Ich schau mich um und seh‘ nur Ruinen – Nieder mit den Deutschen (1984)
- Ich schau mich um und seh‘ nur Ruinen
Vielleicht liegt es daran, dass mir irgendetwas fehlt
Ich warte darauf, dass du auf mich zukommst
Vielleicht merk‘ ich dann, dass es auch anders geht
(Fehlfarben – Paul ist tot)
- Bartholomäus-Schink-Straße, 1984
Alles grau in grau, Endlosschleifen um den alten Block, vermeintliche Freundschaften, die aus nichts als Auserzähltem bestehen – es dauert nicht lange, dann hat man es raus:
Da flaniert einer durch die Trümmer seiner selbst, die ausbleibende Erkenntnis dabei – Deutschland dreht sich weiter, nur das Innere nicht. „Nieder mit den Deutschen“, Dietrich Schuberts zweiter und letzter Spielfilm neben zahllosen Dokumentararbeiten sowie einer der ausgiebigsten, schönsten Flanierfilme des deutschen Kinos, handelt von einem unschönen sowie in Gänze unbeweglichen Thema. Der Heimkehr in einen Zustand des Stillstandes. Als Ergänzung zu seinem wenige Jahre zuvor entstandenen „Nachforschungen über die Edelweißpiraten“ lässt Schubert den fiktiven Überlebenden Fritz (Hans Künster) etwa vierzig Jahre später an den Ort an seiner Menschwerdung durch anhaltendes Trauma zurückkehren. Ein Köln, das zwar nun zwar eine im Dokumentarfilm noch unter ihrem früheren Namen ausharrende Bartholomäus-Schink-Straße kennt, jedoch nicht den Folterknecht, den Fritz auf einer Führung im nun musealen Gestapokeller wiedererkennt.
„Ein Krematorium konnte bisweilen ein wenig wie eine Postkarte aussehen. Später, heute, lassen sich Touristen dort fotografieren.“ [1], hieß es schon in Alain Resnais „Nuit et brouillard“ (1956) – auch dieser Nazischerge ist längst eine solche Grußkarte aus einem abgelegten Deutschland geworden. Alt, harmlos, ein Hundefreund, man mag sich auf einem Spaziergang mit ihm ablichten lassen – Fritz hingegen muss ihn finden, zur Rechenschaft ziehen, vielleicht töten in Selbstjustiz. Weil er sein Schlächter ist, oder der anderer? Den biografischen Bezug zum Fragment des einstigen Menschen können auch vierzig Jahre nicht auslöschen. Was ist mit dem anderen, dem unpersönlichen? Köln wähnt sich frei von seiner Vergangenheit und zerquetscht doch den, der sich an sie erinnert; wer geblieben ist, musste sich selbst exerzieren. Die Freunde von einst wollen von damals nichts wissen, können nicht helfen, leben in einer Wartehalle zwischen jetzt und Ende. Lebbe geht weider. Fritz kann nicht. Die subjektive Kamera schält sich durch Regalreihen im Supermarkt und Gefängniskorridore – es ist dasselbe. Stets meint man, es bliebe ein Stück Haut hängen.
Ungewöhnliche Radikalität herrscht in der Gleichsetzung von Kamera und Mensch, welcher bei Schubert üblicherweise der Reflektionsprozess zwischengeschaltet ist. Sein dokumentarischer Blick fehlt spürbar, der Kameraschwenk als mobilisierter Gedanke, das wichtigste stilistische Element seiner Dokumentarfilme, bleibt aus. Übrig ist allein Emotion, Enge, Eiseskälte. Ganz einfach ein Ort aus Stahl und Beton, keiner, in dem Geist gedeiht. Stattdessen imitieren die Spielfilmfiguren diesen Blick auf ihren unzählbar gleichförmigen Streifzügen durch das echte Ehrenfeld der 80er Jahre. Sie transformieren es höchstselbst zur skizzierten Seelenlandschaft. Immer wieder zum Ausgangspunkt zurück, es bräuchte jemanden von außerhalb, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Und dies nicht nur innerhalb der Leinwandbegrenzung. „Nieder mit den Deutschen“ ist auf eine gewisse Weise spürbar der Film eines Dokumentaristen, einer, der sich das Hermetische des narrativen Mediums, seine geschlossenen Welten für die eigene Geschichte zunutze macht. Der Spielfilm muss nicht nach Erkenntnis graben, er kann in der strukturell unumgänglichen Abkapselung von der Realität auch bloß Verzweiflung, einen wütenden Kloß im Halse zu Tage fördern, ist gerade darin ein Triumph des Scheiterns.
Jener Kloß ist für Fritz versinnbildlicht im Kölschen, in welches er mit jedem Gespräch mehr zurückfindet, das alsbald einen Sprachwandel hin zur Reliquie erweckt. Nur alte Floskeln. hehre Ideale zu Markte getragen, ein entkerntes Idiom – das Innere der anderen ist lange weitergezogen, erschlafft, sie reden nur noch so. Für den Wiedergänger aber lässt sich Contenance einzig äußerlich finden. Das Äußere und das Innere – ein Widerspruch, den Schubert an etwas aus dem Inneren Tönenden aufmacht. Ein Film über Kommunikation und das Erstarrte dahinter. Ständig geschilderte Änderungen, der Barthel hat jetzt ’ne Straß, man selbst ein Quäntchen Anerkennung im Banditendasein, wenig echte Veränderung. Wie in Martin Ritts „The Molly Maguires“ (1970) findet jemand in seine Sprache, das Artikulieren zurück, doch spricht aus diesem Prozess keine Selbstermächtigung. Ein anderer Vergleich sitzt präziser, offenbart zwei singuläre filmische Formen der Aufarbeitung im bundesdeutschen Erzählen. Der zu den Redekonventionen, dem starren Sprachkorsett, das sich Figuren in Drehbüchern Herbert Reineckers zu Episoden von „Der Kommissar“ oder „Derrick“ im Angesicht des Undenkbaren überstülpen, wieder und wieder durchexerzieren, bis sie gegen eine Mauer des Gelabers laufen. Dem patentierten Reineckersprech. Wie in den Untergang hineinbrabbelnde Rehe im Scheinwerferlicht der rückwärts aufplatzenden Bundesrepublik.
An Kommissar Keller gemahnt ebenfalls der eigentümliche Soziorealismus in der Wiedergabe von lokalen Kneipenszenen und Wiedersehen nach Jahrzehnten. Die Faszination nur scheinbar widersprüchlicher Eindrücke zwischen Dokumentation und Spielfilm, Kino- und Fernsehästhetik, dem Soziorealismus und dem Brynychesken, der Milieutreue und der Abstraktion zu Kafka. Vielleicht ist „Nieder mit den Deutschen“ wirklich der Film, den es gesetzt hätte, wäre Reinecker ein Linker gewesen: Eine postapokalyptische Kommissarepisode, in welcher das Verbrechen längst vergessen ist und dennoch alle unentwegt in seiner Schneise wandeln.
Douglas Sirks Filme handeln davon, dass man sich in sozial vorgeprägten Räumen auf bestimmte Weisen nur bewegen kann, ohne einen ästhetischen und damit zwischenmenschlich gewaltsamen Bruch zu erzeugen; Dietrich Schubert hat einen darüber gedreht, wie man sich in einer Stadt bewegen muss, die einen aktiv verleumdet und den Bruch dennoch vergessen hat – die bereits fremd war, bevor sie es wurde. Aufrecht, die Seele gesenkt.
Nieder mit den Deutschen – BRD 1984 – 91 Minuten – Regie: Dietrich Schubert – Produktion: Katharina & Dietrich Schubert – Drehbuch: Dietrich Schubert – Kamera: Michael Giefer – Schnitt: Hanne Huxoll – Musik: Wolfgang Hamm – Darstellende: Hans Künster, Ruth Brück, Heinz Opfinger, Will Courth, Barbara Grupe u.v.a.
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