Zitate der Woche
There is an odious fallacy that a great many people still believe, in regard to the moving picture. It is almost as widespread as that the cinema is in its infancy. By that I mean the belief that we must give the public what it wants. To me, that is absurd. As absurd as if the fashion dictators should attempt to suit women’s wishes in costumes. In reality, the opposite is the case, is it not?
– Maurice Tourneur im „Photoplay Magazine“, 1918
I would rather starve and make good pictures if I knew they were going to be shown, but to starve and make pictures which are thrown in the ash-can is above anybody’s strength. As long as the public taste will oblige us to make what is very justly called machine-made stories, we can only bow and give them what they want.
– Maurice Tourneur, 1920
Schöne Zitate, die den ewigen Kampf zwischen Kunst und Vermarktung in einer Industriegesellschaft schön auf den Punkt bringen. Im Kommunismus hätte dieses Zitat wohl zwischen Kunst und Politik vermittelt, wenn es so überhaupt offiziell geäußert worden wäre. Das man in unseren kapitalistischen Gesellschaften die wirtschaftlichen Zwänge noch so exakt wie Tourneur artikulieren konnte, liegt aber wohl daran, dass die meisten Leute das Primat der Ökonomie als Leitlinie von Kultur und Politik nicht sehen können/wollen. 🙂 Tja, der Westen hatte wohl schon immer die bessere Propaganda. 😉
Und du bist jetzt auf den Tourneur-Geschmack gekommen, Christoph? Ich vermute ja immer noch, dass mir der Papa besser gefallen könnte als der Sohn, habe aber bisher noch keine wirkliche Gelegenheit gehabt, dies zu überprüfen. Neben frühen Arbeiten von 1914 und seinen Tonfilmen, würden mich auch insbesondere die zwei Literaturverfilmungen „Last of the Mohicans“ und „Treasure Island“ von 1920 interessieren. Mal sehen, wann sich etwas ergibt.
Das erste Zitat ist famos und impliziert die ganze vertrackte Komplexität dieses Standpunktes. Einerseits glaube ich durchaus daran, dass Filmemacher (d. h. nicht nur Regisseure) ihrem Publikum „Geschmack“ beibringen sollten, eher als umgekehrt, andererseits ist die Filmgeschichte voll von Beispielen, bei denen das nach hinten losgegangen ist und selbstverständlich sollte ein Film keine Gewalt auf sein Publikum ausüben. Es läuft also alles auf das zurück, was die lieben Produzenten vom Publikum denken und worin sie die Ansprüche ihres Publikums vermuten. Davon ausgehend, könnte man endlos schwadronieren über das intellektuelle Verhältnis von Produzent und Publikum (der Regisseur dann nurmehr als Zwischenglied), aber das möchte ich gar nicht.
Jedenfalls meine ich, dass der Intellekt filmindustrieller Erzeugnisse, besonders amerikanischer, graduell immer weiter abgenommen hat und heute als Huhn im Matsch stochert. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber heute wäre wohl niemand mehr im Stande, Verhalte wie diese so klar und ungestreckt zu formulieren wie Tourneur das damals getan hat – es würde heute sofort in der Beliebigkeits- und Thesensuppe untergehen.
Ich wollte zunächst nur das erste Zitat nehmen, konnte dann aber der Versuchung nicht widerstehen, es gleich noch durch das zweite zu kontrastieren. Interessanterweise ist Tourneur anscheinend nie bitter geworden über dem Kompromiss und als es ihm mit den amerikanischen Produzenten zu bunt wurde, ist er einfach pünktlich zum Tonfilm zurück nach Frankreich gegangen, wo er anscheinend eine erkleckliche Anzahl von Werken gedreht hat, die du wahrscheinlich als „Christoph-Filme“ bezeichnen würdest (= düstere Melodramen, Kriminalfilme mit Selbstopfer. Und so.) Unter seinen ganz frühen Filmen befinden sich neben augenscheinlichen, frühen Surrealismen und gieriger formaler Innovationen auch einige authentische „Grand guignol“-Kurzfilme, was natürlich sehr dufte und für mich absolut relevant ist.
Tatsächlich kenne ich noch keinen seiner Filme ;-), möchte diese Bildungslücke aber baldmöglichst schließen, da mich einige Texte und vor allem Bilder, die ich im Netz gefunden habe, extrem angespitzt haben.
Der Sohn ist wahrscheinlich auch toll, meine bisherigen Begegnungen mit ihm (I WALKED WITH A ZOMBIE und OUT OF THE PAST) fand ich allerdings nicht so prickelnd, obwohl der ganze Bilderschangel schon etwas hermacht.
„Der Sohn“ ist natürlich absolut brillant und hat mit OUT OF THE PAST den allerbesten Film Noir überhaupt vorgelegt, nicht zuvergessen seine versexten Schauerstücke CAT PEOPLE und I WALKED WITH A ZOMBIE. Großer Regisseur, dem man mit albernen Abgrenzungsbegriffchen wie „Bilderschangel“ natürlich nicht annähernd gerecht wird.
Tja, über Geschmack lässt sich nicht streiten. 😉
Finde z.B. den von dir erwähnten Out of the Past auch sehr toll (zumal mit Kirk Douglas und Robert Mitchum zwei meiner absoluten Lieblingschauspieler Glanzleistungen vollbringen), kann dir aber aus dem Stehgreif ein Dutzend Film Noir-Werke nennen, die mir noch besser munden.
Würde aber von beiden Tourneurs sehr gerne noch meeeehr sehen! „Der Vater“ steht aber auf meiner Präferenzsichtungsliste dennoch ein ganzes Stück vor dem Sohn. 🙂
Was wenig verwunderlich ist, da er dem Antikanonhabitus des Blogs deutlich mehr mundet. 😛