What would you do, Daddy? – Hardcore (1979)



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Das schicksalsgegebene Zusammenleben von Menschen in Familien – oder auch größer gedacht in einer Gesellschaft – ist in Hardcore ein schwerlich friedvolles Gut. Vorsichtig formuliert. Die Utopie der USA als Schmelztiegel geht jedenfalls völlig an dem Porträtierten vorbei, denn hier stehen zwei Welten nebeneinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Zwei Welten, die schwerlich ineinander aufgehen können, da sie sich zu keinem geringen Anteil aus einer gegenseitigen Abscheu speisen. Auf der einen Seite das gottgefällige Leben eines genüg- wie sittsamen Glücks, auf der anderen die Pornoindustrie als Ausdruck für einen dunkle Schatten in Kauf nehmenden Hedonismus‘ und als Stand-in für die Unterhaltungsindustrie im Allgemeinen. Hardcore, von einem Regisseur und Drehbuchautor konzipiert, der mit jedem Bein in einer der beiden steht, sucht trotzdem gegen jede Chance nach einem Ausgleich, der aber nicht gelingen möchte. Resignation, Verzweiflung und Hoffnung, fast manisch-depressiv gehen die Stimmungslagen ineinander über. Die tiefe emotionale Gebundenheit an zwei sich ausschließende Seiten bedingt einen alles andere als stringenten Film, der einem Spiegel gleicht, in den jemand an seinen inneren Widersprüchen verzweifelt hineingeschlagen hat.

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Hardcore zerfällt dabei in vier Teile – zwei Diptycha in denen Traum und Alptraum alternieren und die sich spiegeln und bedingen. Die Exposition zeichnet eine Idylle im Schnee im beschaulichen Michigan. Bevor erste Belege dafür ins Bild kommen, ist klar: es herrscht gerade Weihnachtszeit. Das Happy-End von It’s a Wonderful Life strahlt aus den fröhlichen Gesichtern. Familienleben und Gemeinschaft als Glück, Liebe und gegenseitiges Vertrauen. Viel Zeit wird dieser heilen Welt gegeben, um sie im vollen Glorienschein in Szene zu setzen, aber auch um sie mit dem urplötzlichen Verschwinden einer Tochter jäh zerbrechen zu lassen. Was folgt ist Orpheus‘ Abstieg in die Unterwelt. Der Vater der Entschwundenen (George C. Scott) verlässt seine calvinistische Gemeinde, nachdem er von einem Detektiv in ein Pornokino geschleppt wird und dort seine Tochter auf der Leinwand wiedersieht. In kalifornischen Sexshops, Bordellen, Pornoproduzentenbüros und selbstveranstalteten Darstellercastings findet er etwas, was seinem bisherigen Leben/dem Beginn des Films konträr entgegen läuft. Unaufhaltsam, stetig und nur auf einen Punkt gerichtet wühlt er sich durch die Antithese seines Lebens und seiner Wertvorstellungen. Seine Suche zeigt aber nur, dass sein Glück nur in einer Blase bestehen kann. Wie Hohn sind all die Zustände, welche er vorfindet, für seine Welt. Jeder der sich nicht seinem Glück anschließt, scheint schon im Dreck zu leben. Und die Welt scheint voll von Menschen, die dies auch noch genießen.

George C. Scott spielt Jake VanDorn ohne Raserei und wildem Hass, fast wirkt er gelassen. Wie er später erklären wird, glaubt er als Calvinist an die Prädestination, dass also alles als Teil Gottes Plan und Schöpfung vorbestimmt ist, selbst diese Lebenswege. Es ist nichts für ihn zu richten. Und doch steht in seinem um Ruhe ringenden Gesicht immer auch ein eklatanter Ekel, als wäre jede Sekunde, in der er sich nicht den Dreck wieder abwaschen kann, eine Qual, von der niemand wissen darf. Wenn er mit Perücke, falschen Schnurrbart und engem T-Shirt als Castingagent versucht dem Aufenthaltsort seiner Tochter näher zu kommen, ist schwer zu sagen, was schmerzlicher ist. Sein kläglicher Versuch sich oberflächlich anzupassen oder die Erkenntnis, welches Leid er bereit ist auf sich zu nehmen, um seine Idylle wieder zu haben.

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Die Vorführung von These und Antithese läuft aber nicht auf das gewaltsame Reinigen der Welt hinaus. Noch wird sich Jake VanDorn in dieser Unterwelt verlieren und Teil derselben werden. Er ist schlicht nicht Mittel zum Zweck um exploitative Phantasien wahrwerden zu lassen. Paul Schrader ist in einer calvinistischen Gemeinde in Great Plains, Michigan aufgewachsen. Laut Peter Biskinds Klatschbericht Easy Riders, Raging Bulls soll dessen Vater selbst für sein striktes Umfeld ein harter Hund gewesen sein. Als Schrader nach Hollywood floh, muss es diesem vorgekommen sein, als ob sein Sohn nach Sodom und Gomorrha gegangen war. Vor diesem biographischen Hintergrund fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich Paul Schrader selbst als die entschwundene Tochter sah und dass Hardcore möglicherweise eine Meditation darüber ist, was er seinem Vater mit seiner Berufswahl antat. Es ist wohl auch die Suche nach gegenseitigem Verständnis. Aber auch ohne diese Parallelen zu ziehen, ist es kaum zu übersehen, dass dem Film seine Hauptfigur und dessen Haltung am Herz liegt.

Schon das Lächeln George C. Scotts öffnet das Geschehen, weil es nicht festzunageln ist. Selbst im Glück unter der Glasglocke hat es etwas Gebrochenes. Leid steckt darin, ebenso wie Schmier. Als einfach nur liebevoller Familienvater wäre Scott eine eklatante Fehlbesetzung, weil in seinem Grinsen immer etwas Ungreifbares bis Unangenehmes mitschwingt. Wenn er in L.A. unter seiner Sonnenbrille hervorgrinst, liegt darin die Ahnung, dass Jake VanDorn sein Rollenspiel etwas sehr gefällt. Dass er sich freut, die Wälle der Abwehr einmal fallen lassen zu können. Und doch ist es eben aber immer auch als solches zu erkennen, als Rollenspiel, als herunterwürgen einer tiefen Abneigung. Hardcore bleibt zu jeder Zeit bei seiner Hauptfigur, beobachtet sie, zeigt sie leiden, zeigt sie sich freuen und zeigt einen Menschen, der nicht einfach nur rächender Vater ist, Kämpfer um sein Glück, sondern einen voller Ambivalenzen, voller widersprüchlicher Empfindungen und Antriebe. Wie eine Versuchsanordnung wirkt es mitunter. Ein Mensch wird aus seiner Komfortzone gerissen, und es wird beobachtet, was das Zurechtfinden in einer ihn abstoßenden Situation mit ihm macht. Was würdest du fühlen, was würdest du tun, Vati?

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Aber wie gesagt gibt es noch das zweite Dyptichon. Auf ganz unterschiedliche Weise wird der Widerspruch zwischen Calvinismus und pornösem Leben, zwischen Vater und Tochter in diesen aufgelöst. Doch beginnt der Schmerz hier erst richtig. Da ist auf der einen Seite ein Roadmovie, den Jake mit einer Prostituierten unternimmt, da diese ihm womöglich helfen kann. Auf der anderen Seite vergeht abermals das Helle und Schwebende und wird durch Schatten, leuchtendes Rot und Raserei ersetzt. Der Höhepunkt dessen liegt in einer Szene, in der Jake auf der Jagd nach einem Zuhälter durch die dünnen Wände eines illegalen Bordells springt. Jeden Raum, in dem er landet, hat eine dezidiert andere Perversion zu bieten, aber schon springt er weiter und hinterlässt nur Zerstörung. Alle Phantasien über den Verbleib (und die Gelüste) seiner Tochter scheint er hier einzureißen/einreißen zu wollen. Die ruhigen Gesprächen über Lebensentwürfe und Glauben, die ihn ganz sachte an seine Begleiterin annähern ließen, die wie Gespräche zwischen Vater und Tochter wirkten, deren Welten sich angleichen, werden gleich mit zerrissen.

Und so stehen alle, Hardcore, Jake VanDorn, Paul Schrader, vor dem Problem und wissen nicht, wie es zu lösen ist. Niki, die Prostituierte an der Seite von Jake, die mit der er sich vorbehaltslos auszutauschen weiß, sie ist nicht seine Tochter. Kann es nicht sein, weil so ein Luder nicht in seine Welt passt. Die Tochter kann nur wieder zurück und dem Vater, diesen bei allen Ambivalenzen sympathisch gezeichneten Vater der Herzen, zu seinem Glück verhelfen, wenn sie sich verleugnet und Teile ihres Lusthaushalts abschneidet. So sehr Paul Schrader seine Hauptfigur mag und ihm sehr viel am Ende schenkt, dieses Opfer ist er nicht bereit zu bringen. Hardcore wird viel Glück in der zweiten Hälfte gefunden haben. Sichtlich gönnt Schrader dem Vater ein Happy End, weiß aber nicht wie er es ihm geben kann. So bekommt er eines, dass fast unmerklich, in einem Moment als Jake suchendenen Blickes in einer Menge steht, erahnen lässt wie verottet dieses ist. Das Glück des Vaters ist das Unglück der Tochter. Das Glück der Tochter das Unglück des Vaters. Das Glück der frivolen Menschen in Kalifornien das Unglück der Gottesgläubigen und vice versa. Das Einen von Familie und Gesellschaft braucht Gewalt. In den Widersprüchen leben unmenschliche Kraft und Tränen. Tränen wie sie Paul Schrader wohl nur mit diesem Film laufen lassen konnte.

Hardcore – USA 1979 – 109 Minuten
Regie: Paul Schrader – Buch: Paul Schrader – Produktion: Buzz Feitshans, John Milius – Kamera: Michael Chapman – Schnitt: Tom Rolf – Musik: Jack Nitzsche – Darsteller: George C. Scott, Season Hubley, Peter Boyle, Dick Sargent, Leonard Gaines, Dave Nichols, Gary Graham, Larry Block, Marc Alaimo, Leslie Ackerman, Charlotte McGinnis, Ilah Davis, Paul Marin, Will Walker, Hal Williams

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Dieser Beitrag wurde am Montag, November 21st, 2016 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Robert veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Both comments and pings are currently closed.