Geborgte Filme – endlich gesehen! #1: Großangriff der Zombies (1980)
Vorwort:
Wer kennt das nicht: Da ist man bei einem Freund zu Besuch, oft filmbegeistert wie man selbst, und man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Filme über Filme, alles will man sehen, und dann wird gebettelt: „Den muss ich uuunbedingt sehen… bitte, bitte, bitte… kriegst ihn auch bald wieder zurück…“. Die meisten Freunde sind leichtgläubig (deshalb sind sie wahrscheinlich auch Freunde), und schon ist es geschehen. Man nimmt den/die Film(e) mit nach Hause und dann? Exakt. Sie verstauben für Monate in der Ecke. Nicht dass man sie nicht sehen wollen würde. Aber man muß gerade ins Kino, dann läuft noch eben was im Fernsehen, und die ganzen anderen geliehenen Sachen müssen ja auch noch irgendwann gesichtet werden. Schließlich gibt es nicht nur Freunde, sondern auch naive Bekannte, Videotheken, Büchereien, und sonstige Modalitäten die der Filmaneignung dienlich sind. Auch wenn as mit den Videotheken oder Büchereien manchmal ganz schön teuer werden kann…
Um also mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, und einige der Filme die bei mir rumliegen endlich wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zuführen zu können, habe ich diese Rubrik ins Leben gerufen. Ein kleiner Anreiz vielleicht, die lange Liste abzuarbeiten und nebenbei auch noch etwas zu Papier zu bringen.
Den Anfang macht Umberto Lenzis „Großangriff der Zombies„, weil ich den gerade eben geguckt habe.
Incubo sulla città contaminata
(Umberto Lenzi / Italien, Spanien, Mexiko / 1980)
Die Verwirrung beginnt schon mit dem Titel: „Nightmare City“, „La invasión de los zombies atómicos“, „City of the Walking Dead“. Laut imdb eine italienisch-spanisch-mexikanische Koproduktion, habe ich zunächt Schwierigkeiten zu entscheiden in welcher Sprache ich den Film nun schauen will. Auf der DVD stehen mir (leider) nur 2 Optionen zur Verfügung: Deutsch oder Englisch. Da ich ein Hardcorecineast und Sparchenfetischist bin, sprich, mir immer alle Filme wenn irgend möglich im Original mit Untertiteln ansehen will, schaue ich bei besagter Internetseite nach der Orginialsprache: Italienisch und/oder Spanisch. Tja, was macht man da…? Entscheide mich schließlich für Englisch, nachdem ich in eine Dialogszene hineingeschaut habe, und mir sicher bin, dass einige Schauspieler in den Szenen definitiv Englisch sprachen oder zumindest versuchten diese Sprache zu imitieren. Außerdem hört sich die deutsche Synchro an derselben Stelle doch um einiges trashiger an, und viele italienische Filme wurden zu der Zeit bekanntlich auch für den englischsprachigen Markt gedreht. Mit einem letzten Gedanken an Mel Ferrer versuche ich die Entscheidung für die englische Tonspur zu rechtfertigen, und schon geht es los.
Vorspann ist schon mal Spitze. Tolle Musik (oh ja: Stelvio Cipriani!), und Aufnahmen von Panoramen und Straßenschluchten einer Großstadtmetropole. Atmosphärisch gelingt Lenzi hier schon die perfekte Einstimmung auf das kommende Geschehen. Ciprianis düstere Synthesizerklänge, getragen aber doch treibend, kombiniert mit anonymen Industriebauten versetzen mir ein wohliges Gruseln, und vermitteln bereits eine Ahnung von der drohenden Apokalypse. Ok, ganz neu ist das nicht. Irgendwie wirkt vieles bekannt, vor allem wohl aus George Romeros Dawn of the Dead (1978). Aber gut geklaut ist für mich trotzdem die halbe Miete. Tarantino ist schließlich nicht der Einzige der damit Kohle scheffelt. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein Virus hat wohl von einer handvoll Menschen Besitz ergriffen, die zu Beginn des Films in einem anonymen Flugzeug in einer nicht näher benannten amerikanischen Stadt landen. Es gelingt diesen „Zombies“ (später stellt sich heraus, dass es doch „lediglich“ radioaktiv verseuchte Menschen sind) in die Stadt einzudringen, wobei sie eine blutige Spur der Gewalt hinterlassen. Sie scheinen sinnlos alles zu attackieren was sich bewegt, wobei im Verlauf des Films auch klar wird, dass sie für ihr Überleben ständig frisches Blut benötigen. Also eher eine Mischung aus Vampir und Zombie, denn laufen, prügeln, autofahren und mit Maschinengewehren um sich schießen können sie auch. Der Protagonist, der die Invasion auf dem Flughafen miterlebt hat, ist Reporter, darf aber nicht berichten. Das Militär übernimmt, jedoch soll bei den Bewohnern der Stadt keine Panik ausgelöst werden. Natürlich kommt es wie es kommen muß. Die Situation gerät mehr und mehr außer Kontrolle, da die Infizierten praktisch unverwundbar sind und sich beliebig vermehren können.
Natürlich ist das Ganze nicht vollkommen ernstzunehmen. Die Dialoge sind meist hahnebüchen, das Make-up und die Splatterszenen grotesk, von stringentem Handlungsaufbau oder gar erzählerischer Kohärenz ist nichts zu spüren. Trash vom Feinsten könnte man also meinen. So einfach ist es jedoch nicht. Umberto Lenzi ist kein Amateur, versteht zumindest in einigen Aspekten sein Handwerk ausgezeichnet, und in seinen Filmen findet sich neben aller Übertreibung auch einiges an Ambivalenz was gesellschaftliche Zustände anbelangt. So auch in „Großangriff der Zombies“. Nicht zuletzt wegen der großartigen Schlußwendung (die ich an dieser Stelle nicht verraten will) rückt der Film in die Nähe von traumähnlichem (italienischen) Genrekino à la Argento, Fulci oder Bava. Dass es Lenzi nicht um einen traditionellen Realismusbegriff geht ist schon relativ bald klar. Realitätsfern ist der Film jedoch bei weitem nicht. Das Szenario einer Invasion von Außen war während des kalten Krieges ein beliebter Topos, doch Fulci gibt dem teilweise durchaus reaktionären Gestus seines Films einen interessanten Twist, wenn er das Bodysnatcher-Motiv leicht umfunktioniert. Denn wie es an einer Stelle des Films explizit formuliert wird: Die infizierten Lebewesen sind eindeutig keine Aliens, sondern Menschen wie du und ich. Und infiziert wird jeder der mit ihnen in Berührung kommt. Der Film trägt seine Botschaft denn auch über weite Strecken der Handlung vor sich her, und Fulci lässt seinen Protagonisten und dessen Freundin, die wir den ganzen Film über auf der Flucht beobachten, in einigen Szenen tatsächlich innehalten, nur um dem Zuschauer die (vorgeschobene) Argumentation wiederholt vorzuhalten: Die Menschen an sich sind schlecht (sprich infiziert), weil sie machtgierig sind, weil sie Fortschritt mit Technologie verwechseln, und weil sie sich schon längst von ihrer wahren Natur entfremdet haben. Der Zombie als natürliche Folge der (eingeschlagenen) Evolution. Neu ist das nicht, aber es funktioniert.
In Verbindung mit zahlreichen surreal anmutenden Sequenzen, die in den gelungensten Momenten an Fulcis „The Beyond“ (der tatsächlich später entstanden ist), besagten Romero und eben auch an die Traumwelten aus Argentos Suspiria und vor allem Inferno erinnern (besonders eindrucksvoll: Der Endkampf im verlassenen Vergnügungspark auf den Achterbahnschienen!), entsteht eine doch sehr eigenwillige Horrorfabel. Wer einen traditionell ernsthaften Genrefilm erwartet, wird aber wohl eher enttäuscht. Wie gesagt, kann man das natürlich auch alles lächerlich finden, und sich an den vorgeblichen Peinlichkeiten der Inszenierung ergötzen. Persönlich finde ich die Inszenierung in letzter Konsequenz (vor allem angesichts des Endes) jedoch durchaus agemessen und im Sinne einer spezifischen Reflektion über den Zustand der Welt auch kohärent. Was mir anfangs oft übel aufstieß oder einfach nur auf die Nerven ging, macht am Ende Sinn. Für mich war „Großangriff der Zombies“ eine lohnende und eindrucksvolle Erfahrung. Vielleicht lese ich in den Film zuviel hinein, und stehe in Wirklichkeit einfach nur auf die Kombination von Authentizität vermittelnder Handkamera und phantastischem Sujet, weil sich in diesem scheinbaren Widerspruch für mich automatisch zahlreiche Reflexionsebenen ergeben die die körperliche Erfahrung zwangsweise mit der psychischen verbinden, auch weit über den Film hinaus (siehe hierbei die beiden meiner Meinung nach großartigen Kannibalenfilme von Ruggero Deodato, Cannibal Holocaust und Ultimo mondo cannibale). Man könnte das als transgressiv bezeichnen – oder einfach von „Der Zauberer von Oz meets Jack the Ripper“ sprechen (mit einer Prise Ed Wood). Gegensätzliches, und scheinbar Unvereinbares ergibt oft die interessantesten Kombinationen.
Der innere Widerspruch der sich in „Großangriff der Zombies“ aus ausgestelltem voyeuristischem Exzess und einer offensichtlichen, im Grunde vielleicht banalen Gesellschaftskritik ergibt, erzeugt einen Widerstand der reinen Oberfläche, eine Öffnung zugunsten eines möglichen Phantasmas. Das heißt im Endeffekt nichts anderes, als dass der Film für mich in der Auseinandersetzung unheimlich gewinnt. „Großangriff der Zombies“ ist ein Musterbeispiel für die in der bürgerlichen Kritik oft verleugneten Qualitäten des Genrekinos, nicht nur im Italien der 60er, 70er oder 80er Jahre (genausogut könnte man manchen „Unterhaltungsfilm“ der NS-Zeit, oder das frühe Stummfilmkino – vor der Herausbildung der künstlerischen Ambitionen der 20er Jahre – als Beispiel heranziehen). Man könnte noch einiges über Lenzis permanente Fetischisierung des Körpers schreiben, die ent/subjektivierung des Blicks, oder die Ökonomie von Objekten. Ob es für einen guten Film auch einen guten Regisseur braucht weiß ich nicht. Aber dass ich noch viel mehr von Umberto Lenzi sehen will steht für mich nun eindeutig fest.
Sehr schoen! Dafuer, dass du bisher kaum Kritiken auf deutsch geschrieben hast, machst du dich alles andere als schlecht.;-) Eine sehr uebersichtliche (*Neid*) Gedankensammlung, sprachlich klar und schoen einfach verpackt (was mir als Schwurbelmeister natuerlich imponiert). Ich persoenlich halte die gross angreifenden Zombies zwar eindeutig fuer einen der Trash-Lenzis (warte nur, bis du nach diesem Film und seinen wunderbaren Poliziesci und Gialli zu seinen Schlock-Horrorfilmen der spaeten 80iger / fruehen 90iger vordringst – vielleicht kann ich mit meinen upcoming Reviews ja deine Neugierde wecken), prinzipiell finde ich vor allem die letzten beiden Absaetze aber sehr bemerkenswert, da du in ihnen fast kongenial einen meiner wesentlichen Ansaetze an dieses Kinos beschreibst – das Anerkennen von Metareflexionen, die ueberwiegend automatisch, vielleicht auch unfreiwillig als Seitenprodukt entstehen – und die m. E. durchaus ins Zentrum der Rezeption ruecken duerfen. Das spielt gerade in meiner Reihe mit italienischem C-Horror eine Rolle, da hier voellig entgleistes Filmhandwerk sich mit genuinem Talent und einem gesellschaftlichen Gewissen sowie einem kulturellen Romantizismus paaren sodass am Ende dieser Kette doch mehr steht als nur ein schundiger Billigfilm, sondern ein formal interessanter wenn auch halb verunglueckter Versuch eines „ganz normalen, guten Films“.
Vor allem dieser Satz besitzt hier eine Schluesselfunktion:
„Der innere Widerspruch der sich in „Großangriff der Zombies“ aus ausgestelltem voyeuristischem Exzess und einer offensichtlichen, im Grunde vielleicht banalen Gesellschaftskritik ergibt, erzeugt einen Widerstand der reinen Oberfläche, eine Öffnung zugunsten eines möglichen Phantasmas. Das heißt im Endeffekt nichts anderes, als dass der Film für mich in der Auseinandersetzung unheimlich gewinnt.“
Ich kann zwar nicht ganz nachvollziehen, wo du in dem Film die entrueckten, traumartigen Qualitaeten ausmachst (das war gerade das, was mich seinerzeit daran enttaeuscht hat – in seinen Gialli hat Lenzi gezeigt, dass er ohne weiteres eine sehr beklemmende Atmosphaere erzeugen kann und gerade die fehlt dem GROSSANGRIFF m. E. voellig) aber ich vergesse dabei immer wieder, dass ich hier als Italo-Fan im Endstadium einen Text lese von jemandem, der noch in den Startloechern (vielleicht nicht ganz, nach fast 3 Jahren mit Andi und mir^^) steckt – als ich den Lenzi gesehen habe, hatte ich mich bereits durch zig andere italienische Horrorfilme gefuttert.
Und gerade weil Lenzi so ein unglaublich physischer Filmemacher ist (habe vor zwei Wochen DIE VIPER wieder gesehen und war fassungslos – der Film ist einfach purste, rohe Energie, genauso wie auch CAMORRA und DER BERSERKER)
Auch sehr treffend, was du zu der Inszenierung schreibst – ich glaube, dass die Italiener immer dieses unglaubliche Selbstbewusstsein hatten, dass sie selbst bei Minimalsbudgets nie voellig abgleiten hat lassen. Vor allem bei Umberto Lenzi, der anscheinend ein unfassbar wohlgenaehrtes Ego hat (habe kuerzlich ein Interview mit ihm gesehen, in dem er Fulci und Argento heftig fuer die fehlende Logik ihrer Drehbuecher kritisiert und seine Poliziesci fuer ihren souveraenen Stil und PARANOIA fuer seinen tollen „final twist“ lobt – sehr eigenartig, wenn ich da an einige seiner spaeteren Filme denke) und unter den grossen Namen des Italo-(Genre)Kinos einer der pragmatischsten war. Ich wuerde dir empfehlen, zunaechst einen seiner Gialli aus den fruehen 70igern (KNIFE OF ICE, DEADLY TRAP oder DAS RAETSEL DES SILBERNEN HALBMONDS – eigentlich egal welchen) und einen seiner spaeteren Schlock-Action / Horrorfilme aus den 80igern zu sehen um deinen Ersteindruck abzurunden. Ich habe ueberrascht festgestellt, dass ich schon um die 12 Filme von ihm gesehen habe, ganz einfach deswegen, weil er so lange aktiv war und sich in all meinen bevorzugten Subgenres eifrig betaetigt hat. Das hat er ja auch mit Fulci und z. B. Sergio Martino sowie dem schrecklichen Bruno Mattei gemein – und es ist immer wieder interessant, wie im Vergleich die Gialli und Horrorfilme dieser Herren bei mir persoenlich als „gute“ Filme besser abschneiden als ihre Action / Fantasy / Endzeit-Filme weil sie einfach markanter, interessanter, sperriger und stilistisch interessanter sind und oefter ohne erfolgreiche amerikanische Schablonen auskommen als vormals genannte Felder (auch wenn ich mir nach Lenzis CONAN-artigem Trasher IRONMASTER und seinem Ami-Sl(Tr)asher NIGHTMARE BEACH schon lange die Finger ablecke:-D).
Allerdings finde ich es irritierend, wie oft du in dem Text den Film mit Reizbegriffen, die sonst eher in eben jener besagten buergerlichen Filmkritik ueblich sind, als Genre-Kino (das er ist, keine Frage) definierst in einem Zuge mit Fulci, Argento und Bava die mir, je laenger ich dem Genuss ihrer Filme froene, immer weniger als Genrefilmer erscheinen weil sie die Formelhaftigkeit des Genrekinos und die Formlosigkeit des Experimental- und (partiell) Stummfilms mit solcher Willkuer so verwenden, wie es ihnen gerade passt dass im Endeffekt ihre zwiespaeltige Reputation das beste Indiz dafuer ist, dass nur bestimmte Filme aus ihrem Schaffen als Genrefilme (primaer als solche!) eine hervorragend Reputation geniessen.
Nun ja, hier beginnen meine Ideen zum Thema zu komplex fuer ein Posting zu werden und wir diskutieren das Ganze besser live nach meiner Rueckkehr oder weiterhin hier mit Eroeffnung meiner Schlock-Ausstellung. Im wesentlichen bin ich jedenfalls sehr angetan von deinem Text, weil du indirekt einen interessanten, vorbildlichen Rezeptionsvorschlag (oder auch einfach nur eine Anregung gibst) machst, der Filmen wie diesen viel zu selten zuteil wird, da die Mauer, die hochoffiziell „gut“ und „schlecht“ trennt, nicht oft durchbrochen wird. Meine Faszination fuers italienische Genre-Kino, die vor 7 Jahren mit einer Sichtung von Argentos DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE begann, erscheint mir heute in einem neuen Licht – im Zuge meiner Bemuehungen, die Faehigkeit zur Ignoranz gegenueber herkoemmlichen Qualitaets- und Serioesitaets-Vorstellungen im Kino bei Bedarf abschuetteln zu koennen, zu entwickeln. Oh je, was fuer ein verschwurbelter Satz. Ich werde mich wohl nie bessern.8-)
PS: Dass du die beiden Deodato-Kannibalenfilme so toll findest, finde ich total erstaunlich;-). Darueber muessen wir uns auch mal unterhalten, allerdings habe ich bisher MONDO CANNIBALE 2 leider noch nicht gesehen).
PPS: Wie waere es vielleicht auch damit?:
http://www.youtube.com/watch?v=bRDMoadQxc0
oder damit (Welten, die dazwischen liegen, Welten…):
http://www.youtube.com/watch?v=GyiLMz0xM5I
Uebrigens hast du ja CANNIBAL FEROX auf DVD, wie mir gerade eingefallen ist…
PPS: GROSSANGRIFF ist sicherlich weder auf italienisch noch spanisch sondern einfach, wie immer damals, ohne Ton gedreht worden. Und da du, wie immer, auf die dt. Synchro verzichtet hast, hast du auch Horst Tappert als Mel Ferrers Stimme versaeumt.;-)
Wie du richtig bemerkst bin ich selbst nach 4 Jahren intensiver Bearbeitung durch dich und Andreas immer noch in der Anfangsphase meiner Beschäftigung mit dem italienischen Kino. Aber da ich ständig viel darüber höre oder lese, gehe ich unter anderem auch deswegen natürlich weniger unbedarft an die Filme heran, als ich das als Jugendlicher getan hätte. Für mich wahren die „traumartigen Qualitäten“ die du bei diesem Film vermisst durchgehend vorhanden, und die bedrückende Atmosphäre entsand für mich vor allem durch die intensive Leere der großflächigen Räume. Fast nie ist etwas los in dieser postapokalyptischen Landschaft, selten jemand zu sehen. Das hat sicher auch mit dem beschränkten Budget zu tun, aber meiner Meinung nach auch sehr mit der Inszenierung. Das ist eindeutig eine der großen Stärken des Films. Die minimalistische Musik verstärkt dann noch zusätzlich das Träge, Verträumte, Verlassene, der abgebildeten Welt. Wann hast du „Großangriff“ denn zuletzt gesehen? Könnte mir stark vorstellen, dass er dir bei heutigem Wiedersehen besser zusagt. Vor allem die Sequenz im verfallenen Vergnügungspark ist in der beschriebenen Hinsicht kongenial umgesetzt. Auf deine Empfehlungen greife ich gerne zurück. Trotz zahlreicher Gespräche über Lenzi, habe ich ja immer noch erst 2 seiner Filme gesehen!
Bezüglich des Gebrauchs von Begriffen der „bürgerlichen Filmkritik“ die du mir vorwirfst, verhält es sich ja so, dass ich sie hoffentlich etwas anders handhabe. Ursprünglich habe ich ja als angehender Cineast die Existenz von Genres bestritten, und diese Position vertrete ich zum Teil immer noch (das hier auszuführen würde aber zu weit führen). Nur habe ich durch meine langsame Entdeckung und Begeisterung für das sogenannte Genrekino (welches ich früher nicht ausstehen konnte), begonnen manches in anderem Licht zu sehen. Wenn ich von Genrefilmen spreche, benutze ich diese Begriffe nicht in negativem Sinne, oder in qualitativer Abgrenzung zum Autorenkino oder ähnlichen Konstrukten, sondern um auszudrücken, dass sich ein Regisseur stark mit Genreelementen auseinandersetzt. Daher sind für mich Regisseure wie Argento immer (auch) Filmemacher die in oder mit Genres arbeiten. Eine frühe Definition von „Auteur“ war ja in den 50ern, soweit ich weiß, die Betonung von spezifischen Handschriften/Stilistiken amerikanischer Regisseure, wodurch sie ihren Genrefilmen (denn nichts anderes war im Prinzip das gesamte klassische Hollywoodkino) etwas jeweils einzigartiges verleihen konnten. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist für mich Michael Curtiz, den ich genau dafür schätze. In diesem Sinne sehe ich Martino, Argento, Margheriti, Castellari, Corbucci, Leone und viele Andere sehr wohl als „Autorenfilmer“. Und Lenzi gehört denke ich ebenfalls in diese Sparte. Wen man (oder „die Kritik“) im Endeffekt für interessanter hält, hängt natürlich vom Geschmack, den Vorlieben und Trends der jeweiligen Zeit, aber auch von der Sichtbarkeit und Verfügbarkeit der Filme ab. Jemand der zum Beispiel noch nie was von Fernando Di Leo gesehen hat, kann sich auch schwer eine Meinung zu ihm bilden.
Wann geht es denn übrigens endlich mit der Veröffentlichung deiner Schlockreise los? Bin schon seeeeeehr gespannt auf die Texte!! Und wie du weist, stehen wir dir alle zur Seite, wenn immer noch gewünscht auch mit eigenen Textbeiträgen (mein Fulci blickt mich in letzter Zeit immer wieder verführerisch vom Regal an). 🙂
Über die Kannibalenfilme von Deodato könnten wir ja eventuell nach einer gemeinsamen Sichtung von „Cannibal ferrox“ diskutieren (und dann natürlich auch gerne ausgiebig über den Lenzi)? 😀
Zu den Synchronangelegenheiten des italienischen Kinos sage ich aber nix mehr. Du kennst meine Meinung.
Kann deinem Post eigentlich nur zustimmen und angesichts deiner Aussagen sowie deiner bisherigen Erfahrungen mit dem italienischen GenreAUTORENfilm auch gar nicht verstehen, warum dich die Italomanie noch nicht vollends gepackt hat. Aber du bist da eben ein bischen anders als ich, der ich immer sofort eine amour fou eingehe mit allem, was mich mehr als dreimal so richtig begeistert.
Lenzi sehe ich inzwischen eigentlich auch in einer Reihe mit den von dir aufgezählten Regisseuren, irgendwie ist ihm einfach das gleiche wiederfahren wie allen anderen auch: Der Zusammenbruch der italienischen Filmindustrie hat auch ihn in den 80igern zugrunde gerichtet, wie alle anderen auch. Daraus würde ich ihm keinen Strick drehen, eher daraus, dass er z. B. reichlich distanzlos selbst seine schäbigen Kannibalenfilme noch als künstlerische Errungenschaft feiert. Na ja, wenn du ihn mit mir ansiehst, lasse ich CANNIBAL FEROX vielleicht noch einmal über mich ergehen. GROSSANGRIFF habe ich übrigens tatsächlich schon seit 5 Jahren nicht mehr gesehen, allerdings wird mich bei einer erneuten Sichtung sehr wahrscheinlich immer das Amerikanische des Films stören. Ich empfinde das – und Lenzi gehört zu den Regisseuren, die das besonders konsequent betrieben haben – immer als einen Verrat an den so eigensinnigen, europäischen Qualitäten des Italo-Kinos in den 60igern und 70igern. Man hat im Endeffekt ein aufwändiges 3 Gänge-Menue durch Fast Food ersetzt und nur dem Talent der Köche ist es zu verdanken, dass viele der 80iger-Italofilme immer noch etwas Einzigartiges an sich haben.
Stelvio Cipriani hat, bei aller Liebe zu dem wunderbaren Titelthema von GROSSANGRIFF, auch seine besten Scores in den 70igern geschrieben, bevor er den Zwang verspürte, seinen Beitrag zum Synthie-Trash zu liefern. Aber dir muss ich das ja nicht sagen, du hast die treibende Musik von LA POLIZIA CHIEDE AIUTO ja sicherlich noch im Ohr;-)
Wann die Schlockreihe startet, weißt du ja. Wenn es dir nicht schnell genug gehen kann, dann lach einfach mal zurück, wenn dich dein Fulci wieder einmal anlacht und steuere dein Scherflein bei, auf dass sich die Schlockoladen-Schachtel weiter fülle. Mir hängt das Zeug momentan zum Hals raus, aber das kann sich schon binnen zwei oder drei Wochen wieder schlagartig ändern.;-) Es gibt übrigens auch noch einen Lenzi, der für die Reihe noch besprochen werden müsste, BLACK ZOMBIES von 1991. Wie wäre es denn damit? Na?
Und was die Synchron-Angelegenheiten betrifft sage ich dir nur, dass du zum einen bisher viel zuwenige englische Porno-Synchros italienischer Filme gehört hast (ORGASMO von Lenzi würde dich wahrscheinlich kurieren^^) und zum anderen: Englisch ist auch nicht näher am Italienischen als Deutsch. Aber die Deutschen konnten wenigstens mal synchronisieren. Als langjähriger Krieger in diesem Kampf kann ich die englischen Sprachfassungen, die ihrem deutschen Pendant (sofern es sich um eine Kino-Synchro handelt) qualitativ überlegen sind, an einer Hand abzählen. Allein schon die Tatsache, dass englische Dubs italienischer Filme damals beinahe immer vor Ort, also in Rom, erstellt wurden um die Filme direkt und einfacher weiterverkaufen zu können, sollte einem zu Denken geben. Dort hat man sich einfach an amerikanischen und britischen Pappnasen geholt, was man kriegen konnte. In Deutschland nicht. Wenn ich bedenke, dass ein Film wie THE RIFFS bei Hermes Synchron die Königsbehandlung bekommen hat – dagegen kommt kein Nick Alexander an.