Alles beginnt mit einem Abschiedsbrief. Robert Redford liest ihn für seine Figur aus dem Off vor. Es sind beinahe die einzigen Worte, die in ALL IS LOST gesprochen werden. Mehr gibt es über diesen Mann nicht zu sagen. Ich habe es wirklich versucht, sagt Redford. Stark zu sein, gut zu sein, gerecht zu sein. Zu lieben. Ich habe gekämpft, aber es nicht geschafft. Es tut mir leid. Alles ist verloren.
1. L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT 2. TWO LOVERS 3. GRAN TORINO 4. DAS WEISSE BAND 5. WENDY AND LUCY 6. 35 RHUMS 7. KYNODONTAS 8. BELLAMY 9. KINATAY 10. LAKE MUNGO
Nachrücker:
THE HURT LOCKER; PUBLIC ENEMIES; HALLOWEEN II; PINK; FUNNY PEOPLE; LE PÈRE DE MES ENFANTS; IN DREI TAGEN BIST DU TOT 2; GANGS; DIE TÜR; THE WRESTLER; INDEPENDENCIA; IN THE ELECTRIC MIST; TWO-LEGGED HORSE; WHERE THE WILD THINGS ARE; THE MAN FROM LONDON; Z32; JERICHOW; SHERLOCK HOLMES;
2008:
1. WE OWN THE NIGHT 2. UNITED RED ARMY 2. DAS GELÜBDE 4. THE HAPPENING 5. STELLET LICHT 6. SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE 7. LET THE RIGHT ONE IN 8. BUDDHA COLLAPSED OUT OF SHAME 9. INTO THE WILD 10. [REC]
SHIT YEAR ist ein Film des amerikanischen Independentregisseurs Cam Archer, sein zweiter Spielfilm nach dem von Gus van Sant produzierten WILD TIGERS I HAVE KNOWN, der 2006 seine Premiere auf dem Sundance Festival feierte. Seitdem entwickelte der Film sich zu einem kleinen Independent-(Festival-)Hit, der im Juni 2008 von Salzgeber sogar einen kleinen deutschen Kinostart und eine anschließende DVD-Veröffentlichung spendiert bekam. Näheres zu TIGERS hier und hier, einen ersten Eindruck vermittelt auch der Trailer:
SHIT YEAR (zu dem es leider noch keinen Trailer gibt) scheint noch einmal ein ganzes Stück experimenteller geworden zu sein. Der Film wurde auf 16mm und in Schwarz-Weiß gedreht und handelt, so liest man, von einer erfolgreichen Schauspielerin, die ihre Karierre aufgibt und sich in ihre Haus in die Berge zurückzieht – und in der dortigen Isolation feststellt, dass sie mit ihrer Schauspiellaufbahn auch sich selbst aufgegeben hat.
„After making Wild Tigers I Have Known, the first [movie], I started to feel disenchanted by the creative process. I started thinking, what would it be like if I stopped making art. How would that affect my identity? Would I now mean something else? Do I define my work, or does my work define me? Could I exist without it? What I am getting out of it any more? I started to feel that it was losing the thrill that it once had [for me]. I had been obsessed, and I was starting to feel burdened, and that was shitty. I knew I didn’t want to make a movie about a filmmaker [to explore these ideas], but an actress seemed more interesting to me — someone who is already stepping into other identities and removing themselves from themselves. And then I thought, what if that actress is retiring?“ (…) Mehr
Die Hauptrolle in SHIT YEAR spielt Ellen Barkin („played to perfection“ – Variety), die in Deutschland leider nicht so bekannt ist wie in den USA – am Ehesten kennt man sie vielleicht noch aus THE BIG EASY (aber auch aus Solondz‘ PALINDROMES, aus Hills JOHNNY HANDSOME, aus Jarmuschs DOWN BY LAW). Auch mit Blick auf ihre eigene Karriere eine sicher interssante Besetzung.
Jay Weissberg schwärmt in „Variety“ weiter vor allem über die Kameraarbeit:
„Together with d.p. Aaron Platt, he’s [Cam Archer] created a world of striking images that combine elements from such black-and-white photographic masters as Garry Winogrand and Ansel Adams.“
Insgesamt scheint SHIT YEAR in Cannes durchaus gemischt aufgenommen worden zu sein (siehe z.B. Eric Kohn bei Indiewire), es gibt sogar Berichte, dass während den Vorstellungen nicht wenige den Saal verlassen hätten (was in Cannes ja eigentlich nie ein schlechtes Zeichen ist). Für mich klingt SHIT YEAR zunächst aber nach einer sehr spannenden Kombination aus formalem Experimentierwillen und sehr persönlich-reflektivem Inhalt – genug um mir den Film anzusehen.
Als „Mystery-Thriller in der Tradition von M. Night Shyamalan, erzählt als Liebesmelodram“ wird der Film LA DOPPIA ORA auf der Homepage des Münchner Filmfestes beschrieben. Giuseppe Capotondis Regiedebüt gewann auf dem Filmfestival in Venedig 2009 gleich drei Preise, darunter den Coppa Volpi für die beste Darstellerin, der an Ksenia Rappoport ging.
„With this tasty genre piece, first-time director Giuseppe Capotondi proves there is life in Italian cinema beyond ponderous glossy dramas and pneumatic sex comedies. Mixing film noir, thriller, love story and supernatural horror, The Double Hour has some of the dour provincial atmosphere and subtly menacing tone of 2007 Italo murder mystery The Girl by the Lake; but it’s more intricately plotted, and takes us into much more intriguing dream-and-reality territory.“
Was auf dem Papier so klingt, als könnte Capotondi versuchen an einige der atmosphärischen, extravaganten italienischen Genremixe (mit Haupteinfluss des Giallo) der 70er anzuknüpfen, sieht im Trailer schon eher nach einem kühlen, unglamourösen psychologischen Thriller mit Euro-Noir-Anleihen aus:
Capotondi hat vor seinem Debütfilm hauptsächlich Musikvideos gedreht, so dass es nicht verwundert, dass der Soundtrack ziemlich ausgewählt ist und etliche Progressive Rock Bands vereint (u.a. „Godspeed You! Black Emperor“). Dazu hat Pasquale Catalano einen Score komponiert, einige seiner früheren Arbeiten (aus LE CONSEGUENZE DELL’AMORE von Paolo Sorrentino) kann man sich bei Youtube anhören. Klingt ein bißchen nach Philip Glass, aber in der Tat erstmal sehr atmosphärisch und viel versprechend.
Ein amerikanisches Remake soll angeblich auch schon in Planung sein.
Die Reihe „Neue Deutsche Kinofilme“ war 2009 am Tiefpunkt, als die Jury um Caroline Link den Förderpreis Deutscher Film in den Kategorien Regie und Drehbuch nicht vergeben wollte – aus Mangel an geeigneten Kandidaten und weil sie sich durch eine Vorschlagsliste bevormundet fühlte. Insofern wird diese Sektion 2010 sicher besonders im Fokus stehen, zumal die Jury mit u.a. Christian Petzold erneut mit Köpfen besetzt wurde, von denen nicht zu erwarten ist, alles unkritisch abzuwinken, was ihnen in der Reihe so vorgesetzt wird.
Mit dem frisch aus Cannes kommenden UNTER DIR DIE STADT von Christoph Hochhäusler, DER LETZTE SCHÖNE TAG von Ralf Westhoff und DER LETZTE ANGESTELLTE von Alexander Adolph sind schon mal drei Hochkaräter im Programm, die allerdings alle nicht für den „Förderpreis Deutscher Film“ in Frage kommen dürften, da es sich bei allen dreien um relativ erfahrene Regisseure handelt.
Ein möglicher Kandidat für den Preis wäre dagegen DAS LETZTE SCHWEIGEN des HFF München-Absolventen Baran bo Odar, mit dessen Nominierung den Kuratoren der „Neuen Deutschen Kinofilme“ durchaus ein kleiner Coup gelungen sein könnte.
Odars 60-minütiger, in Cinemascope gedrehter Debütfilm UNTER DER SONNE, dessen stylischen Trailer man sich auf der offiziellen Homepage des Regisseurs anschauen kann, war ein Festivaldauerbrenner von Max Ophüls über Sao Paolo bis Slamdance und erhielt hymnische Kritiken der deutschen wie ausländischen Presse (ebenfalls nachzulesen auf der offiziellen Homepage). Ein bißchen wirkt er wie der abgründigere kleine Bruder von Hendrik Handloetgens 80er-Kindheitserinnerung und Beatles-Hommage PAUL IS DEAD. UNTER DER SONNE wurde in Erlangen, dem Ort Odars Kindheit, gedreht.
„Ich bin in einer typischen, deutschen Kleinstadt in den 80er Jahren aufgewachsen. Ein Ort, der überall in Deutschland wieder zu finden ist: Endlose Reihenhaussiedlungen, spießige Kleingärten, die dicht an dicht gereiht sind, heiße Asphaltstrassen, Steintischtennisplatten, leere Garagenhöfe, schreiende Kinder in Schwimmbädern aus Beton, Schürfwunden am Knie, Lakritzschnecken in weißen Papiertüten, Puffreis… Kindheitserinnerungen, die diese Zeit prägen und das Gefühl des Wohlbehüteten und des Sicheren wiedergeben. Aber auch für die Leere und Langeweile, die für diese Zeit steht. Allen geht es eigentlich gut und dennoch stimmt etwas in dieser heilen“ Welt nicht.
Diese Banalität lag wie eine kuschelige Decke über uns, beschütze uns und lag doch schwer auf unseren Schultern. Tauchte man erst einmal unter ihre Oberfläche, entdeckte man ihre erschreckende und gähnende Tiefe und Leere.
Die Entscheidung in meiner Heimatstadt zu drehen, fiel relativ schnell. Schon beim Schreiben des Drehbuches hatte ich ganz bestimmte Orte und Plätze im Kopf, die mir in meiner Jugend über den Weg liefen. So drehten wir die Reihenhaussiedlung und ihre Häuser, dort wo ich selber gewohnt habe: bei meinen Eltern und bei meiner früheren Nachbarin. Auch das Schwimmbad und die darum liegenden Wälder waren Orte, an denen ich meine Kindheit verbrachte.“
Insofern wirkt DAS LETZTE SCHWEIGEN erstmal wie die verlängerte Version von Odars Erstling. Wieder Nikolaus Summerer als Kameramann, wieder Cinemascope, wieder Erlangen und Umgebung als Drehort (siehe Making Of-Bericht hier), wieder die 80er als Ausgangspunkt, wieder die Provinz, ihre Oberflächen und ihre Abgründe. Diesmal aber mit einer ungeheuer prominenten Besetzung: Ulrich Thomsen, Burghart Klaußner, Kathrin Saß, Wotan Wielke Möhring. Der viel versprechende Trailer ist schon seit Monaten online:
DAS LETZTE SCHWEIGEN basiert auf dem Kriminalroman DAS SCHWEIGEN von Jan Costin Wagner, der Teil einer Trilogie um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa ist (also tatsächlich Skandinavien-Krimis von einem deutschen Autor).
Das Breitwandformat, die erfolgreiche Romanvorlage, die internationale Besetzung (wieder mit einem Dänen) wecken Erinnerungen an Anno Sauls unterschätzten, an der Kinokasse leider völlig untergegangenen Thriller DIE TÜR (der in München zufälligerweise im Rahmen der Hommage an Mads Mikkelsen ebenfalls zu sehen sein wird). Zudem war Baran bo Odar Regieassistent bei Maren Ades knallharter Provinzstudie DER WALD VOR LAUTER BÄUMEN. Diese Kombination in der Verbindung mit Urbildern deutscher Kinogeschichte (von M bis zu ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAG) lässt auf jeden Fall hoffen, dass hier ein außergewöhnlicher deutscher Genrefilm entstanden sein könnte.
Die erste Retrospektive (mit dem/der CineMerit-Award-Preisträger/in wird noch eine weitere, vermutlich etwas kleinere folgen) des diesjährigen Münchner Filmfest steht fest: Ulrich Seidl. Und zwar mit allen Kurz- und TV-Filmen. Zitat:
Das FILMFEST MÜNCHEN präsentiert in der Retrospektive erstmalig alle Filme von Ulrich Seidl – eine Werkschau, die 30 Jahre umfasst: Von EINSVIERZIG, Seidls erstem Kurzfilm auf der Wiener Filmakademie, und DER BALL, „der Grund, warum man mich aus der Filmakademie rauswarf“ – bis hin zu aktuellen Projekten. Neben den Kinofilmen werden auch seine für das Fernsehen produzierten Filme (SPASS OHNE GRENZEN, DER BUSENFREUND, DIE LETZTEN MÄNNER u.a.) sowie einige kaum bekannte Kurzfilme zu sehen sein.
Da Cannes-Gewinner UNCLE BOONMEE WHO CAN RECALL HIS PAST LIVES von Apichatpong Weerasethakul eine Co-Produktion des Münchners „Haus der Kunst“ ist, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch er in München zu sehen sein könnte. Zumindest die letzten drei Jahre waren die Gewinner der Goldenen Palme (4 WOCHEN, 3 MONATE UND 2 TAGE, ENTRE LES MURS, DAS WEISSE BAND) auch immer beim Filmfest verteten.
Ein Politthriller als Geistergeschichte. Die Figuren sind Schatten in einem unübersichtlichen Geflecht aus Politik, Polizei und organisiertem Verbrechen. Sie treten unvermittelt aus dem Dunkeln ins Bild und verschwinden dort wieder ebenso gleitend, sie sprechen aus dem Off, nachdem die Kamera sie nur flüchtig erhascht hat, flüstern, raunen sich im Vorbeigehen Vertrauliches zu, sind nur verrauschte Stimmen aus Funkgeräten, Telefonen oder von Tonbändern. Ein knallroter Regenmantel…
Es ist Zwischenkriegszeit. Der Kalte Krieg ist vorbei, BRD und DDR sind untergegangen, aber die „Berliner Republik“ hat noch nicht wirklich begonnen. In dieser Übergangsphase hält das organisierte Verbechen Einzug in die Politik, werden hinter Glasscheiben in den Konferenzzimmern die Anteile am neuen Land verkauft. Ein Trümmerfilm aus dem Jahr 1994.
Beschützt werden die Gespenster hinter den Glasscheiben vom SEK. Die Männer sind selbst Phantome, sie tragen Decknamen und Sturmhauben, bei denen nur die Augen als letztes Zeichen von Persönlichkeit hervorblitzen. Die Welt dieser Männer, ihre Rituale, ihr (brüchiger) Zusammenhalt sind wichtiger Teil von DIE SIEGER. Einer von ihnen, Heinz Schaefer ist ein Phantom aus der Vergangenheit – vor vier Jahren soll er sich umgebracht haben, doch Karl Simon erkennt ihn bei einem Einsatz gegen Geldfälscher wieder. Simon und Schaefer arbeiten beide für den Staat und sind doch Gegner in einem Dickicht aus V-Männern und machtpolitischen Grauzonen, sind Gehetzte, Zerrissene. Gesellschaftliches, Berufliches und Privates sind untrennbar, der Riss durch die Männer reicht tief in die Familien.
Oft wird DIE SIEGER als deutscher Actionfilm verkauft, dabei steht er eher in der Tradition der Polizeifilme von Lumet und den Mafiafilmen von Damiani. Doch Deutschland ist nicht Italien – die Mechanismen der Korruption laufen subtiler ab, vielleicht kann man ihnen nur mit Fantasie beikommen. Selten hat Grafs visueller Stil so gut zu einem Sujet gepasst, die unruhigen Kamerafahrten, die hektischen Zooms auf die Figuren, als ob er nach ihnen greifen, ihre Undurchsichtigkeit erfassen wollte. Genre heißt hier im Gegensatz zu vielen deutschen Filmen der 90er auch nicht der Wunsch möglichst amerikanisch auszusehen. Materiell ist der Film tief in der Bundesrepublik verhaftet: den Autobahnen und Raststätten, dem ICE und den Einkaufsmeilen, den Düsseldorfer Reihensiedlungen und den Vorstadtvillen. Hinter dieser materiellen Gegenwart lauern unterirdisch die Gespenster der Vergangenheit, der Terrorismus und sein politischer Mißbrauch. Sehnsüchte werden wach, nach DIE MACHT DES GELDES, dem Film den Graf nach dem Buch von Christoph Fromm über die Herrhausen-Entführung drehen wollte.
Das Ende des Traums vom deutschen Genrekino soll DIE SIEGER gewesen sein. Dass der Film gescheitert ist, darin schienen und scheinen sich fast alle einig zu sein: das Publikum, das ihn mied, die Kritik, die ihn nie bedingungslos liebte und auch Graf selbst – nach vielen Eingriffen ins Drehbuch.
Aber das Schöne am Kino ist, dass die Produktionsgeschichte irgendwann zurücktritt und es kein „hätte, könnte, sollte“ mehr gibt. Und der Film beginnt ein Eigenleben in den Köpfen der Zuschauer zu entwickeln, das weder der Regisseur mit seiner Vision noch die Filmbürokraten mit ihrem Kommerzstreben so vorhersehen können. Es ist wie bei Ciminos HEAVEN’S GATE, wo die Träume zu groß werden fürs Kino, wo nur noch Spuren, Bruchstücke, Ahnungen davon auf dem Zelluloid zurückbleiben. Doch Unvollkommenheit heißt auch immer Unabgeschlossenheit und damit: Offenheit. Eine Einladung mitzuträumen.
Der Traum vom deutschen Genrekino, so viel zu groß er manchmal auch scheinen mag, ist jedenfalls noch lange nicht ausgeträumt.
Die Sieger – Deutschland 1994 – 130 Minuten – Regie: Dominik Graf – Drehbuch: Günter Schütter – Produktion: Günter Rohrbach, Christoph Holch – Kamera: Diethard Prengel – Musik: Dominik Graf, Helmut Spanner, Loy Wesselburg – Darsteller: Herbert Knaup, Katja Flint, Hannes Jaenicke, Heinz Hoenig, Meret Becker, Natalia Wörner, Thomas Schücke.
Das Wichtigste zuerst: James Grays Abenteuerepos THE LOST CITY OF Z, sein erster Ausflug außerhalb der New Yorker milieus, nimmt immer konkretere Formen an. Wie Screen berichtet ist Inferno Entertainement in das Projekt eingestiegen, was zur Folge haben könnte, dass die Dreharbeiten demnächst beginnen können, sobald Brad Pitt das vormalige Soderbergh-Projekt (jetzt: Bennett Miller) MONEYBALL abgedreht hat. An der Stelle sei nochmal auf das mittlerweile schon fast ein Jahr alte Interview mit Gray bei collider.com hingewiesen, in dem Gray über den Film, die Hauptfigur Percy Fawcett und Werner Herzog spricht.
Screen weiß auch das Neueste über ALLELUIA, ein Serienkillerroadmovie und das neue Projekt von Fabrice du Welz (VINYAN, CALVAIRE).
Der Wettbewerb in Cannes scheint unterdessen weiter vor sich hinzudümpeln, weder größere Totalausfälle noch Meisterwerke sind bisher von der Kritik entdeckt worden. Die Langeweile scheint einige Kritiker schon so übermannt zu haben, dass sie sich die kleinen Skandale selber zusammen dichten. Der ausgebuhte (oder auch nicht) Kiarostami interessiert mich nach dem meiner Meinung nach völlig fehgeschlagenen SHIRIN eigentlich nicht besonders, aber es scheint neben Mike Leighs ANOTHER YEAR der Film zu sein, der mit am Wohlwollendsten aufgenommen wurde.
Spannender klingt da schon OUTRAGE von Takeshi Kitano. Schon im ersten Satz seiner Kritik bei Screen schafft Dan Fainaru es, mir sehr klar zu machen, warum es ein schlimmer Fehler war, die letzten Kitanos bei Festivals immer auszulassen (ich hätte da natürlich auch einfach auf Andreas hören können):
„After eight years of soul-searching filmic experiments, using himself, his art and everything he did in the past for metaphorical purposes, Takeshi Kitano is back at what obviously comes easiest for him, another Yakuza picture (…)“.
Auch wie Jan Schulze-Ojala den Film in der ZEIT beschreibt, klingt das alles sehr vielversprechend: kompromisslose Gewaltdarstellung trifft kompromisslose Gesellschaftskritik.
Bleibt noch der Geheimtipp, den Blickpunkt: Film ausgemacht und den auch Movies & Sports aufgegriffen hat: LES AMOURS IMAGINAIRES des sehr jungen Québécois Xavier Dolan. Wirklich jeder scheint begeistert vom Talent des 21-Jährigen zu sein, auch wenn einige noch einen wirklich eigenen Stil vermissen. Sein Debüt J’AI TUÉ MA MÈRE war seinerzeit ein Riesenhype in Montréal, auch hier hat wirklich jeder davon geschwärmt (was wiederum durchaus verdächtig war, ich selbst habe ihn leider verpasst). Sein Debüt hatte der 21-Jährige selbst geschrieben, selbst produziert, selbst die Hauptrolle übernommen, selbst Regie geführt und sogar die Poster selbst entworfen und es damit schon bis zur Quinzaine 2009 nach Cannes geschafft. Auch bei seinem neuen Film scheint Dolan wieder ähnlich viele Aufgaben übernommen zu haben. Der Trailer zu LES AMOURS IMAGINAIRES sieht in der Tat nach einer Mischung aus Nouvelle Vague und Wong Kar-Wai aus, fast schon zu sehr, so als hätte man beides mit einem Regieprogramm am PC zusammen geworfen. Aber allein schon weil der Film im Montrealer Viertel Mile End gedreht wurde, muss ich ihn unbedingt sehen. Bitte liebes Filmfest München, nutzt eure Québec-Connection und holt ihn im Juni zu euch!
Update: BLUE VALENTINE von Derek Cianfrance, mit Michelle Williams und Ryan Gosling in den Hauptrollen, hatte (scheinbar heute?) seine erste Aufführung in der Un certain regard-Reihe. Seine Premiere hatte der Film schon in Sundance und bekam fast durchweg enthusiastische Kritiken, siehe hier, hier oder hier. Mir genügt diese Inhaltsangabe und dieser kurze Filmausschnitt, um zu wissen, dass ich den Film sehen will. Sieht aus wie eine Mischung aus Cassavetes und Maren Ade, vielleicht ist es sogar der Film, als den ich mir ALLE ANDEREN (der trotzdem toll war) gewünscht hätte. Nur eben mit Michelle Williams, die gerade in MAMMOTH gezeigt hat, dass sie mit ihrer Performance auch einen eher mißglückten Film ganz allein tragen kann
Update 2: Variety liebt PICCO von Philip Koch, der in der Quinzaine des Réalisateurs läuft und beim Max-Ophüls-Preis schon die deutsche Filmkritik beeindruckte.
Cannes, dritter Tag, was bisher aus der Berichterstattung hängen geblieben ist:
– Am Interessantesten im Market: Jean-Claude Van Dammes zweiter Film als Regisseur THE EAGLE PATH (der nicht sein Debüt ist, wie Jordan Mintzer von Variety behauptet, das war THE QUEST). Mintzer zerreißt den Film in der Luft, aber was er über die freudianische Montage und van Dammes Versuche sich als europäischer Auteur à la Godard zu gerieren schreibt, klingt ultraspannend. Den Trailer gibt es auch schon, könnte in der Tat experimentelles Actionkino zwischen Trash und Avantgarde werden.
– Was das Autorenkino angeht wäre auch MARTI, DUPA CRACIUN (TUESDAY, AFTER CHRISTMAS) von Radu Muntean zu nennen, der in Un Certain Regard läuft. Für Besucher des diesjährigen Filmfests München vielleicht besonders interessant, da schon Munteans Vorgängerfilm BOOGIE in München 2008 im Internationalen Programm gezeigt wurde (der seinerzeit in Cannes in der Quinzaine des Réalisateurs lief). Und da sich letztes Jahr ein verstärkter Fokus auf Rumänien in München ausmachen ließ (mit, ich glaube, drei oder vier Filmen), besteht eventuell berechtigte Hoffnung TUESDAY, AFTER CHRISTMAS dieses Jahr auch auf dem Filmfest sehen zu können.
Steven Zeitchik von der L.A. Times ist der Film jedenfalls Anlass darüber zu spekulieren, ob es in Rumänien illegal sei, schlechte Filme zu drehen. Barbara Schweizerhof von epd Film hat ihn als ihren Lieblingsfilm der ersten anderthalb Tage in Cannes entdeckt. Und auch Variety zeigt sich angetan. Einig scheinen sich alle in ihrer Begeisterung über Munteans reduzierten, minimalistischen Stil (aber eben doch „distinctly stylized“ wie Zeitchik schreibt) zu sein, der sich ganz auf seine Figuren konzentriert.
– Von den Wettbewerbsfilmen finde ich CHONGQING BLUES von Wang Xiaoshuai am Interessantesten. Die Tatsache, dass hier wie in CHUNGKING EXPRESS von Wong Kar-Wai die Stadt CHONGQING als schmerzlich-melancholischer Sehnsuchtsort im Mittelpunkt zu stehen scheint, genügt mir, um mich auf den Film zu freuen. Die Presseschau, die David Hudson bei Mubi (vormals The Auteurs) zusammenfasst, klingt auch vielversprechend.