Berlinale 2012: Kurznotizen



Hiermit also der Versuch, an dieser Stelle zumindest Raum für ein paar kurze, manchmal eher Twitter-artige Anmerkungen zu gesehenen Filmen und Eindrücken der laufenden Berlinale festzuhalten. Das ist bewusst als „Schmierzettel“ gedacht, nichts ausgefeiltes, nichts definitives, nur schnell Abgesondertes in hoffentlich in den nächsten Tagen gelegentlicher Aktualisierung… (ist alles nur sehr schnell und hastig eingestellt, Credits werden ggf. nachträglich noch ergänzt)

Erste Notizen:

SEXUAL CHRONICLES OF A FRENCH FAMILY (EFM) – zum Auftakt ein EFM-Abstecher, nachdem die in Berlin weilenden Vertreter des Hofbauer-Kommandos (um es mit Bea Fiedler in MACHO MAN zu sagen) „Lust auf ein geiles Frühstück“ hatten und der brandneue Filme von Pascal Arnold und Jean-Marc Barr, dem Duo hinter AMERICAN TRANSLATION, genau das versprach. Der Titel lässt an europäische Erotikkrimis der 70er denken, die Inhaltsbeschreibung erinnert hingegen geradewegs frappierend an den SCHULMÄDCHEN-REPORT. Und tatsächlich kommt der Film zunächst wie ein aktuelles Update von Letzterem daher, mit der peinlichen Berührtheit und Irritation der Lehranstalt angesichts ihrer SchülerInnen, die einen Wettbewerb daraus machen, sich heimlich im Unterricht selbst beim Masturbieren zu filmen. Bald zeigt sich jedoch, dass zur (allerdings nur kurz anhaltenden) Enttäuschung des Sleaze-Connaisseurs der Film tatsächlich sehr schnell die potenzielle Schmierigkeit der Prämisse hinter sich lässt und stattdessen eher eine in ihrer durchdringenden Überzeugung entwaffend schöne Utopie entwirft, in der Sex und überhaupt ganz allgemein verständnisvolle Offenheit im gegenseitigen Umgang alle Probleme löst und alles darin aufgeht. „Heterosexuell, Homosexuell, Bisexuell, ist doch egal – Sexualität, das ist die Hauptsache!“ heißt es wörtlich im Film, und es gibt zur Krönung sogar eine Prostituierte, die ihre Berufung lebt, weil sie die Männer liebt („Alle Männer!“). Ungebrochen oder exemplarisch ist sowas aber durchaus nicht als Aussage zu verstehen, sondern eben eher als beinahe märchenhafte, romantisch-zärtliche Utopie. Man könnte auch sagen, SEXUAL CHRONICLES ist so etwas wie die Langfilm-Version der Schlusssequenz von KEN PARK.

KEEP THE LIGHTS ON (Panorama) – fast wie eine Fortsetzung von WEEKEND, nur diesmal anhand einer neunjährigen Beziehung statt einer Wochenendbekanntschaft. Vor allem in der ersten Hälfte sehr schön, in der zweiten manchmal ein wenig im Kreise fahrend, aber doch insgesamt eine recht feiner Film.

LOST IN PARADISE (Panorama) – grotesk entgleistes vienamesisches Stricher-Drama, das mitunter so wirkt (auch im schmalzigen Musikeinsatz), als hätte ein Generator Kitsch-Versatzstücke aneinander gereiht. Eine Nebenfigur mit ihrer Haustier-Ente schießt dabei den Vogel ab – das immer wieder aufgegriffene Entenschicksal sorgt da schon für einigen absurd-campigen Reiz. Sonst ist hier wenig geglückt, außer der Kameraarbeit. Denn die Bilder sehen in ihrer Materialität so spektakulär gut aus, dass man angesichts einer solchen Demonstration, wie 35mm heute aussehen kann, schon traurig werden kann. Wunderschöne Farben und überhaupt eine unbehauene Textur, wie man sie heute (wo garantiert 95% aller Filme eine digitale Postproduktion durchmachen, auf die hier vermutlich auch eher nur aus Kostengründen verzichtet wurde) nur noch ganz selten zu sehen kriegt. An diesen Look wird wohl nichts Aktuelles mehr rankommen auf dieser Berlinale, aber der Film ist wahrhaftig einzig unter diesem Gesichtspunkt wirklich zu empfehlen.

HEMEL (Forum) – erinnert nicht nur einmal an den letztjährigen BROWNIAN MOVEMENT, entsprechend auseinander gehen offenbar auch die Meinungen. Das sprunghafte Porträt einer Getriebenen in Ambient-Collagen, in der ersten Hälfte mit Sleaze-Eskapaden besticht, dann zunehmend mit zärtlich-intimen Beobachtungen durch das Leben einer Frau driftet, die ihrerseits seltsam abgekoppelt von der Welt durchs Leben und durch Sexabenteuer driftet. Tatsächlich für mich bislang einer der Höhepunkte, der zudem mit einem echten „Verzichter“-Moment (wer ist „Der Verzichter“? Man beachte in diesem Ausschnitt die Aussage bei Minute 2:05) aufwarten kann: „My cunt is wet, do you wanna touch?“ – „Oh, no no no!“

A MOI SEULE – COMING HOME (Wettbewerb) – betuliches Drama, dass sich angesichts von Markus Schleinzers MICHAEL und dessen viel interessanterem Fokus auf die Täterspektive in seiner hier vorherrschenden Unentschlossenheit doch eher erübrigt und weitgehend rückstandslos durchrauscht.

DICTADO (Wettbewerb) – gähnend öder Malen-nach-Zahlen-Genremurks, der im Verbund mit dem ebenfalls blind ausprobierten COMING HOME recht eindringlich gemahnt, den Wettbewerb dann doch lieber nur auteuristisch oder anhand ausdrücklicher Empfehlung zu besuchen, wie ich es die letzten Jahre gemacht habe. Da habe ich mich vorschnell von der insgesamt hochkarätigeren Wettbewerbs-Besetzung täuschen lassen.

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Februar 12th, 2012 in den Kategorien Aktuelles Kino, Andreas, Blog, Festivals veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

8 Antworten zu “Berlinale 2012: Kurznotizen”

  1. Rajko on Februar 12th, 2012 at 12:01

    Die Zeilen zu LOST IN PARADISE unterschreibe ich sofort. Nur, dass mir die „schönen Bilder“ auch nicht viel geben konnten, gleichwohl sie tatsächlich herausragen vor dem Hintergrund des Materialfetischismus. 😀

  2. Spidy on Februar 12th, 2012 at 14:28

    Nur mal was kurzes zu Keeps the lights on, fand ich gar nicht gut, zählt eher zu den Filmen die ich in Sundance gesehen habe, die ich nicht mochte und das waren in diesem Jahr – erstaunlicherweise – nicht soviele.

  3. Micha on Februar 12th, 2012 at 17:14

    Danke für die Warnung vor LOST IN PARADISE – den hatte ich vorgemerkt. Überrascht bin ich über HEMEL, das las sich imho doch recht schrecklich in der Ankündigung.

  4. Settembrini on Februar 12th, 2012 at 19:32

    Du bist inzwischen also (hoffentlich gut?) angekommen und hast dann gleich mit so einigen Filmen – zu denen ich jetzt nichts sagen kann – losgelegt. Bei mir beschränkt es sich bisher auf den Wettbewerbsbeitrag „Aujourd’hui“, den ich aber ziemlich lahm fand.
    Von „Dictado“ habe ich heute früh in der Zeitung übrigens auch nur schlechtes gehört, oder richtiger gesagt. gelesen.

    Meine Planung für die nächste Woche habe ich Dir ja auch schon zugeschickt. Morgen stehen bei mir zwei alte Filme an, die vermutlich deutlich interessanter sein werden als der eher fade Film am Freitag.

  5. Sano on Februar 14th, 2012 at 12:25

    Scheint ja soweit als representativer „Querschnittstag“ einiges herzugeben, deine/eure Auswahl Andi. Von Entdeckungen über (zu erwartende) Enttäuschungen wieder mal alles dabei. Also weiterhin frei nach dem Motto: Suchen und Meiden. 🙂

  6. Gerngucker on Februar 27th, 2012 at 20:44

    Sehr guter Berichterstattungsstart, verbunden mit der beruhigenden Gewissheit meinerseits, mit „Dictado“ kein Schwergewicht verpasst zu haben.
    Kann mit der Fortsetzung noch in 2012 gerechnet werden? 😉

  7. Sano Cestnik on Juni 7th, 2012 at 02:49

    Fortsetzung (nun tatsächlich noch im laufenden Jahr ;-)) gibt’s an dieser Stelle.

  8. Andreas on Juni 7th, 2012 at 03:31

    In der Tat. Wollte auch noch darauf hinweisen, danke, dass du mir das bereits abgenommen hast, Sano.

    @Micha
    Ja, bei HEMEL bin ich (und meine Begleiter) wohl eher in der Minderheit, den mochten doch einige nicht. Die Selbstfindungs-Getriebenheits-Story mag ein alter Hut sein, aber die visuelle Textur des Films, seine vibrierende atmosphärische Umsetzung, die mochte ich schon sehr.

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