14. Hofbauer-Kongress, Aufriss #6



Schleppzug

Schon lange hegte das Hofbauer-Kommando den Wunsch, bei seinen unermüdlichen Bohrungen nach dem öligen Gold des filmgewordenen Begehrens auch einmal in die Gefilde des frühen deutschen Tonfilms vorzustoßen, der – was wir in Zukunft noch öfter zu demonstrieren gedenken – stets über eine „ganz eigene Grundschmierigkeit“ (Sano) verfügt, die nur mühsam vom Mieder zeitgemäßer Anständigkeit zusammengepresst wurde und sich beim unterschwelligsten Anlass zur Frivolität aus ihrem letztlich doch nur lax geschnürten Korsett herauszublähen drohte. Ja, das deutsche Kino war vor und während des zweiten Weltkriegs äußerlich von so aggressivem sexuellen Selbstbewusstsin und innerlich so tiefenschmierig wie danach ganze zwei Jahrzehnte lang nicht mehr. Zahlreiche spritzige Komödien um die Irrungen und Wirrungen der Liebe und das natürlich aufgrund lüstern schmunzelnder Ungeduld der Männchen und aufstachelnd scheinheiliger Hinhaltemanöver der Weibchen schwierige Miteinander der Geschlechter legen anschaulich Zeugnis dieses überaus delektablen Umstands ab. Am anderen Ende des ungeheuren Gefühlsspektrums florierte bereits gar ersprießlich das HK-kernrelevante und der zwischen Scham und Schaulust zerrissenen deutschen Seele intim nahestehende Genre des Sittenfilms in all seinen unterschiedlich seriösen und unseriösen Ausformungen.

Eine der großen Steineichen des deutschen Films, der massige Heinrich George, verfiel just auf letztere Spielart des erwachsenen Kinos, als er sich 1933 anschickte, seiner Unzufriedenheit mit jener Art des Filmemachens, wie man sie in den großen Filmateliers pflegte, stimm- und körpergewaltig Ausdruck zu verleihen und ihr eine „künstlerische und lebensnahe“ eigene Regiearbeit entgegenzusetzen, für einige Drehtage unterstützt vom großen Werner Hochbaum. Mit seinem Schleppkahn, dem titelgebenden SCHLEPPZUG M 17, steuert George als kerniger Schiffer Henner sich und seine Familie über die Havel von Hafen zu Hafen. Seine Hose ist von Güte gebändigt, sein Herz trägt er am rechten Fleck, und als eines Tages im Hafen von Berlin vor seinen Augen ein junges, brünettes Gift im schmutzigen Brackwasser landet, eilt er ihr unverzagt zur Hilfe. Gescha, das Mädchen, ist jedoch Kanaille, Früchtchen sowie diebische Elster zugleich und beherrscht die männliche Gefühlsklaviatur rauf und runter. Schon bald hat die Säge ihrer Verführungskraft die aufrechte Steineiche gefällt und Henner ergibt sich nächtens an ihrem schmelzenden Busen in Kaschemmen dem Exzess…

„Der Film wirkt zunächst wie zusammengeschustert, zusammengestöpselt, zusammengeklaubt und zusammengeklebt, aus mehreren Filmen zusammengefügt, und von verschiedenen Händen zusammengesetzt. Alles funktioniert nach diesem Prinzip, der Zentripetalkraft des Kunstwerks, welches imstande ist sich vieles einzuverleiben und sich zu eigen zu machen. Unscharfe Aufnahmen, traumähnliche Ellipsen, im Nachhinein im Synchronstudio gezimmerte Szenenübergänge. Heterogene Elemente werden vermischt, der Film zerfasert, franst aus, birst an allen Ecken und Enden. (…) Vor allem aber weht ein Hauch von Jess Franco durch das deutsche Kino der 30er, ein Hauch von Freiheit, Faulheit, Lust, diese ganz eigene Mischung aus Ambition und Sorglosigkeit, Besessenheit und Entspannung, Fürsorge und Vernachlässigung. Der Film als Rumpelkammer, als Material, in dem lange gewühlt worden ist und in dem man sich bereitwillig ausgebreitet hat.“ (Sano Cestnik)

Bereitwillig ausbreiten werden auch wir uns, wenn der SCHLEPPZUG M 17 im Uferpalast Fürth anlegen wird, in jener spektakulär archaischen Wildheit, die dem schwarzweißen Filmmaterial jener Tage in seinen heutigen Überlieferungen eingeschrieben ist und die sich natürlich nur in einer 35mm-Projektion voll auskosten und nachvollziehen lässt. Häßliche Bootleg-Fassungen mit Timecode im Bild wären die trostlose Alternative. Als eines der wenigen Kinos in Deutschland verfügt der Uferpalast über die technischen Vorraussetzungen, um frühe Tonfilme (bis ca. 1934) in ihrem ursprünglichen, beinahe quadratischen Bildformat von 1:1,20 zu zeigen – wo also selbst in den renommiertesten Filmmuseen und Kinematheken (im Fernsehen und auf Heimkino-Veröffentlichungen sowieso) fast immer enorme Mengen des Filmbilds am oberen und unteren Bildrand kompositionsschädigend im Kasch verschwinden, sind wir in der glücklichen Lage, den Film vorbildlich darbieten zu können und freuen uns, gemeinsam mit euch endlich diesen längst überfälligen Schritt über die Schwelle der Filmjahrzehnte zu gehen, hinein in eine weitgehend versunkene Ära des deutschen Kinos, die gewiß noch so manche erquickliche, unerhört HK-relevante Überraschung bereithält. Warum SCHLEPPZUG M 17? Irgendwo muss der Mensch bekanntlich anfangen – warum also nicht dort, wo Nebelhörner traurig blasen, Rumbuddeln auf dem Kopfsteinpflaster zerschellen und der bedürftige Schiffersmann eine warme Mulde für seinen Anker findet?

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, Dezember 4th, 2014 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Das Hofbauer-Kommando, Festivals veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

2 Antworten zu “14. Hofbauer-Kongress, Aufriss #6”

  1. Schwanenmeister on Dezember 4th, 2014 at 22:53

    Ist das ein geiles Filmposter oder was? Film ist sowieso über alle Zweifel erhaben. Hochbaum hat überhaupt einige Filme gedreht, die das Hofbauer-Kommando-Siegel verdient hätten. Eine Filmografie voller bedeutender Verzichter. „Man spricht über Jacqueline“ kennt ihr ja. Aber auch über Offensichtliches wie „Razzia in St. Pauli“ hinaus, seien hier ausdrücklich „Ein Mädchen geht an Land“ und „Hannerl und ihre Liebhaber“ (meiner Ansicht nach in der Fachliteratur noch sträflichst unterschätzt) ans Herz gelegt. Selbst sein Infanterie-Propagandastreifen „Drei Unteroffiziere“ zerberstet quasi sämtliche Uniformhosen – vielleicht auch insgeheim der Grund, warum ihn Goebbels bei Seite nahm und zum Stressabbau an die Front schickte.

  2. Christoph on Dezember 5th, 2014 at 01:58

    Wir werden deine Hinweise gerne berücksichtigen und sind selbstverständlich große Fans. Da wir aber natürlich nach wie vor eher das Unbekannte und Ungewisse jagen und nicht in Kinematheks-Verdacht geraten möchten, kann es eine Weile dauern, bis die Wege von Hochbaum und Hofbauer-Kommando sich wieder kreuzen.

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