100 Deutsche Lieblingsfilme #45: Der Mond (2010)
“One of these days I’m going to cut you into little pieces“
Ein selbstgebasteltes Schild erscheint. Titeleinblendung, liebevoll, ungelenk. Wir befinden uns im Universum von Super 8, dem Filmformat für Filmliebhaber, günstig und magisch zugleich. Es ist ein Farbfilm, den Klaus Schneider uns vorführt, ich sitze neben Andreas im dunklen Raum, und ich fühle mich fast wie ein Kind, das wieder das Kino für sich entdeckt. Zeit und Raum verschwimmen, in diesem Film ganz besonders, für mich der Höhepunkt aus Klaus‘ Kurzfilmprogramm, das selbst wie eine Aneinanderreihung von Höhepunkten erscheint.
Gewidmet Matthias Claudius, dann wird die Leinwand Schwarz. Geräusche gesellen sich dazu, man hört den Wind wehen. Zu den ersten treibenden Klängen von Pink Floyds „One of These Days“ schiebt sich ganz langsam, Stück für Stück, der Mond von links ins Bild. Immer weiter kriecht er, langsam, ganz langsam, um rechts wieder aus dem Bild zu verschwinden. Danach wird er noch mehrere Male erscheinen, in verschiedenen Größen, mit hypnotischer Kraft die die Wolken vor sich hertreibend, um am Ende riesig, die Leinwand ausfüllend, die Silhouette eines Baumes aus der Bildtiefe zu erleuchten.
Am Anfang herrscht einfach nur die Schwärze, das Universum. Alles ist möglich, und ich fühle mich wie bei Nicholas Rays „Denn Sie wissen nicht was sie tun“, als James Dean das gefüllte Planetarium betritt, die Schüler am staunen. Der Titel sagt bereits alles, aber man sieht zunächst doch nichts. Einmal erscheint der Mond so hell, man möchte fast an die Sonne denken, ein andermal bewegt er sich von unten links nach oben rechts in die Ecke, während er immer wieder von Wolken bedeckt wird, die ihn in Momenten vollständig zu verschlingen drohen.
Im Zeitraffer gefilmt, und doch von einem meditativen Tempo getragen, ein Widerspruch der sich im Filmbild aufzulösen scheint. In ihrer Verdichtung und Präzisierung erinnerten mich die Arbeiten von Klaus Schneider manchmal an Franz Winzentsen, den deutschen Meister der Lakonie. Aber auch an die frühen Sachen von Christoph Schlingensief oder Lars von Trier: Spieltrieb gepaart mit Entdeckerlust, das Erschaffen einer eigenen Welt, und der Hang zur großen Geste.
Varianten, Variationen des Immergleichen, und doch jedes Mal, bei jedem Auftritt anders: Der Mond, gefilmt mit maximaler Brennweite der 8mm-Kamera. Die Filme von Klaus Schneider haben alle etwas leidenschaftlich Handgemachtes an sich. Nicht aus der Not, sondern aus bewusster Entscheidung heraus, aus einem Interesse an den Materialien des Filmemachens und dem Materiellen des Filmbildes. Hintergründig und doch direkt, die Kraft von Ton und Bild vereinend, der Glaube an die Evidenz, das Potential der Arbeit, der Beschäftigung mit etwas. Selbst wenn keine Musik herrscht, merkt man den gewählten Rhythmus, das Talent fürs Musikalische, spätestens in der Montage der Bilder. Die Einstellungen potenzieren sich selbst, Ton- und Bildebene sind gleich intensiv, explizit, expressiv, alles was im Lauf der Ereignisse hinzu kommt ist eine Aufdeckung, eine Offenbarung.
Wichtig ist auch, dass der Baum am Ende nicht echt ist, ein Scherenschnitt, und der Mond kein Mond mehr, sondern eine Taschenlampe, die durch eine spezielle Röhrenvorrichtung durch eine Leinwand auf die Kamera gerichtet worden ist. Das Artifizielle, das Unwirkliche, beherrscht aber schon das ganze Bild, denn der Mond selbst ist es, der auf uns Menschen artifiziell und unwirklich wirkt. Die Welt, seltsam vertraut.
Der Mond – Deutschland 2010 – 8mm – Regie, Produktion, Kamera, Schnitt, Effekte, und so gut wie alles: Klaus Schneider – Musik: Pink Floyd (One of These Days) – Darsteller: Himmel, Mond, Wolken
Bildquelle: Samy13 / pixelio.de
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