HK-Spezialpreise der Berlinale 2013
Bereits der 9. außerordentliche Filmkongress des Hofbauer-Kommandos Ende Januar, von dem Silvia jüngst wieder einmal wunderbar anschaulich berichtete und der auch in den Sehtagebüchern von Robert und Christoph seinen kommentierten bzw. protokollierten Niederschlag fand (Lukas hingegen war diesmal leider nicht dabei, widmete in letzter Zeit einigen HK-relevanten Filmen allerdings sehr schöne schriftliche Betrachtungen, darunter die vorletztes Jahr vom Hofbauer-Kommando wiederentdeckte und mittlerweile unentwegt immer größere Kreise ziehende HERBSTROMANZE sowie VERDAMMT ZUR SÜNDE), wurde von Zwischenfällen heimgesucht. Ein vorzeitiger Rauswurf an einem Abend, was immerhin aber zu einem denkwürdigen Barbesuch führte, dann über eine große DVD-Kiste verschütteter Eistee am nächsten Abend und schließlich ein fälscherlicherweise ausgelöster und nicht enden wollender Feueralarm am dritten Abend. Bei der kaum eine Woche später startenden Berlinale setzte sich das nahtlos fort, so dass aus verschiedenen Gründen nur eine stark dezimierte Berlinale-Gutachterkommission des Hofbauer-Kommandos vor Ort ihren Dienst verrichten konnte, allerdings auch diesmal wieder ausgewählte Filme mit einer kleinen Prämierung versehen möchte.
Spezialpreise des Hofbauer-Kommandos für aktuelle Berlinale-Filme:
Ganz den Zeichen der Zeit entsprechend, teilt sich die Auszeichnung ein Trio von Filmen, das als „Triptychon des Verzichts“ bezeichnet werden könnte. In SOMETHING IN THE WAY von Teddy Soeriaatmadja ist es ein obsessiv onanierender Taxifahrer, der sich – bevor die zaghafte Annäherung an eine benachbarte Prostituierte zumindest zeitweilig ein Ende der Entbehrungen verspricht – verzichtend durch ein Leben zwischen Religionsbelehrungen und Import-Porno-DVDs schlägt, zu dessen aufregenderen Momenten es gehört, wenn er bei der selbstbezogenen Handarbeit während kurzer Arbeitspausen zusehen muss, dass er zum Abschuss kommt, bevor an seinem Fenster die nächste Taxi-Kundschaft angelangt ist, die er bereits bedrohlich im Rückspiegel heran nahen sieht. In Abwandlung eines legendären deutschen Videotitels eines Mario-Bianchi-Films könnte man ihn als „Der geile Taxi-Verzichter“ bezeichnen. In IT’S ALL SO QUIET von Nanouk Leopold ist es ein zurückgezogen lebender Bauer, der seine Pflege um den Vater und die selbstauferlegte Lebensaskese so weit treibt, dass selbst einschlägige Avancen junger Gehilfen nicht an seinen abgeschnürten Gefühlen rütteln können. Brachialverzicht auf alles. Selbst auf das offenkundig überfällige Coming Out verzichtet er kurzerhand einfach. Und in COMPUTER CHESS von Andrew Bujalski ist es eine Gruppe Schachcomputer-Nerds in den 1980er Jahren, die an und in ihren klobigen Maschinen rumfummeln, mit streng zurückhaltender Hingabe. Aus ihrer Ruhe lassen sie sich auch von einer im gleichen sonderbaren Hotel abgestiegenen Selbstfindungstruppe und deren gönnerhaften sexuellen Offerten kaum bringen. Der Film respektiert ihren Verzicht und beobachtet sie unausgestellt bei ihrem Tüfteln und Philosophieren. Wie Peckinpahsche Recken, über die die Zeit bald hinweg fegt, wirken diese eigenbrötlerischen Vorkämpfer des digitalen Zeitalters mitunter gar.
Spezialpreise des Hofbauer-Kommandos für ältere Berlinale-Filme:
Die Hauptauszeichnung geht an GADO BRAVO (1934) von António Lopes Ribeiro und Max Nosseck. Ein feuriges Melodram über eine blonde deutsche Sängerin, die sich in Portugal mit einem Stierkämpfer einlässt und nebenbei die ganze männliche Hofschar auf dessen Anwesen in Unruhe versetzt. Anfangs erinnern die Nachtlokalszenen an die mexikanischen Cabaret-Melos, später gibt es ganze Passagen, die direkt aus einem irrwitzigen Slapstick-Stummfilm stammen könnten. Im Überschwang der Gefühle kommt der stets gut gewürzte Film immer wieder ganz zu sich. Und es steckt alles drin, was das HK-Herz begehrt: Unglaubliche Schmiervisagen, deren verkniffener Blick und schiefes Grinsen in Großaufnahmen ausgekostet werden; Anbandelszenen, denen schon die Körperhaltungen der Beteiligten eine eigenartige krumme Schmierigkeit verleiht; verrohte Bauern, die sich zusammen rotten, Schmähgesänge anstimmen und mit Mistgabeln auf die Jagd nach der Blondine gehen, weil sie nicht länger ertragen können, welche ungeheuren Gefühle das „blonde Gift“ in ihnen entfacht; Hosen werden demonstrativ entzwei gerissen und die erregende Wut bringt männliche Oberkörper so unter Anspannung, dass die Westenknöpfe reihenweise gesprengt werden und davon fliegen; und nicht zuletzt kommt auch eines der HK-Lieblingsfilmgeräusche, die „traurige Posaune“, zu einem gebührend untermalenden Einsatz (wohin eine übersteigerte Obsession für dieses Geräusch führen kann, darüber leistet dieser sehr HK-relevante Kurzfilm übrigens fürwahr erschreckende Aufklärungsarbeit!), um das prächtige Vergnügen abzurunden.
Mit einer lobenden Erwähnung müssen allerdings noch zwei weitere Retrospektiven-Beiträge bedacht werden:
– PIÈGES (1939), ein früher „Inseraten-Report“ von Robert Siodmak, der sich vor allem in der ersten Hälfte bemerkenswert ins Zwielicht begibt. Mädchen, die auf dubiose Kontaktanzeigen antworten, verschwinden reihenweise, und eine Bartänzerin lässt sich schließlich als Lockvogel einspannen, um in schummrigen Straßenecken mit zweifelhaften Herren in Kontakt zu kommen und sich damit auf das heiße Pflaster des HK-Terrains zu begeben.
– HITLER’S MADMAN (1943) von Douglas Sirk, eine eilig gezimmerte B-Movie-Aufarbeitung des Attentats auf Heydrich. Der „Reichsprotektor“ (vom Klang der englischen Aussprache dieses Wortes konnte der Film offenbar genau wie die HK-Kommission gar nicht genug kriegen, so sehr zelebriert er es) wird von John Carradine in einzigartiger Manier verkörpert, als schmierig-rüpelhafter Superschurkenscherge, der vor allem dann zu sich zu kommen scheint, wenn er genüßlich den grausamen Auswahlprozess zelebriert, bei dem er mit prüfendem Kennerblick entscheidet, welche der Mädchen des Ortes den Frontbordellen zugeführt werden. Eine ungeheuerliche Szene in einem auch sonst ziemlich ungeheuerlichen Film von beträchtlicher HK-Relevanz.
Mir gefällt der Peckinpah-Vergleich, auch wenn ich ihn unzutreffend finde. Schließlich sind es diese sozial inkompetenten Computer Nerds von gestern, die die millionenschweren Firmenchefs von morgen werden und das soziale Zusammenleben durch ihre technischen Entwicklungen definieren werden. „Something in the Way“ fand ich vor der Berlinale und auch nach deiner kurzen Rückmeldung auf der Berlinale interessant. Mich schreckten aber vorher die zahlreichen wie sauer Bier angebotenen Vorstellungen und das nicht weggehende Onlinekontingent ab. Bei einer höheren Frequenz wäre der jedoch mit Bestimmtheit in meinem Programm gelandet. Mit anderen Filmen wie „Don Jon’s Addiction“ kann man da geradezu von einem geheimen Leitthema des Festivals sprechen. Und faszinierend, wie das Hofbauer-Kommando sogar in Filmen vor 1945 fündig wird. Gern gelesen.
Ja, der Peckinpah-Vergleich ist natürlich etwas krude und berücksichtigt auch nur die eine Seite der Madaille, in einer fatalistisch-romantisierten Version. Nämlich bezogen auf diejenigen, die den Absprung von der zurückgezogenen Technikfummelei zu einträglichen IT-Firmenposten nicht schaffen (oder auch gar nicht wollen). Du sprichst natürlich zu Recht die vielleicht entscheidendere andere Seite an. Etwas runder wird der Vergleich vermutlich, wenn man ihn weniger auf die Teilnehmer, sondern eher auf die Zeit, die Atmosphäre, vielleicht sogar auf die Computer bezieht. Durch die Schnelligkeit der technischen Entwicklung schwingt imho jedenfalls schon auch ein seltsamer Hauch von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit mit in diesem tollen Film, auf der anderen Seite aber natürlich auch eine Vorahnung der Entwicklungen, die da noch kommen und alles über den Haufen werfen werden. „Something in the Way“ ist hintenraus als „Taxi Driver“-Reprise leider etwas lasch, hat aber ansonsten zweifellos seine Reize. Die Anzahl der Vorstellungen täuscht übrigens, weil Cubix 7 und 8 separat aufgeführt werden, es sich aber letztlich um die gleichen parallelen Vorstellungen in zwei kleineren, „interlocked“-verbundenen Sälen handelt. Sind also netto „nur“ fünf Vorstellungen, wie bei vielen anderen Filmen auch. Das mit dem geheimen Leitthema dachte ich mir auch, und aus thematisch benachbartem Umfeld gab es dann auch noch sowas wie „Lovelace“. Was Filme vor 1945 angeht: Sano vertritt da sogar die These, dass insbesondere Stummfilme häufig eine besondere „Grundschmierigkeit“ ausstrahlen würden. Tatsächlich muss man nicht viel weiter als zu Kanon-Klassikern wie Pabst oder Murnau schauen, um festzustellen, dass diese Annahme so abwegig gar nicht ist. Die urbane Freizügigkeit der 20er Jahre trug da sicher ihren Teil zum ‚Weimar Touch‘ bei, in den USA wiederum muss man ja nur an die Pre-Code-Phase denken. Eigentlich alles recht ergiebiges Terrain, was gerade die Kunst vielsagend verhüllter Andeutungen betrifft.
Ich ärgere mich doch immer mehr darüber, „Computer Chess“ verpaßt zu haben – euer kleiner Gedankenaustausch läßt den gleich NOCH interessanter erscheinen. Aber im Berlinale Forum ist es immer schwierig, die richtige Auswahl zu treffen (wenn auch nicht so schwierig wie im Panorama – da kann man gleich würfeln…).