CRAZED FRUIT und dann? Auf den Spuren von Kô Nakahira…
Die Geschichte Nakahiras, geboren am 3. Januar 1926 in Tokio, ist vor allem die Geschichte EINES Films: CRAZED FRUIT (Kurutta kajitsu) von 1956. Zumindest ist dies der Eindruck, den man gewinnen könnte, wenn man sich intuitiv auf die Suche nach dem Namen Nakahira in unterschiedlichen filmhistorischen Darstellungen macht, immer wieder auf diesen Film verwiesen wird, der als epochaler Meilenstein gilt, als einer der wichtigsten Filme der 1950er Jahre, der das japanische Nachkriegskino wie kaum ein anderer mit seinem wilden Ungestüm umkrempelte und nahezu im Alleingang die japanische „Neue Welle“ in Gang gesetzt zu haben scheint. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, Nakahira hätte nach dieser imposanten Großtat den Regisseursberuf an den Nagel gehängt und sich in den frühzeitigen Ruhestand verabschiedet. Doch was kam wirklich danach? Eine kleine (unvermeidlich ebenso unvollständige wie kursorische) Spurensuche anlässlich der bevorstehenden Retrospektive bei der diesjährigen Ausgabe der NIPPON CONNECTION in Frankfurt…
Fängt man zunächst – der Bequemlichkeit halber – bei „einschlägigen“ Wissens-Kompendien wie Wikipedia mit der Recherche an, stellt man überrascht fest, dass in diesem Fall die deutsche Ausgabe das englische Pendant gar an Informationsgehalt übertrifft – wenn auch in sehr bescheidenem Maße. Während letztere lediglich Nakahiras Film A SOUL TO DEVILS (Yami no naka no chimimoryo) von 1971 für erwähnenswert erachtet und dies auch nur ob seiner Nominierung für die Goldene Palme in Cannes (der Film ist wenige Jahre vor Nakahiras Tod, nach seiner Rückkehr in die Heimat entstanden, aber dazu später mehr), würdigt der deutsche Eintrag – neben der Nennung einiger weniger weiterer Filme aus den 1950er Jahren – immerhin CRAZED FRUIT als einen „Meilenstein der sogenannten Japanese New Wave“, während das spätere Schaffen Nakahiras darauf reduziert wird, dass er dann in den 1960er Jahren „mehrere konventionelle Action-Thriller“ für die Produktionsgesellschaft Nikkatsu gedreht habe um schließlich als Fließbandarbeiter in der Filmfabrik der Shaw Brothers zu landen, um dort unter Pseudonym offenbar nicht weiter erwähnenswerte Kriminalfilme zu drehen. Aber immerhin weisen die (unvollständigen) angehängten Filmographien in beiden Versionen darauf hin, dass es nach CRAZED FRUIT doch noch nicht vorbei war…
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Nimmt man nun diese eher dürftigen Spuren auf und nimmt dann etwa Donald Richies A Hundred Years Of Japanese Film in der überarbeiteten Ausgabe von 2005 zur Hand, so fällt auf, das Richie ebenso wie Alexander Jacoby in seinem Critical Handbook of Japanese Film Directors von 2008 (welches dem Autor des deutschen Wikipedia-Eintrags als Grundlage/Quelle diente) über das ‚Spätwerk‘, will heißen: alle Filme seit den 1960er Jahren, den Mantel des Schweigens breitet, das Dunkel der Filmgeschichte über sie herabsinken lässt. Allerdings macht Richie mit der Studiopolitik Nikkatsus für (wenn man Richies Beschränkung auf lediglich drei Filmtitel so interpretieren will) Nakahiras vermeintliches Abrutschen in die Mittelmäßigkeit/Bedeutungslosigkeit auch einen dafür Verantwortlichen aus. Oder mit den Worten Richies:
„Brilliant as these films were, they attracted no real following, though other directors much admired them. Presaging the company’s later treatment of Suzuki, Nikkatsu consequently decided that Nakahira would be better occupied making action fare. A number of these films were made after which the unhappy director extricated himself and went to Taiwan to direct equally undistinguished Chinese entertainment films.“ (S.183).
Mit „these films“ meint er (neben zwangsläufig CRAZED FRUIT) den 1958 entstandenen THE FOUR SEASONS OF LOVE (Shiki no aiyoku), in dem Nakahira komödiantisch das Vorurteil in Frage stellt, dass die Eltern zwangsläufig konservativer eingestellt seien als ihre Kinder, und THE ASSIGNATION (Mikkai) von 1959, in dem eine verheiratete Frau eine Liaison mit einem jungen Studenten eingeht, eine Affäre mit tödlichem Ausgang. Dieses Ende vor allem lobt Richie wegen Nakahiras „convincingly impressionistic technique, creating the action through a number of very short shots“ (S.183). Gerade diese beiden Film aber werden nicht in Frankfurt zu sehen sein (was an dieser Stelle keinerlei Kritik darstellen soll).
Wer sich allerdings mehr über das gesellschaftliche Umfeld, die geänderten Produktionsbedingungen, die Krise des japanischen Kinos in den 1960er Jahren informieren will (nach dem ‚goldenen Zeitalter‘, den 1950er Jahren mit einem Besucherrekord von 1,13 Milliarden Kinogängern im Jahr 1958 und auf Produktionsseite mit einem Hoch von 547 Filmen im Jahr 1960), das sich – ähnlich wie in den USA auch – durch die erbitterte Konkurrenz unter den Studios, durch gesellschaftliche Umbrüche, das geänderte Freizeitverhalten des potentiellen Publikums (mit dem heimatlichen Pantoffelkino auf der einen Seite und den neuen Freizeitangeboten für die ganze Familie und speziell die Jugendlichen andererseits) herausgefordert sah und dem Publikumsschwund mit allerlei Experimenten und technischen Spielereien entgegenzutreten hoffte: von Breitwandproduktionen über „double“ oder gar „triple billings“ bis hin zu Variationen der Spielzeiten (THE ASSIGNATION etwa war lediglich eine Stunde lang), der ist bei Richie durchaus richtig. Erwähnung findet dort auch ein für den endgültigen Siegeszug des Fernsehens nicht unwichtiges Ereignis dann 1964, dessen landesweite Vorbereitungen dem Land einen nicht unwesentlichen ‚Modernisierungsschub‘ bescherten:
„This was the year of the Tokyo Olympics, and the event (symbolically so important for Japan, marking its reentry into „the family of nations“) was distinguished by all sorts of modernizations and cleanups. There was a new system of elevated highways, strip shows and blue movies were banned, the bullet train was installed, and everyone acquired a television set in order to view the Games.“ (Richie, S.177).
Aber – um damit auch wieder auf Nakahira und speziell CRAZED FRUIT zurückzukommen – auch mit Genres wurde experimentiert, alte Genres wiederbelebt oder neu kombiniert oder auch Genres neu geschaffen. Als japanische Besonderheit dürfen natürlich an dieser Stelle zunächst die überdimensionierten Gesellen in den sogenannten kaijû eigas nicht ungenannt bleiben, die nun die Leinwände eroberten, nachdem sich Ishirô Hondas GODZILLA (Gojira) von 1954 überraschend als Publikumsrenner entpuppt hatte. Nicht nur auf Japan beschränkt allerdings war das Aufkommen des neuen Genres der ‚Jugend(kriminalitäts)filme‘ (wenn man es denn Genre nennen will), das einerseits vorgab, auf realistische Weise die (so zumindest der durch die Medien geschürte Eindruck) zunehmend skandalösen Zustände abzubilden, aufzuklären, zu warnen, sich andererseits aber die respektlosen Umtriebe der ‚juvenile delinquents‘ (über die fast täglich in der Boulevardpresse reißerisch berichtet wurde) zunutze machte und daraus ebenso reißerische, skandalträchtige Stoffe zu stricken um damit das Publikum wieder in die Kinos zu locken. Zumindest nachdem die Studios das kommerzielle Potential erkannt hatten und die Frische und Innovativität der ersten „youth films“ längst erstickt und formalisiert worden waren.
Während nun also in USA und somit auf den Leinwänden der ganzen Welt Brando, Dean & Co die Straßen unsicher machten oder ihre eher schmächtigen Körper der Gleichgültigkeit und Kälte der Welt märtyrerhaft entgegenstemmten (und damit unweigerlich auch auf das asiatische Kino Einfluss nahmen), war in Japan dagegen ein Literat für die spezifisch japanische Ausprägung dieser ‚youth films‘, die sogenannten ’sun tribe films‘ maßgebend: Shintarô Ishihara, der mit gerade mal 23 Jahren den angesehenen Akutagawa-Preis gewonnen hatte. Nicht nur fanden die (bürgerlichen) Jugendlichen sich in den Protagonisten und deren Hadern mit der Welt, deren Träumen wie Enttäuschungen wieder; auch Shintarô Ishihara stellte durch sein öffentliches Auftreten, seine Kleidung, seine Selbststilisierung, seine Allgegenwart in und vor allem auf den diversen neu gegründeten Wochenmagazinen eine Art ‚role model‘ für die gelangweilten, zunehmend international orientierten Heranwachsenden dar – wenn sich auch die allerwenigsten von ihnen einen solchen Lebensstil (etwa einen eigenen Wagen oder gar ein Motorboot) tatsächlich leisten konnten. Hierzu Michael Raine, in einem der beiden sehr empfehlenswerten Artikel zu CRAZED FRUIT, die für die Criterion-Edition des Films in Auftrag und der Disc beigegeben wurden:
„The weekly magazines almost always included photographs of their subject: in these articles, Ishihara became not so much the voice of a new generation as its image. He was feted for his embodiment of a new postwar masculinity, a sportsman with a lithe body and a love of ‚thrills.‘ Even his hairstyle was famous.“
In CRAZED FRUIT, der auf dem gleichnamigen Buch von Ishihara basiert, begegnet uns diese Figur wieder in der Gestalt von Natsuhisa, gespielt von Yûjirô Ishihara, Shintarôs Bruder, dessen Erscheinungsbild im Film deutlich dem (öffentlichen) Look des Autors nachempfunden war. Seine Darstellung rief sofort Vergleiche mit James Dean, Brando oder auch Jack Palance hervor, jedoch verfeinert um eine deutliche Prise, nun, Nationalstolz, um den US-amerikanischen ‚wild ones‘ die Stirn bieten zu können. Eine Schau auch Natsuhisas Kumpel Frankie (Okada Masumi), der wie eine gelangweilte Fashionqueen in immer extravaganteren Outfits durch den Film schlendert. Auf Shintarô Yûjirôs Roman Season of the Sun (Taiyo no kisetsu) von 1955 wiederum geht der Legende nach auch das Label zurück, das dieser neuen Jugendkultur respektive deren Thematisierung in Literatur und Film verpasst wurde: taiyôzoku („sun tribe“). Hierzu nochmal Raine:
„Like the French term nouvelle vague, the word taiyozoku (Sun Tribe) referred to a postwar generation before it was applied to the cinema. It was coined to describe the rich, bored, and vicious characters populating the pages of writer Shintaro Ishihara’s books, such as Season of the Sun (1955) and Crazed Fruit (1956). Those characters embodied all that Japan’s postwar disillusioned youth desired, and that Japan’s new conservative government feared: absent parents and an excess of money, leisure, and sex.“
David Desser in Eros plus Massacre, seinem Standardwerk zur „Japanese New Wave“ (in dem Nakahira allerdings auch nur mit wenigen Zeilen erwähnt und sein CRAZED FRUIT wie die anderen taiyôzoku Filme als bedeutender Vorläufer genannt wird, und nicht bereits als „Meilenstein“ der Neuen Welle wie im Wikipedia-Artikel), verweist zusätzlich noch auf den japanischen Sonnenkult als möglichen Bezugspunkt bei der Namensgebung: „The derivation of this term stems, in part, from Ishihara’s novella […] and from the powerful, mythic image that the sun has in Japanese culture. Thus the term describes Japanese youth who feel themselves cut off from their past yet part of a new, mythic culture, the culture of youth.“ (S. 40)
Auch Season of the Sun wurde 1956 von Nikkatsu verfilmt (unter der Regie Takumi Furukawas, mit Yûjirô Ishihara bereits in einer kleinen Nebenrolle), gilt allerdings als weniger gelungen. Bemerkenswert(er) auf jeden Fall Kon Ichikawas Verfilmung von „Punishment Room“ (Shokei no heya) bei Daiei, ebenfalls 1956. Als wichtigste und folgenreichste Adaption gilt bis heute jedoch Nakahiras CRAZED FRUIT, der nicht nur – ebenso wie Ichikawas Film – für Aufruhr sorgte (und verstärkt durch die Berichte in den Medien ein völlig verzerrtes Bild über Ausmaß und Umfang der jugendlichen Exzesse in den Köpfen der besorgten Kinobesucher festsetzte), sondern national wie international Furore machte – wenn auch (wie in obigem Richie-Zitat bereits angeklungen) eher bei anderen Filmemachern und/oder Kritikern, als beim Publikum. Die rauf und runter zitierte (wenn auch schöne) Lobpreisung Oshimas erspare ich mir an dieser Stelle und erlaube mir hier Michael Raines Hinweis auf Truffauts Reaktion auf den Film zu wiederholen, der den Film eher zufällig gesehen hatte und ihn sogleich für seinen Angriff auf das französische ‚Qualitätskino‘ in Stellung brachte:
„For Truffaut, who saw the film by accident, these ‚bulging trunks‘ exemplified the ‚absolute simplicity and clarity‘ of a film made up of a series of blunt but striking images, as opposed to the ’smooth cooking sauce‘ of mainstream cinema, which flowed into a preexisting mold. Truffaut used the film to attack the administration at the Institut des hautes études cinématographiques, the French film school, for training a generation of assistants who were so afraid of failure that they had lost the courage to put their own personality on the screen. Nakahira, for Truffaut, was a kind of primitive auteur, who shot his film by intuition, in just seventeen days.“
Und da der Name Truffaut respektive das Label „Nouvelle Vague“ (das in seiner japanischen Variante zunächst tatsächlich eine, sagen wir, ‚Marketingstrategie‘ des Shôchiku-Studios war, bevor Ôshima, Yoshida und Shinoda das Studio verließen und dieses Label quasi mit ihnen wanderte um fortan vorwiegend außerhalb der Studios entstandene Produktionen mit den Weihen der politique des auteurs zu adeln) nun schon mal gefallen ist: auch Nakahira ist sich der nationalen wie internationalen Geschichte seines Mediums bewusst, zollt nicht nur Filmemachern wie Bergman, Stevens oder Ray Tribut, wenn er mit Mein Sommer mit Monika (1953), A Place in the Sun (1951) und East of Eden (1955) wichtige Vorläuferfilme zitiert, sondern auch Tadashi Imai, wenn er dessen BLUE MOUNTAIN RANGE (Aoi sanmyaku, 1949) Referenz erweist, einem wichtigen Meilenstein in der Thematisierung wie Darstellung körperlicher Liebe. Auch diese und viele andere Hinweise finden sich in Raines Text über CRAZED FRUIT, diesem (um damit dem anderen schönen Criterion-Text von Chuck Stephens noch kurz ausführlich Referenz zu erweisen) epochalen
„taiyozoku (Sun Tribe) classic that helped transform postwar Japanese cinema. An emotionally and aesthetically roughed-up program picture—so stained with hormonal sea spray and ideological lip sweat that it outraged Japanese housewives and educators; challenged the intimate relationship between Eirin, the Japanese film censorship board, and the film studios it was mandated to monitor; and seismically shock-started the tsunami of the Japanese new wave—Crazed Fruit wasn’t just a storm warning of new and choppy times. This rock-around-the-docks antiromance—full of ‚Yankee Go Home!‘ invective, intellectually adolescent ancestor loathing, hormonally overloaded misogyny, and a speedboat determination to slice through the stagnant waste waters of traditional Japanese cinema’s brotherly, motherly, and every-sort-of-otherly love—was moviemaking as killer riptide, cinema as all-consuming undertow“.
Amen! Interessant dann aber auch Stephens‘ Einschätzung des Films aus heutiger Perspektive, konstatiert er doch dass „[f]or all its libidinal exertions and lurid intimations of sociological decay, by today’s standards Crazed Fruit appears almost startlingly regressive—as culturally reactionary as The Searchers, as absurdly postadolescent as The Girl Can’t Help It, and as morally adamantine as The Ten Commandments, to name but three of its Hollywood contemporaries“. Tja, the times they are a-changin’…
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Was nun Nakahiras Arbeit bei Nikkatsu, dem dienstältesten der japanischen Major Studios (stellt man in Rechnung, dass Shochiku zwar 1895 gegründet wurde, allerdings erst 1920 mit der Filmproduktion begann) nach CRAZED FRUIT betrifft, sind die Informationen etwas dünner gesät. Auch z.B. auf imdb findet man zu den einzelnen Titeln oft kaum mehr Informationen als den jeweiligen Originaltitel und (wie immer mit Vorsicht zu genießende) Angaben zu Stab und Besetzung. Immerhin lässt sich u.a. korrekterweise ablesen, dass Nakahira (nachdem er sich – wie noch die meisten Filmemacher seiner Generation – den Regisseursposten durch jahrelange Assistenzarbeit in den Studios von Shochiku und Nikkatsu erst hatte ‚verdienen‘ müssen) 1956 keineswegs nur CRAZED FRUIT (den auch nicht als erstes), sondern noch drei weitere Filme gedreht hat, die unterschiedlicher nicht sein könnten: neben der überdrehten Komödie MILKMAN FRANKIE (Gyûnyû-ya Frankie) und dem eher konventionellen Thriller Nerawareta otoko noch das dunkle Melodram SUMMER STORM (Natsu no arashi), vollgesogen mit existenzialistischem ennui.
Im entsprechenden Eintrag zu Nikkatsu in Jasper Sharps Historical Dictionary of Japanese Cinema von 2011 findet sich immerhin die Bemerkung, dass das Studio nun mit der Veröffentlichung von Furukawas SEASON OF THE SUN und Nakahiras CRAZED FRUIT endlich seine Identität gefunden hätte, „establishing the taiyôzoku genre of youth oriented movies for a new generation of postwar filmgoers“ (S.182). An dieser Stelle verliert sich die Nakahira-Spur bei Sharp zwar auch schon wieder, allerdings schildert er noch die allgemeinen Produktionsbedingungen im Studio in den 1960er Jahren, unter denen Nakahiras weitere Filmen dort entstanden (die sich keinesfalls alle als ‚bloße‘ Genrefilme ‚abstempeln‘ lassen):
„Ishihara Yûjirô was contracted to the studio as the first in a line of matinee idols that included Kobayashi Akira, Akagi Keiichirô, Nitani Hideaki, Takahashi Hideki, Watari Tetsuya, and Shishido Jô. The new brand of films they starred in became known as Nikkatsu Action, also known as mukokuseki akushun, or ‚borderless action films‘, because the fictional worlds created onscreen drew heavily from American and European cinema and bore little resemblance to any contemporary Japanese reality. Produced at a conveyer belt pace of about half a dozen a month and released on triple bills, these colorful program pictures drew heavily upon genres such as musicals, romances, gangster movies (both Japanese and foreign-produced), and even the American Western for their inspiration.“ (S.182)
Danach noch Hinweise auf die Krise Ende der 1960er als u.a. Yûjirô Ishihara Nikkatsu verließ, das Publikum ausblieb und Seijun Suzuki das Studio verklagte, nachdem Studioboss Hori ihn wegen seines ‚unverständlichen‘ BRANDED TO KILL (Koroshi no rakuin, 1967) gefeuert hatte, worauf sich Nikkatsu zu Beginn der 1970er vorwiegend auf ‚Erwachsenenunterhaltung‘ spezialisieren sollte (Stichworte ‚Roman Porno‘ und ‚Ropponica‘) – aber das ist eine andere Geschichte. Wer sich allerdings für die Karriere von Yûjirô Ishihara interessiert, findet bei Sharp auch einen kurzen Eintrag zu diesem „matinee idol“ und Popstar avant la lettre, ebenso wie zum taiyôzoku-Genre oder auch Yûjirôs Bruder Shintaro, der seiner literarischen eine politische Karriere folgen ließ, die ihn als konservativen (zuweilen auch dezidiert ultranationalistischen) Politiker schließlich ins Amt des Gouverneurs von Tokio beförderte… shit happens!
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Wer sich jedoch für den späteren Werdegang Nakahiras interessiert, speziell seine Arbeit in Hongkong, der findet Hinweise in Japanese and Hong Kong Film Industries: Understanding the Origins of East Asian Film Networks (Routledge Chapman & Hall 2009, online in Auszügen hier). Etwa dass Nakahira 1965 zu einer Gruppe von fünf Regisseuren gehörte (neben Nakahira waren dies Toshio Masuda, Umetsugu Inoue, Katsumi Nishikawa und Akinori Matsuo), die Run Run Shaw von Nikkatsu anempfohlen wurden, als in den 1960ern auch die Shaw Brothers anfingen mit neuen Genres zu experimentieren und vermehrt Regisseure aus Korea und Japan anwarben, um diese v.a. Remakes erfolgreicher Filme aus deren Heimatländern drehen zu lassen – angepasst an den Massengeschmack des Hongkonger Publikums und natürlich für einen Bruchteil des ursprünglichen Budgets.
„Run Run Shaw invited Nikkatsu directors including Inoue, Furukawa Takumi, Nakahira and Matsuo as he wanted to absorb the youthful touch to appeal to the main audiences in Hong Kong and Southeast Asia at that time.“ (S.96f.)
Von daher täuscht der Eindruck, den der kurze Wikipedia-Eintrag erwecken könnte, nämlich dass Nakahira mit seinem Gang nach Hongkong Nikkatsu (endgültig) den Rücken kehrte, auch wenn er mit seinen Arbeitsbedingungen in Japan in der Tat nicht wirklich zufrieden schien. Nakahiras Filme waren bei den Kritikern in Hongkong hoch angesehen, die seinen unkonventionellen Regiestil sehr schätzten, womöglich auch einer der Gründe, warum er sich auf dieses Wagnis einließ. Allerdings war er dort tatsächlich ausschließlich für Remakes zuständig: „For the sake of convenience, Japanese directors ususally brought their own scripts with them to Hong Kong. They included both new and used stories. All the films directed by Nakahira in Hong Kong were adaptations of Japanese movies. For example, Inter-Pol was a remake of Koboyashi Akira’s Yaro ni kokkyo wa nai (No border for bastards) (1965, Nakahira Ko).“ (S. 98) Über die allgemeine Remake-Doktrin der Shaws heißt es weiter:
„The motivation of Shaw Brothers in asking the Japanese to remake their works was not to achieve higher artistic effect. Instead, it was merely a profit-oriented purpose that aimed at boosting the production value. Chua Lam believed that the Japanese version was usually better than the Hong Kong adaptation, since the meaning of remake was not ’shooting better‘ but ’shooting more‘.“ (S. 101)
Angeblich waren sowohl Inoue als auch Nakahira große Fans von Detektivgeschichten, womit sich auch Nakahiras wiederholte Ausflüge in den Kriminalfilm erklären ließen. Zudem hatte er ja bereits in Japan für Nikkatsu durchaus erfolgreich Adaptionen bzw. Remakes basierend auf Werken Seichô Matsumotos gedreht. Die Remakes, die er nun in Hongkong drehte, unterschieden sich jedoch in der Regel drastisch von den japanischen Originalen (die zum Teil ja auch schon Remakes waren), sodass etwa von dem Feingefühl, mit dem Nakahira in der japanischen Version von THE HUNTER’S DIARY (Ryojin nikki, 1964, in Frankfurt zu sehen) aus Masako Togawas gleichnamiger Vorlage ein psychologisch ausgeklügeltes Suspense Drama gemacht hatte, in den verschiedenen Versionen, die in Hongkong dann – nach dem offiziellen Remake unter dem Titel DIARY OF A LADY KILLER (Lieren, 1969) – noch unter zahlreichen anderen Titeln auch in Pornokinos vertrieben wurden, nicht mehr viel zu spüren/sehen war. So schreibt etwa der Hongkonger Filmkritiker Law Kar voll des Lobs über die Originalversion:
„If this movie, which is full of sick ideas about sex and violence, had been directed by an ordinary or snobbish director, he would certainly have emphasized how Honda hunted for his ‚prey‘ and how the murderer killed the women. Nakahira, however, focused on the psychological change in the hero before and after his hunting, in particular his feelings of guilt when he is alone. Nakahira had demonstrated his first-class professional techniques in the manipulation of visual images, narrations and audience’s emotions.“ (S. 100)
Über die weitere Verfahrensweise des Studios mit dem Filmmaterial zeigt er sich heftig irritiert und doch auch enttäuscht, gewinnt er doch den Eindruck Nakahira habe sich regelrecht ‚verkauft‘ – wenn auch quasi gezwungenermaßen:
„[I]t was weird that shortly after the release of Diary of a Lady Killer, which had a full house at every screening, The Hunter’s diary got ’stealthily‘ released as pornography in Cathay and Dongle [Happy East] theatres under a different title: first Lieren gendliuzhang (The Seductive Accounts of a Hunter) and then Yisheng wu wo shi fengliu (My Amorousness ruins my Life). This proves the worthlessness of art in a commercial world like Hong Kong. It is thus understandable that Nakahira stopped talking about art after he got frustrated in Japan. Instead he is trying to earn good money here.“ (ebd.)
„Meine Verliebtheit ruiniert mir mein Leben“… auch ein schöner Titel für einen Soft-Porno. Äh, wo war ich? Nun, inwieweit Nakahira sich tatsächlich mit den durch und durch kommerziellen Produktionsbedingungen in Hongkong (allein des Geldes wegen) arrangiert und/oder schlichtweg (bereits in Japan) kapituliert hatte, in einem System, in dem offenbar für (Film als) Kunst kein Platz war, lässt sich hier wohl nicht klar beantworten. Dafür müsste man wohl auch einen genaueren Blick auf seine Filmographie werfen, also inwieweit es ihm – analog zu den von den Cahiers-Kritikern damals für sich neu entdeckten ‚Hollywood-Auteurs‘ – gelang, diesen ‚Fließbandprodukt(ion)en‘ seinen eigenen Stempel aufzudrücken, trotz der bzw. gegen die Restriktionen des Systems (nicht nur dafür könnte die kleine Retrospektive in Frankfurt eine Gelegenheit, zumindest einen Ausgangspunkt bieten).
Angeblich bereitete ihm das (wiederholte) Drehen von Sexszenen keine Skrupel, solange dies mit einem ‚künstlerischen Bewusstsein‘ vonstattenging. Für Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang die Vergewaltigungsszene in TRAPEZE GIRL (Fei tian nu lang, 1967): Derartiges war in dieser Deutlichkeit und Offenheit im Hongkonger Kino noch nicht zu sehen gewesen. Nakahiras besonderer Stil im Umgang mit Sexszenen hatte auch Einfluss auf jüngere Filmemacher in Hongkong. So drehte etwa Ho Fan 1978 wiederum ein Remake von THE HUNTER’S DIARY unter dem Titel THE NOTORIOUS FRAME-UP (Yin Shou). Wie auch immer: in einem im Februar 1967 publizierten Interview verschaffte er sich schließlich deutlich Luft, als er sich über die desolaten Produktionsbedingungen bei den Shaws beschwerte, über die fehlende Kommunikation zwischen den Vorgesetzten und deren Untergebenen, die Faulheit der Angestellten, die Unfähigkeit der Schauspieler, usw.
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Anfang der 1970er kehrte Nakahira schließlich nach Japan zurück und gründete dort nun seine eigene Produktionsgesellschaft, allerdings blieben ihm nur noch wenige Jahre um endlich seine eigenen Projekte zu verwirklichen. Sein Film A SOUL TO DEVILS (Yami no naka no chimimoryo, 1971) brachte ihm, wie bereits erwähnt, eine Nominierung in/für Cannes ein, ging allerdings leer aus. Fünf Jahre später drehte er dann mit VARIATION (Hensôkyoku) seinen letzten Film, ehe er schließlich zwei Jahre später, am 11. September 1978, mit gerade mal 52 Jahren starb (ein Schicksal, das er mit Yûjirô Ishihara teilte, den der Krebs auch im selben Alter dahinraffte. Bei Nakahiras frühem Ableben spielte dagegen wohl sein exzessiver Alkoholkonsum keine unwesentliche Rolle). Was danach noch gekommen wäre, nun nachdem er den ‚maschinellen‘ Produktionsbedingenen entronnen war, ließe sich nur spekulieren. Dieses Dunkel der Filmgeschichte lässt sich leider nicht mehr lichten…
Quellen
Publikationen:
Donald Richie: A Hundred Years Of Japanese Film, Revised Edition, 2005.
David Desser: Eros plus Massacre. An Introduction to the Japanese New Wave Cinema. Indiana University Press, 1988.
Kinnia Yau Shuk-ting et al. (Hg.): Japanese and Hong Kong Film Industries: Understanding the Origins of East Asian Film Networks. Routledge Chapman & Hall, 2009.
Jasper Sharp: Historical Dictionary of Japanese Cinema. The Scarecrow Press, Inc., 2011.
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Für diejenigen, die sich für die gesellschaftlichen wie produktionstechnischen Umbrüche in den 1960er Jahren (und die damit einhergehende Herausbildung unabhängiger Produktions- wie Distributionsmöglichkeiten, speziell durch die Gründung der Art Theatre Guild 1962) interessiert, dem sei noch sehr der einleitende Text von Roland Domenig und das Interview mit Kinshirô Kuzui hier zu empfehlen:
ART THEATRE GUILD. Unabhängiges Japanisches Kino 1962-1984. Österreichisches Filmmuseum 2003.
und:
Isolde Standish: Politics, Porn and Protest. Japanese Avant-Garde Cinema in the 1960s and 1970s. Continuum 2011.
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Online:
https://en.wikipedia.org/wiki/K%C5%8D_Nakahira
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C5%8D_Nakahira
http://www.criterion.com/current/posts/373-crazed-fruit-imagining-a-new-japan-the-taiyozoku-films
http://www.criterion.com/current/posts/372-heat-stroke-crazed-fruit-andjapanese-cinema-s-season-in-the-sun
Weitere Links
http://criterioncast.com/podcast/criterioncast-episodes/episode-140-ko-nakahiras-crazed-fruit/ (Ein Gespräch zwischen Ryan Gallagher, James McCormick, Sean Hutchinson und David Blakeslee als Podcast)
http://www.tcm.com/this-month/article/241703%7C0/Crazed-Fruit.html
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Die japanischen Eigennamen sind, mit Ausnahmen in den zitierten englischen Textpassagen, wie folgt angegeben: Vorname zuerst, dann Nachname, also entgegen der japanischen Gepflogenheit. Auf die Nennung von (in der Regel weniger bekannten) Alternativtiteln wurde der Übersichtlichkeit wegen verzichtet.
Der Text versteht sich ausdrücklich auch als eine Art „work in progress“, da von einem „bekennenden Nichtkenner“ der Materie verfasst, das heißt: (ernst gemeinte) Ergänzungen und Korrekturvorschläge sind jederzeit willkommen, ja erwünscht.
Hier schon mal als eine erste Ergänzung der Trailer zur Shaw-Produktion DIARY OF A LADY KILLER (leider etwas verschandelt durch so Pixel-Schnickschnack).
Der in der Beschreibung angeführte Name des Regisseurs ist fast richtig, sprich: das ‚Shaw-Pseudonym‘ von Nakahira (meines Wissens korrekterweise ‚Yang Shu-hsi‘ oder auch ‚Yang Shuxi‘, lasse mich da aber gerne eines Besseren belehren):
Hier noch ein längerer Trailer zu ONLY ON MONDAYS, ohne UT:
http://youtu.be/PvW3BaStfh4
Und ein VIEL zu kurzer Auszug aus dem Film (gibt ja den ganzen Film zum Glück in der Retro)… könnte ich mir den ganzen Tag als Endlosschleife ansehen, hach:
Und um der obigen womöglich voreiligen abschätzig-kurzen Abfertigung etwas audiovisuell entgegenzusetzen und seiner zumindest historischen Bedeutung Rechnung zu tragen, hier ein schöner Trailer zu Furukawas SEASON IN THE SUN (1956):
Hach, Christian, das ist mal wieder eine traumhafte Zusammenstellung. Vor allem der Trailer zu SEASON OF THE SUN sieht noch um einiges großartiger aus, als ich mir den Film bisher erträumt hatte. Nächstes Jahr dann eine Takumi Furukawa Werkschau bei der Nippon Connection?
Still Nr.1 aus CRAZED FRUIT ist der Wahnsinn und macht mir noch mehr Lust, den Film endlich zu sehen. Absolut verführerisch.