Chinatown erleben
Es gab für mich bisher bisher 2 Möglichkeiten Roman Polanskis Chinatown (1974) zu erleben. Den Film zu sehen, oder separat Jerry Goldsmiths wunderbaren Soundtrack zu genießen (den er angeblich innerhalb von 10 Tagen abschließen musste, da er gegen Ende des Projekts kurzfristig als Ersatzkomponist einsprang). Nun habe ich eine dritte Möglichkeit entdeckt: Jim Emersons Video-Essay, der über 7 Minuten ohne Kommentar Film und Musik ineinandergreifen lässt, und komprimiert nocheinmal die Essenz des Films sinnlich erlebbar macht.
Ich habe Chinatown bisher nur ein mal gesehen, vor inzwischen schon ca. 10 Jahren, aber Emersons Film führte mir wieder vor Augen, warum er mich damals so begeistert hat. Natürlich sieht man mit wiederholtem Blick immer besser, aber dass das Sehen ein zweischneidiges Schwert ist, und die Wiederholung auch zu Erblindung führen kann, haben wohl nur wenige Filme so pointiert darzustellen vermocht.
Somit hätte ich bei wiederholtem Ansehen von Chinatown vielleicht doch nicht so exakt den Finger auf die Qualitäten legen können, wie während Emersons Sichtbarmachung. Dass eine Aussage oft die andere verdeckt, und die (finale) Autorität der Interpretation immer eine Gefahr ist, zeichnet auch Jonathan Rosenbaum als eine mögliche Schwäche von Audiokommentaren nach, wenn er dies als Grund nennt, bisher nur Audiokommentare mit einem Gesprächspartner aufgenommen zu haben. Die Diskussion, das Moment des über den Film gesagten hinaus, bleibt zwar auch die Form des Videoessays schuldig, jedoch hat der Essay in seiner komprimierten Form den Vorteil der direkten Auseinandersetzung mit dem Gezeigten (wie Geschriebenem).
Ich muss zugeben, ich habe seit Aufkommen der DVD nur 2 oder 3 Audiokommentare ganz angehört, und der letzte mir positiv in Erinnerung verbliebene stammt ausgerechnet von Mel Gibson für sein Hochlandepos Braveheart (1995). Was mir dabei am besten Gefallen hat (und immer noch abrufbar präsent), waren seine Kommentare zum Rhythmus des Schnitts bestimmter Sequenzen. Also ein Kommentar des auf dem Bildschirm sichtbaren im Moment des Ereignisses – im Grunde eine Stärke des Video-Essays. Vielleicht könnte man das Dilemma so lösen, dass die Verfasser von Audiokommentaren (oder die Herausgeber der jeweiligen DVDs) darauf hinweisen könnten, um was für eine Art Audiokommentar es sich handelt. Ob es also notwendig ist, das Bild immer vor Augen zu haben, oder ob es nicht von Vorteil wäre dem Vortrag separat, wie einem Hörbuch, zu lauschen.
Bei Emersons Chinatown: Frames & Lenses, Doors & Windows stellen sich solche Fragen nicht. Die Kritik des Films findet auf die meiner Meinung nach allgemein angemessensten Form des Denkens über Film statt, nämlich in Bildern und Tönen. Im Grunde macht sein Film nichts anderes, als das was jeder Cineast nach der Sichtung eines Films im eigenen Kopf erlebt. Kopfkino, nocheinmal, wiederholt, Szene für Szene, dabei immer als eigener DJ fungierend, über Minuten, Stunden, Tage, oder Jahre. Wenn man einen Film einmal gesehen hat, geht er nicht mehr aus dem Kopf. Emerson macht seine Vision von Chinatown für uns sichtbar, seine Vorstellung als Essenz visuell nachvollziehbar, und schafft dabei aus der Perspektive des Theoretikers wie als Nebenprodukt noch einen eigenen Film. Eigentlich ein Traum für jeden Filmliebhaber. Das Nachsehen hat, wie immer im Kino, der Literat.
Meisterwerk.
Jawoll. 😉