Die Köpfe dreimal drehen, bitte! – Sapphire (1959)





Wie Menschen ganz wortwörtlich auf Gesagtes blicken, das sagt gemeinhin mehr über sie aus, als das, was nach gedanklicher Verdauung aller Affekte und Impulse aus ihnen selbst hervortönt. Zwei Polizisten, zuvor nur kurz ein wenig gegensätzlich in ihrer Haltung zur Rassenfrage skizziert, kommen auf der Suche nach dem Mörder einer als weiß durchgehenden jungen Musikstudentin in eine schwarze Jazzbar und werden vom gleichsam schwarzen Betreiber eine auf energetisch Tanzende hingewiesen. „That’s a lily skin. You’re chick was a lily skin, wasn’t she?“, meint er; auch sie kann und wird ohne Widerspruch als Weiße gelesen. Zum Glück kennt der lebenskluge Beobachter einen simplen Trick, der jede Verwirrung ohne Zweifel ausräumt: Dem Rhythmus der Bongos könne keine schwarze Frau widerstehen. Diese intensivieren sich prompt auf der Tonspur, eine Totale, Nigel Patricks in progressiver Weltlichkeit abgesicherter Superintendent lässt die Lektion in Rassenkunde an sich abperlen, wendet den Kopf mit verhalten amüsiertem Lächeln vom Gesprächspartner ab, hin zu seinem Begleiter und dem Publikum. (Ein Zeichen – hier sind wir wohl gefragt.) Sein Kollege hingegen dreht leicht versetzt den Kopf in hin zur Theke, wo eine junge Dame sitzt. Zoom auf deren Beine. Ein Übergang, wir befinden uns nun in seinem Kopf, finden seine Wahrheiten bestätigt vor. Sogleich bleibt der bleibt das subjektivierte Kameraauge an den im Takt wippenden Füßen dieser weiteren Frau von ambivalentem Hautton hängen. Pulsierend spitzt sich das Crescendo zu, der mit Nahaufnahmen des hier Schauenden unterfütterte Blick schwenkt entlang der ekstatisch tanzenden Körper im Club – wie kann es da einen Zweifel geben?

Diese knappe Folge an ausgespielten Blicken, die völlige Subjektivierung der Perspektive steht nicht bloß klimatisch im Zentrum von Basil Deardens Antirassismusthriller „Sapphire“, sie ist sein wortlos pumpendes Herz und der Grund, weshalb er auch 65 Jahre später klüger, reflektierter, somit aktueller wirkt, als Erscheinungsjahr sowie insbesondere retrospektiv überdeutlich herausgestellte Intention vermuten lassen. Im Kern ist sie ein ganz einfacher Lackmustest des Kinos, für handelnde Personen und Publikum gleichermaßen. Die einen sehen bloß ein paar junge Menschen, die ihr Leben genießen, die anderen eine Angelegenheit des Blutes. Ausdeutungen anhand von schwammiger mentaler Vorauswahl wie diese stehen im Zentrum des vielschichtigen Drehbuchs der Schriftstellerin Janet Green, Dearden findet mit den Mitteln von Schnitt, Kamera, Musik und Inszenierung hingegen fortwährend Wege, sie frei von verbalem Insistieren in uns wirken zu lassen. Als Verbildlichung davon, wie Vorurteile und Stereotype in unseren Kopf gelangen. Unseren Kopf. Rassismus ist für Green und Dearden ein kollektiver Prozess, ein strukturelles Problem geboren aus bestimmten gesellschaftlichen und sozialen Umständen sowie Vorprägungen. Der unvermeidliche Diskurs über Verarmung, die Verelendung ganzer Viertel und was sie auslöst, mit ihr einhergeht, liefert einige davon schon bald nach. Als entschuldigende Munition der eigenen Vorbehalte für den jüngeren Inspektor, als Urübel hinter mannigfachen Symptomen für den Superintendent. Auch hier ist Greens Drehbuch cleverer, als man annimmt. Solche Gespräche bleiben, ohne dass die Figuren es selbst bemerken, allzu oft eine Frage der vorgeschalteten Klassenfrage – wer mit wem redet oder reden kann, wie es geschieht und in welchen gesellschaftlichen Räumen. Wer überhaupt wie redet, seine Gedanken in Sprache, nicht zuletzt ein Werkzeug der Vorherrschenden, kleiden kann. Gerade im Verbalen ist dieses Swingin‘ London ein hermetisches.

Der Bruder der Toten geht in keiner ihren Rassismus hinter Blutstropfenregeln und äußerlichen Erscheinungsbildern maskierenden Gesellschaft als weiß durch und hat es doch zum Universitätsprofessor gebracht. Als Resümee einer kindlichen Rassismuserfahrung mit einem über das nicht Abfärbende der schwarzen Haut verwunderten Jungen bietet er an: „Trouble is – something came off on me.“ Der Mensch ist, was die Gemeinschaft der Anderen und der Einzelne in ihr ihn sein lässt. Was zwischen diesen Polen hin und her wandert, ist für Dearden von größtem Interesse. Mehrmals rückt eine soziale Transfergeste ins Zentrum: Gleich zu Beginn bietet Nigel Patrick Earl Cameron eine Zigarette an, dieser schlägt aus, um sie bei einer späteren Begegnung doch anzunehmen. Gegen Ende wird er auch den angebotenen Händedruck des auf Konfrontationskurs zu seinen eigenen rassistischen Prägungen gegangenen Inspektors erwidern. Die Zigarre als Geste der Verständigung und Aussöhnung. Eine Geste von oben nach unten, von unten nach oben zurück – jedoch relativ betrachtet stets eindeutig im gesellschaftlichen Oben. Wer er sich leisten kann, macht diese Dinge unter sich aus, formuliert nicht selten wieder eigene Kategorien, nach denen er die Menschen sortieren kann. So wie der schwarze Rechtsanwaltsspross, mit dem Sapphire eine Weile angebandelt hatte. „She was part white.“, erklärt er karg und mit spürbar anerzogener Kälte den Grund für das Ende der eigentlich erbaulichen Beziehung. Die Blutdynamiken funktionieren in zwei Fließrichtungen; inmitten der Pole, die der Film auslotet, gibt es selten ein Dazwischen. Irgendwo muss man dazugehören – der Wunsch, von diesen Zugehörigkeiten frei zu sein, ist es, der Sapphire das Leben kostet. Ein Opfer kalt rationalisierter Fragen emotionaler Auswüchse.

„Yes, and he’s lucky. He’ll be accepted for what he is. […] A good pianist.“, hält der Kommissar mit spürbarer Resignation über einen ehemaligen Bekannten aus Sapphires alter multikultureller Gemeinschaft und kulturelle Nützlichkeitserwägungen fest. Dieser hingegen weiß über eine Rassismuserfahrung zu berichten, die ihn traf und Sapphires Selbstwahrnehmung für immer veränderte: „She said this to Sapphire, you see – like they were the same.“ Es ist leicht, eine Welt zu schildern, in welcher Hass oder eine andere überkochende Emotion die Menschen auseinandertreibt – jahrzehntelang haben wir gedacht, damit wäre emanzipatorischen Anliegen genüge getan. „Sapphire“ zeigte schon 1959, vor Intersektionalität und neuerlichen Debatten über Identitätspolitik eine von kleinen Mustern und großer Indifferenz geprägte Gesellschaft, eine in der von kleinerer Bedeutung ist, wer das Fremde als Individuum ist, und von größerer, als was es an die Sortiermaschine Ordnung herantritt. Weit ist das Spannungsfeld von vorurteilsbehaftet, und damit der Aufklärung nicht verloren, sowie virulent rassistisch, welches Janet Green auf 90 Minuten Kriminalstoff verdichtet. Nichts davon offen den eigenen Hass oder ein irrationales Unbehagen heraustellend, dafür wähnen sich in diesem nun Jahrzehnte fernen Damals alle Milieus bereits zu weit. Fragt man heute nach, so gilt gerade bei dem, der ihn nicht erlebt, jede Form von Rassismus als offen im Auftreten und damit auch für die sich längst aufgeklärt wähnende Mehrheitsgesellschaft als nicht existent oder vor Jahrzehnten überwunden.

Das ist es, was „Sapphire“ zu einem ungewöhnlich klugen Film aus zweifellos priviligierter Perspektive macht und in der Konstruktion clever weit über seine Zeit hinaus: er erkennt die Grenzen, die Zeitverwachsenheit, ja die Beschränktheit des eigenen Denkens schon im Moment des Entstehens dieser Gedanken sowie vor ihrer Ausformulierung in Sprache an. Manchmal stecken diese Grenzen in einer Zigarette, ein ander Mal in einem Blick. Doch wohin man den eigenen vor der Leinwand auch schweifen lässt, eine genuin verdammenswerte Figur hat „Sapphire“ letztlich nicht anzubieten; allein Menschen unter dem Einfluss ihrer größten Ängste. Brüche, Einblutungen in den Einheiten der Gesellschaft, manches Mal der letzten und einzigen Sicherheit, die man kennt, sind es, die sie in Aggression oder Ausgrenzung treiben. Kluge Beobachtungen von einem Film, der Probleme klar als strukturell beschreibt, bevor wir sie so nannten, und sie ebenso analysiert. Sie nicht als Einzelereignisse, als individuelle Charakterschwächen denunziert und darin doch immer nur beschönigen kann. Das ist der Schnitt in den eigenen Kopf, welcher sich in der eingangs geschilderten Szene zuträgt: Den eigenen Blick auf diese originär filmische Weise hinterfragt zu finden, ist damals wie heute dann eben doch profunder, als in einer ausgestellt sozialdidaktischen Versuchsanordnung letzen Endes über just diesen eigenen Blick und darüber, wie er sich seine Worte wählt, zu stolpern.


Sapphire – Großbritannien 1959 – 92 Minuten – Regie: Basil Dearden – Produktion: Michael Relph, Earl St. John – Drehbuch: Janet Green, Dialogergänzungen von Lukas Heller – Kamera: Harry Waxman – Schnitt: John D. Guthridge – Musik: Philip Green – Darstellende: Nigel Patrick, Yvonne Mitchell, Earl Cameron, Michael Craig, Paul Massie u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, März 6th, 2025 in den Kategorien André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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