischer Hilfe durchsetzen könnte, und gar nicht zu reden davon, daß man auch nicht unbedingt auf der Sklavenseite landen möchte.

    Off topic: Sam, eine Leseempfehlung für Dich: Joseph Hellers Picture This (auf deutsch wohl Rembrandt war 47 und sah dem Ruin ins Gesicht). Die Lektüre dürfte Dir bei Deinem Hintergrundwissen wohl deutlich mehr Spaß bringen als mir.

  4. Benjamin on August 30th, 2009 at 14:04

    Hier gilt es ja wohl doch zu unterscheiden zwischen der Funktion der Kunst und der Philosophie: Aus Symposion und Phaidros läßt sich entnehmen, daß der platonische Kunstbegriff sich keineswegs darin erschöpft, was v.a. zu Beginn von Politeia X kunstkritisch ausgeführt wird (doch auch hier gilt es die Gesamtheit im Auge zu behalten: Platon kritisiert Homers mythische Poesie im 2. und 10. Buch, dichtet dann aber selbst einen Mythos, der in gewisser Hinsicht genau das leistet, was Meisterdetektiv Spade beim Griechischen Kunstbegriff fehlt: eine Verfremdung der Realität – das All als Spindel von Notwendigkeit und Moiren – und ihrer Ideale – Persiflage der homerischen Helden – welche ihrerseits wieder im platon. Sinne erhellend auf die Realität zurückwirkt). Worauf ich im Text hinauswollte, war, daß eine reflektierte Kunstwahrnehmung entscheidend für den Moment des Loslösens der Fesseln sein kann, welchen Platon im Gleichnis nicht erklärt, der aber etwa in der Diotimarede des Symposion mit der Schau des Schönen in der Sinnenwelt gleichzusetzen wäre. Im Anschluß daran wäre der Überschritt zu leisten von der reflektierten Wahrnehmung eines bestimmten Mediums zur Reflexion auf Medialität und ästhetische Vermittlung an sich, dies ein genuin philosophischer, genauer metaphysischer Schritt der eben nicht nur in einen anderen Teil der Höhle führt, sondern das lichte draußen bzw. drinnen allererst konstituiert.

  5. Sam Spade on August 30th, 2009 at 20:59

    @Critic: Nein, ich folge Platon in diesem Punkt keineswegs, sondern habe mich nur des Höhlenbildes wegen seiner Anschaulichkeit und da es sowieso schon mal diskutiert wurde, bedient, wollte das Bild aber nicht im Platonischen Sinn verwenden, sondern eigentlich nur „Licht“ als Symbol für „Erkenntnisgewinn“ im Sinne von „Einsichten über Zusammenhänge etc. die einem sonst vielleicht verborgen geblieben wären“ verstanden wissen. Das war also in erster Linie Bequemlichkeit, aber eine dumme Idee, wie mir nun klar wird, da gerade dieses Bild durch Platon mit einer recht eindeutigen Interpretation besetzt ist und ich daher nicht erwarten kann, daß meine Intentionen deutlich werden, wenn ich es in einem anderen Kontext benutze, ohne diesen klar zu erläutern. Das war schlicht und ergreifend blöd von mir, ich wollte es mir leicht machen und mich kurz ausdrücken, mit dem Ergebnis, daß ich nun um so ausführlichere Erläuterungen folgen lassen muß.

    Soviel erst mal dazu. Zur Hauptsache will ich dann auch noch was sagen: Platons Ansicht, daß die uns bekannte Welt nur ein Reich der Schemen, eine Art matter Abklatsch der Welt der Ideen sei, teile ich sehr entschieden nicht. Ich sehe die Platonischen Ideen eher als Ergebnis eines Abstraktionsprozesses (der auch schon eine ganz beachtliche Denkleistung darstellt, denn Platons Größe erkenne ich durchaus an), wobei sich die Ideen mit den Aquivalenzklassen der Mathematik vergleichen lassen, bei denen dann der einzelne Repräsentant mit den wirklichen Objekten, die Platon nur als Abbild sehen wollte, zu vergleichen wäre. Nun käme ich aber nie auf den Einfall, die Äquivalenzklassen als „höher“, „übergeordnet“ oder die „eigentliche Wirklichkeit“ aufzufassen, sie sind sehr nützliche Konstrukte, doch gerade die Erstellung einer Rangfolge ist dann der Punkt, wo ich nicht mitgehen möchte. Ich will noch etwas weiter ausholen und ein paar Überlegungen kurz zusammenfassen, die in meinem Blog (den ich bislang praktisch im verschwiegenen betrieben habe, auch deshalb, weil die dortigen Überlegungen einerseits nicht wirklich originell, andererseits aber auch nicht richtig ausgereift, sondern eher halbgar sind) etwas umfassender zu finden sind:

    Wirklich sicher sein kann man sich nach meiner Auffassung nur der Existenz der ganz persönlichen Innenwelt, die Existenz der Außenwelt wird zwar kein vernünftiger Mensch ernsthaft bezweifeln, aber sicher beweisen läßt sie sich nicht, man kann sie daher nur axiomatisch voraussetzen. Um dann auch etwas über die Außenwelt erkennen zu können, muß man noch mehr Voraussetzungen machen (womit ich aber in der Praxis kein so großes Problem habe).

    Gedankenkonstrukte (mathematische Gesetze, Definitionen und wer weiß was sonst noch) passen nun irgendwo weder so recht in die Innen- noch die Außenwelt überzeugend hinein, daher fand ich dann Poppers Ansatz der Drei-Welten-Theorie (die ich nur aus der Sekundärliteraut kenne – Popper müßte ich auch mal selbst lesen, um die Überlegungen „an der Quelle“ aufzuschnappen) recht interessant, wobei man – das ist dann meine Überlegung – all das, was Popper (soweit ich die Sekundärliteratur verstanden habe) in der dritten Welt zusammenfasß, vielleicht auch noch mal aufteilen kann. Ich will das hier nicht im Detail ausführen, ich bin ohnehin schon zu weitschweifig, sondern erst mal nur noch betonen, daß die Platonischen Ideen eher in diesem Bereich gut aufgehoben sind: man kann ihnen also eine Form von Realität zugestehen, aber keine „höhere“ Realität (eher sogar eine untergeordnete, da es erst des denkenden Geistes bedurfte, um die platonischen Ideen zu erschaffen).

    Soviel dazu; daß mir Platons „Idealstaat“ nicht so recht geheuer ist, habe ich ja schon betont, ich habe zwar auch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ noch nicht gelesen, vermute aber stark, daß ich vielen Kritikpunkten darin zustimmen würde. Gerade der Hang zum Absoluten ist immer gefährlich, wie Religionen und säkulare Ideologien mit ihrem jeweiligen Unbedingheitsanspruch gleichermaßen beweisen. (Ein schöner Satz über Ideale lautet: „Ideale sind wie die Sterne: Man kann sie nicht erreichen, sich aber an ihnen orientieren“ – leider habe ich vergessen, wer das gesagt hat).
    Und abgesehen davon ist Platon in manchen Punkten auch einfach noch stark dem Denken seiner Zeit verhaftet, und daß er die Sklaverei nirgends in Frage stellt (zumindest in den Büchern des „Staats“, die ich bislang gelesen habe), ist sicher das beste Beispiel dafür.

    @Benjamin: Erst mal bitte ich um Nachsicht für die überlange Antwort an Critic, die starken Off-Topic-Charakter hat, aber manche Aspekte waren mir einfach wichtig.

    Mit Platon kenne ich mich längst nicht so gut aus wie Du, da stehe ich gerade erst am Anfang, daher kann ich mich auch nur auf das beziehen, was ich gelesen habe. Daß Platon selbst durchaus dichterische Qualitäten hat, ist sicher richtig, daß er damit womöglich auch über den eher ang gefaßten griechischen Kunstbegriff sogar selbst hinausgeht, mag ebenso zutreffen, trotzdem haben seine Ausführungen einen ausgeprägten und unangenehmen Geschmack nach Zensur. Zur Kunst, wenn sie wirkliche Einsichten vermitteln soll, gehört auch eine adäquate Darstellung des Häßlichen, Widerwärtigen und Grausamen, und gerade in dieser Hinsicht kommt Platon mir arg ängstlich vor und ist ein wenig zu eifrig beim aussondern, was ihn zum Urvater aller hochbesorgten Jugendschützer macht, die regelmäßig die ach so bösen Medien als Quelle aller Gewalt zu verkaufen versuchen.

    Eine reflektierte Kunstwahrnehmung ist natürlich trotzdem durchaus erstrebenswert, und wenn einem Platon dabei ein Wegweiser sein kann, dann sollte man die Chance nicht ungenutzt lassen. Allerdings könnte es dafür, und auch darauf wollte ich letztlich hinaus, erforderlich sein, Platon auch ziemlich gegen den Strich zu lesen.

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