goEast 2015: Die Eröffnung – We’ll always have Artur Braun
©goEast
„Ich sehe ihren Namen leider nicht auf der Liste, Herr Safarow“, sagte die freundliche, aber bestimmte junge Frau am Info-Counter.
„Sind sie ganz sicher?“, fragte ich. „Ich bin ein angesehener Journalist, ich komme jedes Jahr hierher.“
„Haben Sie sich etwa nicht für die feierliche Eröffnung angemeldet?“
„Was spielt das für eine Rolle?“ Langsam wurde ich ausfallend. „Ich bin eine Institution dieses Festivals! Regisseure wie Hans Böckler und Isaac Fulda berufen sich auf meine Arbeit!“
Die zwei willkürlich ausgesuchten Mainzer Straßennamen konnten das Wiesbadener Gemüt der jungen, forschen Pressemitarbeiterin nicht erschüttern. Ich war für die Eröffnung offiziell nicht angemeldet. Verbittert stierte ich auf die blauen Bändchen, die die glücklichen Auserwählten befugten, durch die heiligen Hallen der Wiesbadener Casino-Gesellschaft zu stolzieren, die majestätischen Eingangstreppen hinauf bis zum kostenlosen Abendessen. Dabei träumte ich eigentlich von einer bändchenlosen Gesellschaft, wo jedermann gleich war vor dem Pressecounter. Doch es gibt keinen Platz in dieser Welt für Utopisten wie mich.
Ich war also schon wieder auf dem goEast-Filmfest in Hessens Landeshauptstadt und fühlte mich bereits wie ein Pariah. Selbst die Häppchenfrauen schienen einen Bogen um mich zu machen. Ich beschloss dem Vorführer Danko Vattić einen Besuch abzustatten. Danko sah aus, als würde er in New York Stücke für den Broadway schreiben, aber er war ein serbischer oder kroatischer Querulant, der Veganismus für eine Erfindung der Lebensmittelindustrie hielt und Starbucks für ein Buchgeschäft. Er war bereits betrunken, als ich ihn im Vorführraum antraf.
„Sven, sag bloß, du willst dir diese bourgeoise Veranstaltung antun!“
„Nur solange, bis ich eine reiche, ältere Wiesbadenerin finde, die ich später beerben darf, dann bin ich hier weg!“
Wir tranken die angebrochene Flasche Wodka, die Danko eigentlich allein trinken wollte (er trinkt gern bei der Arbeit, „ist wie Meditieren“, sagt er immer) und fingen an, über die Lächerlichkeit von ritualisierten, hierarchisierten, faschistoiden Veranstaltungen wie Filmfestivals oder der Mainzer Fastnacht zu schwadronieren.
„Diesmal zeig ich’s denen“, sagte Danko, „während ich den neuen Trailer spielen muss, werde ich einfach den goEast-Trailer aus dem letzten Jahr abspielen. Verstehst du? Ein Kommentar zu unserer schnelllebigen Gesellschaft. Ich garantiere dir, das fällt keinem auf. Erst, wenn die Festivalleitung ins Schwitzen kommt und beginnt sich zu entschuldigen, merken sie auf einmal, was ich ihnen da vorgesetzt hab. So Sachen werd‘ ich ständig bringen. Das nennt man Subversion.“
Andere nennen das auch Alkoholismus, aber ich wollte nicht mit Danko streiten. Er war immer bereit, seinen Schnaps zu teilen, vor allem bei der Arbeit. Das tut nicht jeder.
Während wir so philosophierten, hätte Danko fast seinen Einsatz verpasst. Ein Teammitglied kam herauf und rügte uns beide. Daraufhin verfiel Danko in einen Rausch der Professionalität und begann alles vorzubereiten. Ich ließ ihn allein und machte mich auf zur Begrüßung im Caligari.
Ich saß auf der Tribüne und hatte Angst herunterzufallen, so betrunken war ich. Aber ich musste mich zusammenreißen. Ich war Journalist und meine Aufgabe war es, journalistisch zu agieren. Doch bevor es richtig losging, wurde endlos begrüßt. Irgendeine Kulturfrau von der Stadt stotterte ins Mikro und grüßte gefühlt alle, die sie kannte: „Ich begrüße den Staatssekretär Bärlauch, und, äh, Richter Wilhelm Brandenburg sowie den Landfrauenverein ‚De Arte Volandi‘. Herr Oberbürgermeister Soundso wollte so gerne kommen, aber er ist leider verhindert. Er richtete mir aus, dass ich ihnen seine allerbesten Grüße ausrichten soll, was hiermit getan ist. Es sind auch andere wichtige Leute abwesend. Zu denjenigen, die da sind, gehören jedoch Kulturdezernent Knepperges, Magistrat Ohnesorg sowie die Festivalleiterin, Frau Gabi Babbitsch! Frau Babbitsch, was sie und ihr Team hier auf die Beine gestellt haben, ist ganz sagenhaft. Dass eine so junge Frau wie sie und andere junge Leute, und das schon seit fünf Jahren, etwas anpacken und dann wird da was draus, das ist absolut bewundernswert. Sie fangen eine Sache an und machen sie fertig. Das bewundere ich sehr. Und dass zu Beginn der Trailer vom Vorjahr lief, auch das Frau Babbitsch ist furchtbar sympathisch und beweist mal wieder, wie sympathisch sie und ihr kleines Team sind. Ja, der Herr Oberbürgermeister ist leider nicht da. Dafür gibt es, wie Frau Babbitsch in ihrer wundervollen Ansprache schon erwähnt hat, ein Symposium zum berühmten polnischen Produzenten Artur Braun, der aus dem Pantheon des ostdeutschen Kinos nicht mehr wegzudenken ist.“
So ging das noch ziemlich lange weiter und ich schlief irgendwann ein. Bei den ersten Kurzfilmen und Ausschnitten kommender Filme war ich wieder wach. Bilder von Der brave Soldat Schwejk zogen an mir vorbei, genauso wie ein Ausschnitt aus Khutsievs I am twenty.
Letztlich hat mir Danko noch ein Bändchen stibitzt und so sind wir doch noch zum Empfang gegangen. Seit Wochen hatte ich mich auf das Catering-Essen und das Freibier gefreut, und auf die hektischen Bewegungen von Köchen und Kellnern, die arbeiten mussten, während ich mich gehen ließ. Das Essen schmeckte einfach besser, wenn andere vor deinen Augen hart schuften mussten. Deshalb waren wahrscheinlich so viele Leute hier und genossen ihr Mahl, so viele Leute, die Anzug trugen und sich im Kino nicht würden blicken lassen, so viele Leute, die das Symposium zu Artur Braun nicht würden miterleben können. Und wo war eigentlich der Oberbürgermeister? Gab es irgendwo einen besseren Empfang, mit besserem Catering, einer Gästeliste, die noch illustrer, wahrer, schöner war als diese? Und welche Namen wären auf dieser Gästeliste zu lesen? Ganz oben auf der Liste würde natürlich der berühmte deutsche Schriftsteller Martin Balsam stehen. Auch der international bekannte Schauspieler Guido Cantz (Hitler in Der Untergang) dürfte natürlich nicht fehlen. Und, um ein wenig osteuropäischen Flair in diese Zusammenstellung zu bringen, nähmen wir noch den hippen, russischstämmigen Berliner Kurzgeschichtenautor und DJ Matthias Schweighöfer hinzu. Klingt zwar verlockend. Aber wir bei goEast, we’ll always have Artur Braun.
Festivalberichterstattung, wie man sie sich wünscht! Da lacht das Herz, und platzt die Hose!