Zitat der Woche



Meine Schwiegereltern haben in der Türkei ein Berghaus mit zwei Satellitenschüsseln und 1490 empfangbaren Programmen. Unfassbar viel Schrott. Wir waren mal dort, als gerade Champions League war. Irgendein Spiel in London, ich glaube was mit Arsenal. Rechtzeitig vor dem Spiel, also lange vorher, habe ich angefangen, die Kanäle abzusuchen. Alle. Viel syrisches Fernsehen. Aber auf einmal sah ich den Spielertunnel. Ohne Werbeunterbrechung. Ich dachte immer, gleich schalten sie ab. Taten sie aber nicht. Auch in der Halbzeit sah man fast die ganze Zeit einfach Bilder aus dem Stadion. Schwenks, Torhüter beim Aufwärmen, alles ohne Kommentar. Ein ununterbrochener Stream auf einem aserbaidschanischen Sender. Bilder, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Die fehlen mir seitdem, wenn ich in Deutschland Fußball schaue.

Christian Petzold im Interview in der letzte Woche erschienenen 14. Ausgabe (Juni 2012) des Film-/Medien-/Kultur-Magazins CARGO.

Als ich vor einigen Tagen das EM-Gruppenspiel Portugal-Niederlande sah, das hierzulande aufgrund der Berichterstattungspräferenz für das parallel stattfindende Spiel Dänemark-Deutschland auf den ARD-Spartenkanal EinsFestival abgeschoben war, hatte ich ein wenig Hoffnung, dort vielleicht ein Stück weit mehr dieser Fernsehbilder aus dem Schattenreich ungefilterter Streams zu sehen. Immerhin gab es dort nur den Kommentator, nicht das übliche Brimborium aus Report-, Interview- und Talk-Einspielern. Zu Beginn der Halbzeitpause deutete sich für einen kurzen Moment an, dass vielleicht tatsächlich einfach unkommentierte Stadionbilder zu sehen sein werden. Länger als ein paar Sekunden schien man das aber nicht für zumutbar zu halten, es wurde kurzerhand eine Nachrichtensendung zwischengeschaltet. Bis in die letzten (jedenfalls hiesigen) Ritzen der medialen Sportevent-Verwertung wird einem signalisiert, dass der neugierige Müßiggang des nicht von vornherein gesteuerten Blicks nicht erwünscht ist.

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, Juni 21st, 2012 in den Kategorien Andreas, Blog, Filmschaffende, Hinweise, Zitate veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Zitat der Woche”

  1. Sano Cestnik on August 25th, 2012 at 18:49

    Das erinnert mich an ein Erlebnis, welches ich anfang dieses Jahres hatte, und das mich ähnlich berührt und erstaunt hat. Auf der Suche nach Internet-Streams für einen Eisschnelllauf, bin ich zufällig auf einen hochauflösenden Stream ohne Kommentar gestoßen. Es war ein unglaublicher Genuß, eine Präsentation zu haben, die derart auf den Sport zugeschnitten ist. Im Gegensatz zu Petzolds Erlebnis mit den „Marginalien“ der üblichen Berichterstattung, war auch hier alles auf das „Ereignis“ ausgerichtet, doch das sicht- und hörbare Ergebnis war vielleicht ein vergleichbares.

    Die Kamera und der Schnitt fokussierten sich gänzlich auf die Sportler. Die Schnittfrequenz war sehr gering, es gab keine unnötigen Großaufnahmen von Gesichtern, keine dramaturgischen Kniffe durch Parallelmontagen und das etwaige Einblenden des Publikums vor Ort. Die Kamera war konzentriert auf die Sportler, und zwar auf alle teilnehmenden, und zwar so lange, wie sie für das sportliche Ereignis relevant waren. Keine Sportlerin wurde hervorgehoben, keine länger gezeigt (auch nicht die Siegerin nach Überquerung der Ziellinie) – es ging um größtmögliche Überschaubarkeit, schlicht um die Dokumentation des Wettbewerbs und des Moments in dem er tatsächlich vonstatten ging.

    Auf der akkustischen Ebene war das angenehmste und erfrischendste das fehlen eines Kommentars. Daher wohl auch der begründete Verzicjt auf den Versuch einer Dramaturgie, die nicht der Sport selbst hervorbringt. Ohne den üblichen alles zukleisternden Sprecher wäre es vermutlich schlicht zu teuer gewesen, eine funktionierende und professionell wirkende Bild- und Tondramatrugie zu kreiieren. Was aber auf den ersten Blick paradoxerweise dennoch zu einer der aufregendsten Arten der Sportberichterstattung führt. Was zu hören war, war der scheinbar ungefilterte und gleichmäßige (und auch nicht besonders hervorgehobene, eher gedämpfte) Originalton aus der Eishalle, eben die Atmosphäre die vor Ort herrscht.

    Es war wirklich unglaublich diese Ruhe und Konzentration und vor allem ihre Schnelllebigkeit und Vergänglichkeit zu bewundern. Denn so schnell der Wettbewerb begonnen hatte, so rasch war er auch wieder vorbei. Was blieb, war die Eisbahn. Am Ende gab es auch hier eine einzelne, statische Einstellung des Austragungsortes. Kinomagie im Internet.

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