13. Hofbauer-Kongress, Aufriss #4
Einem Phänomen der 1960er Jahre werden wir im Juli nachspüren. Passend zum Werbespruch „Mit viel Musik und guter Laune“ (siehe Aufriss #2), der durchaus auch als Motto dieses Kongresses durchgehen könnte, begeben wir uns zu den Ursprüngen der seit den 1980er Jahren populären Musikvideos. Während deren Heimat das Fernsehen und mittlerweile oft auch das Internet ist, geisterten ihre Vorgänger durch zwei Meter hohe und rund 200 Kilo schwere Holzschränke. Diese Film-Jukeboxen erlebten vor allem zwei große Blütezeiten: In den 1940ern in den USA und in den 1960ern in Frankreich.
Die sogenannten „Soundies“, von denen in den USA zwischen 1941 und 1947 über 1800 verschiedene Exemplare produziert wurden, waren rund dreiminütige Musikfilme, teilweise mit Sketch-Einlagen verknüpft. Jazzfilme machten einen großen Anteil aus, aber auch Klassik, Country, Swing und andere Musikrichtungen waren vertreten. In den Bildern sah man entweder die Musiker beim Einspielen ihrer Stücke, oder es gab Tänzerinnen und Tänzer zu bewundern, die sich oft in wilder Bewegungslust zu den Tönen verausgabten. Panoram hieß die verbreitetste Jukebox zum Abspielen der kurzen 16mm-Filme. Auf den Filmspulen waren jeweils acht Filme, die über eine Reihe von Spiegeln auf einen kleinen Bildschirm oben auf der Box projiziert wurden.
Von 1959 bis 1978 datiert wird die Zeit der „Scopitones“ (aus dem Griechischen skopein und tónos abgeleitet, wörtlich: „Klangbetrachter“), der wir uns beim Kongress widmen werden. Im Gegensatz zu den schwarz-weißen Soundies waren die Scopitones in Farbe und nutzten deren Gestaltungsmöglichkeiten auf mitunter delirierende Weise. In Zeiten von s/w-Fernsehen und Radio stellten sie eine aufregende Neuerung dar. Technisch funktionierten die Scopitones ähnlich wie die Soundies: Abgespielt wurden 16mm-Magnetton-Filme, von denen allerdings in der Jukebox auf einem Karussell insgesamt 36 Stück jeweils auf 30-Meter-Filmspulen Platz fanden. Gegen Münzeinwurf konnte man sich durch Betätigen der entsprechenden Taste im Auswahlmenü eines der verfügbaren Musikstücke aussuchen, das dann auf einem oben auf der Jukebox angebrachten Monitor abgespielt wurde.
Obwohl zunächst eine französische Erfindung, erfreuten sich die Scopitones im Laufe der 60er Jahre bald auch in den USA, in England, in der BRD und sogar in arabischen Ländern einiger Beliebtheit. Etwa 2000 bis 3000 Abspielgeräte gab es weltweit, die Anzahl der insgesamt produzierten Filme lässt sich kaum abschätzen, einige Tausende dürften es sicherlich sein. Der musikalische Schwerpunkt lag auf Chansons, Schlagern, Balladen, Country und Popmusik. Gedreht wurde meist nur an einem einzigen Schauplatz, gelegentlich an Sets abgedrehter Spielfilme. Das Budget lag oft kaum über 1.000 Euro, die Drehzeit betrug meist nur wenige Stunden. Gab es keine Story, wurde intensiv getwistet. Das war überall möglich: im Schnee, im Zug, im Pool. So begab es sich, dass Stars geboren wurden, die zwar nicht singen, aber perfekt twisten konnten und in erster Linie sexy waren. Es kam auch vor, dass man – oft ohne Wissen der Künstler – die Scopitone-Filme mit harmlosen, aber damals aufreizenden Busen-Beine-Po-Zwischenschnitten aufgemöbelt hatte. Der Konflikt mit örtlichen Zensurbestimmungen und sonstige Rechtsstreitigkeiten sorgten neben der Verbreitung des Farbfernsehens ab Ende der 60er Jahre dann auch für den Niedergang der Scopitones.
Aufgestellt waren die Scopitone-Schränke in Cafés, Kneipen, Flughäfen, Raststätten, Bars oder Nachtclubs. In mitunter durchaus auch zwielichtiger Atmosphäre gierten die Münzschlitze danach, von amüsierwilligen Besuchern mit ein paar Groschen gefüttert zu werden, und die Film-Jukeboxen spuckten im Gegenzug ein paar Minuten lang schwungvolle Bilder und Töne aus. Die eher wenigen deutschen Scopitones landeten irgendwann auf der Reeperbahn und reagierten dort nunmehr eher mit Stöhngeräuschen, wenn man sich an ihren Schlitzen zu schaffen machte…
Mit dem Aussterben der Scopitones wurden die zugehörigen Filme als Tausch- und Sammelobjekte unter Fans teils hoch gehandelt, nachdem sie auch über herkömmliche 16mm-Magnetton-Filmprojektoren abspielbar sind. Wir freuen uns sehr, dass am Sonntag, den 27.7. um 19:30 Uhr Bernd Brehmer vom Münchner Werkstattkino bei uns im KommKino zu Gast sein wird, um aus dem umfangreichen Fundus dieses unschätzbaren Archivs ein mitreißendes Programm mit Scopitone-Filmen in den originalen 16mm-Kopien zu präsentieren. Versprochen wurden unter anderem Auftritte von Sylvie Vartan, Petula Clark, Dalida, Debbie Reynolds und Alice & Ellen Kessler. Es werden auch Scopitones von Claude Lelouch zu sehen sein, dessen Produktionsfirma „Les Films 13“ zwischen 1961 und 1964 etwa 200 solcher Filme produziert hat, bei denen er auch selbst gelegentlich als Regisseur tätig war. Wir sind selbst gespannt, was uns in diesem Programm alles erwartet, und wippen mit Füßen und Hüften bereits in freudiger musikalischer Erwartung!
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