Deutschland im Film: Der Fälscher von London (1961)
Szenen einer Ehe
Kein Film der auf deutschem Boden spielt, aber einer, der mehr über deutsche Befindlichkeiten und Idealvorstellungen zu erzählen vermag, als viele, die sich dies explizit auf die Fahnen geschrieben haben.
Auf der Pferderennbahn lernen wir sie kennen, akkurat in Reih und Glied haben sie Platz genommen – die junge Jane (Karin Dor), ihr Onkel John (Walter Rilla), ihr Verlobter Peter Clifton (Hellmut Lange) sowie dessen Familienarzt seit Generationen, Dr. Donald Wells (Viktor De Kowa). Vollkommene Einigkeit strahlt man aus, doch schon wenige Minuten später beginnt dieses Bild sich in seine Bestandteile zu zersetzen; der erste Schatten kriecht bereits heran, gerade ist das Rennen aus, als der Aufbruch zum Gewinnkassieren ungezwungenere Konversation zwischen den Verbliebenen erlaubt. Jane wird Peters Frau werden, nicht aus Liebe, sondern aus der Not heraus, ist sie doch eine bettelarme Waise, ihr Onkel ein leidlich erfolgreicher Postkartenmaler und die Heirat mit dem unsterblich verliebten Millionenerben der langersehnte Ausbruch aus dem bislang geteilten Elend. Entsprechend fällt die Hochzeit – die wohl tristeste, gleichsam jedoch furchterregendste im deutschen Kino – aus: Der distanzstiftende Hall auf der Stimme des Priesters legt einen nächtlichen Fiebertraum nahe, die panischen Blicke der Braut, ihr weißes Kleid in einem Meer schwarzer Anzüge und dann ist da noch die von Karl Löbs Kamera geradezu umgarnte Narbe des finster dreinblickenden Organisten. Angestoßen durch die perfide zwischen ihm und dem ebenfalls (gleichwohl weniger schwerwiegend) vernarbten Bräutigam hin und her oszillierende Montage drohen beider Gesichter Stück für Stück zu einem einzigen zu verschmelzen – ein Vorgang, der auch der herben Schönheit Langes Antlitzes nicht gerade schmeichelt.
Zu Heiraten, das beeinhaltet hier wenig von jener Erfüllung, die in den Heimatfilmen der 50er Jahre, dem letzten großen Trend des deutschen Kinos vor Wallace, oft am Ende lockte – Reinls eigener „Die Prinzessin von St. Wolfgang“ (1958) hält in einer amüsanten Replik auf dieses wieder und wieder durchexerzierte Ritual des Wirtschaftswunderkinos sogar eine gleich dreifache Hochzeit parat, ein ironischer Bruch, der hier, wenngleich ungleich düsterer, erneut aufgegriffen wird. Dass mit Dor ausgerechnet Reinls eigene Frau – wenige Jahre später wurde die Ehe geschieden – in etwas so gänzlich Unerfüllendes gezwängt wird, das ist, gelinde ausgedrückt, interessant; ihre berühmte Frostigkeit – keine andere deutsche Schauspielerin dieser Zeit konnte ihre eigene Attraktivität so gekonnt hinter dieser Aura verschleiern (Man werfe nur einen Blick auf ihres Ex-Mannes Nibelungen-Zweiteiler!) – hier kongenial eingesetzt. Obwohl immerzu leicht spröde im Umgang mit anderen, muss mann sich doch unbedingt mit ihr identifizieren – zu bedrohlich wirken die Menschen um sie herum. Ihre bei jeder sich bietenden Gelegenheit in expressionistischen Nahaufnahmen eingefangenen Gesichter (häufiger als nicht im Gegenlicht!), sie sind omnipräsent, lassen einen nicht los (praktisch jeder eingeführte Charakter bekommt mindestens einmal einen solchen red hering spendiert). Und wägt man sich gerade in Sicherheit, so erscheinen sie plötzlich in einem der Spiegel, die in großzügiger Anzahl, sogar über den Betten hängend trifft man welche an, über das Schloss verteilt sind, das Jane und Peter nun bewohnen. Perfektioniert wird durch diese Ehe so jene Gefangenschaft, die die Gesellschaft ohnehin schon für einjeden bereitzuhalten scheint:
Reinl, der große Naturliebhaber, zeitweilig gar visionäre Naturschützer (der grobe, hier und da gar etwas sozialdidaktische „Verliebte Ferien in Tirol“ [1972] drängt sich auf), inszeniert Räume hier so fundamentalst verschieden von der Außenwelt, dass man – freilich nicht zum ersten Mal – den Eindruck eines Menschen gewinnt, der das vielbeschworene Eremitendasein in Bergen oder Wäldern sicherlich zu schätzen gewusst hätte. Sind die dunklen, prachtvollen wie an wirklich Wichtigem armen Zimmer des Schlosses, sowie nicht minder edle Häuser stets Orte der Konfrontation mit unangenehmen Zeitgenossen (dem offenkundig nicht an empathischem Austausch interessierten Anwalt Cliftons beispielsweise), finden die Anspannung lösende bzw. Vertrauen stiftende Gespräche mit den wenigen Getreuen Janes fast grundsätzlich unter freiem Himmel statt. Eine strenge Dualität, die auch in anderer Hinsicht später noch wichtig sein wird.
Vorerst könnte man sich jedoch lang und breit über ein eigentlich zum Schmucke gedachtes Metallgitter auslassen- welches erst Lange/Dor, später dann (einen sich anschleichenden Bruch vorwegnehmend) Lange/De Kowa räumlich separiert – oder die erstarrten, verstohlen von oben herablugenden Blicke längst Verblichener, auf Bildern und in Statuen für die Ewigkeit konserviert. Nichts lässt die Unnatürlichkeit dieses Zustandes indes deutlicher zu Tage treten als der gemeinsame Hochzeitsabend, der doch angeblich einer der schönsten Augenblicke im Laufe einer blühenden Liebesbeziehung sein soll: An den Kopfenden eines selbst für herrschaftliche Verhältnisse ausgesprochen langen Esstisches sitzend, schweigt man sich an und redet dann doch, so angespannt wie es auch einander vollkommen Fremde nicht besser könnten. Sein verlegenes Spiel am Glase, ihr gequältes Lächeln. Nicht nur der Tisch steht zwischen ihnen. Als man sich endlich eine gute Nacht wünscht, tritt Jane hinaus in einen Flur, der die Länge des Tisches umgehend relativiert. Vom entgegenliegenden Ende ruft das Hausmädchen: „Treten Sie näher!“.
Von diesen Distanzen zwischen den Menschen erzählt der Film. Wieder und wieder bewegen sich vornehmlich Männer auf die meist prompt erstarrende Karin Dor zu, versuchen sie einzuspannen für ihre Zwecke, für Trost, für Beziehungen. „Nun, eine Ehe braucht wohl von Zeit zu Zeit eine kleine Aufmunterung, sonst fängt sie an zu schnarchen!“, gesteht der an der Oberfläche glücklich verheiratete Wells ihr einmal. Kreisen tut nicht er allein um sie, ihr Mann ist da nicht anders und Basil Hale (der große Robert Graf mit einer aller Kürze zum Trotz den ganzen Film einnehmenden Darbietung) – ein aufbrausender Verehrer mit jenem speziellen Sinn für das Dramatische, den man nur bei aussichtslos Verliebten findet – ebenso Junggeselle ist dieser und bleibt es auch für immer; nach einer abendlichen Rangelei mit Clifton findet man ihn am kommenden Morgen erschlagen im Schlosspark. Und urplötzlich wird all das, was bis zu dieser Zäsur diffus, lediglich Teil des gesellschaftlichen Tratsches war, greifbar: Peter scheint nicht nur als „Der Gerissene“, ein berüchtigter Banknotenfälscher entblößt zu werden – denn zuvor hatte Jane ihn des Nachts an einer verborgenen Druckmaschine werkeln gesehen – sondern auch, wie vom eigenen Umfeld bereits mehrmals leichtfertig ins Gespräch eingespeist, als Sohn eines Wahnsinnigen, eines Schizophrenen, der im Rausch tötete und es, kaum heraus aus ihm, wieder vergaß. Doch anstatt sich über die Aussicht einer Befreiung zu freuen, steht Jane nun zu ihm, beginnt etwas in ihm zu sehen, was sie selbst nicht so recht zu fassen vermag. Bei der Auseinandersetzung mit Hale im Park ist es auf einmal da – sie hält für ihn, den latent Gewalttätigen, den forschen Kerl, der seine Widersacher schon mehrmals verbal wie körperlich anging. Auch die hinzugekommene Mrs. Wells meint: „Ich dachte, sie bringen ihn um!“. Doch ist es nicht die Besorgnis, die in ihrer Stimme liegt, sondern die Ekstase. Langes Gestus sprengt, wie Dors, die Konventionen um sie herum auf, wird mehr und mehr zum verbindenden Element zweier Menschen, welche die von anderen aufgedrängten Rollen für sich neu zu füllen vermögen.
Die angeblichen Beweise seiner Schuld – sie lässt sie verschwinden. Unterstützt ausgerechnet von Oberinspektor Bourke (Siegfried Lowitz), seines Zeichens Freund des Beschuldigten wie notorischer Geheimniskrämer. Preis gibt er den Grund für seine Intervention nie, nunja, zumindest nicht bewusst: in einem Gespräch mit seinem Kollegen, dem arroganten Inspektor Rouper (Ulrich Beiger, wie gewohnt unübertroffen schmierig), erwähnt er beiläufig, innerhalb einer spöttischen Bemerkung, seinen Status als ewiger Junggeselle. Umgehend ist auch er für den Zuschauer gebrandmarkt – die Außenseiter, sie müssen zusammenhalten!
Seinen prägendsten Auftritt hatte Bourke dennoch schon viel früher, lange bevor sein Fall und das Leben der Cliftons überhaupt erstmals sichtbar miteinander kollidierten. Aus dem Schatten heraus tritt er in den Arbeitsraum zweier Polizeiforscher, ihren Diskurs über das jüngste Werk des Gerissenen terminierend – wohin er auch geht, seine Ruhe, die Unbeirrbarkeit, die er fortwährend ausstrahlt, sie trennt ihn nachhaltig von seinen Mitmenschen. Ein einziges Mal nur findet er Entsprechung in etwas – eine kleine Buddhafigur, die, durch ihn angestoßen, bedächtig zu nicken beginnt.
Entsprechungen, vielmehr allerdings gegensätzliche Abspaltungen, bleiben über die gesamte Laufzeit im höchsten Maße dominant, setzen das Schizophrenie-Thema ins Visuelle um. Bourke und Rouper, sie sind offenkundig zwei Seiten ein und derselben Münze; wie auch Dr. Wells und der herzige Onkel John – die später als Drahtzieher eines kolossalen Komplotts zur Diskreditierung Peter Cliftons entlarvt werden. Verraten hat sie da aber längst schon die Ausstattung ihrer Räumlichkeiten: Der eine hängt seine Praxis voll mit moderner Kunst (während eines letzten Beschwichtigungsversuches in Richung des Lunte riechenden Bourkes schön im Hintergrund: ein bizarres Mondgesicht, seine Zunge gespalten wie die des nun sichtlich Strauchelnden) – da muss er doch der (Haupt-)schurke sein! Doch es ist der andere. Der, welcher sich bequem in seiner vorgetäuschten Bescheidenheit eingerichtet hat, der, dessen Atelier dutzende friedlich grasende Hirsche schmücken (selbstgemalt – von wegen sensibler Künstler…). Die Aufrichtigkeitsindikatoren der Nachkriegsjahre, auf sie ist kein Verlass! Die Verschwörung macht vor niemandem halt, Rouper, der eingangs erwähnte Organist – nahezu jeder vorgestellte Charakter entpuppt sich als Mitwisser, mancher gar als direkter Helfer des Gerissenen. Die „Normalität“ steht Kopf; außenvor bleibt nur, wer ihre Symbole, wie eben die Ehe, zeitig für sein eigenes Dasein als Individuum umdeuten konnte. Schlussendlich siegt die Mitmenschlichkeit über die Geschicke skrupelloser Manipulanten, die in mit lediglich einseitig durchsichtigen Spiegeln getarnten Kommandozentralen über das Schicksal anderer entscheiden. Unvergesslich bleibt jene Szene, in welcher der Gerissene die labile Mutter Hales – er kann sie sehen, sie ihn nicht – mit der genüßlich zelebrierten Nachricht vom Tode ihres Sohnes in einen veritablen Nervenzusammenbruch stößt. Nicht, weil er dadurch irgendetwas zu gewinnen hätte. Sondern schlicht, weil es in seiner Macht steht.
Je mehr die Verbrecher wanken, desto mehr schmilzt Janes Distanziertheit dahin, dreht sie sich noch viele Minuten nach dem Auftakt bei unangenehmen Fragen zuverlässig wie ein Uhrwerk weg, schüchtert Annäherung sie nun nicht mehr ein. Der verzweifelnde Wells trottet ihr bei seinem kraftlosen letzten Aufbäumen nur mehr treu hinterher – solange bis sie ihn rausschmeißt, wie seine Frau es ihr da schon längst zuvorgetan hat. In der Schlußsequenz sitzen die beiden einzigen Menschen, die es grundsätzlich immer gut mit den Cliftons meinten, gemeinsam im modernen Fußballstadion, nicht mehr in der Pferderennbahn. Wie der Fall eigentlich ausgegangen sei, fragt der lachhafte, aber aufrichtige Zeuge eines vorangegangenen Verbrechens (Eddi Arent in seiner wohl kleinsten Wallace-Rolle). „Bestens, mein Lieber! Bestens!“, lautet die Antwort. Und das ist auch schon alles, was es über den Ausgang dieser Neusichtung des bezauberndsten, und wohl auch abstraktesten, unter den schwarz-weißen Wallace-Filmen zu sagen gibt.
Der Fälscher von London – BRD 1961 – 93 Minuten – Regie: Harald Reinl – Produktion: Horst Wendlandt – Drehbuch: Johannes Kai, nach dem Roman von Edgar Wallace – Kamera: Karl Löb – Schnitt: Hermann Ludwig – Musik: Martin Böttcher – Darsteller: Karin Dor, Hellmut Lange, Siegfried Lowitz, Viktor de Kowa, Mady Rahl u.v.a.
Kommentar hinzufügen