Das Porn Film Festival Berlin 2018 – Ein schonungslos subjektiver Rückblick – Teil 2/3



Female Touch (Morgana Mayer) - Porn Film Festival Berlin

„A mask tells us more than a face.“ Oscar Wilde

 

Donnerstag, 25. Oktober

 

Drei Filme stehen heute auf meinem Programm. Der erste ist Female Touch von Morgana Mayer. Eingebettet in die Rahmenhandlung einer in der Badewanne masturbierenden Frau sind ihre Fantasien, die als performative Vektoren ein Universum verschiedenster Permutatutionen der Lust – begriffen als eine der „schönen Künste“, wie der Mord bei De Quincey – entwerfen.

Der Film beginnt mit der Flagellation männlicher Genitalien. Wem sie gehören liegt außerhalb der Kadrage. Der Gegeißelte tritt hier als Subjekt nur durch halb unterdrückte, halb genießerisch vorgebrachte Stöhner der Schmerzlust hervor. Er verbleibt ein Kopfloser, ein Acephale, die mythologische Ikone von Georges Batailles Philosophie der Überschreitung.

Badewannde in "Female Touch" von Morgana Mayer

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Goethe

Gewidmet ist Female Touch Alberto Cavallone, einem Bataille-Jünger und Großmeister filmischer Transgressionen wie Spell – Dolce mattatoio, in denen Kirche und Staat, bürgerliche Moral und jenes erbärmliche Bündel an Vorurteilen namens „gesunder Menschenverstand“ ohne Unterlass und mit spürbarem Genuss attackiert und mit den (nicht nur, aber auch buchstäblichen) Ausscheidungen der sogenannten Gesellschaft beworfen wird. Das und die Zertrümmerung der falschen Begehrenswelt der herrschenden Klasse (weiß, männlich, cis, hetero und kapitalistisch) ist die Programmatik dieses Films. Beim Verknüppeln des Knüppels wird aus dem Off ein feministisches Manifest verlesen. Eine Frauenhand hält einen goldenen Rahmen ins Bild, der die Nahkampfzone „männlicher Schambereich“ prunkvoll einfasst. Irgendwann kommt auch das Manifest selbst als zusammengerollter Schlagstock hier zum Einsatz – das Wort wird buchstäblich zur Tat!

Aber… werden hier nicht die übelsten Vorurteile der neuen Maskulinisten und Feministenhasser bedient? Feminismus als brutaler Akt der (Fast-)Kastration? Nur scheinbar, denn der Film ist schlauer und subversiver. Auch wenn der Kopf nicht zu sehen ist, so ist doch klar, dass der Mann, dem hier so geschieht, Lust dabei empfindet! Die Geißelung des Patriarchats als allegorischer Schwellköper – für echte Kerle ist das eben eine lustvolle Befreiung.

Female Touch - Im Schlachhaus der Lüste

„Only do what your heart tells you. “ Lady Di

Überhaupt aber wäre eine verkrampfte, engstirnig ausdeutende und rein politisch-intellektualistische Heransgehensweise an Female Touch völlig verfehlt. Herrlich verspielt und mit überschäumender Imagination purzelt der Zuschauer auf der Lustwelle der Badewannennixe reitende von einem Szenario ins nächste: eine Frau spielt Saxophon und lässt mit der machtvoll ausströmenden Luft die Labien einer anderen zart flattern wie Schmetterlinge, eine andere domestiziert zwei unartige Jungs und lässt sie übereinander herfallen, in einer der schönsten Sequenzen tragen auch die Jungfrau Maria, der Papst und einige, ziemlich mächtige Taufkerzen etwas zum heiligen Geist der Ekstase bei, der diesen barocken Film durchweht.

Beim Schlussapplaus muss ich erkennen, wie cisnormativ ich selbst doch noch denke, da Morgana Mayer ganz anders aussieht, als ich mir unterbewusst vorgestellt habe. Du sollst dir eben kein Bildnis machen! Das gilt beim Sex wie in der Religion. Jedenfalls komme ich anschließend noch in den Genuss ein Schwätzchen mit Morgana Mayer zu halten, über Female Touch, den Einfluss von Cavallone, dessen verlorenen Film Maldoror, italienisches Genrekino im Allgemeinen und die ein oder andere Fantasie. An dieser Stelle dafür nochmal meinen herzlichsten Dank, ebenso wie für das zur Verfügung Stellen der hier verwendeten Bilder aus Female Trouble.

"La petite mort" von Julia Ostertag

„I’ve always considered movies evil.“ Kenneth Anger

Doch damit ist der Abend freilich noch längst nicht zu Ende. Nach kurzer Pause geht es erfrischt in ein transgressives Double Feature aus dem Kurzfilm La Petite Mort von Julia Ostertag, die ich erst kurz relativ kurz vorm Festival schon persönlich gelernt hatte und Lisa! von Mario Scholle, den ich von Facebook kannte.

La Petite Mort ist die schaurig-schöne Fantasie einer erotischen Heimsuchung durch ein fremdartiges Wesen, das seinem Opfer gleichermaßen Grausamkeit und Geilheit einflößt. Ein Topos, der von Lilith, von Vampiren und Werwölfen über Loreley und Alraune bis zu den sexy-weirden Fetischmonstern des japanischen Cyberpunk reicht. Hier knüpft auch La Petite Mort an, geht aber noch über ein paar Darstellungsgrenzen hinaus, insbesondere durch den semidokumentarischen Charakter dieses Blood Porns. Auch die Experimentalfilme des großen Kenneth Anger klingen hier an, in der Art wie durch ritualisierte Gesten und kunstvolle Bildüberblendungen das fast schon stroboskopische innere Flackern dargestellt wird, an jener unheimlichsten Stelle im menschlichen Affekthaushalt, wo sich Grauen und Lüsternheit überlappen.

Q & A mit Julia Ostertag und Darstellern zu La Petite Mort

„Jesus hätte eine Peitsche genommen…“ Heinz Rühmann

Der Film lässt mich mit einem mulmigen Gefühl zurück. Was natürlich in diesem Fall absolut für ihn spricht! Naturgemäß sehen das nicht alle Menschen so und als wäre es vorprogrammiert, wartet im Publikum natürlich ein großer Mahner auf seinen Einsatz, der etwas gegen den Film hat, aber offensichtlich auch gegen andere Meinungen, da er bei der Diskussion ständig der Regisseurin, den Darstellern und anderen dazwischen quasselt. Erst nachdem der Saal fast einhellig den missionarischen BDSM-wie-man-es-gefälligst-darzustellen-hat-Erklärbär mit „Shut the Fuck up!!!“-Rufen abstraft, gibt er es auf, alle von seiner Wahrheit überzeugen zu wollen und grummelt nur noch mürrisch in sich hinein „that was some offensive bullshit… “. Allein dazu muss man Julia Ostertag schon beglückwünschen.

"Lisa!" von Mario Schollenberger

„Ich möchte frei sein wie ein Totgeborener.“ Émile Cioran

Was nun folgt ist Lisa!, angekündigt als Rape-and-Revenge-Underground-No Budget-Film und mir bereits von Christoph Draxtra als Kleinod angepriesen. Naturgemäß bin ich da schon mal skeptisch und befürchte, den Film trashig oder schlimmer noch öde zu finden.

Aber glücklicherweise ist der Film keins von beidem, sondern tatsächlich richtig gut und angesichts der Produktionsbedingungen fast schon ein kleines Wunder. Mit lakonischem Humor und noiriger Hardboiledness erzählt Lisa! die Geschichte der gleichnamigen Protagonistin und gewinnt dabei dem an sich ja in diesem Genre sehr simplen Handlungsschema etliche Szenen ab, die man so noch nicht gesehen hat. Oder wie viele Filme kennt ihr, liebe Leser, in denen eine junge Dame Windeln kauft für ihren in ihrer Sitzgarnitur gefangen gehaltenen Vergewaltiger?

Lisa! von Mario Schollenberger

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Erich Kästner

Dieser Einfall mit dem Gefangenen in der Couch hat mich übrigens sofort an The Horrors of Malformed Men von Teruo Ishii erinnert, der auf mehreren Erzählungen des japanischen Schriftstellers Edogawa Rampo basiert. Eine trägt den Titel „Der Sesselmann“ und handelt von einem Perversen, der sich in einem Sessel versteckt um Menschen zu betatschen, die sich darauf setzen und sie manchmal sogar darin liebkosen. In Lisa! wiederum ist der Gefangene wider Willen fühlender Zeuge des Beischlafs seines ehemaligen Vergewaltigungsopfers mit einem anderen. (Diesen anderen spielt übrigens Mario Scholle selbst mit vollem Körpereinsatz.)

Ich habe vergessen Mario direkt danach zu fragen, aber jemand anders, der ebenfalls die Ähnlichkeiten sah und Mario darauf angesprochen hatte, trug mir zu, dass es wohl keine bewusste Anspielung gewesen sei. Schulterzuck. Die großen Meister kommen eben intuitiv auf die gleichen guten Ideen.

 

Freitag, 25. Oktober

 

Ich komme heute leider nur zu einem Film, dafür ist es einer, auf den ich mich ganz besonders freue und auch die Aussicht auf die anschließende Porn Film Festival Party stimmt mich munter. Der Film ist La region salvaje, ein mexikanischer Film von Amat Escalante von dem ich schon viel Gutes vernommen habe. Wörtlich übersetzt heißt der Titel so viel wie „die wilde Region“, was natürlich doppeldeutig gemeint ist: geographisch und psychologisch. Der englische Titel The Untamed klingt zwar nicht ganz so schön, passt aber auch.

La region salvaje

„Bei Gift ist ein Tropfen genug.“ Mexikanisches Sprichwort

La region salvaje erzählt in einer völlig mühelos und nahtlos wirkenden Verquickung von Neorealismus und magischem Realismus von der Ambivalenz die eben jene „wilde Region“, die menschliche Lust eben immer mit sich bringt: sie ist Heiland und Teufel zugleich, bringt Erlösung als himmlische Wonnen jenseits aller Vorstellung und als grausamen Tod.

Gleich zu Beginn sehen wir Veronica durch eine neblige Naturidylle fliehen. Die junge Frau ist schwer verletzt, sie wurde gebissen. Dem gut aussehenden schwulen Krankenpfleger Fabian, der sie später verarztet, erzählt sie, es sei der Biss eines wilden Hundes. Doch der Zuschauer weiß es bald besser: was Veronica in eine abgelegenen Region in der Hütte eines älteren Ehepaars besucht hat ist ein Alien, ein tentakeliges Monster, das in einem Meteoriten aus dem All gestürzt ist. Und dieses ist Veronicas Liebhaber.

Wer jetzt lauthals Rip-Off oder Plagiat schreit, hat damit völlig unrecht. Denn ja, natürlich verbeugt sich Escalante hier vor Andrzej Zulawski, dem der Film sogar (zusammen mit jemand anderem) gewidmet ist, wie in den Endcredits zu lesen. Doch La region salvaje ist so viel mehr als eine Hommage an oder Variante auf Possession.

Geht es in letzterem vor allem um das Thema der Trennung (zwischen eines Liebenden, zwischen Ländern, politischen Systemen und zwischen Mensch und Gott oder der Leerstelle die dessen Tod hinterlassen hat), so steht in The Untamed die Unterdrückung im Mittelpunkt. Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer und auch durch andere Frauen, die Unterdrückung der Schwulen und vor allem natürlich die Unterdrückung der eigenen Sexualität in einer repressiven Gesellschaft.

Escalantes Ausgangspunkt für den Film war nicht das Monster, sondern ein Zeitungsausschnitt über die Ermordung eines schwulen Krankenpflegers (vermutlich ein homophobes Hassverbrechen) unter dem bezeichnenden Titel „Schwuchtel ertrunken“.

Ausgehend von dem abgedruckten Bild des Ertrunkenen, der vielen Menschen im Krankenhaus geholfen hatte und nun noch im Tode geschmäht wurde und von Geschichten über alleinstehende und allein erziehende Frauen, erschuf er das mystische Poem, das La region salvaje ist. Am Ende bleibt nur noch lakonisch festzustellen: „Die Leichen türmen sich.“

Im Anschluss geht es dann ziemlich direkt auf die Porn Film Festival Party im Lido. Auf dem Weg dorthin lerne ich erstmals persönlich S. kennen, der mir als Filmkritiker, netzaktiver Cinephiler und persönliche Nemesis von Cinebubble-Shootingstar R. bekannt ist. Interessante Gespräche entspinnen sich im Taxi, das wir gemeinsam mit Jochen Werner nehmen. Es macht übrigens großen Spaß, mit Presseausweis und in Begleitung eines Festivalorganisators an einer langen Schlange vorbei und direkt in einen Club zu gehen!

Terror Nullius

Schnappschuss von der Festival Party

Und dann beginnt sie. Die Orgie…*

Ich erinnere mich jedenfalls positiv an viele gute Gespräche, eher negativ leider an die Musik. Rammstein und t.A.T.u. (richtig: diese kreischenden Mädels aus Russland von anno dazumal) waren tatsächlich noch die Lichtblicke! Oder sagt man bei Musik dazu Schallhorcher?

Aber gut, bei einem Festival mit so vielen guten Filmen lässt sich das schon mal verschmerzen, zumal wenn man umringt von tollen, interessanten Menschen ist, die mit kreisförmig umgeschnallten Glas-Dilden bauchtanzen, in deren inneren lebende Amphibien kopulieren, und damit mal hier, mal dort an spontan sich darbietenden Körperöffnungen andocken, wenn ratlose Artisten das Kama Sutra als maskierten Hochseilakt in der Kuppel darbringen, wenn Mad Scientists spontan neue Organe der Lust züchten und einander heimlich auf dem Klo verpflanzen und wenn sich allenthalben in alraunenumrankten Hollywoodschaukeln Mantikore und Einhörner ein Stelldichein geben…

Angegeilt und hungrig nach mehr? Keine Sorge: Fortsetzung folgt!

 


*Für mögliche Abweichungen von den Erinnerungen anderer Besucher der Porn Film Festival Party 2018 übernimmt der Autor keine Verantwortung.

Dieser Beitrag wurde am Samstag, Oktober 12th, 2019 in den Kategorien Aktuelles Kino, Alexander Schmidt, Ältere Texte, Blog, Festivals veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Das Porn Film Festival Berlin 2018 – Ein schonungslos subjektiver Rückblick – Teil 2/3”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (14-10-19) on Oktober 14th, 2019 at 19:28

    […] letzten Jahr auf dem Porn Film Festival Berlin und hat nun die Zeit gefunden, sein Filmtagebuch in drei Teilen auf Eskalierende Träume zu […]

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