Moderato cantabile (1960)



Selten wurde sich im Film dieses Themas angenommen. Keine Liebesgeschichte. Nicht das Davor und nicht das Danach. Sondern irgendwo dazwischen. Jeanne Moreau, geplagt von ihrer Vergangenheit, möchte sterben. Jean-Paul Belmondo, verliebt, möchte mit ihr leben. Durch einen Mord aus Liebe kommt die Erinnerung an Vergangenes hervor. Moreau sehnt sich nach etwas, was sie nicht haben kann: Leidenschaft, Liebe, Gefühle – im Hier und Jetzt. Belmondo nähert sich ihr, durch den einzigen Weg den er erkennt. Sie möchte wissen, was geschah. Wieso der Mann die Frau ermordet hat. Belmondo erfindet davon ausgehend eine Geschichte, eine Geschichte für beide, indem er sich den Wünschen Moreaus annähert, weil er glaubt, dadurch seine eigenen verwirklichen zu können. Als er erkennt, dass dies ein Trugschluss war, verlässt er Sie.

Das Ende ist bitter, noch bitterer als der Anfang. Jeanne Moreaus Figur wird nicht erlöst, stirbt nicht, wird nicht getötet aus Leidenschaft, wie sie es sich so sehr wünscht. Sie darf nicht vergessen, der Moment der reinen Gegenwart wird ihr nicht zuteil. Sie muss weiterleben. Es wirkt wie ein biographisches Fragment, das Peter Brook hier noch einmal abstrahiert und verfremdet. Das Buch von Marguerite Duras, auf dem ihr Drehbuch basiert, ist wohl brutaler, direkter, eine Therapie. Die Erfindung einer Geschichte, um etwas Reales überhaupt darstellen zu können – um sich mit etwas zu konfrontieren, dem man aus dem Weg gehen möchte. Zumindest vermute ich das.

Man ist versucht zu generalisieren: Die Drehbücher und Verfilmungen von Marguerite Duras. Seelenlandschaften. Der Versuch ehrlich zu sein. Rechenschaft abzulegen. Die Filme von Peter Brook. Präzise. Der Versuch einer Reflexion. Natürlich treffen diese Beobachtungen auch auf beide zu. Die Analyse von Verarbeitetem. Duras wie Brook. Das Entstehen, die Vergangenheit, das Verdrängte, der Versuch, treffen auf das Abgeschlossene, die Gegenwart, den Intellekt, der versteht, weil er begriffen hat.

Eine schöne Szene, gegen Ende des Film in der Bar: Moreau kommt herein und setzt sich an den Tisch zu Belmondo. Sie schauen sich an. Sie sprechen. Sie sagt zu ihm, unter anderem: „Ich bin mir dessen was ich sage nicht immer sicher. Ich bin mir nie über etwas sicher. Ich glaube ich bin für lang anhaltendes Glück nicht gemacht. Ich glaube ich bin fähig für sehr kurze Zeit mit bestimmten Männern zu leben. Das weiß ich erst, seit ich Sie kenne.“ Und der Schlussdialog: Man muss ihn gesehen haben um ihn zu glauben. Denn es geht eben nicht nur um Worte, sondern auch und vor allem um ihre Inszenierung.

Bei Peter Brook sind Emotionen immer klar, sie werden betrachtet, fokussiert, und es wird so lange konzentriert auf sie geblickt, bis sie sich offenbaren, und ihre Wahrheit preisgeben. Man möchte fast sagen es geht um nichts anderes als um Regungen, Gedanken und Äußerungen als Ausdruck von Gefühlen in all ihren menschlichen Facetten. Von den Schauspielern erlebt, von der Kamera eingefangen, von der Regie gestaltet. Duras‘ entgrenzte Gefühlswelten werden von Brook konkretisiert. Und gesehen als das, was sie sind: zeitlich und räumlich begrenzte Einheiten, die sich nur durch Wiederholung ausdehnen und variieren lassen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass ich mehr Bücher von Marguerite Duras lesen muss. Ihre Filme kenne ich immer noch nicht, was aber langsam zu einem immer größeren persönlichen Versäumnis zu werden scheint. Zu Peter Brook gilt es noch zu sagen, dass er wohl nicht nur einer der anerkanntesteten und rennomiertesten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts, sondern auch einer der begabtesten Filmemacher war. Jedenfalls ist er mindestens ebenso versiert wie jeder beliebige kanonisierte Filmemacher. Wer mir das nicht abnimmt, soll sich selbst überzeugen und sich seine Verfilmung von King Lear anschauen oder sich die deutsche DVD von Moderato cantabile zulegen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine Lizenzierung der französichen Ausgabe, deren Bild und Ton nach eigenen angaben restauriert und remastert worden sind, wobei bei der deutschen Veröffentlichung vor allem die Unterschiede zwischen französischem Originalton, der deutschen Synchronisation und den englischen Untertiteln von interesse sind. Leicht irritiert hat mich nur der werbewirksame Verweis auf die Nouvelle Vague. Als gewöhnlicher Cineast denkt man dabei ja meist an Autoren der Cahiers du cinéma wie Francois Truffaut, Jacques Rivette oder Claude Chabrol und ihre genreaffinen Debutfilme. Moderato cantabile wird man aber eher gerecht, wenn man den Begriff der Nouvelle Vague als erweiterte Bezeichnung für jüngere französische Filmemacher der späten 50er benutzt und auf zeitgleich entstandene Werke der Regisseure der sogenannten „Rive Gauche“ wie Alain Resnais, Agnès Varda oder Chris Marker verweist.

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, September 27th, 2011 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Filmschaffende, Sano, Trägermedien veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Moderato cantabile (1960)”

  1. vannorden on Oktober 2nd, 2011 at 02:00

    Hab ihn gerade geschaut und musste festellen, dass ich ihn schonmal sah. Hab die Bar gesehen und mir schwante es. Aber ich musste bis zum Ende gucken um mir sicher zu sein. Seltsam, weil ich eigentlich immer erstaunt war an wie wenigen Details Filme wiedererkannt werden können oder mir im Gedächtnis bleiben. Spricht jetzt nicht für ihn, aber Erstsichtung war wohl zu den „European Sixties“ in 3Sat (also meiner Filmschule). Ich verstehe es trotzdem nicht weil er zauberhaft ist. Allein der Anfang als er im Raum bleibt und so eine Spannung gegenüber den Geräuschen von draußen erzeugt, den Raum trotz seiner sichtbaren Größe unerträglich macht (quasi das Gegenteil zu seinem Vorgehen in Marat/Sade, wo er den Raum unendlich groß macht). Oder die leicht unwirklichen Szenen (Essen oder die Barszenen). Kann es noch gar nicht richtig verarbeiten. Meine Mitschauerin fand den Abschlussdialog kitschig. Ich denke sie hat recht, aber es ist verrückter Kitsch (Überspitzung eines Douglas Sirk-Zitats über seine Filme). Ich habe es sehr genossen. Ich muss dochmal einen Duras Roman lesen, war von der Verfilmung von „Der Liebhaber“ etwas voreingenommen.
    Durch die Diskussion danach ist mir auch ein deutscher Titel gekommen, „Laufkundschaft der Liebe“, der eine noch zügellosere Entstellung des Originaltitels darstellt, aber gerade dadurch noch erträglicher wäre 😉 Vielleicht sollte ich auch ins Bett 😛

  2. Silvia Szymanski on Oktober 3rd, 2011 at 19:19

    Schöner Text, Sano. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dem Film entspricht. Ich hab ihn leider doch noch nicht gesehen, aber bald. „Bei Brook wird auf Emotionen (…) so lange konzentriert geblickt, bis sie sich offenbaren, und ihre Wahrheit preisgeben“: Das gefällt mir. Ist sowieso ein schönes Ziel.

  3. Sano Cestnik on Oktober 7th, 2011 at 07:15

    @vannorden

    Ja, das kenne ich auch. Ein Film läuft ein paar Sekunden, und schon weiß man Bescheid. Ein Musikstück lässt sich für mich oft schon nach ein, zwei Sekunden des Hörens erkenennen. Mit Screenshots habe ich aber weiterhin so meine Probleme. 😉 Die European 60s auf 3Sat fand ich damals auch sehr toll. Ich glaube die Reihe wurde sogar fortgesetzt. Erinnere mich leider nicht mehr was da so alles lief, nur dass ich einiges angeschaut und aufgenommen habe (angeschaut glaube ich u.a. „BESONDERE KENNZEICHEN: KEINE“, meine erste Begegnung mit Skolimowski die mich völlig umgehauen hat, und aufgenommen u.a. MACHORKA-MUFF, den ersten Film von Jean-Marie Straub, den ich damals auch noch nicht kannte). MODERATO CANTABILE ist mir leider durch die Lappen gegeangen (wenn man allein diese drei Titel bedenkt, was für eine grandiose Auswahl für eine Fernsehreihe!!), wodurch ich aber auch nicht mit seinem deutschen Titel vertraut bin. Christoph regt sich zwar neben mir auf, aber ich finde „Stunden voller Zärtlichkeit“ ganz in Ordnung. „Laufkundschaft der Liebe“ wäre aber sehr schön. Ich glaube ich steh zur Zeit auf diese etwas angestaubten alten deutschen Titel 🙂 Da fällt mir ein: Könnte es sein, dass ich Marat/Sade auch in der European 60s-Reihe aufgenommen habe? Besitze ihn nämlich als untertitelte Fernsehaufnahme auf VHS seit ungefähr der Zeit, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich ihn noch nicht angeschaut habe. Nachdem ich deinen Text gelesen hatte, habe ich dabei aber wohl nicht so viel verpasst wie befürchtet, falls die Untertitelung da auch so verpfuscht ist.

    Den Schlussdialog finde ich gar nicht kitschig, sondern eher zurückgenommen und grundehrlich. Wie mir überhaupt der ganze Film bewusst sehr zurückgenommen und schlicht erscheint, was dann natürlich teilweise auch surreal anmutende Auswüchse annehmen kann. Was fand deine Mitseherin denn kitschig daran? Falls ihr den Film auf deutsch gesehen habt, kann ich es verstehen. Da ist der Dialog (mal wieder) ein völlig anderer, und die Aussage des Films wirkt verändert.

    Was aber nur alle gegen die Verfilmung von Annaud haben? Muss wirklich diese gräßliche deutsche Voice-Over Stimme sein, mit der ich mich auch beim x-ten mal hören noch nicht so richtg anfreunden kann. Fand den ansonsten aber immer super, und den Roman von Duras auch. 😉

    @Silvia

    Hmm, ich weiß nicht, der Film ist um so viel toller in seiner (wie Christoph vielleicht sagen würde) ephemeren Konkretheit. 🙂 Meine spärlichen Zeilen sind da nicht mehr als Andeutung. Unbedingt anschauen! Wäre gespannt über deine Meinung – wie auch zu TWO MOON JUNCTION, falls du den irgendwann wieder anschaust. 😉 Christoph ist immer noch ganz baff über deinen Text zum TAGEBUCH EINER SIEBZEHNJÄHRIGEN, und hat mich und das übrige Hofbauerkommando inzwischen auch zu einem gemeinsamen Kauf eines obskuren ENZ auf VHS bewegt. Mal sehen was ich mit diesen „tristesten aller deutschen Filme“ so anfangen kann. Wenn ich deinen Text aber so lese, bin ich froh, teilweise noch im Ausland aufgewachsen zu sein. 🙂

    Mit dem Zitat hast du recht. Ich denke, die Leute sollten oft bewusst mehr schweigend kommunizieren. So klare Dinge wie bei Duras sagt ja meist leider eh kein Mensch.

  4. vannorden on Oktober 9th, 2011 at 14:33

    Bei den European 60s kamen ja 60 Filme über 10 Monate verteilt und ich habe versucht wirklich alles zu sehen, nur „Mama Roma“ habe ich in meinem damaligen Hass auf den Neorealismus ausgemacht und „Die Nacht“ erst gar nicht an. Was für eine falsche Erwartung. Könnte mich heute noch ohrfeigen. Dafür habe ich das erstemal „Pierrot le fou“ gesehn. Was für eine Offenbarung (für mich) und so viel abgefahrenen Scheiß, der nie wieder im Fernsehen zu sehen war. Danach haben sie noch European 70s gemacht, aber nicht ansatzweise so umfangreich.
    Marat/Sade kam da aber glaube ich nicht, der kam so um die Zeit auf dem MDR und guck ihn dir ruhig an, zwar falsches Seitenverhältnis und die Untertitel sind sehr willkürlich (mal steht was anderes da, als man hört oder einfach nur ein Satz für ellenlange Ausführungen), aber er ist auch so ein Erlebnis. Ist nur etwas anstrengend mit diesen Untertiteln.

    Was sie kitschig fand kann ich dir nicht genau sagen, aber ich denke, dass es damit zu tun hat, dass er sagt, er wünschte sie sei tot und sie vollführt den Todesschrei vom Anfang, wodurch sie stirbt, aber weiter leben muss. Dass sie etwas gestelzt Sachen sagen, wie dass Moreau nie wieder mit jemanden so reden kann. Melodramatische Gesten und Sätze. Aber im Gegensatz zu ihr (vll), finde ich das toll. Einerseits weil ich es nur natürlich finde, dass Menschen melodramatisch sind (und damit auch grundehrlich 🙂 ). Anderseits weil ich inzwischen Melodramatik sehr zu schätzen gelernt habe.

    Und final Annaud: „Der Liebhaber“ hab ich nur mal als Jugendlicher geguckt, als ich noch knietief durch Actionfilme wattete und vll sogar noch „Missing in Action 2“ mein Lieblingsfilm war 🙂 tja, die Zeiten. Jedenfalls hatte er damals nicht genug Sex, Action oder irgendwas für mich. Zudem hab ich ein Interview mit Annaud anlässlich „Sieben Jahre in Tibet“ gesehen und danach war er bei mir unter idiotischer, selbstgerechter Schleimbolzen abgespeichert. Und irgenwie wirkt das bis heute nach. Auch wenn ich letztens „Der Name der Rose“ mal wieder sah und überrascht war, wie gut er mir wieder gefällt. Jedenfalls war „Der Liebhaber“ lange ein langweiliger Film, den ich nicht nochmal „testen“ wollte, weil er von Annaud war.

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