14. Hofbauer-Kongress, Aufriss #15



L. Lasso, Ihr FWU-Host


Ganz richtig merkte Gary Vanisian vom „Filmkollektiv Frankfurt“ – welches uns im November 2014 zu einem auswärtigen Sondergipfel lud – im Vorfeld selbiger Veranstaltung an, dass die Lehrfilme des FWU (Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht) inzwischen ein unentbehrlicher Teil des HK-Lebensgefühls geworden seien. Eng ans Herz gewachsen sind sie uns in der Tat, jene kleinen, grobkörnigen und wahlweise rührenden, trübsinnigen, amüsanten oder finsteren Schmalfilm-Zeugnisse deutscher Tristesse, die wohlmeinend, aber unvermeidlich steif und altväterlich den Schwierigkeiten des Gefühls-, Familien-, Sexual- oder des Soziallebens im ganz Allgemeinen nachspüren. Viele von uns erlebten diese Filme noch im Kontext ihrer ursprünglichen Bestimmung: Als Anschauungsmaterial im Schulunterricht, mit einem aus dem „Technikraum“ herbeigerollten 16mm-Projektor an die Wand des Klassenzimmers geworfen. Heute sind diese Filme aus den Schulen und Sozialeinrichtungen verschwunden. Produktionen jüngeren Datums auf digitalen Datenträgern haben ihren Platz eingenommen. Das ist verständlich, legt aber auch nahe, dass es an der Zeit ist, sich dem über die Jahrzehnte hinweg in enorme Dimensionen aufgedunsenen FWU-Filmkörper aus einer anderen Perspektive zu nähern.

Die mal fiktiven, mal dokumentarischen Kurzfilme des FWU verursachen ins uns nicht selten jene Fassungslosigkeit im Angesicht zeitgeistiger Entgleisungen, moralistischer Extremitäten und versunkener Gesprächstonlagen, die auch während der im Rahmen der Hofbauer-Kongresse gezeigten Spielfilme Besitz von uns ergreift – ganz besonders natürlich in der Behandlung jener Themen, die Eltern und Pädagogen von jeher schlaflose Nächte bereiteten. Während wir uns im Juli vor allem der Sexualaufklärung und dem Miteinander der Geschlechter widmeten, werden wir im Januar einen Vorstoß in finsterere Gefilde wagen: Betäubungsmittelmissbrauch und Alkoholismus stehen auf dem Stundenplan und werden mit stählerner, gestrenger Geste dokumentiert, dämonisiert, diskutiert, kommentiert, verurteilt und verfemt. Alle Vorurteile über fixende, langhaarige Bombenleger werden bestätigt in WEM NÜTZEN DROGEN? (Aki Moto, Ralf Fehlbaum, 1973), der sich nicht zu schade ist, ausgedehnten Kamerafahrten entlang der Mauern einer Entzugsanstalt und des Stacheldrahtzauns um ein Gefängnis „Child in time“ und „Waiting for the sun“ zu unterlegen. Im amerikanischen Beitrag ALKOHOL – WIE STEHST DU DAZU? (1976) wird Verzicht aus Schüchternheit mit der Flasche überwunden, was dazu führt, dass „junge Menschen sich einer Kleinigkeit wegen den Schädel einschlagen wollen“, während andere nur trinken, „um als der erfolgreiche Gesellschaftslöwe zu gelten, den die Werbung mit dem Glas in der Hand propagiert.“ (FWU) Unbarmherzig, aber auch an der Grenze zur eigenen Karikatur weidet sich daraufhin eine Shockumentary-artige Produktion der „Scottish Health Education“ (!) mit dem haarsträubenden Titel DYING OF THIRST (Sarah Erulkar, 1975) an der Würdelosigkeit orientierungslos durch Disco-Schuppen und nächtliche Straßen torkelnder „Rotweinbrüder“ und -schwestern, die schließlich in „Trinkerasylen“ (FWU) enden. Und um das lose Maß der trostlosen Dinge vollzumachen, werden wir zuguterletzt in UND DIE MUTTER BLICKET STUMM AUF DEM GANZEN TISCH HERUM (Hedda Rinneberg, Hans Sachs, 1982) erschütterte Zeugen des einsamen, vormittäglichen Cognac-Besäufnisses einer frustrierten Hausfrau, die am Kopf einer verwüsteten Frühstückstafel profunde Trübsal ins bauchige Spirituosenglas bläst.

Mit Belehrungen und abschreckenden Beispielen ist es jedoch so eine Sache: Ein mahnender Oberlehrer-Duktus führt nicht selten zu trotzigen Abwehrreaktionen, und das Hofbauer-Kommando führt als amoralische Institution mit der Aufführung dieser Zusammenstellung selbstverständlich keine allumfassende Ausnüchterung im Schilde. Vielmehr soll sie uns, wenn schon freilich nicht als Vorbild, so doch als Prelude dienen, als Vorspiel unserer inzwischen obligatorischen Kongress-Austrübung in der berüchtigten Nürnberger Absturzkneipe „Meistertrunk“, in der wir nach den theoretischen Ausführungen der FWU-Gelehrten unsere eigenen Feldstudien zum Thema Alkoholmissbrauch zu betreiben gedenken. Seid unverzagt und folgt uns, denn: Verzicht ist schön, doch Exzess ist besser.

Zu verdanken haben Hofbauer-Kommando und KommKino die Beschaffung eines Großteils dieser Kleinodien sowie die generelle Hinwendung zu den mannigfaltigen Wundern der FWU-Filmwelt übrigens dem umtriebigen 16mm-Trüffelschwein L. Lasso (mittig im Bild). Mit seinem unermüdlichen Eifer bei der Suche nach, dem Erwerb von und schließlich enthusiasmierender Vorführungen dieser lehrreichen Bewegtbilderzeugnisse hat er uns alle im Lauf des erklecklichen Jahres 2014 infiziert und bereichert. Zählte das Archiv des KommKino noch 2013 nicht einen einzigen FWU-Film, sind es inzwischen schon weit über 300 Titel (viele der alten „Kreisbildstellen“ werden derzeit aufgelöst), die allesamt darauf warten, von uns auf ihre HK-Relevanz unter dem Gesichtspunkt der „Trunst“, der Kunst des Trüben und der Tristesse, untersucht und anschließend euren lernwilligen Augen und Ohren zugeführt zu werden. Ein edelstählernes Hoch auf L. Lasso, den Schatzgräber des naturtrüben Filmgoldes!

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Dezember 23rd, 2014 in den Kategorien Blog, Das Hofbauer-Kommando, Festivals veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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