La camera nel labirinto
Ein Film, der wabert, der sich hebt und senkt wie ein atmender Körper. Ein organischer Film, in dem der psychologische Widerspruch einer Narration keinen Platz findet. Eine halbe Stunde vergeht, ohne dass etwas erzählt wird.
Eine weitere vergeht genauso. Eine Britin auf der Suche nach ihrem verschwundenen italienischen Liebhaber: Horst Frank. Das ausgestorbene italienische Küstenstädtchen. Ein einstürzendes Kloster. Eine Begegnung mit einem unheimlichen Fremden: Adolfo Celi, Ex-James Bond-Gegenspieler und ewiger Zwielichtiger des Giallo.
Die Villa einer reichen Dame über dem Meer: Alida Valli. Um sie geschart wie die Fliegen ums Licht: Junge “Künstler”, haltlos, missstrauisch und sexuell passiv. Einer von ihnen, ihr jugendlicher Toy-Boy unter dem schläfrigen LSD-Äther: Michael Maien. Schönling mit Engelsgesicht, bekannt aus zahllosen deutschen Sexfilmen.
Eine andere: Sybil Danning als Fotografin. Jungfräuliche Fotografin voyeuristischer Bilder von Horst Franks Körper. Die Kamera als fetischistisches Objekt und beobachtender Fetischist, penetrierend und pulsierend in Aktion, erregt umklammert in der Anwendung. Sie ist das Auge im Labyrinth. Ein Filter. Erst durch ihn wird im Giallo die Lust fleischlich, der Tod schmerzhaft, das Rätsel mysteriös und die Seele befreit.
Befreite Sexualität. Die Mörderin, die ihren sexuellen Erlöser hinrichtet. Die Hinrichtung als Gefangennahme der Kunst, die die “jungen Künstler” um diese Villa selbst nicht produzieren, sondern als die sie produziert werden.
Der Leichnam des Hingerichteten, den die herrenlose Mörderin in ihrer verzweifelten Suche nach männlicher Dominanz sofort ersetzen muss. Dem Ersatz öffnet sie zuerst grazil eine Bierflasche und dann die Halsschlagader.
Antworten ohne Fragen. Zoom. Ein Kameraschwenk in das von der Schiffsschraube aufgewühlte Meer. Zoom. Ein brennendes Auto, aus dem frivole Rauchwolken aufsteigen. Zoom. Eine rußschwarze Schmiererei, in der der einzige Zeuge, ein sexuell nervöser Teenager, ertrinkt. Kein Giallo im herkömmlichen Sinn. Tod nicht als Gemälde, sondern als Farbe.
Der Giallo: Kein Thriller der Choreographie sondern der impulsiven Bewegung. L’OCCHIO NEL LABIRINTO: Ein Giallo der unvollendeten, der abgebrochenen Bewegungen. Nur, wenn das Unterbrechen der Bewegungen in Ekstase gerät, kann im Stakkato ein Stillstand entstehen.
Die Kamera atmet, sie kriecht, sie springt. Sie ist der Eindringling, der nach Befriedigung sucht. Sybil Danning hält sie in Händen, als sie sich über ihr Objekt der Begierde beugt. Hitchcock und Antonioni, Argento und Franco.
Am Ende: Das schmerzlich-langgezogene Seufzen eines schnellen Höhepunkts, einer rabiaten, aber unvollkommenen Befriedigung: Roberto Nicolosis klagende Jazz-Bläser und klopfende Bässe.
Die Mörderin, die nach ihrer endgültigen, irreversiblen Erlösung im Licht verschwindet, mit dem Messer in der Hand. Ein Messer war in einem Giallo nie phallischer als in diesem Augenblick. Mario Caiano, reaktionärer Avantgardist ohne Vision und Visionär des filmischen Moments.
L’OCCHIO NEL LABIRINTO (Eye in the Labyrinth)
Italien/BRD 1972, 90 Minuten
Regie: Mario Caiano – Produktion: Hans Pflüger, Lionello Santi – Drehbuch: Mario Caiano, Horst Hächler, Antonio Saguera, nach einer Idee von Mario Caiano und Antonio Saguera – Kamera: Giovanni Ciarlo – Schnitt: Renato Cinquini – Musik: Roberto Nicolosi
Darsteller: Rosemary Dexter, Adolfo Celi, Alida Valli, Michael Maien, Sybil Danning, Horst Frank, Benjamin Lev, Franco Ressel, Gigi Rizzi, Gaetano Donati
Schöner Text Christoph!
Ich hoffe, dass die blasphemische Simplizität meiner Sprache hier nicht fehl am Platz ist. Meine Erinnerungen an diesen Film stoßen sich ein wenig mit den äußerst ästhetischen Screenshots, die du ausgesucht hast. Eine visuelle Wucht dieser Couleur hatte ich nicht mehr im Gedächtnis. Vermutlich fand ich die minimale Narration so debil – I know my fault – dass ich auf die sonstigen Vorzüge nicht geachtet habe. Gialli sind eigentlich Kino par excellence, da sie die gute alte Skopophilie bedingungslos stützen.
Ein großer Mario Caiano Tipp ist für mich noch der Giallo/Poliziesco Hybrid „Calling all the police cars“.
Wie? Deine Sprache ist blasphemisch simpel? Keine Ahnung, was das bedeuten soll.;-)
Die Screenshots habe ich teils beim Sehen des Films gemacht und den Text mit dem losen Hintergedanken geschrieben, ihn kräftig mit Bildern zu strecken. Werde ich in Zukunft öfter machen, sowas. Nachdem der Text (mit dem ich ausnahmsweise überhaupt sehr zufrieden bin – so ungefähr wollte ich eigentlich schon immer übers Italokino schreiben, habe mich aber nie so recht an den Speck getraut) fertig war, habe ich dann noch mehr Bilder gemacht und tatsächlich Stunden damit verbracht, sie zusammenzustellen, zu arrangieren, etc. – daher ist das ein Konzeptposting, eher Bilder mit Text als umgekehrt, die Bilder also nicht nur als Illustration sondern Teil des Ganzen.
Wenn ich am Ende Mario Caiano als Visionär des filmischen Moments beschreibe, dann meine ich genau das, was in vielen dieser Bilder zu sehen ist und im Film ständig aufblitzt, aber eben nicht einheitlich das bizarr-diffuse „Handlungs“-Geflecht ummantelt – der Film ist unberechenbar in seiner Fotografie und Montage und überrascht oft dort mehr, wo man es nicht unbedingt erwartet. Der Giallo ist ja auch eine Kinoform des „set pieces“ und hier wird mehr oder weniger aus jeder noch so banalen, sleazigen, bescheuerten oder schlicht unsinnigen Szene ein set piece. Die Behauptung des Films, am Ende seines ganzen psychosexuellen Schangels würde ein Freudianisch dargestellter Selbstfindungseffekt stehen, kann man natürlich nicht ernstnehmen – wenn man sie aber zumindest ein ganz klein wenig ernst nimmt, erhöht das den Reiz des durchaus abstrakten stilistischen Labyrinths durchaus. Kurz: Die „debile Narration“ ist in Verbindung mit diesen Ambitionen eine absolute Meisterleistung, zu der ich unter den knapp 100 mir bekannten Gialli keinen Vergleich gefunden habe. Darüber hinaus ist die Ehe von progressiver, aufregend widersprüchlicher Genre-Filmsprache (und ich sehe den Giallo, bzw. seine Ästhetik durchaus als progressiv, zumindest wenn ich von Argento (statt Bava) als eigentlichem Begründer der Giallo-Welle ausgehe) und völlig selbstvergessener, spießiger Selbstbestätigung in diesem Film einfach sooo spannend. Kein Vergleich zu z. B. den in dieser Hinsicht sehr eindeutigen und sehr unwidersprüchlichen Gialli von Umberto Lenzi, die im gleichen Milieu spielen, oder den ihre Widersprüche nicht voll auskosten könnenden, weil viel zu säuberlich und strukturiert erzählten, stark auf ihren trivialen Handlungen beharrenden Filme von Sergio Martino (den ich aber eh für dezent überschätzt halte – der Giallo-Weisheit zweiter Schluss nach Argento, wie so oft eingestuft, ist er ganz sicher nicht. Mir würden sofort 10 andere Regisseur einfallen, die seinen Status eher verdient hätten – allerdings mit weniger Filmen, was vielleicht der entscheidende Punkt ist).
…A TUTTE LE AUTO DELLA POLIZIA habe ich auch und fiebere der Sichtung nach L’OCCHIO NEL LABIRINTO sehr entgegen. Jetzt ist sogar LA SVASTICA NEL VENTRE interessant geworden um den ich bislang immer einen sehr großen Bogen gemacht habe. Wobei der wahrscheinlich wirklich übel ist – Caiano und Naziploitation, das ist eigentlich schon eine tödliche Kombination. Interessant wäre auch OMBRE, der ja eine Art Psychohorrorfilm zu sein scheint, was ich mir nach OCCHIO jetzt natürlich besonders delikat vorstelle aus Caianos Hand. Aber den kriegt man leider nur auf italienisch.
PS: Skopophilie ist ein viel zu pervers klingendes Wort, als dass man es auf den Giallo, die scham- und reuelose Zelebrierung des exzessiven Voyeurismus, anwenden sollte.;-)
Da hast du einen sehr interessanten Punkt getroffen. Die Widersprüchlichkeiten, die Verbindung einer forcierten Ästhetik mit eher „trivialen Plots“ beispielsweise ist ein typisches Merkmal für eine gewisse Sparte des Giallo-Films – zu der Argento auch eindeutig gehört. Dass ich den Argento-Filmen an dieser Stelle eine „einfache“ Narration attestiere, soll gar nicht negativ aufgefasst werden. Sie schaffen es nämlich sich von ihrer Grundsstruktur loszureißen, was ihnen hoch anzurechnen ist. Ich habe die Werke des Römers erst sehr spät lieben gelernt, nachdem ich mich endgültig gewisser Konventionsvorstellungen entledigt hatte. Heute liebe ich sie und respektiere alle ihre Eigenschaften. Bin ja auch kein Rolf Giesen 🙂
Ich kann es durchaus nachvollziehen, wenn du die eher gelackten Gialli eines Umberto Lenzis oder Sergio Martinos nicht zu den Höhepunkten des Genres zählst. Das Beharren eines Umberto Lenzis aus strikt logischen Strukturen, entzieht dem Gezeigten ein bischen den Reiz. Allerdings hat er auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er eine völlig unterschiedliche Genre-Auffassung als Dario hat – was verschiedene Interviews beweisen.
Noch mal kurz zu den Widersprüchlichkeiten: Ich liebe es generell, wenn gewisse Pole innerhalb des Films sich reiben – vor allem im Italo-Genre-Kino. Gelungen ist die Kombination des Heterogenen jedoch nicht immer, was Filme wie DELIRIA DI SANGUE von Sergio Bergonzelli beweisen (über den Film schreibe ich gerade einen kleinen Text). Hier wird ein unglaublich perfider Horrorfilm durch krassen Sleaze ein wenig seiner Ernsthaftigkeit beraubt. Schade.
Gott, ich merke gerade, dass ich wieder Lust bekomme Mario Caiano Filme zu sehen. Werde mir bald wohl den MALAVITA ATTACCA ansehen. Der LETZTE ZUG NACH DURANGO gibt es seit kurzem ja auch auf DVD.
Es wird Zeit, dass wir alle italienisch lernen!
Endlich auch gesehen, faszinierend wie der Film trotz vor sich hin „wabernder“ Handlung dennoch nie langweilig wird. Was du, Christoph,über die Setpieces schreibst stimmt sicherlich, alles wird ausgekostet, die scheinbaren Nebensächlichkeiten werden plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, ganz im Sinne eines polyamoren, alles mit dem Auge verschlingen wollenden Voyeurs. Und gerade dadurch gelang es Caiano mich mit der Auflösung tatsächlich zu überraschen, obwohl diese doch letztlich (korrigiert mich hier notfalls) ganz und gar typische Giallomotive bedient.
@Christoph: ein großes Lob für den herrlichen Bilderschangel, wahrscheinlich musstest du auch die Farben etwas pimpen, wenn du die Kopie verwendet hast, die du mir gegeben hast? Wie schön sähe dieser Film wohl von Zelluloid aus…
PS: Alida Valli <3
Danke für den Hinweis auf die “ zahllosen“ Sexfilme. Ebenso zahllos drehte ich immerhin Derrick, der Alte, Kommissar. Dass ich den Bambi für Wälsungenblut erhielt, etc. nur so nebenbei.
Schöne Grüße.
Aber Herr Maien,
zur Entstehungszeit dieses Films haben Sie doch wirklich sehr viele (und sehr schöne noch dazu!) Sexfilme gemacht und waren in diesem Genre sehr präsent. Sehr gerne würde ich einmal ein Interview mit Ihnen über diese Zeit führen. Bitte schämen Sie sich nicht dafür, oder regen sich über meine ungeschickte Formulierung auf. Sexfilme sind doch das Größte überhaupt!
Liebe Grüße,
Christoph
PS: WÄLSUNGENBLUT möchte ich schon seit Jahren sehen – leider kann man ihn nicht auf DVD kaufen, im Gegensatz zu den Sexfilmen.
Ja, Wälsungenblut gehört endlich mal ordentlich für ein Heimmedium veröffentlicht! Wie überhaupt noch so einiges von Rolf Thiele, einem der wundervollsten deutschen Filmemacher überhaupt.
Der Begriff Sexfilme hat heutzutage generell wohl leider immer noch einen abfälligen Beigeschmack. Schade, dass man die Beigesterung und Freude bei sorgsamer Aussprache desselbigen in schriftlicher Form nicht richtig vermitteln kann.
Sie sagen es, Herr Cestnik, Sie sagen es.
Verarschen konnten wir Schauspieler uns im übrigen schon immer selber ganz gut.
Das mit den Sexfilmen war von unserer Seite Ernst gemeint.
Wir lieben diese Filme wirklich!
Und dass Rolf Thiele einer der ganz großen Filmemacher seiner Generation war, daran besteht hoffentlich kein Zweifel. 🙂