Wartezimmer zum Jenseits (1964)





Da war zur Abwechslung von Wallace und May mal ein James Hadley Chase-Roman, den Horst Wendlandt aufgekauft und an sein bewährtes Team weitergeleitet hat um mit großzügiger als üblichem Budget einen internationalen Thriller aufzuziehen. Das hat natürlich nicht geklappt. Die Winnetou-Filme sind schließlich auch keine internationalen Großfilme geworden. Aber irgendwie hat sich da irgendetwas Absonderliches getan. Die Glieder der Wendlandt-Kette in der falschen Reihenfolge, mit dem falschen Fuß, dem falschen Auge? Man weiß es nicht. Wie könnte man auch bei diesem Film? Fangen wir mal an mit dem wichtigen Neuzugang und temporären Einsprung für Alfred Vohrers langjährigen Kamermann des Vertrauens, Karl Löb:
Wir wollen für einen Moment vergessen, dass Bruno Mondi als Kameramann in den 40igern die dämonischen Höhenflüge des Veit Harlan durch die Tiefen des nationalsozialistischen Manipulationslabyrinths so unendlich berauschend aussehen hat lassen. Stattdessen wollen wir uns kurzzeitig daran ergötzen, dass Bruno Mondi in WARTEZIMMER ZUM JENSEITS den kühl-stahlgrauen Höhenflug von Edgar Wallace-Regisseur Alfred Vohrer durch die düsteren Täler des Film noir mit schamlos glatter Bärbeißigkeit und schäbigem Grandeur veredelt.
Das gibt ihm den letzten Schliff. Diesem Vohrer, der wie kein anderer Kriminalfilm des schwulen Regisseurs beherzt zum tragischen, um zwei Ecken sexuell motivierten amerikanischen Genre-Pathos greift um es in europäischen Camp zu verwandeln, der so stillvoll und versonnen ist, dass er schon nicht mehr so recht campig sein kann. Dieses Pathos. Sexualität hat hier keine Präsenz mehr.
Mit ihm [dem Pathos] ist der Film auch wie kein anderes Werk des “kantigen Folterknechts des deutschen Krimis” (fiktives Zitat) irgendwie doch nah am Erzählkino dran. Das will er auch, so ein bischen jedenfalls. Eigentlich ist er doch ein ganz großes Melodram, in das manchmal das naive Krimimärchen nach Wallace-Constantin-Art hineinsickert. Was für ein Melodram das ist, eigentlich.
Das regenverhangene London, dass in Mondis schwermütigem, schwarzweißen Guillotine-Scope ein zum Sterben schöner, völlig toter Ort ist. Hildegard Knefs lakonischer, aber auch so unendlich schmerzender, trauriger Blick, der unter ihrem schweren Make-up zu versinken droht, wenn sie in Momenten der scheinbar gleichgültigen Konzentrationslosigkeit den Augenaufschlag macht. Ein Engel, der in einer Tabakwolke seine gebrochenen Flügel schwingt. Ihre kühle Hoffnungslosigkeit und morbide, reife Erotik trifft auf den virilen Sex des jungen, athletischen Götz George der aber so viril wie in seinen Karl May-Filmen dann doch nicht mehr ist. Der unfassbare und schwer greifbare Schwermut und die Depressivität dieses monströs-wunderbar mißlungenen Kommerzkino-Artefakts – Ein Flop, natürlich – muss auch ihn, den Haudrauf, ergriffen und in einen ätherischen Halbschlaf versetzt haben. Denn hier erträgt bei aller stilvollen Maskerade niemand, was ihm aufgebürdet wird. Die Knef nicht ihr Schicksal als einsame Dame in Schwarz am Ende der Kette und der George sein läppisches Buben-Heldentum, dass ihn gerade so davor bewahrt, als buchstäblicher Fleischmatsch zu enden. Überhaupt: Das titelgebende Wartezimmer. Eine sterile Vernichtungsmaschine, die im Noch-Nachkriegsdeutschland womöglich die Unbehaglichkeit des Films gekrönt haben dürfte. Pinkas Brauns schmieriger Westentaschen-Gangster wird davor ganz klein mit Hut. Von den Niederungen, in denen sich Klaus Kinskis erbärmlich versoffener Messerwerfer oder auch der “große”, gelähmte Gangsterboss Richard Münch bewegen, gar nicht zu sprechen. Verdammt sind sie alle, und dementsprechend stimmt Karl May-Komponist Martin Böttcher auf der Tonspur eine seiner unvergleichlichsten Kompositionen an, ein melancholisch-sehnsüchtiges Klavierkonzert, dass all diese Niedrigkeiten, diese so kalte, seelenlose Welt dieses Films, wieder in den trist-schönen Nieselregen und durchdringenden Frühjahrsnebel zurückmanövriert – dahin, wo sie zu Beginn hergekommen ist. Und da, ganz hinten, als Silhouette im Nebel, steht der Knef-Engel und weint sein aufweichendes Make up ins Meer.
So fühlt sich dieser Film in meinem Kopf nach drei Jahren an. Wenn ich ihn nun wieder sähe? Vielleicht ist dieser Text eine Wunschvorstellung. Oder eine Verklärung. Oder aber, und das wäre mir am liebsten, eine Lüge.

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, Mai 20th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

3 Antworten zu “Wartezimmer zum Jenseits (1964)”

  1. Alexander P. on Mai 25th, 2010 at 23:18

    Das Plakat ist wirklich unglaublich toll. Wenn die Seite langsam lädt, und das Bild erst unscharf ist und dann plötzlich scharf wird, stechen die Augen der Knef noch mehr hervor und man bekommt ein Gefühl, als würde sie einen durch den Computer direkt anblicken.

    Sind nicht alle Vohrer-Filme auch Melodramen?

    Ich habe die fünfte Wallace-Box nicht, aber den Film muss ich so bald wie möglich sehen. Und ich hoffe, hoffe, hoffe, dass er so ist wie in deiner Erinnerung. Und wenn nicht, drehst du ihn dann?

  2. Christoph on Mai 26th, 2010 at 01:52

    Das Poster ist auch einer meiner absoluten deutschen Lieblinge aus dieser Zeit und dem Film (den ich dir natürlich gerne ausleihe) in jeder Hinsicht würdig. Man könnte über ihn (den Film) auch einfach schreiben, indem man eine lange Hymne auf die Augen der Knef singt, die einfach ein ungeheures Faszinosum sind, vor allem in ihren späteren Filmen aber auch schon in ALRAUNE (leider kenne ich immer noch nicht die Sünderin, freue mich darauf aber schon wie ein Kind).

    Natürlich sind einige Vohrer-Filme Melodramen, vor allem natürlich meine absoluten Lieblinge SIEBEN TAGE FRIST (was für ein wunderbar melancholischer Film das ist) und EIN ALIBI ZERBRICHT sowie natürlich die Simmel-Verfilmungen (mit denen ich mich auch mal mehr beschäftigen möchte) oder JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN, den ich auch als recht gut in Erinnerung habe (und in dem Hildegard Knef wie ihr Film-Ehemann Carl Raddatz ebenfalls ganz formidabel ist). Ansonsten würde ich aber keinen seiner Wallace-Filme als Melodram bezeichnen, da fallen mir eher andere Titel ein. Außer vielleicht den m. E. etwas unterschätzten DER MANN MIT DEM GLASAUGE, der schon eine eigentümlich-grausame, düstere Sleaze-Tragödie ist. Über den müsste ich auch mal einige Worte verlieren.

    Ich hoffe natürlich sehr, dass auch mir der Film bei einer erneuten Sichtung so erscheinen wird, wie ich ihn hier beschrieben habe (wohl eher nicht – es ist z. B. so, dass ein Großteil des Films gar nicht in London, sondern in Triest spielt…) wenn nicht – würde ich nichts lieber tun, als obige Skizze selbst einzurahmen. Es ist ja überhaupt strenggenommen so, dass Vohrer einer der ersten Regisseure war, der mich auf filmischer Ebene konkret stimuliert hat und ich bin durchaus der Meinung, dass er eine eigene Handschrift hatte oder zumindest bestimmte Dinge meist auf eine bestimmte und oft sehr interessante Art und Weise inszeniert hat, auch gerne hier und da ein wenig mit Bild und Montage spielte. Das gleiche könnte ich von Harald Reinl nicht behaupten obwohl ich all seine Kriminalfilme aus der Zeit ebenso hoch schätze. Der Text war übrigens lose für die deutsche Reihe gedacht, aber einerseits ist er mir wieder einmal zu lang und zum anderen viel zu trashig geraten (einer dieser Texte, bei denen einem am nächsten Tag bei erneutem Lesen die Haare zu Berge stehen).

  3. Mr. Vincent Vega on Mai 26th, 2010 at 16:48

    Bin auch sofort über am Poster kleben geblieben, wunderschön. Möchte den Film sehen!

    Übrigens, lieber Christoph, habe ich mich an deine Filme gemacht. Bin noch ganz am Anfang, möchte aber leider gleich mal sagen, dass einige nicht abspielbar und wiederum andere aufgrund ihrer Qualität nicht ansehbar sind. 🙁

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