Film und Buch (#11): Jörg Helbig – Geschichte des britischen Films (1999)



Wie der Titel es bereits andeutet, handelt es sich bei diesem Band um einen jener Versuche, der Filmgeschichte eines Landes durch eine zusammenfassende Darstellung näher zu kommen. In diesem Fall geht es darum, die britische Filmgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart in ihrer chronologischen Entwicklung nachzuzeichnen, wobei der Fokus einerseits auf der Produktionsseite, und hierbei vorrangig auf Studiostrukturen liegt, andererseits aber gleichzeitig der Versuch unternommen wird Filmgeschichte anhand von einzelnen Filmen und ihren Regisseuren, sowie innerhalb von Genrezusammenhängen, nachzuvollziehen. Das Buch besteht aus 20 Kapiteln (mit zusätzlichen Unterkapiteln) die jeweils nach thematischen Blöcken sortiert sind, ohne dadurch jedoch die Grundstruktur des zeitlichen Fortlaufs in größerem Maße zu unterbrechen. Die Kapitel befassen sich dabei schwerpunktmäßig entweder mit Produktionszusammenhängen, wirtschaftlichen Entwicklungen oder einzelnen Filmschaffenden, wobei der Autor sich recht erfolgreich bemüht diese drei Narrationen immer wieder ineinander zu weben und sie nicht zu sehr als gesonderte Einheiten abzuhandeln. Am Ende folgen auf knapp 30 Seiten noch ausführliche bibliographische Angaben zum britischen Kino, sowie ein vollständiges Personen- und Titelregister.

Im ersten Kapitel geht es mit 10 Seiten Umfang relativ knapp bemessen um die Anfänge und die Frühzeit des britischen Kinos, die hier in etwa den Zeitraum von 1896 bis 1912 umfassen. Auf eine sehr kurze Skizzierung der technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, folgt die Darstellung der Entwicklung der britischem Filmindustrie anhand der Leistungen früher Filmpioniere wie etwa George Albert Smith, Cecil Hepworth oder George Pearson. Dieses erste Kapitel dient dabei meiner Meinung nach erfolgreich der Gewöhnung an die anekdotenhafte und assoziative Schreibweise von Helbig, die sich bevorzugt der Kontextualisierung bestimmter Darstellungsformen sowie der Wiedergabe statistischer Daten in komprimierten und in sich abgeschlossenen kurzen Absätzen widmet. Eine wie ich finde denkbar simple und durch ihre beliebige Ausweitung durchaus reizvolle Anordnung. Egänzend dazu folgen im zweiten Kapitel auf weiteren 10 Seiten die Thematisierung erster staatlicher Eingriffe in die Industrie in Form von Gesetzgebungen (u.a. zur Quotenregelung und Zensur), sowie in Kapitel Drei die Einführung in das britische Produktionssystem durch die Beschreibung der Entwicklung der wichtigsten Filmstudios Großbritanniens. In den übrigen Abschnitten des Buches werden diese drei Gebiete dann an zusätzlichen Beispielen aus späteren Jahrzehnten untersucht, wobei die Kapitelüberschriften selbst schon viel verraten: Es geht unter anderem um Carol Reed und David Lean, den britischen Horrorfilm und den britischen Agentenfilm, sowie das Free Cinema, das New British Cinema und die Erfolgsfilme der 80er Jahre.

Helbig konzentriert sich bei seinen Themenkomplexen vor allem auf international bekannte Phänomene und Erfolgsgeschichten, anhand derer er exemplarisch bestimmte Tendenzen und Entwicklungen des britischen Films zu beleuchten versucht. Wer also schon ein gewisses Grundwissen mit sich bringt, und sich gerne auf eine Entdeckungsreise in die britische Filmgeschichte aufmachen möchte, ist mit dieser Publikation schlecht bedient. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Einführung in das Thema, welche für ein solches Unterfangen mit einem Umfang von 300 Seiten notwendigerweise verkürzt und komprimiert ausgefallen ist. Helbig hat eine weitgehend unpersönliche, unaufgeregte, eingängige und klar strukturierte Schreibweise, und ich habe das Buch mit realtiv hohem Interesse in kürzester Zeit durchgelesen, wobei mir eben vor allem die Fakten und Zusammenhänge in Erinnerung geblieben sind. Wer von einem Autor einen individuellen Standpunkt und eine persönliche Herangehensweite erwartet oder von Büchern im allgemeinen gerne neue Impulse erhält , wird von diesem Band mit Sicherheit enttäuscht sein. Die Schwächen des Buches treten daher meiner Meinung nach vor allem in einigen der ersten Kapitel zutage, wenn Helbig sich einzelnen Filmemachern und der Einschätzung der Qualität und des Einflusses ihrer Werke widmet, da mich hierbei öfters das Gefühl überkam Informationen aus zweiter Hand als relevante ästhetische Äußerungen serviert zu bekommen. Wesentlich gelungener sind dann die kompakten Überblicksversuche und Beschreibungen einflussreicher Genres und Trends wie der britischen Komödie, der aufkommenden Musikfilme in den 60ern oder der bekanntesten Shakespeareverfilmungen, und Helbig ist vollends in seinem Element wenn es um faktische Darstellungen ökonomischer Zusammenhänge geht. Bei den Einzelbetrachungen bestimmter Filmemacher und Ihres Werkes stehen für mich zu oft überlieferte Karrieredarstellungen nach dem ‚Aufstieg und Fall‘-Prinzip zugrunde, wobei man das Gefühl nicht los wird, dass hauptsächlich der allgemeine Konsens zwischen Kritiker- und Publikumszuspruch einen künstlerisch erfolgreichen Film ausmacht. Mögliche Defizite des Bandes die mir am stärksten aufgefallen sind, wären zudem das Fehlen eines eigenen Kapitels zu den Quota-Quickies der 30er bis 50er Jahre, sowie eine größere Fokussierung auf das Filmschaffen im Fernsehen. Beide Themenkompexe werden bei Helbig nur angerissen, wobei er ihre Bedeutung (vor allem im wirtschaftlichen Kontext) jedoch an einigen Stellen passend hervorhebt.

Alles in allem ist das etwas ungeschickt betitelte Buch, eine gelungene Einführung in einen vielschichtigen und oftmals schwer fassbaren Bereich, das mich vor allem in seinen engagiert nüchternen Darstellungen von wirtschaftlichen und ideellen Zusammenhängen und der gegenseitigen Beeinflussung von Wunsch und Wirklichkeit in seinen Bann zu ziehen vermochte.

Jörg Helbig: Geschichte des britischen Films.
Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 1999.
334 Seiten, 1. Auflage.

Dieser Beitrag wurde am Montag, Juni 4th, 2012 in den Kategorien Blog, Filmbücher, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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