100 Deutsche Lieblingsfilme #50: Gib Gas – Ich will Spaß (1982)
„Ich heul nicht, ich tu nur so.“
Bundesrepublik 1982. Markus und Nena stürmen die Charts. Ein Film muss her. So in etwa könnte man sich die Entstehungsgeschichte von Gib Gas – Ich will Spaß zusammenreimen. Wäre da nicht… aber lassen wir das. Es genügt, wenn wir sagen: Es war wohl ziemlich chaotisch. Alles rein und mehrmals kräftig umrühren. Sieht man sich den Film heutzutage an, möchte man aber gar nicht, dass irgendetwas anders verlaufen wäre. Er ist perfekt. So perfekt wie ein Film dieser Machart nur sein kann. Was für ein Wunder Wolfgang Büld da vollbracht hat?
Ein Film der so sehr einen bestimmten Zeitgeist ausschöpft, sich seinen Protagonisten auf Gedeih und Verderb ausliefert und sich dem Moment seiner Entstehung in dieser Form hingibt, scheint hierzulande leider nur alle paar Jubeljahre zu entstehen. Und noch seltener wird diese Leidenschaft geschätzt oder gar belohnt. Zum finanziellen Misserfolg gesellt sich oft noch eine tüchtige Portion Häme, und die Mär vom peinlichen Kommerzprodukt nimmt ihren gewohnten Lauf (man denke beispielsweise an die vielgeschmähte Wundertüte Daniel, der Zauberer (2004)). Fremdscham ist in Deutschland immer noch ein Volkssport.
Markus und Nena. Wenn nicht gerade Karl Dall durchs Bild albert, Markus‘ Kumpel Andy seine Gaumenfreuden mit uns teilt oder Nenas Schwarm Tino (der in jeder Szene anbetungswürdige Enny Gerber) die Szenerie beherrscht, sind wir meist ganz allein mit dem unfreiwilligen Pärchen. Und die zwei sind der Aufgabe nicht nur gewachsen, sondern tragen den Film in jedem Moment problemlos, denn die Kamera liebt sie. Naturtalent nennt man sowas gerne, wenn da nicht die Inszenierung wäre, die immer ganu weiß, was zu tun ist. Alles ist auf die beiden zugeschnitten, alles wird ihnen untergeordnet, wie in Hollywoodfilmen der alten Schule sind die Talente der Crew dazu da, die Stars zum Scheinen zu bringen. Und was für Talente das sind! Allein die Kameraarbeit von Heinz Hölscher, einem der talentiertesten Veteranen der deutschen Filmgeschichte – mitverantwortlich für Meisterwerke wie Onkel Toms Hütte (1965), Mache alles mit (1971) oder Es war nicht die Nachtigall… (1974) – hebt den Film auf ein eigenes Level, und verdiente an dieser Stelle eigentlich eine gesonderte Lobeshymne.
Doch die frühen Achtungserfolge eines anbrechenden neuen Zeitalters im deutschen Film (man denke nur an den prototypischen 80er-Jahre-Film und cinema du look-Vertreter Rheingold (1978) von Niklaus Schilling) sollten sich im kommenden Jahrzehnt bis auf wenige Ausnahmen kaum wiederholen, und der unterkühlte visuelle Stil einer Vielzahl an herausragenden Werken dieser Zeit war rasch in der filmgeschichtlichen Versenkung verschwunden. In der kollektiven Erinnerung hat sich beinahe ausschließlich das poppigere aber nicht minder expressive Pendant, wie wir es in Gib Gas – Ich will Spass bestaunen können, festgesetzt. Das Düstere ist gewichen, das Grelle geblieben. Aufgrund dessen scheint sich der Film der 80er in Deutschland im Nachhinein zu einer Art Leerstelle zwischen dem „Autorenkino der 70er“ und den „Komödien der 90er“ entwickelt zu haben, einem Niemandsland, einem verdrängten, vergessenen und verödeten Landstrich gleichend.
Dabei sprudelten gerade die Quellen der 80er auch in der Bundesrepublik besonders schön! 1982 erschienen mit George Moorses Brandmale und Eckhart Schmidts Der Fan zwei moderne Wunderwerke des Kinos, deren inzwischen nicht mehr ganz so junge Regisseure sich mit ihnen auf überraschende Weise neu erfinden konnten, Frank Beyer drehte in der DDR Der Aufenthalt, Jürgen Enz Das Liebestolle Internat, und am scheinbar entgegengesetzten Spektrum zu Bülds NDW-Film entstand im gleichen Jahr mit Dominik Grafs Das zweite Gesicht sogar einer der besten Filme aller Zeiten. Scheinbar nur deshalb, weil die Talente und Interessen dieser zwei überaus talentierten Neuankömmlinge zahlreiche Überschneidungen aufweisen. Der deutsche Film der 80er war eben kein Entweder – Oder, hatte keine klare und übergeordnete Agenda im Schlepptau, bereicherte und veränderte das Kino aber dennoch nachhaltig. Ende der 70er hatte der deutsche Film zum ersten mal seit der Weimarer Republik tatsächlich wieder eine unbändige Vielzahl an Stimmen zu bieten welche durch eine lange nicht mehr gekannte Vielfalt und Widersprüchlichkeit die 80er zum erblühen hätten bringen können. Doch das Schicksal der Nazizeit sollte sich unter veränderten Vorzeichen wiederholen, Politik und Publikum schoben dem ganzen einen Riegel vor, und 10 Jahre später, nach der sogenannten Wiedervereinigung, waren die vergangenen Landschaften kaum wiederzuerkennen.
Bevor mein kurzer Text aber im Lamentieren über verpatzte Möglichkeiten versandet oder gar den Verdacht erweckt das schwachsinnige Märchen von den vertrockneten Filmen der 40er und 90er perpetuieren zu wollen, schlage ich einen Haken zu Markus und Nena, die bei Büld hinreißend zwischen Film- Musik- und Privatpersona oszillieren. Sie die freche Göre, schnöselig-arrogante Ignoranz in Person, Er der unglücklich Verliebte, meist hilflos und überfordert, aber mit versteckten Talenten. Beide bringen auch außerhalb der teilweise hypnotischen Gesangseinlagen die Leinwand regelmäßig zum Glühen, nicht zuletzt aufgrund der unfassbaren Zeilen, die ihnen immer wieder in den Mund gelegt werden. Ein Wermutstropfen bleibt dennoch bestehen: dass Markus und Nena nicht noch viele weitere Filme gedreht haben.
Gib Gas – Ich will Spaß – BRD 1982 – 91 Minuten – Regie: Wolfgang Büld – Produktion: Peter Zenk, Georg Seitz, u.a. – Drehbuch: Wolfgang Büld, Georg Seitz – Kamera: Heinz Hölscher – Schnitt: Peter Fratzscher – Musik: Markus, Nena, Morgenrot, Extrabreit – Darsteller: Markus, Nena, Enny Gerber, Karl Dall, Peter Lengauer, Extrabreit, Cornelia Kraus, Horst Pasderski, Helga Tölle, Michael Fluhme, Norbert Hahn, Thilo Bohatsch, Wolfgang Zölck, Axel Klopprogge, Gernot Duda, Cora Roberts, Fryderyk Gabowicz
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