17. Hofbauer-Kongress, Aufriss #7: Ein Curd, ein guter Curd…
1956 schrieb Francois Truffaut: „Curd Jürgens bestätigt, dass er einer der vier schlechtesten Schauspieler der Welt ist.“ Auch wenn man dieser Aussage nicht zur Gänze widersprechen mag, übersieht Truffaut hier (als Anhänger der MacMahonisten bedauerlicherweise) alle anderen Qualitäten des Phänomens Curd Jürgens. Denn wenn er in Roger Vadims … und immer lockt das Weib Brigitte Bardot erblickt, so ist das vor allem auch, als erblicke ein kleiner Junge eine Tüte Lakritzstangen.
Jürgens hat dabei einen Überschuß, eine fiebrige Manie, wie sie zu jener Zeit für das BRD-Kino auch Gunther Philipp, O.E. Hasse, Kurt Meisel, O.W. Fischer oder Klaus Kinski verkörpern. Dieser Überschuss hat bei ihm stets etwas Naives, Kindliches, ja nahezu Infantiles: Jürgens ist jemand, der die Welt mit staunenden Augen wahrnimmt, und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt.
Aber auch nach einem Dutzend Filme, weiß man (ähnlich wie bei Cary Grant) nicht wirklich, wer oder was Curd Jürgens ist. Einerseits fürchtet man sich davor, andererseits sehnt man sich danach, es zu erfahren; ‚unser Curd‘ bleibt jedoch, aller scheinbaren Bodenständigkeit zum Trotz, immer etwas Unfassbares, Unerklärliches – ein Enigma.
Ob das bei Jürgens nun vollständig Fassade ist, oder doch alles offen zutage liegt: in dieser traumwandlerischen Augenscheinlichkeit lauern die Abgründe. Gefangen in einem endlosen Spiegelkabinett (vielleicht der eigentliche, da scheinbar unschuldige, Narziss) ist man gleichzeitig versucht an Mario Adorfs Verkörperung von Bruno Lüdke (Nachts, wenn der Teufel kam…) zu denken. Dabei umweht ihn auch immer ein Hauch von Hans Albers – ein Versprechen, welches jedoch nie eingelöst wird. Er vereint auf spielerische Weise vorgeblich widersprüchliche Eigenschaften, bindet sie an sich und transformiert sie; vor allem sein durchdringender Blick, die Mund- und Augenwinkel (neben seinem permanenten Zupacken und Zugreifen!), wobei Stimme und Tonfall alles dominieren.
Curd Jürgens versprüht auch eine ganz eigene, mir völlig unzugängliche Art von Sex (das Onkelhafte, der Ersatzvater, die Puffmutter, der Vorzeigedeutsche, die Großmama), bedient massenhaft Wunschvorstellungen, und bleibt für den westdeutschen Film doch eine singuläre Projektionsfläche (eine Ahnung, was in der DDR hätte sein können, bekommt man, wenn man sich Fred Delmare reihenweise in Hauptrollen herbeiwünscht). In den späten 60ern und frühen 70ern ist er das erwachsene Pendant zu Heintje, Schwiegermutters Traum und Begehr in einem, kongenial komprimiert in paradigmatischen Rollen innerhalb der Welten Rolf Olsens (So viel Curd war noch nie im Kino!).
Ulli Lommel, der jüngst verstorbene Vorzeige-Rumpelkisten-Auteur des deutschen Kinos, war ebenfalls ein Unikat, ein Henri Rousseau der Leinwand, der jeden Film ganz und gar zu (s)einem eigenen Kosmos gestaltete. Das Aufeinandertreffen dieser zwei Träumer in einer „Groschenheft-Geschichte mit spekulativen Sexeinlagen“ am 05.01. um 21 Uhr dürfte daher für Kenner ein besonderer Glücksfall sein.
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