13. Hofbauer-Kongress, Aufriss #5
Hart, trocken und steinig war der Weg des jungen Menschen zum Honigtopf der Intimitäten in den von Mief und und Moral vernebelten 1950er Jahren. Weit weg waren die Pforten zum Paradies, und erst bei Durchquerung eines zähen Morasts aus Pomade, Lockenwicklern, Schicklichkeit, elterlichen Erwartungen und Sittenbildern von anno dazumal zu erreichen. DAS RECHT ZU LIEBEN (Rätten att älska, Mimi Pollak, 1956), man wollte es der geschlechtsreifenden, heranwichsenden Jugend nicht zugestehen, und wenn sie es sich einfach nahm, wurde aus ihr flugs die „Jugend von heute“, über die man beim Kaffeekränzchen mit Nachbarinnen und beim Geschäftsessen über Sauerbraten gestreng polterte – zu unserer Zeit gehörte sich das nicht, und geschadet hat uns das auch nicht, da war man sich einig – und rupfte damit das zarte Pflänzchen der knospenden Liebe grob aus der Saaterde. Zu groß war die Angst, die eigene Tochter „in anderen Umständen“ oder den Sohnemann als frühen Zeuger zwangsverheiratet zu sehen.
Vor den Gefahren derart rigider Verkehrsregulierung warnen wollte in jenen entsagungsvollen, eng geschneiderten Tagen einer der ersten „Schwedenfilme“, der die vor Neugierde platzende, aber vor Scham berstende Bundesrepublik erreichte. Aufklärung im Kino, das konnte unter diesen gefühlsschizophrenen Bedingungen nur unter einem furchteinflößenden Aufgebot an altväterlichen Umständlichkeiten und unentwegtem verlegenen Räuspern geschehen. Selbst der katholische Filmdienst, obgleich sichtlich angetan davon, dass dieses skandinavische Filmtraktat „vom Bild her nicht zu beanstanden“ sei, bemängelte unzufrieden und von dem unerwünschten Spiegelbild empfindlich getroffen „betuliche Biederkeit und primitiven Dialog“. Auch die „Selbstverständlichkeit, mit der er Moralbegriffe anpreist, die die christliche Anthropologie ignorieren, als gäbe es sie einfach nicht“ erregten den unvermeidlichen Anstoß unserer geschätzten, der Pfeifenschmauch-Katatonie nahen Filmkomission. Der Argwohn funkelte auf im unversöhnlichen Gouvernantenauge. Noch konnten die grauen Eminenzen nicht ahnen, wie weit der sittliche Verfall der Gesellschaft innerhalb der nächsten 20 Jahre tatsächlich gedeihen würde!
Angesichts letzterer, überaus erfreulicher Entwicklung möchten wir auf Schadenfreude an dieser Stelle keinesfalls verzichten und freuen uns darauf, mit einem vor Fassungslosigkeit geweiteten und einem von gelegentlichen Lachtränen benetzten Auge am Sa. 26. Juli um 18:00 im Uferpalast dem staubigen Bohei beizuwohnen, welches in diesem „neuen Erzeugnis aus Schweden“ (Filmdienst) rund um das „Sexualleben und seine Probleme“ (so der Ehrfurcht gebietende Untertitel) veranstaltet wird. Erkenntnisreich wird es werden, sicherlich auch ein wenig verstörend und ganz gewiß sehr langweilig (man stelle sich dieses Adjektiv an dieser Stelle in genussvoller Betonung vor), doch wie wusste es schon der Trailer von WOLLÜSTIGE KÖRPER (1969), den wir vor einem Jahr bei unserem 10. Jubiläumskongress aufführten? Ohne Preis kein Fleiß! Da wir die Kongresse stets auch als Bildungsveranstaltung begreifen, scheuen wir die Herausforderung nicht und bewaffnen uns im Geiste mit Gallonen von Pfefferminztee, um die trockenen Keksbrösel der vergilbten Sexualkunde, die dieser Film uns einflößen wird, mit Esprit und Freude herunterzuspülen. „Das Schöne am Beaze [= Biederer Sleaze]“, führte ich einst in einer vergangenen Kongressnacht aus, das sei „der Regenbogen, den die Keksbrösel beim Zubodenfallen werfen“. Habt also keine Angst vor dem verständnisvollen Onkel Doktor in der oben verlinkten deutschen Original-Kinovorschau, sondern schließt uns euch an und bewundert den Regenbogen, so stumpf und kaffeefleckig er auch schillern möge!
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