Aktuelle Festivalrundschau



Eine kurze Link- und Neuigkeitensammlung zum aktuellen Festivalgeschehen, das jetzt von Spätsommer bis Herbst mit den drei „Großen“ Locarno, Venedig und Toronto hoffentlich für viel Diskussionsstoff sorgen wird:

Gestern abend ist das 62. Filmfestival in Locarno zu Ende gegangen, Sieger des Goldenen Leoparden ist der chinesische Film She, A Chinese von Xiaolu Guo. Zweiter großer Gewinner ist der russische Film Buben, Baraban von Alexei Mizgirev, der sowohl den Spezialpreis der Jury, als auch den Preis für die beste Regie gewann. Alle Preisträger gibt es auf der offiziellen Festivalhomepage.

Ausführliche Berichterstattung über das Festival gab es von Lukas Foerster bei CARGO und im (auch sonst sehr lesenswerten) Blog von Michael Sennhauser vom Schweizer Radio DRS.

Noch interessanter als der aktuelle Wettbewerb dürfte die Reihe Manga Impact zum japanischen Animationsfilm gewesen sein, die einen kompletten Abriss seiner Geschichte von den Anfängen bis heute darstellte. In ihrer Ausführlichkeit ist diese Retrospektive bisher in Europa wohl kaum übertroffen, leider lassen sich darüber bisher abgesehen von den beiden schon erwähnten Festivalberichten kaum nennenswerte Artikel im Netz finden. Lediglich von Rüdiger Suchsland gab es in der Printausgabe (aber nicht online) der FAZ vom 13. August einen Bericht, in dem er vor allem von First Squad: The Moment of Truth von Yoshiharu Ashino schwärmte, in dem japanischer Anime und russisches Revolutionskino aufeinandertreffen. Auch Michael Sennhauser war sehr angetan von dem Film, der in Locarno internationale Premiere hatte. Den Trailer dazu gibt es hier.

Unter den in Locarno gezeigten Filmen war übrigens auch der wohl älteste erhaltene japanische Animationsfilm A Blunt Sword (siehe Bild oben) aus dem Jahr 1917, der erst 2007 zusammen mit dem ebenfalls in Locarno aufgeführten Urashima Taro (1918) auf einem Flohmarkt in Osaka aufgetaucht war.

Einige der Kurzfilme aus der Anime-Retro kann man auf Videoplattformen wie Youtube oder Dailymotion in voller Länge finden, etwa die faszinierenden Puppenanimationsfilme von Kihachiro Kawamoto: z.B. Dojoji Temple von 1976 oder House of Flame von 1979. Auch sonst lohnt sich eine Suche durchaus (im CARGO-Blog finden sich noch einige weitere Links), wird allerdings etwas dadurch erschwert, dass auf der Homepage von Manga Impact ausschließlich englische Titel angegeben werden.

Und zum Schluß noch die beste Nachricht des Festivals: Isao Takahata, Regisseur von Die letzen Glühwürmchen und Only Yesterday (Omohide poro poro), bekam in Locarno einen Ehrenpreis überreicht und gab bei der Gelegenheit bekannt, dass er gerade an einem neuen Film arbeitet: Taketori Monogatari (Die Geschichte vom Bambusschneider). (via AnimeY).

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Das Filmfestival in Venedig hatte sein Line-Up schon vor mehr als zwei Wochen veröffentlicht, mit Ausnahme eines Überraschungsfilms im Wettbewerb, der erst während des Festivals bekannt gegeben werden soll. Vielleicht handelt es sich ja dabei um Lav Diaz’ ominöses unter-drei-Stunden-Werk, um das es schon Gerüchte gab.

Bemerkenswert, dass Fatih Akin es mit Soul Kitchen in die Auswahl für den Goldenen Löwen geschafft hat (der war für Cannes – so jedenfalls die offizielle Stellungnahme – ja nicht rechtzeitig fertig geworden).  Mit Women without men der iranischen Künstlerin Shirin Neshat über den von der CIA gelenkten Putsch gegen den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh gibt es sogar einen – zumindest offiziellen – zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag. Allerdings ist der Film mit iranischem Thema eine Produktion von coop99 aus Wien, weshalb die Zuordnung zu Deutschland etwas merkwürdig ist. Im Grunde ja auch egal, den Trailer dazu gibt es jedenfalls bei YouTube. Und bei Werner Herzogs Anti-Remake Bad Lieutenant (auch hier gab es wie bei Akin Gerüchte, der Film sei in Cannes abgelehnt worden) ist die Zuordnung klar, das ist ein amerikanischer Film, auch wenn einige Journalisten ihn in patriotischem Überschwang schon zum dritten deutschen Wettbewerbsbeitrag küren wollten. Der Mann hat Deutschland allerdings nicht ohne Grund verlassen…

Ansonsten laufen dort noch George Romero, Jacques Rivette, Claire Denis und Jessica Hausner, deren Hotel ich sehr mag, im Wettbewerb. In der Out of Competition-Sektion finden sich Joe Dantes 3D-Comeback The Hole, [REC 2] und Antoine Fuquas Brooklyn’s Finest.

Auch Abel Ferraras Neapel-Dokumentation wird in Venedig gezeigt werden, bleibt zu hoffen, dass er und Werner Herzog sich dort nicht über den Weg laufen…

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Das Toronto International Film Festival (10. bis 19. September) hat vor wenigen Tagen seinem Line Up 19 neue Titel hinzugefügt, darunter der zweite neue Film von Werner Herzog My son, my son, what have ye done?, der von David Lynch mitproduziert wurde und über den wir hier ja schon kurz etwas geschrieben hatten. Brillante Mendozas Kinatay taucht bisher nicht auf, auch im endgültigen Aufgebot des New York Film Festival ist er nicht enthalten (wohl aber Independencia von Raya Martin).

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Und dann wäre da ja noch das Fantasy Filmfest, das am 27. August in Nürnberg startet und über das hier im Blog noch ausführlicher berichtet werden wird. Vielleicht schon mal als Vorab-Tip: The Sky Crawlers von Mamoru Oshii hat mich, Sano und Andi beim Münchner Filmfest alle drei sehr begeistert (mich etwas weniger als die beiden) und gerade weil der Film visuell sehr eindrucksvoll ist, sollte man die Gelegenheit nutzen, ihn auf großer Leinwand in 35mm sehen, bevor er als DVD-Premiere verheizt wird.

Interessant vielleicht noch, dass es die Peter-Jackson-Produktion District 9, die auch auf dem FFF laufen wird,  sensationell auf Platz 1 des  Wochenend-Box Office in den USA geschafft hat. Der Untergang des Abendlandes, den einige Kritiker angesichts des niedrigen Interesses junger Zuschauer an Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER aufziehen sahen, scheint damit erstmal verschoben zu sein: Kritik und (junges) Publikum sind sich in ihrer Begeisterung jedenfalls tatsächlich einmal einig.

Edit: Dass die beiden für uns ungleich wichtigeren Festivals Viennale und Hofer Filmtage hier nicht auftauchen (wichtiger schon deshalb weil sie erreichbar sind) liegt daran, dass hier zum Programm 2009 noch nichts veröffentlicht wurde. Aber immerhin Gelegenheit auf Olaf Möllers Rückblick zur Viennale-Retrospektive 2008 Los Angeles: Eine Stadt im Film bei new filmkritik hinzuweisen.

Dieser Beitrag wurde am Montag, August 17th, 2009 in den Kategorien Aktuelles Kino, Alexander P., Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Festivals veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

2 Antworten zu “Aktuelle Festivalrundschau”

  1. Sano on August 21st, 2009 at 18:06

    Klingt doch alles recht würzig – und wie immer reizen mich die älteren Sachen mehr als alles Neue.
    In Locarno natürlich die tolle Anime Retro, die hoffentlich als Inspiration für manche Kinematheken dienen wird, und in Venedig wie schon gewohnt die alten italienischen Filmschätze, diesmal mit einigem von Tinto Brass.

    Persönlich bin (und war) ich leider nur auf dem Fantasy Filmfest, wo ich aus Geld- und Zeitmangel nur ein Dutzend Filme sichten werde. Oshiis neues Meisterwerk „The Sky Crawlers“ sei aber noch einmal jedem Filmfan ans Herz gelegt. Für mich bisher der beste von ca. 40 – 50 „neuen“ Filmen, die ich dieses Jahr im Kino gesehen habe.

    Und Olaf Möller hab ich ja dieses Jahr auf der Berlinale gesehen. 😛

  2. Andreas on August 22nd, 2009 at 01:19

    Die Viennale hat mittlerweile übrigens eine erste Programmvorschau veröffentlicht. Hinsichtlich der alten Sachen (aktuelle Filme werden dort vorab immer nur vereinzelte genannt) bin ich recht angetan und zugleich ein bisschen enttäuscht – zwar schon überwiegend ziemlich bis sehr interessant, Lino Brocka vor allem (Tilda Swinton muss dagegen nicht schon wieder sein, die ist dieses Jahr irgendwie etwas überrepräsentiert), aber kommt ähnlich wie letztes Jahr halt nicht ganz an dieses grandios vielseitige Programm von vor zwei Jahren heran, mit der ziemlich großartigen Essay-Film-Retrospektive, den Sonderaufführungen von „Suspiria“ (die wirklich jede Anreise wert war) und „Blade Runner“, den feministischen Exploitationfilmen und dem Jane-Fonda-Tribute… das hat mich seinerzeit doch einigermaßen vom Hocker gerissen (vor allem eben auch diese für „seriöse“ Festivals ungewöhnliche Spannweite zwischen Kunst und Exploitation, und zumindest ein kleiner Hauch von letzterem fehlt mir wohl bislang in der diesjährigen Ankündigung), auch wenn es damals und überhaupt bislang ja in Sachen Viennale nur zu einem anderthalbtägigen Kurztrip gereicht hat. Habe allerdings dennoch eigentlich fest vor, dieses Jahr mal einen längeren Abstecher nach Wien zu machen. Neben Brocka (und sicherlich auch vereinzelten Sachen aus den von Rosenbaum und Bitomsky kuratierten Programmen) dürfte die Best-of-artige Selektion aus dem Cannes-, Venedig- und Toronto-Programm wieder exzellent sein, und dass man wohl erneut relativ viel schon aus Berlin oder München kennt, ist als Erleichterung der Programmplanung auch nicht so verkehrt.

    Ansonsten noch ergänzend der Hinweis auf drei weitere (und für uns erreichbare) Herbst-Festivals: das Asiafilmfest München, das Underdox-Festival in München und das 70mm-Festival in Karlsruhe. Extrem ärgerlich, dass letztere beiden allerdings seit Jahren immer am gleichen Wochenende stattfinden. Jedes Mal wieder die schwere Entscheidung zwischen den häufig sehr abseitigen/seltenen, innovativen, experimentierfreudigen und künstlerisch interessanteren Filmen (Underdox) und den überwältigenden, vorführtechnisch einzigartigen Kinoerlebnissen (70mm-Festival). Es wird einem halt nicht einfach gemacht, wenn man sowohl Avantgarde und Experiment in überwiegend DV und DigiBeta als auch Schauwert-Spektakel in 70mm und Magnetton mag. Da ersteres meistens kaum, letzteres dagegen extrem von der Kinoaufführung profitiert, und außerdem ersterem die (Festival-)Zukunft gehört, während letzteres in dieser Form vom völligen Aussterben bedroht ist, wird aber dann im Endeffekt auch dieses Jahr die Entscheidung bei mir wohl gegen die insgesamt vermutlich interessanteren Filme und für die einzigartigeren Kinoerlebnisse ausfallen. Angesichts der kino(kopien/projektions)technischen Rückschritte der letzten Jahrzehnte ist man dann gelegentlich halt notgedrungen gerne mal „rückwärtsgewandt“… 🙂
    Beim Asiafilmfest bin ich mal gespannt, wie man an das tolle Retro-Programm des letzten Jahres anschließen will – da wird wohl aber leider nichts vergleichbares nachfolgen, schon allein, weil das 5-Jahres-Jubiläums-Klassiker-Special wegfällt (die eigentliche Retro hingegen wird sich wohl weiterhin auf die bekanntesten Namen im Genre- und Arthouse-Bereich konzentrieren, nach John Woo, Johnnie To, Kim Ki-Duk und Wong Kar-Wai wäre Takeshi Kitano wohl eine naheliegende nächste Wahl, was Bekanntheitsgrad und Publikums-Akzeptanz angeht – ein etwas unerschlossenerer Regisseur wird es, wenngleich aus leider nachvollziehbaren Gründen, wohl nicht werden, so sehr das auch wünschenswert wäre). Bei den neueren Filmen hat mich dort wiederum in den letzten Jahren leider wenig interessiert, ist immer etwas viel Standard-Action und episches Schlachtelgetümmel dabei, über das meistens auch wenig vielversprechendes zu lesen ist.
    Bisschen ärgerlich ist ja auch, dass sich das Asiafilmfest, die Hofer Filmtage und die Viennale alle drei jeweils um einige Tage überschneiden – die Filmwelt meint es nicht gut mit verrückten Festival-Touristen… 😉

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