17. Hofbauer-Kongress, Aufriss #12: Spritzigkeit und Tristesse…
…gehen oft Hand in Hand auf den Kongress, und so werden wir zwei Gegenpole in der Nacht von Samstag (06.01.) auf Sonntag gegen 1:30 Uhr voraussichtlich im direkten Zusammenspiel darbieten, vorbehaltlich spontaner Änderungen.
Da wäre zunächst eine Extra-Portion guter Laune: 45 Minuten musikalische Kurzweil mit einer vom Filmmuseum Düsseldorf jüngst zusammen gestellten 16mm-Scopitones-Rolle! Wer beim 13. Kongress anwesend war, wird sich an eine damals von Bernd Brehmer aus dem Münchner Werkstattkino präsentierte Zusammenstellung freudig erinnern. Scopitones (aus dem Griechischen: „Klangbetrachter“) gelangten vor allem in den 1960ern zu großer Popularität: In Jukebox-artigen Geräten konnte man Chansons, Schlager, Balladen, Country- und Popmusik nun nicht mehr nur hören, sondern dazu auch noch die Interpreten und ihr Gefolge in tanzender Aktion betrachten – und nicht selten ging es dabei reichlich wild und delirant zu, erhoffte sich mancher Star durch beherzten Einsatz beim Besteigen der Tonleiter auch einige Karrierestufen nach oben zu klettern… Als die Scopitones irgendwann aus den Geräten verschwanden, wurden die kurzen 16mm-Musikfilme zu gefragten Sammlerobjekten. Und so heißt es nun endlich wieder: Let’s twist again, auf dass durch kessen Hüftschwung die steif gewordene Lendensahne wieder geschmeidig wird, während zur agilen Kurvendiskussion die Zunge schnalzt, die Füße wippen, der Rock verrutscht und die Hose zwickt, bis die Kinositze zu eng für den Bewegungsdrang werden…
Doch genug von sonnig strahlenden Stars, fühlt sich das Hofbauer-Kommando doch auch den Schattenseiten und Ambivalenzen des Lebens verpflichtet. Daher führt unser Weg nach so viel Wonne in einer schicksalhaften Wendung hinein in abgründigere Gefilde: In die Absteigen der Ausbeuter, die Spelunken der Sünde, die Rasthäuser der Unzucht – kurzum also: In die Hinterhöfe der Liebe, wo es eng und ungemütlich zugeht, und wo (wie schon der Duden betont) wenig Sonne und wenig Grün zu finden ist. Wo also zarte Knospen des Lebenshungers von Aasgeiern in schnelles Geld umgemünzt werden, da nahm die Karriere des Erwin C. Dietrich langsam Fahrt auf. So reduziert in der Ausführung und sparsam in der Länge (75 Minuten) seine filmischen Unternehmungen mitunter auch sein mochten, so gelangen ihm gerade in diesen Jahren bis zur Schwelle der 1970er als Produzent und als Regisseur zweifellos die reizvollsten Arbeiten, solange er sein zwielichtiges Ansinnen noch in erzählerischen Kontext zu gießen hatte und nicht unmotiviert in leblos-klamaukigem Bettgetümel ausbreiten konnte.
Kolportage-Poesie in schwarz-weiß war im besten Falle das Resultat, etwa unter der Regie von José Bénazéraf, Peter Baumgartner oder Ernst Hofbauer. Bei Hinterhöfe der Liebe handelt es sich indes um einen „Klebefilm“, dessen originäres Material mit einigen Szenen aus Hofbauers Schwarzer Markt der Liebe sowie aus Der Würger vom Tower angereichert wurde. In den Tagen der Weinstein-Debatte besonders interessant: Regisseur Erwin C. Dietrich spielt selbst eine Nebenrolle im Film – als schmieriger Sexfilmproduzent, der auf der Besetzungscouch die horizontalen Qualitäten der eigentlich lieber vertikal aufstrebenden Darstellerinnen einer persönlichen Prüfung unterzieht. Und damit nicht genug der Meta-Ebene: In einer anderen Sequenz wird eine gefälschte Zeitung in Auftrag gegeben, von jemandem, der sich als Mitarbeiter von Dietrichs Urania-Film ausweist. Das denkwürdige Personal des Films umfasst ansonsten unter anderem einen schmierigen Wirt, der säumige weibliche Übernachtungsgäste unverzüglich die Schulden auf dem knarzenden Lattenrost eintreiben lässt, und ein als dubioses Comic-Relief inszeniertes Muttersöhnchen, das es weniger brutal als vielmehr kläglich bettelnd versteht, graue Mäuse in aufopferungsvolle Strichkatzen zu verwandeln.
„Das ist eine weitere bundesdeutsche Fortsetzung aus der internationalen Serien-„Aufklärung“ über Mädchenhandel und Strip, Zuhälterei und Nepp, über die „große Liebe zu 70“, „die kleinere Ausführung zu 50“ und die billigste Voyeur-Ausführung zu zweimarkfuffzig im Kino an der Gassenecke. Nach all dem ist unerklärlich, wieso es für solche Gewerbe immer noch Opfer gibt, Nachwuchs und Kundschaft.“ – Was der Katholische Filmdienst wohl dazu sagen würde, dass es 50 Jahre später an einer Nürnberger Gassenecke nun erneut Opfer, Nachwuchs und Kundschaft geben wird? Immerhin gesteht auch Onkel Fürchtegott zu: „Aber es gibt noch Gerechtigkeit: All die fiesen Zuhälter kriegen in der Herbertstraße die Hucke voll gehauen, von den rebellierenden Girls, und zwar ganz dokumentarisch.“ Mit dem Ausblick auf dieses helle Licht im tiefsten menschlichen Dunkel lädt das Hofbauer-Kommando „zwischen Nacht und Morgen“ zu einem Bummel in die schummrigsten Ecken von St. Pauli, in diesem bislang nicht digital veröffentlichten raren Dietrich-Frühwerk, das hier womöglich zum letzten Mal von einer bereits vom Essigsyndrom befallenen Kopie vorgeführt wird.
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