Das Porn Film Festival Berlin 2018 – Ein schonungslos subjektiver Rückblick – Teil 1/3
…oder auch: Äonen später re-imaginiertes Festival-Tagebuch…
Ankündigung kommender Eskalation: Spritzige Unterhaltungskunst – Jetzt in Ihrer Nähe!
Das Porn Film Festival Berlin kommt!
Und damit Sie das auch tun, schreiben Sie JETZT folgenden Termin in Ihren Kalender: 22. bis 27. Oktober 2019!
Eskalierende Träume befiehlt: Sagen Sie alles ab, was keine lebenserhaltenden Maßnahmen sind, buchen Sie sich für diese Zeit in Berlin ein, wenn Sie nicht eh schon dort wohnen und begeben Sie sich eine Woche lang in die wonnigen Umarmungen der Kinosessel des Moviemento, des ältesten Kinos Deutschlands – in alten Sälen lernt man sehen!
(Und falls Sie nicht gehorchen wollen… vielleicht lassen Sie sich ja verführen? Als Zeugnis der unerschöpflichen Reize des PFFB mag Ihnen dieser 3-teilige Festival-Report eines Pubertierenden gefangen im Körper eines Mittdreißigers dienen.)
Festivaltagebuch vom letzten Jahr (größtenteils retroaktiv verfasst)
Dienstag, 23. Oktober 2018
Der Eröffnungsfilm heißt Las Hijas del Fuego, die Töchter des Feuers. Der Trailer verspricht Lesben in Aktion vor Andenlandschaft mit mutmaßlich politischem Subtext. Klingt doch eigentlich ganz vielversprechend!
Doch ach! Obwohl er in allen 3 Kinosälen gezeigt wird, bekomme ich keine Karte mehr, da ich erst 1,5 Stunden davor das Moviemento erreiche. Das macht aber nichts, weil ich dort auch F. treffe, der von Köln angereist ist, um in ein paar Köstlichkeiten zu stechen. So haben wir eben mehr Zeit uns zu unterhalten und in der während des gesamten Festivals eigentlich immer gut gefüllten Festivallounge abzuhängen.
Natürlich versuchen wir es trotzdem über die Warteliste. Während des Wartens werden wir von einem Pressevertreter der Süddeutschen angesprochen (Typ: nur ganz leicht angealterter Intellektual-Twink). Grund ist vermutlich mein Festivalpass auf dem ebenfalls Presse steht. Schön, wenn ET und SZ sich so mal auf gleicher Ebene die Hand reichen. Er ist sehr nett und stellt ein bisschen niedliche Fragen. („Gehört ihr zur – mit der Hand in die Luft gezeichnete Anführungszeichen – „SZENE“?“ Ich frage mich unwillkürlich, welche er den meint, die Schwulenszene, die Pornoszene, die Berliner-Hipster-die-auf-Filmfestivals-abhängen-Szene oder welche? Gibt es in Berlin vielleicht eine Intersektionalität der Szenen??). Weil er früher gekommen ist, hat er Glück und kommt in den Film. In der Pornoindustrie ist das ja sonst vermutlich eher umgekehrt.
Mittwoch, 24. Oktober
Mein Abend beginnt mit Shakedown, einem Dokumentarfilm, der Einblicke in die von Hip Hop, Erotik und auch Repressionen geprägte Partykultur lesbischer Afroamerikanerinnen in L.A. bietet. Die Regisseurin Leilah Weinraub richtet ihren Blick speziell auf erotische Performerinnen, die zu Stars in der Szene geworden sind, zugleich erotische Sehnsuchtsfigur und Vorbild für andere queere, schwarze Frauen. Ein besonders schöner Moment ist, als die Freundin einer der Tänzerinnen erzählt, wie sie sie als Jugendliche schon angehimmelt hat und in ihrem Zimmer ein Poster von ihr aufgehängt hatte, das von ihrer Mutter entsetzt von der Wand gefetzt wurde – dass sie aber jetzt das Alter Ego ihrer Freundin geradezu unausstehlich finde – nun da sie die echte Frau dahinter kennt und liebt.
Leider muss ich den Film früher verlassen, denn ich will unbedingt versuchen, über die Warteliste in die Experimental Porn Shorts zu kommen, die so beliebt zu sein scheinen, dass sie bereits am Vorabend ausverkauft waren. Diesmal haben F. und ich Glück, auch wenn wir in unbequem zusammen gekrampften Haltungen verknotet auf dem Boden sitzen, so voll ist es. (So fügt die Cinephilie dem Yoga ungewollt einige völlig neue Asanas hinzu.) Jochen Werner*, hält die Einführung und freut sich besonders über den vollgepackten Saal, kann er sich doch noch gut an Zeiten erinnern, in denen die Experimental Porn Shorts vor nur einer Handvoll Zuschauern gezeigt wurden. Manche Dinge verändern sich eben doch zum Guten. Aber nun: Silencio! Die Leinwand spricht.
Den Auftakt macht Le Monde Devient Fou von Desiree Faust: post-surrealistisch-post-dadaistisches Schnittcrescendo mit chiricoesken Gliederpuppen. Klar, geht mir runter wie Öl. Es freut mich, dass die Regisseurin beim kurzen Q & A als Einfluss neben Man Ray und Max Ernst auch Bataille erwähnt, meinen Lieblingsketzer der Philosophie, den Antipapst zu Breton mit fliegenbesetzter Mitra, auch wenn sie seine „Histoire de l’oeil“ mit Pauline Réages „Histoire d‘O“ verwechselt. (Pfui, ich alter besserwisserischer Klugscheißer! Wenn ich groß bin, muss ich mir solche Marotten echt mal abgewöhnen!)
In Azulum Sylph Episode 2: The Pearl von Ev Echovia fühle ich mich dann sogar noch mehr wie der Fisch im Wasser. Der ganze Film fühlt sich an wie ein geträumtes magisches Ritual. Ein Mensch fesselt einen anderen Menschen, hängt sie/ihn an einem Baum auf, spricht beschwörende Formeln. Die Kleidung ist zugleich Fetisch und sakrales Gewand, Grenzen werden geöffnet. Durch die pure Lust wird Mensch hier zur Sylphe, zum Geschöpf aus reiner Luft, vielleicht also freier, zumindest aber leichter, das Leben ist ja sonst schon leidlich gewichtig. Gerahmt ist dieser Film von einem azurnen Rahmen (aha!) aus lauter Symbolen, die aussehen wie die komische Schriftart Wingdings. Ich frage mich, ob da was codiert ist? Wäre sowas in einem Musikvideo, halb YouTube würde ausrasten: Illuminati CONFIRMED!
Colby Does Israel von Gal El-Lad hält was er verspricht: Colby fickt das gelobte Land, aber in einem ganz positiven emphatischen Sinne. Diese so alte, so geschichtsträchtige, so umkämpfte Landschaft selbst, scheint hier zum Objekt der Begierde zu werden. Colbys Schwanz reckt sich angesichts dieser Pracht ebenfalls prachtvoll zur Sonne, was bleibt ihm auch anderes? Ich weiß nicht, wie es euch geht, liebe Leser, aber ich mochte die Masturbation in freier Natur ja schon immer!
Jetzt ist ein tschechischer Film an der Reihe und dazu noch ein Stop Motion-Porno! PussyPuppet Simba Remix von Vojtech Zak ist verstörend und genial. Die robotische Biegsamkeit einer Art kybernetischen Barbiepuppe wird zum Ausgangspunkt einer Hinterfragung unserer Vorstellung von erotischen Körpern, insbesondere Frauenkörpern. Geschickt wiegt der Film den Zuschauer anfangs in Sicherheit, indem er ihn komplizenhaft lachen lässt, nur um dann mit dem kleinen Finger die ganze Hand zu nehmen und ihn (also mich) ins Abgründige zu reißen. Als hätte Svankmajer Jelinek verfilmt. (Immer diese abgedroschenen „Als hätte Hinz Kunz verfilmt.“-Sentenzen im Filmfeuilleton. Schlimm!)
Auch der nun folgende Film, Emotional Support Dog von Ksenia Nefedova sucht die Komplizenschaft des Zuschauers. Ein nur mit Unterhose und Socken bekleideter Sklave (jung, twinkig!) kniet angeleint und mit verbundenen Augen in einem Raum. Wie bei einem Fernsehquiz oder Computerspiel wird eine Handlungsanweisung als Frage eingeblendet: „Eiswürfel in die Unterhose?“ Darunter zwei Buttons, Ja und Nein. Eine Art Wartemelodie ertönt. Der Balken mit der Frage lädt sich wie ein Ladebalken, oder vielleicht hat das auch meine Fantasie erst nachträglich in die Erinnerung an diesen Film eingefügt. Dann blinkt Ja. Der Master betritt den Raum und füllt die Unterhose des Sklaven mit Eiswürfeln. Er zuckt und verrenkt sich. Nächste Frage.
Manchmal blinkt auch das Nein und die Aktion wird nicht durchgeführt. Er muss unter anderem höllisch scharfe Chilisauce vom Boden auflecken, heißen Tee über sich gießen lassen und sein Nippel werden mit Klemmen malträtiert. Um harte Fußtritte und einige andere Qualen kommt er aber herum. Als Zuschauer ertappt man sich dabei, wie man in der Wartezeit vor jeder Entscheidung selbst den Buzzer drücken will. Natürlich nicht immer nur auf Nein, bitte, wer sind wir denn?
Der Emotional Support Dog ist eigentlich als Videoinstallation konzipiert, gerade die Kinosituation, in der man nun selbst wie gefesselt (ich noch dazu in recht unbequemer Lage) die volle Länge (16 min.) durchsitzen muss, gibt dem Film aber eine besondere Wirkkraft.
Es folgten noch vier weitere Experimental Porn Shorts, von denen jedoch nur Gladom der Wienerin Julia Polzer bei mir noch einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Wir folgen hier einer Hand auf libidinöser Erkundungsreise durch die seltsam geformte Auslage eines Möbelhauses. Durch eine ultra-close Kameraperspektive verwandeln sich die rätselhaften Objekte (sind es etwa vorgeformte Einlagen für Küchenschubladen mit eingelassenen Mulden und Ausbeulungen??) in erotisch-phantasmagorische Fühllandschaften voller erogener Zonen, voller konvexer und konkaver Lustzentren, die sich zum ätherischen Wohlklang weißen Rauschens einer neugierig forschenden, fingerig fühlenden Hand darbieten.
Angegeilt und hungrig nach mehr? Keine Sorge: Fortsetzung folgt!
*Davon mal abgesehen, dass er ein superdufter Typ ist, gilt Jochen Werner ganz besonderer Dank für die Belieferung mit Bildmaterial zu den besprochenen Filmen!
[…] im letzten Jahr auf dem Porn Film Festival Berlin und hat nun die Zeit gefunden, sein Filmtagebuch in drei Teilen auf Eskalierende Träume zu […]