Totenkränzchen, Lebenstänzchen – La morte ha sorriso all’assassino (1973)




    Take this kiss upon the brow!
    And, in parting from you now,
    Thus much let me avow —
    You are not wrong, who deem
    That my days have been a dream;
    Yet if hope has flown away
    In a night, or in a day,
    In a vision, or in none,
    Is it therefore the less gone?
    All that we see or seem
    Is but a dream within a dream.

    (Edgar Allan Poe – A Dream Within a Dream)


„La morte ha sorriso all’assassino“, der einzige unter nahezu 200 Filmen für den Joe D’Amato unter seinem bürgerlichen Namen Aristide Massaccesi verantwortlich zeichnete ist – wie diese kleine Geste bereits andeutet – ein höchst eigensinniger, kaum mit den damaligen kinematografischen Trends, deren gründliche monetäre Ausmelkung der selbstkritische Regisseur gerne als alleinigen Zweck seines Schaffens vortäuschte, in Einklang zu bringender Film. Eine tief persönliche Traumreise, in der seine Vorliebe für Entdeckungsreisen in das fleischlich wie geistig ausgekleidete Innenleben des Menschen nicht bloß zur eigenen Obsession, sondern durch das künstlich verlängerte Auge des Objektivs auch zur unsrigen erhoben wird. Augen, Spiegel, wieder und wieder sehen wir in sie hinein, während sich nicht körperlich präsentes Unheil doch als Abbild in ihnen manifestiert, spannen wir aus Türspalten hinaus auf jene, die unsere Anwesenheit nicht bemerken können. Bisweilen zoomt die Kamera so ungebührlich nah aus Großaufnahmen bis fast zur Gänze an die Iris heran, als wolle sie ungebremst in den umgebenden Kopf, die Gedanken und Empfindungen in diesem einfahren. Das Innerste, was liegt in ihm verborgen? Die Angst vor der eigenen Sterblichkeit, die sich in nervös umherzuckenden Augen breitmacht.

Nominell eine Mixtur aus Horrorfilm und Giallo ist D’Amatos Film omnipräsenten Mördern zum Trotz zuallererst einer, aus dessen bizarren Winkeln und Bildkadrierungen von weit unterhalb der Figuren sich eine sehr viel weniger körperhafte Beunruhigung in Charaktere wie Zuschauende fräst. Verdichtung der menschlichen Existenz zum Angsttraum, jeder stilistischen Eigenheit liegt das Potenzial nachhaltiger Aufschreckung inne. Der Nervösität, wundgeschürften Agilität der Kamera etwa, deren Wahrnehmung fernab der wenigen Aufnahmen außerhalb der Reichweite ohne Weiteres bewerkstelligbarer Bewegung vielmehr schon zum eigenen Figurenblick, zur permanenten Subjektiven statt eines nach außen gerichteten Zugangsportals gerät. Sich selbst umherpeitschend, immerfort auf der Suche, in neugierigen Schwenks entlang Vorbeiziehenden frohlockend, die auf halbem Wege übergangslos in plötzlich distanzsuchende Fahrten übergehen. Den ominösen Todesahnungen aus nicht zu separierender Vergangenheit und Zukunft, die uns stets fremd bleibenden Figuren in Form anderer, manchmal vertrauter, manchmal unvertrauter, Menschen auflauern – unmittelbar in der Kadrage existent und doch wieder verschwindend, bis sie den in Panik Gefangenen irgendwann für immer aus dieser erlösen.

Als verrätselte, geheimniskrämerische Schwester von „Lisa e il diavolo“ (1973) – Mario Bavas gefeiertem Inbegriff todessehnsüchtiger Opulenz – hält „La morte ha sorriso all’assassino“ die Asse streng im Ärmel versteckt, zur allgemeinen Verwirrung zumeist dauerhaft. Narrative Nebenschauplätze kommen und gehen, viele fremdgefasste Erklärungen für die Herkunft der unvermittelt auf einem noblen Landsitz aufschlagenden Ewa Aulin werden aufgeworfen und doch keine abschließend bestätigt. Wie der in einem vollkommen losgelösten Seitenstrang an der Wiedererweckung Dahingeschiedener forschende Klaus Kinski bleibt sie bloße Chiffre für den Kern, um welchen beide Filme unablässig kreisen: Unsere Faszination für das Lebensende eigen wie fremd. In der Kamera, die rückwärts und in der Hocke noch dazu vor überlebensgroß verzerrten Häschern wie Gehäschten gleichermaßen zurückweicht, sich gebannt an den vielfältig einbrechenden Sonneneinfällen als psychedelischem Kaleidoskop ergötzt, anstatt ihr Heil in der Flucht zu suchen oder alternativ das nahende Ende zu realisieren, findet diese Eigenheit, aber auch das entrückte Umherirren der hilflos in ihr Schicksal Ergebenen einmal aufs Trefflichste Entsprechung.

Luzidträume im hellsten Tageslicht – die natürliche Ausleuchtung raubt diesem auf andere Weise doch so offenkundigen Vertreter alles Gotische, den morbiden Glanz der alten Gemäuer lässt sie einladend geraten, animiert geradewegs zum Verweilen im Reich der Toten und sich des eigenen Hinscheidens noch nicht Bewussten. Ist Aulin tot, mehrgesichtige Erscheinung oder hinter den betörenden Zügen bereits verfaulte Wiedergängerin? Joe D’Amatos Werk kennt viele Frauen, die von in unerschütterbarer Liebe heillos verschütt gegangenen Männern mittels Blicken und Gesten zu optischen Entsprechungen einer Verstorbenen umgesehnsüchtigt werden, ist auch sie unter ihnen? Kinskis Doktor wagt den Vorstoß ins Innere – eine lange Nadel sinkt bedächtig in den Augapfel ein; ohne jede Reaktion. Gähnende Leere, das zarte Weglächeln angetaner Grobheiten des geheimnisvollen Filmtitels – mit ihm wird Aulin gegen sie gerichteter Gewalt nicht zum letzten Mal begegnet sein.

Wer weder Schmerz noch Angst vor dem Tode spürt, der ist diesem wohmöglich bereits anheimgefallen, eine zunächst ansehnliche Hülle – zu füllen mit fremden Obsessionen. Lebensstiftend wirken diese ihre Magie: Rhythmisch pocht des abgehorchten Herzes Schlag ersatzweise auf Berto Pisanos Musik über, haust er doch in der so Durchleuchteten schon lange nicht mehr. Auf umgehend wieder zwischen den Fingern verrinnende Weise scheint er Kinski und Aulin in ihrer einzigen gemeinsamen Szene zu verbinden, eine unter den elegischen Bildern brodelnde Anspannung erhaltend ohne dass tatsächlich irgendetwas von Bedeutung geschieht. Sinnlich, „geil langweilig“ – wie es sich in berufenen Zirkeln schon lange als Umschreibung des D’Amatoschen Kosmoses eingebürgert hat. Ähnlich wiedersprüchlich und falsch kodiert sind des Meisters eigene Welten, sie pendeln sich ein inmitten unvereinbarer Pole in einem Universum jenseits der filmischen Konfektionierungen des damaligen italienischen Kinos, eher allen Kinos. „La morte ha sorriso all’assassino“ ist einer der seltenen wirklichen Grenzgänger, die „Exploitation“ und „Arthouse“ auf einzig erfolgversprechende Art verschmelzen: Ohne sich von beiden Zuschreibungen einen feststehenden Begriff gemacht zu haben, überhaupt einen Gedanken daran zu vergeuden, was insbesondere letztere implizieren könnte oder in genereller Erwartung sollte.

D’Amato war einer der radikalsten Umbrüchler und größten Philosophen in der Disziplin bewegter Bilder. Seine Toten wirken selbst in ihrer Fragmentierung, der Umverlegung ganzer Charakterzüge auf andere zumeist lebendiger als die ihnen Hinterhertrauernden, die Übergänge an den Rändern der Wesenszustände fließend und schwammig definiert. Abermals pulsierende Herzschläge stehen unter dem Bann einer befremdlichen Zauberkraft, abgehorcht, auf ihren Daseinszustand überprüft setzt dieser Akt der Zuwendung den Motor erst wieder in Gang, oder ist es ein Hirngespinst der da auf Regung Harrenden? Animationsobjekte für die Vorerstarrten. In der Krönung voyeuristischer Figurenkonstellationen wird Ewa Aulin gleich von drei Augenpaaren begierig ausgelesen, dem des Dienstmädchens, das verschämt durch den Türspalt lugt, Kinskis, der scheinabgewandt das Lesen vortäuschend ungeniert in einen Spiegel starrt und unseren eigenen, gewährt der körperlose Avatar doch Einblicke, die den anderen von vornherein verborgen bleiben. Zumindest zweien dieser Beoabachtenden – so legen es die in Montage und Reflexion vereinten Blickrichtungen nahe – ist sie unzweifelhaft gewahr. Überdurchschnittlich häufig in ein und derselben Szene erfolgende Schnitte – von Mensch zu Mensch, Auge zu Auge, Laufendem zu Laufender – sind es, die hier manuell Interaktion anstoßen, alle Handelnden als getrennte Entitäten ausweisen. Eigentümliche Losgelöstheit umwabert die Gespräche in Totalen, man wirkt des anderen spärlich bewusst – nicht zu fassende Identitäten in Eigen- wie Außenwahrnehmung. Trotz eines rudimentären Zusammenlebens können Tote gleich den Lebenden unter diesen umherwandeln, bleiben Morde innerhalb dieser Miniaturgesellschaft mehrheitlich unbemerkt – so wie das Labor und die Machenschaften eines nur gelegentlich in diese Sphäre eintauchenden Arztes.

Lichteinfälle werfen einen verführerischen Glanz auf Klingen, ihrer althergebrachten Funktion nach Instrumente der Offenlegung, und doch scheinen jene, denen ein sezierender Blick die eigene Haut retten könnte, solcherlei Werkzeug nicht zu besitzen. Alles ist gegenteilig aufgezäumt, nicht am zugewiesenen Platze. Ein Maskenball mitsamt seinen Schauer- und Totenmasken zur maximalen Umkehrung Poescher Bilderwelten, einem dieser singulär lebensprallen Tänze D’Amatos geraten, die heitere Jagdg- und Schießgesellschaft – Heimstätten des Untergangs, des Todes, in denen fast spöttische Ausgelassenheit herrscht, dem Tod in wahrhaftigster Übertragung des Titels ins Gesicht gelacht wird, letzten Endes die Ruinen, in denen der Mensch laut John Cassavetes König ist, zum Absoluten, zum Einzigen hochgefeiert werden. Im harschen Widerspruche dazu befindlich die schlichte Nüchternheit der Begräbnisszene, bezeichnend für jene Momente eines jeden Lebens, in denen wir, um Stärke zu beweisen, so tun, als würden uns diese weltlichen Dinge nicht tangieren, der Bogen in Gedanken still wie hier durch die Montage vom Anfang zum Ende des Daseins gespannt wird, ohne jemals wirklichen Erkenntnisgewinn daraus zu ziehen. Neben der eröffnenden Aufbahrung der einzig genuin emotionale Moment des Films.

Exakt in dieses weltlich Ermittelnde verlagert sich „La morte ha sorriso all’assassino“ im letzten Drittel durch seinen Kommissar, der nie mehr als die niedergeschriebene Definition seines Berufsbildes werden darf. Diese Verlagerung ist eine Finte, das kryptische Ende unterstreicht diesen Eindruck nur – es gibt nichts zu verstehen und nichts zu wissen. Und dennoch: Ich glaube ja, dass sie tief versteckt in diesem magischsten aller italienischen Horrorfilme beantwortet liegen – alle Rätsel und Wunder der menschlichen Existenz. Doch selbst wenn dem so wäre, good old Joe, bescheidener Schelm, der er war, hätte es natürlich niemals zugegeben.


La morte ha sorriso all’assassino – Italien 1973 – 88 Minuten – Regie: Aristide Massaccesi (a.k.a. Joe D’Amato) – Produktion: Oscar Santaniello – Drehbuch: Aristide Massaccesi, Claudio Bernabei, Romano Scandariato – Kamera: Aristide Massaccesi – Schnitt: Piero Bruni, Gianfranco Simoncelli – Musik: Berto Pisano – Darsteller: Ewa Aulin, Klaus Kinski, Angela Bo, Sergio Doria, Luciano Rossi u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Samstag, Juli 20th, 2019 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Kommentar hinzufügen