STB Christian

 

10: absolutes Meisterwerk 9.9-9.0: meisterlich 8.9-8.0: herausragend 7.9-7.0: sehenswert 6.9-6.0: annehmbar 5.9-5.0: zwiespältig 4.9-4.0: enttäuschend 3.9-3.0: mäßig 2.9-2.0: langweilig 1.9-0: bodenlos

* = im Kino gesehen
n.b. = nicht bewertet
[ ] = wiederholte Sichtung

 

Letztes Update: 12.1.2013 (Stand: 31.12.2012)

 

Dezember 2012

2. Off-Off-Kino-Treffen (alle 35 mm)
LIEBESGRÜSSE AUS FERNOST – Robert Vincent O´Neill – 1973 – DF – 7.5
MADAME DE… [2] – Max Ophüls – 1953 – DF – 3.1
LOLITA AM SCHEIDEWEG – Jesus Franco – 1980 – DF – 7.7
NACKT IM SOMMERWIND – Doris Wishman – 1965 – DF – 8.5
LE JEUNE WERTHER [2] – Jacques Doillon – 1993 – OmU – 8.0
Supertramp Portrait 1970 – Haro Senft – 1970 – 7.5
HEISSES PFLASTER KÖLN – Ernst Hofbauer – 1967 – 9.2
Pimmel-Kreuzer XX6 auf Mösenkurs – N.N. – ? – 6.1

DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN
Dominik  Graf – 2012 – 8.7

1
Irritation, subkutan vibrierend. Zuerst ist immer noch dieses Gefühl da, auch nach so vielen Jahren mit den Filmen von Dominik Graf. Das Staunen über die Emanzipation vom affirmativen und kalkulierten deutschen Fernsehkrimi. Und die Erkenntnis, dass sich immer noch nichts geändert hat, im Fernsehen, in unserer Welt. Dieser Stillstand, diese Repression und Gleichgültigkeit. Es ist alles so schwer zu ertragen und es ist sogar noch schlimmer geworden, angetrieben durch unsere nach rechts drehende Gesellschaft, die Solidarität, Gerechtigkeit und Wahrheit niederwalzt, in der sich jeder nimmt, was ihm genehm ist, rücksichtslos, zerstörend. Die Symptome dieser Krankheit liegen bei Graf immer offen da, man muss sie nur erkennen wollen. Und wie alles besser werden kann, das sehen wir auch – den Schlüssel zur Erlösung. Mein Gefühl danach ist etwas, das ich nur schwer beschreiben kann. Da ist ein großes Glück, weil ich etwas gefühlt habe, das zu meiner eigenen Welt gehört – aber auch Leere, weil mein Glaube so klein ist, dass sich etwas ändert. Resignation, aber die Hoffnung muss weiterleben. Und der Kampf.

2
Es gibt in DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN einen virulent-unverblümten Bildersturm, der allein schon aufrütteln müsste, wenn nicht alles so lethargisch wäre. Und viel Wunderbares, das man herauslösen und ganz profan benennen kann: Anja Schiffel, ihr Streit-becomes-Martial-Arts mit Ronald Zehrfeld, die akzentuierten und die Dramaturgie intensivierenden Zooms, die geschickt gesetzten Italowestern-Elemente oder Ulrich Noethen als schmierigen SoKo-Leiter, das Arschloch par excellence und kongeniales Sinnbild für das ganze Elend um uns herum – nur scheinbar over the top, weil so unfassbar wahr.

3
Ich schreibe dies kurz vor dem Erscheinen von Pola Kinskis Buch „Kindermund“. Sie schreibt: „Er nimmt meine Hand, umschließt sie fest mit seiner Pranke, und wir gehen hinaus. Ich werde Mama einen flehenden Blick zu, aber sie schweigt. […] Er führt mich zu seinem roten Auto.“ Es ist egal, in welcher Dekade wir uns befinden, ob in den muffigen 50ern oder in den 10ern dieses Jahrhunderts: Wegschauen und Vertuschung bleiben oberste Maximen; unverzichtbar, damit das System nicht zusammenbricht.

4
Andeutungen und Zwischentöne führen bei Graf immer zum Konkreten. Zumindest für die Zuschauer, die alles zusammensetzen können – und wollen. Die anderen fressen Staub und werden grantig. Aber das ist keine Bevormundung, sondern ein moralisch-humanistischer Imperativ. Wie subtil und klug Hinweise gesetzt werden, wird in einer meiner Lieblingsszenen deutlich: Ein kleines Mädchen ruft ungeduldig im Schwimmbad aus: „Keiner spielt mit mir!“. Im Hintergrund, draußen an einem Zaun, hängt ein Schild: „Erotikmesse Sihl“. Hingeschaut?

5
Irgendwann während seiner Ermittlungen in Tschechien gerät Zehrfeld ins „Kinderzimmer“ des „Luzi-Clubs“. Die kleinen Prostituierten sind keine kreidebleichen Hürchen mit schwarzen Ringen unter den Augen, sondern fröhlich-ausgelassene Mädchen, hübsch und sexy, die in einem dampfend-erotischen Dunst die Dildos rausholen. Von allen Momenten in Grafs Filmen, in denen er die Erwartungen des Zuschauers hintergeht, ist mir dieser einer der liebsten. Weil er so kompromisslos die Abgründe des Gezeigten mit denen des Betrachters kollidieren lässt, ihn so radikal in sich hineinschauen lässt und herausfordert, Position zu beziehen, sich selbst zu hinterfragen. Hier wird auch der Glaube spürbar, dass Menschen sich zum Guten ändern können. Graf verhandelt diese Utopie immer wieder enthusiastisch und beharrlich – auch dafür bewundere ich ihn und seine Filme.

DAMSELS IN DISTRESS / ALGEBRA IN LOVE
Whit Stillman – 2011 – OF – 8.0

TURKEY SHOOT / INSEL DER VERDAMMTEN
Brian Trenchard-Smith – 1982 – OF – 6.2

HOSTEL: PART II / HOSTEL 2
Eli Roth – 2007 – OmU – 7.8

L´APOLLONIDE (SOUVENIRS DE LA MAISON CLOSE) / HAUS DER SÜNDE
Bertrand Bonello – 2011 – OmU – 9.2

ARGO *
Ben Affleck – 2012 – OmU – digital – 7.5

Es erscheint folgerichtig, dass Affleck diesen Film zusammen mit George Clooney produziert hat. Denn beide arbeiten erfolgreich daran, das intelligent-hochwertige Polit-Suspense-Kino der 70er Jahre in unsere Zeit hinüberzuretten. Dabei geht es ihnen nicht um eine behutsame Modernisierung, sondern um die Aufladung bewährter Strukturen und Elemente mit einem unverkennbaren persönlichen Charakter. Autorenschaft als Distinktionsmerkmal, das war schon in den damaligen Werken eines Pakula oder Pollack essenziell. Und wie früher darf sich der Betrachter auch auf die Erzählweise von ARGO ganz entspannt einlassen, alles fügt sich ökonomisch, unprätentiös und stimmig. Warmes und zeitloses Kino des Vertrauens.

DER FLUCH DER SCHWARZEN SCHWESTERN *
Joseph W. Sarno – 1973 – 35mm – 7.7

Der Connoisseur naturtrister Melancholie in Frauengestalt mit einem äußerst HK-relevanten Monument des Reintrübens und Raustrübens. Wie ein rustikaler Jean Rollin im Delirium analysiert Sarno die Wirrnis des Aberglaubens, die er in einer synonym-kongenialen Erzählweise transparent offenlegt. Er ignoriert dogmatische Logik und Stringenz, ruft den Primat der Inszenierung aus und gibt der Verworrenheit eine metaphysisch-ordnende Struktur, die zwischen demütigen Medien, der Beschwörung triefend nasser Lippen und zärtlich-langsamer Körperentblätterung nicht nur den irrationalen Wahnsinn spürbar macht, sondern auch fiebertraumartige Bilder entstehen lässt, über denen die Passion der Rache schwebt, leidenschaftlich und unheilvoll.

CHRONICLE / CHRONICLE – WOZU BIST DU FÄHIG?
Josh Trank – 2012 – OF – 7.8

Der letzte Song „This Bright Flash“ kommt von M83, einer meiner Lieblingsbands – die musikalische Referenz für die einfühlsame Ausleuchtung und Spiegelung des emotionalen Universums junger Menschen. Auch in CHRONICLE erscheint die Tatsache, am Leben zu sein und dieses auch noch meistern zu müssen, wie ein quälender Witz und die Umgebung wie ein feindlicher Planet, von dem man am liebsten schnell wieder verschwinden würde. Was nicht so einfach ist, auch nicht mit Superkräften – die hier so kraftvoll, lebendig, empathisch und unironisch mit teenage angst verschmolzen werden wie selten zuvor.

ALPEIS / ALPEN
Giorgos Lanthimos – 2011 – OmU – 6.4

FROM RUSSIA WITH LOVE / LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU
Terence Young – 1963 – DF – 35mm – 7.2

MIENTRAS DUERMES / SLEEP TIGHT
Jaume Balagueró – 2011 – OmU – 7.0

WASTELAND
Graham Travis – 2012 – OF – 9.2

A star is porn – wieder einmal. Nachdem Graham Travis mit PORTRAIT OF A CALL GIRL Jessie Andrews ein Denkmal gesetzt hat, ist jetzt Lily Carter dran. Aber auch hier geht es ihm nicht um die Fetischisierung eines weiblichen Körpers, sondern um eine Ikonisierung jenseits des sexuellen Begehrens. Travis integriert seine Mädchen, die er sehr zu lieben scheint, in einen freischwebenden, autarken Girl Culture-Kosmos, in dem vor allem die Seelen und Herzen nackt sind, in ihrer ganzen Verletzlichkeit, mit all ihren Ängsten und Hoffnungen. Was ich für diesen Film empfinde, ist im vierten Kommentar unter diesem Sehtagebuch hinterlegt. ´Nuff said – a dream came true.

EMMANUELLE * [3]
Just Jaeckin – 1974 – DF – 35mm – 7.4

In dem Alter, als ein Samenerguss immer wieder eine freudige Überraschung war, erschien mir Emmanuelle seltsam fremd. Ich ahnte zwar etwas, verstand es aber noch nicht. Also hielt ich mich lieber an Marie-Ange. Ihr niedliches Kindergesicht, die wohlgeformten Möpse und ihre saftigen Beine waren wie ein feuchter Traum für mich. Erst später erschloss sich mir die innere und äußere Schönheit Emmanuelles, erwachte meine Faszination für Sylvia Kristel. Plötzlich lag alles vor mir, ihre Würde, die zutiefst menschliche Sensibilität und ihre Verletzlichkeit. Und ihre Sinnlichkeit und Intelligenz. All dies konnte man in ihrer wahrhaftigen Verkörperung von Emmanuelle erkennen, die auch etwas explizit Dunkles freilegte: Verlorenheit und Einsamkeit, das Siechtum der Emotionen. „Liebe bestimmte meine Handlungen“, sagte Kristel zu ihrer Entscheidung, in den EMMANUELLE-Filmen mitzuspielen. Aber auch: „Ich war eine sprachlose Schauspielerin, ein Körper. Ich gehörte zu den Träumen, dorthin, wo nichts zerstört werden kann.“ Was ich erst jetzt beim Wiedersehen erkannte: Was für eine unfassbar zärtliche Annäherung an die Transgression dieser Film ist.

GIRL MODEL
David Redmon & Ashley Sabin – 2011 – OmU – 8.4

Kindliche sibirische Unschuld, verloren im Land der Zeichen. Lost in translation. Heimweh. Schmerz. Desillusionierung. Hoffnungslosigkeit. Der Verlust der Kindheit in einem immer enger werdenden finsteren Tunnel voll zynischer toter Seelen. Realität als Abbild des Horrors. Das Fremdsein des Menschen gegenüber sich selbst.

BUENAS NOCHES, ESPANA
Raya Martin – 2011 – 8.1

Die Redundanz eines Augenblicks. Sein Geheimnis. Die Intensität, die immer stärker wird. Präsens. Präsenz. Prägnanz. Irritierend vibrierend.

KILLING THEM SOFTLY *
Andrew Dominik – 2012 – OmU – digital – 4.8

Ein (nahezu) frauenloser Film – die Kunst der Auslassung beherrscht Dominik wahrlich nicht. Olaf Möller schimpfte in einem Verriss über die Geschwätzigkeit: „Da fragt man sich schon, für wie hirntot man gehalten wird, wenn wirklich nichts ungesagt bleibt.“ Stimmt. Genauso schlimm aber ist, dass Dominik keinen Style hat und keinen Sinn für Codes. So wirkt die ausgestellte Coolness und Düsternis präpotent und wie ein unerfülltes Versprechen.

LA KRYPTONITE NELLA BORSA / KRYPTONITE IN MY POCKET *
Ivan Cotroneo – 2011 – OmU – digital – 3.6

Neapel in den 70ern – eine unangenehm antiseptische Aufarbeitung einer vergangenen Dekade, angefüllt mit einem  leblosen Surrealismus, den das bürgerliche Kinopublikum wohl poetisch und schräg findet. Danach wusste ich Olivier Assayas´ erst kurz zuvor auf der Viennale gesehenen APRÈS MAI noch mehr zu schätzen. Diese liebevoll-genaue Zeitrekonstruktion, die einen emotionalen, individuell-schicksalhaften Mikrokosmos bedächtig und harmonisch in einen politisch-historischen Rahmen der Zeitläufte einbettet, über dem ein Zeitgefühl schwebt, das nicht beliebig retro, sondern massiv und signifikant ist. Persönlich-pointierte, energetisch-berührende Kraftfelder einer lebendigen Vergangenheit, die leuchtend in die Gegenwart strahlen. Sanft verdichtete Bilder und Stimmungen, die sich fest in mein Herz und mein Hirn eingefräst haben. Die dynamischen Ströme zwischen Erinnern und Vergessen, deren Nähe zueinander und die Transformationen von Erinnerung in Erkenntnis haucht Assayas melancholisch an, begibt sich aber nie in die Nähe verklärter Nostalgie. Da ist er meinem Lieblingsautor Patrick Modiano ganz nah, den eine Rezensentin einmal einen „Magier der Vergangenheit“ nannte. In seinen besten Momenten möchte ich das auch über Assayas sagen.

SKRIVÁNCI NA NITI / LERCHEN AM FADEN *
Jirí Menzel – 1990 – OmU – 35mm – 8.5

8. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos unter dem Motto “Reintrüben, raustrüben”

INTIME STUNDEN AUF DER SCHULBANK – Jürgen Enz – 1981 – gekürzte TV-Fassung – n.b.
ANDRÉ SCHAFFT SIE ALLE – Peter Fratzscher – 1995 – 1.1
IO, EMMANUELLE – Cesare Canevari – 1969 – OmU –  n.b.
SÜNDE MIT RABATT – Rudolf Lubowski – 1968 – 35mm – 8.5
A NIGHT TO DISMEMBER – Doris Wishman – 1983 – OF – n.b.
Die Steifeprüfung [2] – Hans Billian – 1978 – 8.1
DIAMOND CONNECTION – Sergio Bergonzelli – 1982 – DF – 8.6
LEHRMÄDCHEN-REPORT – Ernst Hofbauer – 1972 – 8.8
DAS NACKTE CELLO – Pasquale Festa Campanile – 1971 – DF – 35mm – 8.0
MONARCH [7] – J. Flütsch & M. Stelzer – 1980 – 35mm – 9.8
NUR 48 STUNDEN – Walter Hill – 1982 – DF – 35mm – 8.3
DREI SCHWEDINNEN AUF DER REEPERBAHN (HC) – Walter Boos – 1980 – 7.8
First Love [2] – Hans Billian – 1979 – 8.3
DIE DREI SUPERMÄNNER RÄUMEN AUF – Gianfranco Parolini – 1967 – n.b.
N.N. – N.N. – 197? – 35mm – n.b.
TANJA – DIE NACKTE VON DER TEUFELSINSEL – Julius Hofherr – 1967 – 35mm – 7.9
Mädchen in der Sauna – Gunther Wolf – 1967 – 35mm – 8.4

 

November 2012

FEMMINE INSAZIABILI / EXZESS / MORD IM SCHWARZEN CADILLAC *
Alberto De Martino – 1969 – DF – 35mm – 7.2

EROTIK OHNE MASKE
Hans D. Bornhauser – 1973 – n.b.

Die Hardcore-Fassung von SALLY – HEISS WIE EIN VULKAN. Um eine Viertelstunde gekürzt und dadurch noch wirrer, kryptischer und spiralenförmiger. Kolossal vertrackter Irrsinnsschlumor, visuell ergänzt mit unheimlichen Riesengenitalien – als ob weiche fleischige Messer in offenen Riesenwunden herumstochern. Extra large, get ready for surgery. Die bizarrsten Blüten aber treibt die Tonspur. Sie verweigert sich schnöde der Bauchwetzelei der in blutigen Honigtöpfen wühlenden Fotzenbohrer. Kein apathisches Stöhnen, kein depressives Geschmatze adelt die trübe Rammelei. Stattdessen irritiert ein seltsam verfremdetes Geräusch, das klingt, als ob ein benebelter Darth Vader qualvoll unter Wasser atmet – merkwürdig erhaben und surreal, inhuman und elegisch wirken diese Momente in diesem impulsiv und hysterisch mäandernden Schlamaukmoloch.

AFTER HOURS / DIE ZEIT NACH MITTERNACHT * [3]
Martin Scorsese – 1985 – DF – 35mm – 8.7

Ein Lieblingsfilm aus meiner Jugend, ein Wiedersehen nach über 20 Jahren. Mir war entfallen, wie früh Marcy stirbt, wie schnell sie das nächtliche, geheimnisvolle Wunderland verlassen muss. Und ich hatte vergessen (wie konnte ich nur), welcher Moment mir seinerzeit am liebsten war. Es war der Anblick von Marcy, wie sie in einem naturtrüb-somnambulen Tonfall, in dem auch eine verschlafene, noch zu erweckende Euphorie mitschwingt, zu Paul sagt: „Ich hatte vor mich heute Nacht richtig gehen zu lassen, falls dich das nicht stört.“ – und ihr zwischen Dezenz und aufregender Erotik oszillierendes Kleid, durch das man ihre wunderschönen Hügelchen mehr als nur erahnen konnte.

FRAKTUS *
Lars Jessen – 2012 – 35mm – 7.0

L´ENFANT D´EN HAUT / SISTER / WINTERDIEB *
Ursula Meier – 2012 – OmU – 35mm – 7.3

TORN
Eddie Powell & Jacky St. James – 2012 – OF – 6.3

1
Einer von diesen glänzend aussehenden, sorgfältig geschriebenen, geschmackvoll gecasteten und gefühlvoll inszenierten Pärchen-Pornos aus der New Sensations-Schmiede, einer der kommerziell erfolgreichsten Erwachsenenfilme des Jahres, von Adult Video News mit der Höchstnote geadelt. Hardcore-Sex, auch für das gesetzte bürgerliche Publikum, nach der Oper bei einem guten Glas Wein auf die schneeweiße Wohnzimmerwand gebeamt. Wichtig: Das Girl, das die wohlgeordnete Existenz durcheinanderbringt, ist nicht 18, sondern 25, und sieht auch so aus. Die Reflexionsdichte ist hoch, denn es wird alles durchdacht und verhandelt – die Ehe, die Liebe, das ganze Leben. Ein wortreiches Plädoyer gegen die Selbstlüge, das ganz gelassen auf den kompromisslosen Endpunkt zusteuert. Hier schreit auch in den schlimmsten Momenten niemand, man bringt höchstens ein lautes Flüstern raus und wird depressiv. Wie reagieren Paare, die sich sexuell und persönlich unerfüllt durch ihr Leben trüben, wenn ihnen solch ein zwischen Kontemplation und Stimulation oszillierender Spiegel vorgehalten wird? Ordert man einen Strap-On Dildo? Lädt man die beste Freundin zur kleinstmöglichen Variante von Gruppensex ein? Entscheidet man sich für eine offene Beziehung? Oder für den Mann oder die Frau, den oder die man wirklich liebt? Geht es direkt zur Paartherapie? Oder macht man einfach so weiter wie bisher?

2
Mich irritiert der Standardsex in diesen Produktionen – als ob es keine Tabus gibt. Die Intention ist klar, denn sie sticht aus jedem Bild heraus: Praktiken sind egal, es geht nur um Hingabe und Intensität. Das kriegen auch Langweiler wie ihr hin, wenn sie sich richtig liebhaben. Hier ist kein Platz für grobe Körperlichkeit, das Heraustreten der Lust in eine sinnlich-abstrakte Sphäre, die bedrohlich und beglückend zugleich ist, oder das Erkennen der eigenen Fremdheit im Arschloch des Anderen.

3
Die letzte Sexszene ist dann doch ein Wunder des Sich-Verlierens, in dem der geschlechtliche Akt bedeutungslos wird. Ein Blickfick, der die Grenze der Authentizität überschreitet und den Sinnesrausch in die Ewigkeit der Liebe transzendiert.

LESBIAN SORORITY 2
James Avalon – 2012 – OF – 8.1

1
Hier ist alles so prächtig, würdevoll und einfühlsam. Die Vorspiele, die Küsse, der Sex. Und das Nachglühen – intimer kann Film kaum noch sein. Am schönsten sind die Momente der Orgasmen, das andächtige und hingebungsvolle Staunen über die Gespielin, die auf dem Höhepunkt ihrer Lust entrückt zerfließt. Übersinnliche Momente innerer Partizipation und Verbundenheit, die schwelgerische Vereinigung von Geist und Seele.

2
Unschuldig und rein wirkt Skin Diamond beim vorsichtigen Betasten ihrer Liebhaberin. Wenn sie ihren Hintern berührt, erscheint dieser wie eine unbekannte, verführerische Insel. Ihr Blick ist der einer behutsamen Entdeckerin, voll von dürstender Zartheit. Eine passive Eroberin, geduldig auf einem abgründigen, ungreifbaren und wild lodernden Pfad zum Gipfel der Lust wandelnd.

NRW-Hofbauer Kommando/Eskalierende Träume/Der geheimnisvolle Filmclub Buio Omega/Hard Sensations-Come Together (alle 35mm)
BRANDMALE – George Moorse – 1983 – 8.5
In-Side-Out – George Moorse – 1964 – 7.9
MÄDCHEN FÜR DIE MAMBO-BAR – Wolfgang Glück – 1959 – 8.8
MIR HAT ES IMMER SPASS GEMACHT – Will Tremper – 1970 – 6.0-9.5
L´ULTIMO GUERRIERO – Romolo Guerrieri – 1984 – DF – 7.0
NAKED ANGELS – Bruce D. Clark – 1969 – DF – 8.7

Vier Lieblingsfilme von Martin Scorsese (alle 35mm)
INVASION FROM MARS – William Cameron Menzies – DF – 7.1
SANSHÔ DAYÛ – Kenji Mizoguchi – 1954 – OmU – 8.0
POPIÓL I DIAMENT – Andrzej Wajda – 1958 – DF – 8.0
DUEL IN THE SUN – King Vidor u.a. – 1946 – DF – 8.4

ABRIR PUERTAS Y VENTANAS / BACK TO STAY *
Milagros Mumenthaler – 2011 – OmU – 35mm – 7.6

MISS BALA *
Gerardo Naranjo – 2011 – OmU – 35mm – 8.2

CHAPEAU CLAQUE *
Ulrich Schamoni – 1974 – 35mm – 9.8

1
Freischwebende Elemente, fernab jeglicher Genres. Was man braucht: Bademantel, Haus, Garten, Girl. Der Müßiggang als subversive Handlung, die individuelle Ausgrenzung aus Produktionsprozessen und Wertschöpfungsketten – das war in den 70er Jahren kein Kavaliersdelikt. Die FSK befürchtete seinerzeit, dass dieser Film als Anregung zur Faulenzerei verstanden werden könnte, und gab ihn erst ab 18 frei. Dabei zeigt Schamoni schon den Status danach, „das Problem der Faulheit ist endgültig gelöst“, wie es Werner Sudendorf so schön auf new filmkritik ausgedrückt hat. Ein Zustand der Klarheit und Wahrhaftigkeit, flankiert von essentiellen, dem Leben abgerungenen Weisheiten: „Ein guter Schiss ist der halbe Tag.“ Ein reicher Privatier gammelt eben auf hohem Niveau.

2
Es ist Annas Film. Die ätherische Melancholie aus DOROTHEAS RACHE hat sie in Schamonis sonnigen Zaubergarten mitgenommen, in dem sie sich ganz unschuldig entkleidet. Ihre Nacktheit ist so beiläufig und rein, dass selbst der Hausherr sie bittet, sich etwas überzuziehen. In ihrem Gesicht liegt eine dunkle Abfälligkeit, die von gelangweilter Rotzigkeit durchzogen ist. Man glaubt, dass sie das Leben schon kennt, obwohl es noch vor ihr liegt. Man muss sie lieben. Wie das Licht ihren Körper umschmeichelt, draußen und drinnen. Es durchstrahlt sie und legt ihre Seele frei. Besonders in einer unvergesslichen Szene, in der sie sich in einem halbdunklen Zimmer in einen Sessel setzt. Wir sehen von hinten und oben auf ihren nackten Körper herab. Ihr Gesicht bleibt halb verborgen, aber alles wird spürbar: Ihre Träume, Hoffnungen und Enttäuschungen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchkreuzen sich. Die Gegenwart verrinnt unerbittlich, aber in ihr kann sie ihr Leben formen. Bald wird nichts mehr so sein wie bisher: „What ever happened to the teenage dream?“

3
Es endet mit einem Gedicht: Mein Leben, ein Leben ist es kaum, ich gehe dahin, als wie im Traum, wie Schatten huschen die Menschen dahin, ein Schatten dazwischen ich selber bin, und im Herzen tiefe Müdigkeit, alles sagt mir: Es ist Zeit.

ABSCHIED VON DEN FRÖSCHEN *
Ulrike Schamoni – 2011 – digital – 8.1

Es geht ums Sterben, aber man spürt nur das Leben. Ein surrealer Film, schwebend zwischen Leben und Tod, Endlichkeit und Nichts. Hier entsteht eine neue Daseinsform, die die Ahnung der Bedrohung und Verlorenheit immer mitschwingen lässt, sich aber zugleich von ihr emanzipiert. Das Wort Glück erscheint mir in diesem Zusammenhang zu banal, Gnade zu pathetisch. Ulrich Schamoni ist einfach da, in seinem Haus und in seinem Garten. Vollkommen, ganz mit den Dingen und Lebewesen um sich herum, die er förmlich durchdringt, vereinigt, über den Zustand des Menschseins erhoben, erlöst und frei. Sich dem Nullpunkt der Reflexion, diesem Moment ohne Erinnerung angstfrei und ohne Traurigkeit zu nähern – ich habe bisher nicht daran geglaubt, dass dies möglich ist. Schamoni aber zeigt, dass es einen Weg dorthin geben muss. Wie er aussieht, sehen wir nicht. Denn er ist schon am Ende dieses Weges angekommen. Aber könnte man ihn überhaupt beschreiben? Er ist doch tief in jedem von uns, ganz eigen und unnachahmlich. Dieser Weg, er muss mit Mut zusammenhängen,  die Bewusstmachung des Todes scheint die Furcht vor dem Abschied zu eliminieren. Mutig leben. Sinn, Essenz, das Innere sichtbar machen, sich selbst finden, immer wieder, wenn es sein muss, gegen alle Widerstände von innen und von außen. Ja, vor allem Mut. Es erscheint wieder mal so einfach und ist doch so unfassbar schwer.

DIE AMEISE DER KUNST & DANDY *
Peter Sempel – 2010 & 1988 – digital – 6.5 & 7.0

UCHO / DAS OHR *
Karel Kachyna – 1970 – OmU – 35mm – 7.2

*****

„Die Verfolgungsjagd nackter Mädchen auf den Fersen ihres Lehrers durch den deutschen Wald steht zu Recht als Höhepunkt am Schluss des Films. Das sieht gut aus, dieses Toben der verschieden getönten Körper.“ schrieb Silvia auf Hard Sensations in ihrem Text über DAS LIEBESTOLLE INTERNAT von Jürgen Enz. Nackte Mädchen, die durchs Gras laufen, gibt es auch in den Fotos des Niederländers Paul Kooiker. Kein Toben, sondern die  Ruhe in der Bewegung, weich gezeichnet. Man sieht die Mädchen von hinten, mal nah, mal ferner. Sie fordern den Betrachter heraus, hinterfragen seinen Blick auf sie. Unklarheit, Irritation, aber auch Begehren. Ihr Ziel ist unbekannt, ihre Intention auch. Rennen sie weg? Wollen sie, dass wir ihnen folgen? Uns verführen? Die Mädchen bewahren ihr Geheimnis, das vielleicht süß, vielleicht auch bitter ist.

*****

OH BOY *
Jan Ole Gerster – 2012 – 35mm – 5.0

Ich hatte mal einen Freund, der seinen Einkauf mit dem Pfandgeld bezahlte, Geschichten schrieb, Kunstwerke schuf, in Cafés mit einem guten Glas Wein und seinem Daseinsschmerz abhing, die Frauen gern wechselte und gut durchdachte weise Worte von sich gab. Für mich ist er immer die Personifizierung des klug-melancholischen Bohèmiens geblieben, des sinnlichen Drifters durch Raum und Geist. Heute werden einem triste Nichtstuer, die kaum was auf die Reihe kriegen, Frauen vergrätzen und ihr Maul nicht aufkriegen, als melancholisch-romantische Bohemian Boys präsentiert. Früher wurden solche Trüblinge Loser genannt.

STREETS OF FIRE / STRASSEN IN FLAMMEN *
Walter Hill – 1984 – DF – 35mm – 7.0

LET MY PUPPETS COME
Gerard Damiano – 1976 – OF – 7.4

Gerard Damiano war kein einsamer Philosoph. In sein Bestreben, die Zwänge des Business zu umgehen, Konventionen zu erschüttern und die wahre Freiheit des Filmemachers auszuleben, mischte er eine charmante, kluge und wahrhaftige Selbstironie, die Nähe und Vertrautheit erzeugte. Diese erreicht in diesem bizarren Puppenporno eine Klimax – eruptiv, aber sanft ausbalanciert. Ich habe nicht über Damiano gelacht, sondern mit ihm. Und ich habe ihn im Geiste herzlich umarmt.

DÈMONI 2 / DÄMONEN
Lamberto Bava – 1986 – EF – 8.2

1
Manchmal glaube ich, dass alle Geheimnisse des Kinos im Horrorfilm verborgen sind.

2
Minimale Detailverschiebungen in konventionellen Strukturen und Konstellationen, die dem Geschehen eine kryptisch-aufregende Intensität verleihen – diese Kunst beherrscht auch Lamberto Bava. In einer Szene jagt ein kleiner überkandidelter Dämon schreiend, hibbelig und aufgeschreckt eine ruhige, bedächtige und konzentrierte Frau. Durch die Inversion der üblichen Verhaltensweisen wirkt der Kampf wie eine wunderlich-schaurige Verbiegung funktionaler Systemtheorie im Gruselkontext: Keine subjektreferentiellen Handlungen, sondern Spielräume, die sich funktional ausdifferenzieren und in denen Systeme festlegen, was überhaupt passieren kann. Und diese sind in Horrorfilmen so geheimnisvoll und unvorhersehbar wie im richtigen Leben.

3
In der Tiefgarage verbarrikadieren sich die Menschen vor den Dämonen. Ihr schwarzer Anführer macht in einer Großaufnahme nachdrücklich klar: „Yes, we can!“. Drei Nächte vor der US-Präsidentenwahl gesehen, erschien mir dies wie eine aus der Vergangenheit gesendete Wahrsagung. Ich war mir sicher, dass Barack Obama wiedergewählt wird.

Oktober 2012

VIENNALE (alle OF oder OmU, * digital)
HANGMEN ALSO DIE! – Fritz Lang – 1943 – 7.6 – PERRET IN FRANKREICH UND ALGERIEN * – Heinz Emigholz – 2012 – 8.2 –  UBIYTSY VYKHODYAT NA DOROGU/THE MURDERERS ARE COMING – V. Pudovkin & Y. Tarich – 1942 – 7.7 – SINAPUPUNAN/THY WOMB * – Brillante Mendoza – 2012 – 7.8 – ELECTRICK CHILDREN * – Rebecca Thomas – 2012 – 8.0 – ENSAYO FINAL PARA UTOPIA/DRESS REHEARSAL FOR UTOPIA * – Andrés Duque – 2012 – 7.6 – Arnulf Rainer & Antiphon – Peter Kubelka – 1960 & 2012 – Parallelprojektion: 8.0 – CHE SAU/MOTORWAY * – Pou-Soi Cheang – 2012 – 7.5 – DA-REUN NA-RA-E-SUH/IN ANOTHER COUNTRY – Sang-Soo Hong – 2012 – 7.6 – Narcisa Hirsch: Come Out – 1971 – 9.1 – Patagonia – 1972 – 8.0 – Taller – 1975 – 7.5 – Rumi – 1999 – 8.3 – APRÈS MAI/SOMETHING IN THE AIR * – Olivier Assayas – 2012 – 8.2 – LA DEMORA/THE DELAY – Rodrigo Plá – 2012 – 4.8 – DE JUEVES A DOMINGO/THURSDAY THROUGH SUNDAY * – Dominga Sotomayor Castillo – 2012 – 7.3 – ALFIE – Lewis Gilbert – 1966 – 4.6 – ANNUSKA – Boris Barnet – 1959 – 8.8 – AUGUSTINE * – Alice Winocour – 2012 – 8.0 – DRESSED TO KILL – Brian De Palma – 1980 – 8.6 – OPERATSIYA Y I DRUGIYE PRIKLYUCHENIYA SHURIKA/OPERATION Y & OTHER SHURIK´S ADVENTURES – Leonid Gajdaj – 1965 – 8.4 – BERBERIAN SOUND STUDIO – Peter Strickland – 2012 – 8.3 – Le Naufragé/Stranded * – Guillaume Brac – 2009 – 4.9 – UN MONDE SANS FEMMES/A WORLD WITHOUT WOMEN * – Guillaume Brac – 2011 – 7.9 – Rite Of Spring * – M. Vatamanu, F. Tudor – 2010 – n.b. – CHIRI * – Naomi Kawase – 2012 – 7.4 – SAN ZIMEI/THREE SISTERS * – Bing Wang * – 6.9 – The Act Of Seeing With One´s Own Eyes – Stan Brakhage – 1971 – 7.7 – FANTASTIC VOYAGE – Richard Fleischer – 7.0 – Century * – Kevin Jerome Everson – 2012 – 7.8 – TECTONICS * – Peter Bo Rappmund – 2012 – 6.9 und außerhalb der Viennale: Blonde Cobra – Ken Jacobs – 1963 – 3.8 – Chumlum – Ron Rice – 1964 – 7.6 – HEDY – Andy Warhol – 1966 – 4.2

Zu viele Filme, zu wenig Zeit – daher nur kurz fürs Protokoll (* Kino, 35mm)
THE DEVILS * – Ken Russell – 1971 – DF – 8.4 – L´UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO/THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE * – Dario Argento – 1970 – DF – 8.0 – JUNGFRAUEN-REPORT – Jesus Franco – 1972 – 5.0 – MEANWHILE – Hal Hartley – 2011 – OF – 8.1 – THE EXORCIST * – William Friedkin – 1973 – DF – 8.5 – SPALOVAC MRTVOL/THE CREMATOR * – Juraj Herz – 1969 – OmU – 8.6 – FLESH GORDON * – Howard Ziehm & Michael Benveniste – 1974 – DF – 5.1 – CANE ARRABBIATO/MAN HUNT * – Fabrizio De Angelis – 1984 – DF – 6.5 – MARKETA LAZAROVÁ * – Frantisek Vlácil – 1967 – OmU – 9.2 – SOUTHERN COMFORT * – Walter Hill – 1981 – OF – 8.0 – DEN SEDMÝ OSMÁ NOC/THE SEVENTH DAY, THE EIGHTH NIGHT * – Evald Schorm – 1969 – OmU – 7.3 – FEUERWERK – Kurt Hoffmann – 1954 – 9.0

THE WARRIORS *
Walter Hill – 1979 – DF – 35mm – 9.4

Lieblingsszene: Die letzten Bilder, über die schon die Schlusscredits laufen und die untermalt werden von zwei programmatischen Songs: „In The City“ von Joe Walsh und „Last Of An Ancient Breed“ von Desmond Child. Die Warriors-Gang trübt sich im Hintergrund über den von der Abendsonne durchtränkten New Yorker Strand hinweg, „going home without my burden, without this costume that I wore, to where it´s better than before“ (Leonhard Cohen). Häufig bleiben mir keine Schlussbilder im Gedächtnis, auch keine prägnanten, was mir manchmal rätselhaft erscheint, weil es nur mit mir zu tun hat. Hier ist das anders. In diesem traumartigen und unwirklichen Licht, der Visualisierung eines Grenzbereichs zwischen vergangener Hölle und gewonnenem Paradies, scheint ein Mythos in Flammen zu stehen, der des klassischen Hollywood-Motivs vom „Dreckigen Dutzend“, diesem Standard der letzten Helden, den Hill  zuvor dekonstruiert und neu zusammengesetzt hat, abstrakt und konkret zugleich und in kongenialer Verdichtung. In den sagenumwobenen Überbau des blutigen Kampfes, den die Menschheit immer wieder ausfechten muss, um zu überleben, flechtet er die brennende Leidenschaft der Jugendgangs ein, die auch auf der Suche nach sich selbst sind. So entsteht eine flirrende Hymne an die Nacht, ein Kino des Begehrens voller Sehnsucht nach dem Leben. Und nach der Liebe, die so irritierend ist, weil das stolz-furchtlose und draufgängerische Selbstbewusstsein in diesen intensiven Momenten der Nähe zärtlich eliminiert wird. Das Erstaunen über die Gefühle, die das möglich machen, muss zunächst dem rationalen Moment des Zurückstoßens weichen, der Verhinderung eines Kraftverlustes. Denn die Erlösung wird im Diesseits gesucht, durch die finstere Welt schreitend zum ewigen Zuhause.

PETE THE HEAT
Henna Peschel – 2009 – 6.0

Lieblingsszene: Das Verlangen nach einer Welt, in der es das Wort Freiheit nicht gibt, weil das Gegenteil unbekannt ist. Wie Elysium, das Refugium der Seligen, erscheint das karibische Eiland San Pigro, das Pete (verkörpert vom unvergleichlichen Timo Jacobs) mit glänzend-begehrenden Augen als Zielort seiner geplanten Flucht ins Paradies beschreibt. In seinen sanften Worten und Gesichtszügen ist keine pittoreske Indifferenz oder verhuschte Träumerei spürbar, sondern eine ehrliche und tiefe Sehnsucht. Vom Kokosnuss-Fetischismus eines August Engelhardt, dem Christian Kracht mit seinem großartigen Roman „Imperium“ ein Denkmal gesetzt hat, bis zum schwebenden Schaukeln in der Hängematte deklamiert er zärtlich ein Lob auf das einfache Glück des Individuums in einer friedlichen Welt. Da dieses Glück hier mit obsessivem Nichtstun verbunden ist, erscheint es wie ein flackerndes Hybrid von Real- und Scheinutopie, das aufzeigt, wer zuständig ist für unsere Glücksentwürfe und ihre immanenten Optionen des Scheiterns – nur wir selbst. Männerfilm.

PERLICKI NA DNE / PERLEN AM MEERESGRUND *
Jirí Menzel, Jan Nemec, Evald Schorm, Vera Chytilová, Jaromil Jires – 1966 – OmU – 35mm – 7.1 bis 8.6

Lieblingsszene: Young love, dismal love. In der fabulösen letzten Episode ROMANCE treibt Jaromil Jires ein leidenschaftlich-exaltiertes Zigeunermädchen und einen nachdenklich-trüben Klempner zusammen, der beim Stelldichein in seiner Wohnung zum temporären Totalverzichter verkümmert. Sanft verwirrt durch das kess von ihr herausposaunte „Wenn ich mit einem Jungen schlafe, verliebe ich mich in ihn.“ entrinnen ihm keine Körpersäfte, sondern nur die müden Worte „Ich muss morgen sehr früh aufstehen“. Ihre zweideutigen Heiratsavancen kontert er eigenbrötlerisch-lyrisch: „Ich bin ein einsamer Mensch“. Mein Lachen an dieser Stelle klang matt. Würde ich anders reagieren? Mich auf sie stürzen? Sie verschlingen? Bei diesem spritzenden Freiheitsdrang und dieser kaum zu befriedigenden Liebestollheit würde ich wohl eher panisch fliehen, feige in mich zusammengesunken. Für den scheuen Rohrverleger ist das natürlich nicht das Ende, denn die Regisseure der Neuen Tschechoslowakischen Welle beherrschten den Trunstgriff, Trübnis und glühenden Sinnestaumel sinnlich zu verschmelzen. Die Magie dieses Synkretismus fliegt nicht immer direkt ins Herz. Man muss sie ergreifen, festhalten, implementieren. Dann schwingt sie samtig schimmernd umher, zwischen der betörenden Simplizität, der aufmüpfigen Poesie, der subversiven Energie, dem aufregenden Genau-Jetzt-Zeitgeist und dem elegante Zeitlosigkeit atmenden Surrealismus dieser hinreißend truften Filme.

SQUIRM / SQUIRM – INVASION DER BESTIEN *
Jeff Lieberman – 1976 – DF – 35mm – 7.2

Lieblingsszene: Einige Ekelwürmer schauen außerhalb des Blickfeldes einer Duschenden kurz aus dem Brausekopf raus und trüben sich dann wieder fix in diesen zurück. Hier treibt Lieberman die atmosphärische Verdichtung des nicht wahrnehmbaren, aber latent spürbaren Grauens neckisch auf die Spitze. Sein ganzer Film ist durchzogen von diesem lauernden Unheimlichen. Die Visualisierung des armen, durch eine fulminante Elektroladung zur blutrünstigen Menschenverderbermeute mutierten Gewürms setzt er konzentriert-minimalistisch, aber dezidiert ein. Und Lieberman zeigt, dass Hilflosigkeit immer nur ein Aspekt von Ordnungsverlust durch die katastrophische Destruktion ist. Mit allen Mitteln um das eigene Überleben kämpfen, das ist ein elementarer Bestandteil des amerikanischen Traums, der im Genre des Horrorfilms intensiv durchlebt wird. In SQUIRMS lässt Lieberman dabei trüb-hinterwäldlerische Debilität auf urban-abgeklärte Besserwisserei prallen und faded mit einer romantischen Reminiszenz an die Kindheit aus: Boy meets girl im gemütlichen Baumwipfel.

8. TODD-AO-70MM-FESTIVAL (Schauburg, Karlsruhe) – alle DF außer * OF
ALIEN * – Ridley Scott – 1979 – 7.5 – THE MASTER * – Paul Thomas Anderson – 2012 – 5.9 – BRAINSTORM – Douglas Trumbull – 1983 – 6.3 – WEST SIDE STORY * – Robert Wise & Jerome Robbins – 1961 – 4.5 –  WATERLOO – Sergey Bondarchuk – 1970 – 8.8 – SHIN SHIKÔTEI/THE GREAT WALL – Shigeo Tanaka – 1962 – 8.1 – FIRST MEN IN THE MOON – Nathan Juran – 1964 – 6.8 – AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS * – Michael Anderson – 1956 – 5.1 – CUSTER OF THE WEST – Robert Siodmak – 1967 – 4.8 – HOW THE WEST WAS WON – Hathaway & Marshall & Ford & Thorpe – 1962 – 7.7

COLOGNE CONFERENCE (alle OmU, * digital)
3.10.2012: THE FOURTH DIMENSION * – A. Fedorchenko, H. Korine, J. Kwiecinski – 2012 – 3.2 & vier Filme von Jerzy Skolimowski: RYSOPIS/IDENTIFICATION MARKS: NONE – 1964 – 7.7 – WALKOWER/WALKOVER – 1965 – 7.4 – ESSENTIAL KILLING – 2010 – 8.0 – CZTERY NOCE Z ANNA/FOUR NIGHTS WITH ANNA – 2008 – 8.2

September 2012

CITY LIGHTS / LICHTER DER GROSSTADT * [3]
Charles Chaplin – 1931 – 35mm – 7.9

SEDMIKRÁSKY / TAUSENDSCHÖNCHEN * [2]
Vera Chytilová – 1966 – OmU – 35mm – 8.3

JET GENERATION – WIE MÄDCHEN HEUTE MÄNNER LIEBEN *
Eckhart Schmidt – 1968 – 35mm – 8.5

OSTRE SLEDOVANÉ VLAKY / LIEBE NACH FAHRPLAN *
Jiří Menzel – 1966 – OmU – 35mm – 8.0

HEBI NO MICHI / SERPENT´S PATH *
Kiyoshi Kurosawa – 1998 – OmU – 35mm – 7.3

CAPRICORN ONE / UNTERNEHMEN CAPRICORN
Peter Hyams – 1977 – OF – 8.0

Für den französischen Blitzdenker Paul Virilio ist alles eine Folge der Geschwindigkeit: „Ohne die Erfindung des Schiffs gäbe es keinen Schiffbruch, ohne den Düsenjet keinen Crash, ohne Atomkraft kein Tschernobyl.“ Hier müsste es heißen: Ohne den Helicopter keinen Bums. Das Ende der grandiosen Verfolgungsjagd zwischen zwei Hubschraubern und einem roten Stearman-Doppeldecker ist eine formvollendet-filigrane Ästhetisierung des Desasters, ein Kunstwerk der Zerstörung. Der wahre Zauber aber liegt in den präzise-stilvollen Details auf dem Weg dorthin. In einer magnetischen Szene starten die Helicopter, drehen ihre Schnauzen kurz über dem Boden zueinander, verharren ein paar Sekunden und schweben dann synchron in die Lüfte. Wie ein anmutiges Zwiegespräch wirkt diese bizarre, menschlich wirkende Begegnung der Todesmaschinen. Dieser Moment ist charakteristisch für das Kino von Peter Hyams, dem es nicht nur um das Konkrete geht, sondern immer auch um eine imaginative Perspektive, die der Betrachter ausgestalten kann. Ich verlor mich glücklich im Wunder der Kommunikation mit diesen Bildern, ganz bei dem, was ich sah und gleichzeitig in mich hinein lauschend.

INTIMNI OSVETLENI / INTIME BELEUCHTUNG *
Ivan Passer – 1965 – OmU – 35mm – 7.6

THE DRIVER / DRIVER *
Walter Hill – 1978 – DF – 35mm – 8.7

WAS BLEIBT *
Hans-Christian Schmid – 2012 – 35mm – 8.4

Innenleben, zerbrechlich. Familie als sensibles Gebilde – die Bedrohung aus sich selbst heraus ist größer als die von außen. Hans-Christian Schmid erweist sich wieder einmal als genauer Beobachter und Sezierer zwischenmenschlicher Psychodramen. In WAS BLEIBT nutzt er kongenial den emotionalen Resonanzraum der Architektur, um die inneren Dissonanzen zum Schwingen zu bringen. Und findet bewegende und wahre Momente des Auseinanderdriftens, der Demaskierung und des Erkennens. Die Tragödie am Schluss verbindet Schmid unaufgeregt mit einer Katharsis, bei der die Personen zu sich selbst und – sofern noch möglich – wieder zueinander finden. Er legt in diesem Mikrokosmos zwischen Anspannung und Entspannung nicht nur offen, dass Familie immer auch die „Wiege“ der Gemeinschaft ist, ein Ort „unmittelbarer Sittlichkeit“ im Hegelschen Sinne, in der sich soziale Kompetenz, Freiheit, Bestimmung und Verantwortung entfalten. Es wird auch klar, welche Kämpfe bürgerliche Familien ausfechten müssen, um diese von der Gesellschaft aufoktroyierte Aufgabe zu erfüllen. Und dass dies ziemlich trüb sein und daneben gehen kann – denn in diesem komplexen und undurchschaubaren Geflecht können auch alle verloren gehen. Wie Schmids bisherige Filme ist  natürlich auch WAS BLEIBT deutsche Geschichtsschreibung. Deutsche Familiengeschichte war ja besonders in ereignisreichen Umbruchzeiten schon immer eine reiche didaktische Reflexion des gesellschaftlichen Umfeldes. Dass dieser Film 25 Jahre zu spät kommt und besser in die Geschichtsstille von 1987 gepasst hätte, wie Ulrich Kriest in der filmgazette anmerkt, ist nicht falsch, aber auch nicht relevant. Denn Schmid ist ein Meister darin, Anachronismen aufzulösen und in eine zeitlose Wahrhaftigkeit zu transzendieren.

AMOUR / LIEBE *
Michael Haneke – 2012 – OmU – 35mm – 2.2

Ein ehrenvoller Ferroni-Brigadist fragte mich einmal, welche Regisseure das Hofbauer-Kommando abgrundtief antrüben. Als ich begann, Gruselgestalten wie Walter Salles oder Alejandro González Inárritu aufzuzählen, fiel er mir ins Wort: „Aber nicht Haneke, oder? Das wäre zu einfach!“. Ja, das wäre es. AMOUR ist ein Film über imponierende alte Menschen mit großartigen Schauspielern. Es ist ein Film, der Kritiker und Publikum sprachlos machen, sie zu Tränen rühren muss und der bei den Filmpestspielen von Cannes die Goldene Palme gewinnen musste. Es kann nicht anders sein, denn auch dies ist ein Film, der Gefühle verfälscht, um sie unreflektierbar und damit für die Masse erst genießbar zu machen. Ein Film für unsere Welt. Damit kann und will ich mich nicht arrangieren. Niemals. Ich will berührt sein, weil mich etwas in meinem Innersten trifft und ich vielleicht etwas über mich erfahre, das ich bisher noch nicht kannte. Will mich spiegeln, mich positionieren, atmen, frei sein. Mein Herz will durchgepustet werden. Ebenso mein Gehirn, das sich nicht auf der Stufe eines Sinnesorgans bewegen soll. AMOUR erscheint mir dabei als Hanekes bisher schlimmster Film. Denn es geht um Leben, Krankheit und den Tod, um Themen also, die mich umtreiben und bewegen. Ich hätte an meine Eltern denken müssen, die alt sind und schon bald sterben könnten. Aber in mir war alles leer, mein Herz, mein Kopf, mein ganzer Körper. Hanekes manipulatives Kino hat mich degradiert, festgekettet, paralysiert, gerädert, zerschmettert. In diesem Kosmos toter Materie gab es keine Luft mehr, kein Leben und vor allem keine Liebe. Nach der Vorstellung sagte eine alte Dame weise und warmherzig: „Man stirbt aber von ganz allein, man muss nicht nachhelfen“. Mir standen die Tränen in den Augen. Ein paar wenige Worte reichten aus, um die Gefühle aus meinem Innersten hervorzuholen, die ich in den zwei Stunden vorher schmerzlich vermisst hatte. Es waren Worte, die noch lange in mir nachhallten auf dem Weg nach Hause, die letzten Minuten des wunderbaren Debütalbums von Jessie Ware im Ohr: „Offer me something inside, a place to go, a place to hide. Offer me something inside“.

2 DAYS IN NEW YORK / 2 TAGE NEW YORK *
Julie Delpy – 2012 – OmU – 35mm – 7.4

Mir imponiert, wie konsequent Julie Delpy ihre im besten Sinne klassischen Familienfilme mit verbalem Schmutz durchzieht und so das bürgerliche Schlockpublikum durch den Kinosaal schleift. Es wirkt, wie ich bei der von mir besuchten Vorstellung erleben durfte: Ein strenges Ehepaar rümpfte nicht nur mehrmals laut und deutlich die hoch stehenden Nasen, sondern verließ auch mit verächtlichen Blicken vorzeitig den Film. Dennoch fehlt mir etwas in Delpys Werken. Ich sehne es herbei, werde aber immer wieder enttäuscht. Körperlicher Schmutz  und Nacktheit würden ihre Filme harmonisch komplementieren. Dieses Wunschdenken scheint auch ihren Vater Albert umzutreiben, der seiner Tochter im Gespräch für das deutsche “Interview“-Magazin ein schnödes “Ja, dann dreh doch mal einen Porno.“ hinwirft. Dass unsere Hoffnungen leider nicht so schnell erfüllt werden, macht das Ende ihres Gesprächs deutlich:
Albert: Du zeigst dich eben nicht gern nackt – und zeigst auch andere nicht gern nackt.
Julie: Ja, ich bin keine Voyeurin.
Albert: Aber in LE SKYLAB gibt es einen komplett nackten Mann.
Julie: Ja. Aber nur, weil es lustig ist.

LA PASSION DE JEANNE D´ARC / JOHANNA VON ORLÉANS * [2]
Carl Theodor Dreyer – 1928 – 35mm – 8.1

COLA, CANDY, CHOCOLATE / DREI KESSE BIENEN AUF DEN PHILIPPINEN * [2]
Siegfried Rothemund als Siggi Götz – 1979 – 35mm – 4.0

Das atmosphärisch dichte Zeitkolorit der ersten fünf Minuten ist für die Ewigkeit: In einer aufregend dampfenden Reminiszenz an die zuende gehende Entweder-oder-Dekade der 70er lauscht die Jeunesse hédoniste dem Auftritt des niederländischen Girl-Trios Luv. Es war die Zeit, als Disco schon zur redundant-tristen Kommerzmasche verkommen war und leidenschaftlich gehasst wurde. Doch Rothemund macht noch einmal die Essenz spürbar – Spaß und Tanz statt Diskussion und Politik. Die 70er waren natürlich auch ein Jahrzehnt der Aufbrüche. Für einen persönlichen entscheidet sich Gaby, gespielt vom liebreizenden Referenz-Glamourgirl Olivia Pascal, als sie ihrem Stecher ein „Auspufferotiker!“ vor den Latz knallt, ihm den Laufpass gibt und gemeinsam mit ihrer Freundin Carmela, verkörpert von der ebenso liebreizenden Uschi Buchfellner, München leise-melancholisch Servus sagt und zu einem Urlaubstrip auf die Philippinen entschwindet. Dieser Locationwechsel ist für den Zuschauer leider nicht so angenehm wie für die beiden. Ich war ernüchtert. Wie konnte Rothemund zuvor mit seinem prächtigen und feinfühligen Urlaubsfilm SUMMER NIGHT FEVER, konzentriert seine Stärken bündelnd, so konkret zu sich selbst finden, um direkt danach in einer enervierenden und infantilen Schlamotte zu versinken, die nicht einmal vor einem Trimpansen (trister Affe), Tortenwürfen und spritzenden Wasserschläuchen zurückschreckt? Gewiss, die Philippinen sind nicht Ibiza, Philippe Ricci ist nicht Claus Obalski und Dolly Dollar nicht Bea Fiedler – aber auch die im Vorgänger noch so götzesk-euphorisierenen zartmenschlichen Momente verpuffen hier trostlos – wenn sie sich überhaupt einmal aus dem faden Schlamauk emporwinden können. Die Veranstalter haben sich nach der Vorstellung entschuldigt bei den zahlreich anwesenden und geduldigen Besuchern, die während der gesamten 80 Minuten keine Miene verzogen. Sie waren auch die einzigen, die während des Films lachen konnten – über das opferbereite Publikum und ihre angetreazten Antlitze. Aber wie hat Oscar Wilde gesagt: „Ein ewig heiterer Gesichtsausdruck ermüdet auf die Dauer weit mehr als ein ständiges Stirnrunzeln“.

LA VIA DELLA DROGA / DEALER CONNECTION-DIE STRASSE DES HEROINS *
Enzo G. Castellari – 1977 – DF – 35mm – 7.5

Fantasy Filmfest (alle digital bis auf * 35mm)
SIGHTSEERS
– Ben Wheatley – 2012 – OF – 4.7
V/H/S – Diverse – 2012 – OF – 7.6
LE MAGASIN DES SUICIDES – Patrice Leconte – 2012 – OmU – 3D – 6.0
BLACK OUT – Arne Toonen – 2012 – OmU – 6.6
BEAST – Christoffer Boe – 2011 – OmU – 4.8
THE TALL MAN – Pascal Laugier – 2012 – OF – 7.4
IN THEIR SKIN – Jeremy Power Regimbal – 2012 – OF – 6.9
CHAINED – Jennifer Chambers Lynch – 2012 – OF – 7.2
EXCISION – Richard Bates Jr. – 2012 – 8.0
DOOMSDAY BOOK – Jee-woon Kim & Pil-Sung Yim – 2012 – 3.7
COMPLIANCE – Craig Zobel – 2012 – 7.2
UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING – John Hyams – 2012 – 2D – 9.3
GYAKUTEN SAIBAN/ACE ATTORNEY * – Takashi Miike – 2012 – 7.0
THE BAYTOWN OUTLAWS – Barry Battles – 2012 – 2.6

HANYO / THE HOUSEMAID *
Ki-young Kim – 1960 – OmU – digital – 8.1

VIVAN LAS ANTIPODAS *
Victor Kossakovsky – 2011 – OmU – 35mm – 3.7

Mein Lieblingsregisseur von 1997 auf einem regressiven Trip. Mit SREDA erwies sich Victor Kossakovsky als empathisch-poetischer Beobachter der condition humaine und collagierte die Portraits unterschiedlichster aus St. Petersburg stammender Menschen zu einem dramatisch verdichteten, unvergesslichen Doku-Gedicht, das mich durch alle denkbaren Gefühlsstadien trieb – und das gleichzeitig. Ich werde niemals vergessen, wie meine damalige Freundin danach sanft versuchte, mich wieder ins Leben zurückzuholen. 2000 setzte Kossakovsky in der Episodendoku I LOVED YOU noch einen drauf und zeigte im Kindergarten-Segment die dunkle Seite der Liebe und ihre schmerzlichen Dramen. Die kleinen Mädchen und Jungs wühlten sich unverstellt durch Freude, Zuneigung, Eifersucht, Enttäuschung und Bitternis und wirkten in ihrer niederschmetternden Authentizität wie Protagonisten in einem Film von John Cassavetes. Die Hinwendung zur Natur in VIVAN LAS ANTIPODAS war ein kohärenter nächster Schritt. So beschrieb Roland Barthes den mythologischen Charakter der conditio humana, der sich darin ausdrückt, dass diese die Unveränderbarkeit der Welt durch Naturalisierung und Essentialisierung manifestiert: „Der Mythos von der conditio humana stützt sich auf eine sehr alte Mystifikation, die seit jeher darin besteht, auf den Grund der Geschichte die Natur zu setzen“. Leider ignoriert Kossakovsky sowohl die philosophischen Implikationen als auch den Menschen und beschränkt sich nahezu gänzlich auf die Natur, ihre Gegensätze und Ähnlichkeiten an Orten, die sich diametral gegenüberliegen. Es gibt kaum Verknüpfungen zwischen Mensch und Natur, nicht einmal assoziative. Ein Felsen ist hier ein Felsen. Und der sieht eben manchmal aus wie ein Wal. Diese Konzeptionen der Similarität wirken nicht nur bemüht, sondern zuweilen auch ziemlich trist und ridikül. Besonders dann, wenn durch die Akzentuierung von Lichtänderungen und den Einsatz eines schwülstig-pompösen Scores eine sphärisch-meditative Atmosphäre heraufbeschwören wird, die jeglicher Substanz entbehrt und den madigen Atem eines unbehaglich-skurrilen ätherischen Bombastes ausstößt. Die größte Enttäuschung des Jahres so far.

MAN´IN DENSHA / CRAMMED STREETCAR *
Kon Ichikawa – 1957 – OmU – 35mm – 6.2

TED *
Seth MacFarlane – 2012 – OF – digital – 7.9

Die klassische Unterschicht ist pflegeleicht. Eine emsige, genügsame, wohl geordnete und rechtschaffene Gemeinschaft, in der Tugendhaftigkeit hoch gehalten und das in Kargheit dahinsiechende sexuelle Triebleben streng-diszipliniert dem strebsamen Pflichteifer untergeordnet wird. Diese traditionellen Werte sind der  heutigen White Trash-Underclass fremd. Sie transformiert Sinnes- und Genusslust in einen affektiv-subversiven Ungehorsam. And vice versa. Ein unkalkulierbares Revolutionspotential mit einer starken Affinität zum eruptiven Körpereinsatz, wenn mal etwas das individuelle Gerechtigkeitsempfinden stört oder die Wohlstandsströme an ihnen vorbeigelenkt werden. Dabei sind viele White Trash-Freizeitaktivitäten gar nicht so gruppenimmanent. Computerspiele, Horrorfilme, Huren, Besäufnisse oder dreckiger Sex – das findet sich auch am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala, bei Managern oder Investmentbankern. Das primitiv-degenerierte Element gehört auch dort dazu, und das nicht unbedingt in einer distinguierteren Ausprägung.
Scott MacFarlane lässt in TED den Schmutz in die Mittelschicht einsickern, ordinär und zärtlich, verbal und physisch. Der lebensgroße Teddybär Ted, der dem glänzenden Mark Wahlberg als Buddy an die Seite gezaubert wird, wombelt zwar meckernd, saufend, koksend und immerspitz herum, ist aber kein eindimensional-uninteressanter Idiot im Reich-Ranicki´schen Sinne, sondern erinnert eher an einen haarigen Charles Bukowski-Klon. MacFarlane schenkt seinem Ted eine vielschichtige und emotional tiefe Persönlichkeit, die zwischen Obszönität und Herzlichkeit, Exzessivität und Gelassenheit, Draufgängertum und Zurückhaltung, Ignoranz und empfindsamer Wärme oszilliert. Ein Freund, der beglückt und nervt. Und mich wieder einmal an die ewige Frage erinnert hat, ob das kindisch Alberne und die Adoleszenz wirklich nicht abzuschütteln sind. Eine Frage, die ich niemals beantworten möchte, zumindest nicht für mich selbst. Die Infantilität, die in diesem Film mitschwingt, ist komisch, wird aber niemals kompromittiert. MacFarlane nimmt sie sehr ernst und begreift sie als eine dem Leben inhärente Essenz, die sich von aufgezwungenen Normen emanzipiert und zu einem beschwingt-erfüllendem Sinnesrausch, aber auch zu Abstürzen, Fremdschämattacken und temporären sowie dauerhaften Ultrakrisen führen kann. Nach diesem Film war ich nicht so weit, White Trash als rein degradierendes Konstrukt zu betrachten, aber mir kamen wieder Worte von meinem Lieblingssoziologen Max Weber in den Sinn, an die ich lange nicht gedacht habe:  “Der bürgerliche Amerikaner von heute hat seinen Darwin, seinen Nietzsche gelesen und sich daraus entnommen: ein Mann, der ein Aristokrat im modernen Sinne des Wortes sein will, muß irgendetwas haben, was er verachtet“.

WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN *
Lynne Ramsay – 2011 – OmU – digital – 6.3

Schon mit ihrem Langfilmdebüt RATCATCHER erwies sich Lynne Ramsey als sensible und genuin-intuitive Choreographin der Emotionen. Sie schuf virtuos intensivierte, dem Plot übergeordnete Bilder, die auch von dem Verständnis zeugen, dass ein Bild immer aus der Figur selbst hinausweist und die räumliche sowie zeitliche Zuordnung von äußerer und innerer Realität transzendiert. Flirrend-kunstvolle, aber fest im sozialen Realismus verhaftete Tableaus, die sich vom klassisch-nüchternen sozialkritischen Kino britischer Prägung emanzipieren, aber dadurch umso wahrhaftiger wirken. Zwölf Jahre später: Die Genese der Katastrophe, unerklärlich wie diese selbst und deshalb so unheimlich. Das Erkennen des Bösen. Die Versuche, es zu elimieren. Die Resignation. Die Abstraktion von Gefühlen. Erziehung, heruntergebrochen auf einen Psychokrieg zwischen Mutter und Sohn, der nicht nur sie zu Verlierern macht. Doch trotz aufregender Performances von Tilda Swinton als narkotisiert-traumatisierter Mutter, die kryptisch indifferent zwischen Geduld und innerer Unruhe, Hoffnung und Apathie, Empathie und Zurückweisung oszilliert, und Ezra Miller als von ihr entfremdetem, unfassbar maliziösem und akzentuiert-raffiniert verbal angreifendem Beelzebubensohnemann fehlt die insistierende Eindringlichkeit von früher. Denn Ramsey lässt die Streberin raushängen. Überambitioniert tauscht sie Stringenz gegen Ellipsen und Zeitsprünge sowie Authentizität gegen eine gekünstelte Ästhetik. Das wirkt wie ein verkrampfter Versuch, sich von thematisch synonymen Werken wie Dennis Villeneuves POLYTECHNIQUE oder Gus Van Sants ELEPHANT abzugrenzen – zwei großartigen Filmen, die die richtige Form gefunden haben.

 

August 2012

GOLD RAIDERS / MISSION FIREGAME *
Philip Chalong – 1983 – DF – 35mm – 6.4

INS BLAUE *
Rudolf Thome – 2012 – 35mm – 7.2

MAGIC MIKE *
Steven Soderbergh – 2012 – OmU – digital – 7.1

PAULA-PAULA
Jesus Franco – 2010 – OmU – 7.3

Ein audiovisuelles Digitalexperiment mit der Betonung auf audio. Eine der genialen Exkursionen des österreichischen Komponisten und Klassik-Interpreten Friedrich Gulda in den Jazz bescherte das einnehmende, lüstern-treibende Fundament dieser wabernden Frau Dr. Jekyll & Mrs. Hyde-Interpretation. Gefühlsmäßig wie ein Slowdance auf einem Wasserbett, erscheint PAULA-PAULA rein atmosphärisch-technisch betrachtet wie die Low-Tech-Variante von Ridley Scotts PROMETHEUS. Ein kontinuierlich sich veränderndes, (hier) slow-gemorphtes Fluidum. Faszinierend und kaum zu kategorisieren. Das gilt auch für das Treiben der beiden pummeligen Grazien, die zuweilen unbeteiligt aneinander vorbei fließen, um sich dann im verspielten Liebesakt zu verschmelzen. Paula Davis bleibt dabei merkwürdig unkörperlich und flüchtig im Vergleich zur flauschig-präsenten Carmen Montes, der die schönsten Momente gehören. Besonders dann, wenn sie sich im Hintergrund aus dem digitalen Dunst herauskristallisiert und langsam ihr bezauberndes Lächeln offenbar wird. Guldas strengen Klassik-Kritikern waren seine Ausflüge in den Jazz übrigens verhasst „wie etwas, das man allenfalls zu erdulden habe, weil er doch so schön Mozart spiele“. Was würden sie wohl zu diesem Film sagen?

REVENGE / EINE GEFÄHRLICHE AFFÄRE
Tony Scott – 1990 – OF – 8.7

LA ROSE ECORCHÉE / DIE GESCHÄNDETE ROSE / DAS BLUTIGE SCHLOSS DER LEBENDEN LEICHEN *
Claude Mulot – 1970 – DF – 35mm – 9.0

Eine große Liebe meines Lebens machte mir einmal eine steinerweichende Liebeserklärung: Auch wenn ich eine große Narbe im Gesicht hätte, auch wenn dieses entstellt wäre, würde ihre Liebe zu mir keinen Deut nachlassen. Ich hätte dies goutieren, eine ebenso liebevolle Entgegnung finden müssen. Doch ich konnte nicht, denn ich fühlte mich ertappt. Ich stellte mir die Frage, ob es umgekehrt auch so wäre. Kann die Liebe so groß sein, dass man über die Zerstörung dieser Bühne der menschlichen Identität, dieses Spiegels der Seele hinwegkommen kann? Claude Mulot erkundet in schmerzlich-intensiven Tableaus subtil-nuanciert dieses Dilemma. Als Frédéric in einer besonders quälenden Szene das zerstörte Gesicht seiner Frau küsst, ist seine Liebe zu ihr spürbar. Doch sie wird melancholisch überlagert durch die unausweichliche Erinnerung an die Vergangenheit. Ein niederschmetterndes Meisterwerk – schöner, poetischer und erschütternder als LES YEUX SANS VISAGE.

28. Bonner Sommerkino (Internationale Stummfilmtage)
Alle 35 mm außer * digital
PRELUDE/RACHMANINOFFS PRELUDE – Castleton Knight – 1927 – n.b.
THE WEDDING MARCH/HOCHZEITSMARSCH – Erich von Stroheim – 1928 – 6.8
ROTAIE/SCHIENEN * – Mario Camerini – 1929 – 6.3
TOKYO NO EIYU/DER HELD VON TOKYO – Hiroshi Shimizu – 1935 – 8.0
NICK WINTER ET LE VOL DE LA JOCONDE/NICK WINTER UND DER RAUB DER MONA LISA – Paul Garbagni – 1911 – n .b.
POLIS PAULUS´ PASKASMÄLL/PAT UND PATACHON ALS POLIZISTEN – Gustav Molander – 1925 – 2.1
DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE OFFER/DIE WEISSE SKLAVIN – August Blom – 1911 – n.b.
DADDY-LONG-LEGS/DAS WAISENKIND – Marshall Neilan – 1919 – 6.4
WHY GIRLS SAY NO/DIE UNFOLGSAME TOCHTER * – Leo McCarey – 1927 – 7.4
EAST SIDE, WEST SIDE/TITANIC – Allan Dwan – 1927 – 8.1
LE VOYAGE DANS LA LUNE/DIE PHANTASTISCHE REISE NACH DEM MONDE * [4] – Georges Méliès – 1902 – n.b.
DAS WEISSE STADION – Arnold Fanck – 1928 – 8.6
THE JEST/DER SCHERZ – Fred Paul – 1921 – n.b.
3 BAD MEN/DREI EHRLICHE BANDITEN – John Ford – 1926 – 7.4

LA REBELIÓN DE LAS MUERTAS / DIE REBELLION DER LEBENDEN LEICHEN *
Léon Klimovsky – 1973 – DF – 35mm – 5.1

ZAMBO, IL DOMINATORE DELLA FORESTA / SIE NANNTEN IHN ZAMBO *
Bitto Albertini – 1972 – DF – 35mm – 7.4

Der unvergessene Ethnologe und Anthropologe Claude Lévi-Strauss stieß in den 50er Jahren auf einen seltsamen Stamm: gefährliche, marodierende Naturzerstörer, menschenverachtend und ohne jeden Skrupel – die Zivilisation. Dieser entflieht Brad Harris im afrikanischen Dschungel als unschuldig verurteilter reicher Bonze zunächst eher widerwillig. Doch dann wird er zum Zambo, dem Held der Eingeborenen und liebsten Kumpel der autochthonen Tierwelt. Oder wie das Cover des deutschen VHS-Tapes so schön erklärt: „Er kam als Sträfling und blieb als Freund“. Ein Neo-Hybrid aus Tarzan, Ursus und Herkules, leidenschaftlich dem Naturgesetz verfallen. Diesem autarken, auf ewig unverrückbaren, humanistischen System wahrer und hehrer Werte, das sich von allen Gesellschaftsordnungen gelöst schon so oft als anti-repressiv, befreiend und Glück bringend erwiesen hat. „Hier gibt es keine Verbrecher!“ ruft Zambo freudig erregt aus. Aber leider auch nicht so manches, auf das er auch im tiefsten Urwald dann doch nicht verzichten möchte. Das macht sich besonders auf der Suche nach jemandem zum Liebhaben bemerkbar. Eine kultivierte weiße Frau an der Seite sollte es schon sein. So darf sich die naturtrübe blonde Prachtvenus Gisela Hahn, in guten alten Tagen zeitweilige Gespielin von Hans Billian, mit liebreizender Anmut dramaturgisch effizient ausgedehnt zieren, bevor sie ihrem New Yorker Journalistenkabuff nicht nur hasta pronto sagt, sondern ihrem Muskelstecher für immer in die ewigen Naturgründe folgt. Ein berührender archaisch-romantischer Moment in einer urwüchsig und passioniert peitschenden Zivilisationskritik.

KLAPPE COWBOY! *
Timo Jacobs – 2012 – digital – 6.8

Timo Jacobs ist der tollste Mann des deutschen Films. Wenn ich dem männlichen Geschlecht zugeneigt wäre, würde ich beim Anblick seines gerissen-klugen und herben, aber gleichzeitig auch zarten Gesichts kaum verzichten. Jacobs´ unwiderstehlich-dominante Präsenz ist für mich aber auch ein großes Problem bei seinem Regiedebüt, in dem er selbst einen megaloman-dilettantischen Regisseur spielt. Denn besonders im Vergleich zu seinen Auftritten in den Filmen von Klaus Lemke fehlen seinem Cowboy hier männliche und weibliche Mitstreiter, die zumindest annährend ebenbürtig sind. Zudem verlässt sich Jacobs manchmal etwas zu selbstgefällig auf die vermeintliche Berlin-Coolness. Dass Tristesse und Dilettantismus schon irgendwie cool sind, wenn sie sich in unserer Hauptstadt abspielen, empfinde jedoch nicht nur ich als bedauerliches Missverständnis. So wirken nicht wenige Szenen zäh und bemüht. Vieles in KLAPPE COWBOY! Ist aber bestechend lebendig, überschäumend lustvoll und wahrhaftig komisch. Wenn Cowboy einen extrem inkonsequenten Suizidversuch mit den unvergesslichen Worten „Lieber ein kurzer Jemand als ein langer Niemand“ begleitet, wird diese Handlung als nicht durchführbare „Lösung“ einer narzisstischen Krise spürbar, die die angestauten Größenphantasien weiterleben lassen muss, weil ohne sie etwas Elementares fehlen würde in unserer Welt: die archaisch-fantasievolle und kämpferisch-schöpferische Individualität der autodidaktischen Unruhegeister jenseits des Mainstream. Die sich auch in einem wunderbaren Talent offenbart: Jacobs beherrscht die Kunst der Fuge, der Gestaltung von trunstvoll-elegischen Füllszenen, in denen einfach nichts geschieht oder sich Personen gemächlich aus dem Bild trüben.

L´ARGENT DE POCHE / TASCHENGELD * [2]
Francois Truffaut – 1976 – DF – 35mm – 8.3

Das zu drei Vierteln anwesende Hofbauer-Kommando rieb sich bei der Sichtung dieses angenehm irritierenden Truffaut-Spätwerks erfreut die angespannten Beinkleider. Ein unterschätzter, ingeniös-rebellischer, mal glücklich leuchtender, dann wieder dunkel und durchtrieben schimmernder film maudit bizarre, generös und geschmackvoll ausgestattet mit authentischem HK-Lieblingsfilme-kompatiblem Personal in Kindergestalt: Verzichtern, Verzichtenden, Fernstechern, tristen Jungs sowie gelangweilten, strengen und kompromisslosen Mädchen. Suchende zwischen Verlassenheit und  erster Liebe. Die surrealen Nuancen früherer Filme treibt Truffaut hier akzentuiert auf die Spitze und balanciert pointiert an der Grenze zwischen Hochgefühl und Schmerz: In der skurrilsten Szene schmeißt sich ein 2-jähriges Mädchen beseelt aus dem 10. Stock eines Hauses den entsetzten Erwachsenen entgegen, um sich dann unten angekommen fröhlich lachend zu verziehen. Sie kontrolliert die Betrachter und bringt sie in einen undefinierbaren Gefühlszustand, unentschieden zwischen Lachen und Entsetzen schwankend. “Kinder überstehen Gefahren, die Erwachsene umbringen würden.“ heißt es einmal. Wes Anderson hat die anmutige Ernsthaftigkeit der Truffaut´schen TASCHENGELD-Kinder auf die nächsthöhere Stufe einer anderen, mystischen Realität emporgehoben und in MOONRISE KINGDOM zur Perfektion geführt: “Die Kinder wissen, was sie wollen: ihre Liebe“.

KISSS….. / L´ARGENT ET L´AMOUR / LSD *
Jean Lévitte – 1971 – DF – VHS – 8.5

TEUFELSCAMP DER VERLORENEN FRAUEN *
Hubert Frank – 1977 – DF – 35mm – 7.2

MACHO MAN *
Alexander Titus Benda – 1985 – 35mm – 9.1

Natürlich wird das Kino nicht sterben. Es wird immer wieder magische Nächte geben, in denen das kollektive Film-Er-Leben zusammen mit anderen Menschen über die Nur-Betrachtung eines Films hinausgeht. In denen etwas gemeinsam vollzogen, individuell verarbeitet und ausgetauscht wird. In denen die Bilder durch nach außen geleitete Emotionen über das objektiv Sichtbare hinaus mit einer neuen Bedeutung aufgeladen werden. Ein ganz besonders aufregendes Erlebnis dieser Art bereitete mir meine Erstsichtung des faszinierenden rau-urbanen, in Nürnberg spielenden Actiondramas MACHO MAN in der Stadt seiner Entstehung. In der vollbesetzten offenen Ruine eines Klosters, in dem bis zum Ende des 16. Jahrhunderts fleißige Nonnen Bücher schrieben, Teppiche webten und ausgedehnte Ländereien verwalteten. Hoffentlich haben sie nicht nur ihre geistigen Gelüste befriedigt. Diese Dominikanerinnen schienen mir auf eine übersinnliche Art anwesend. Ich glaubte ihre von Liebe erfüllten Seelen zwischen uns zu spüren. Glücklich schienen sie mir, wie unverzichtbare Statistinnen, essentiell für dieses Spektakel wie die Menschen im Publikum, die Überfrau in meiner Reihe, der mollige und perückte Exzentriker links oder der Gesellschaftsschönling rechts vorn. Eine direkte Interaktion mit dem Geschehen auf der Leinwand, denn auch in MACHO MAN geht die Bedeutung der Komparsen weit über das passive Beleben des Hintergrunds hinaus. Sie sind wesentliche und gleichberechtigte Mitspieler in dieser dynamisch-dichten Milieubeschreibung. Boxkämpfe waren in den 80ern noch keine glamourösen Fernsehevents am späten Samstagabend, sondern in einem zwielichtigen gesellschaftlichen Umfeld verhaftet. Die Faust brach die Nase, aber ein Bein verfing sich schon halb in schwedischen Gardinen. Oder wie Holger Gertz einmal so treffend angemerkt hat: “Menschen, die schon mal im Knast gesessen hatten, boxten vor Menschen, die ebenfalls im Knast gesessen hatten oder im Begriff waren, bald wieder im Knast zu sitzen.“ Benda gelingt die Glanzleistung, die Statisten in jedem Zwischenschnitt mit einer inbrünstig unverfälschten Intensität glühen zu lassen. Ein slenialer Trunstgriff ist dabei die mehrfach gewählte einreihige Anordnung. Ob am Boxring oder an der Tanzfläche – durch den gern ausgeübten Verzicht und die minimalistische Konzentration auf das quantitativ gerade noch Erträgliche können wir unsere Blicke von rechts nach links und wieder zurück schweifen lassen, ohne dass uns vom auserlesenen Personal etwas entgeht – und dürfen ihm so ganz nah kommen. Benda erweckt die Trübnis zum Leben. “Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry)
MACHO MAN ist natürlich ein Actionfilm. Und einer Boxerfilm. Und ein Buddy-Movie. Und ein Liebesfilm. Und noch viel mehr. Er ist alles, so wie das Leben. Vor allem ist er eine flammende Hymne auf die Solidarität. Hier ist man füreinander da, man hilft  sich, wo man kann und muss – auch wenn man dabei um sein eigenes Leben fürchtet. Ein gemeinsam vereitelter Banküberfall steht folgerichtig am Beginn der Freundschaft zwischen René Weller, der seinerzeit “heißesten Hose“ der Boxszene, und dem Kampfsportler Peter Althof, dessen Hose zwar nicht golden, aber genauso dick ist. Über, zwischen und unter ihnen schwebt Bea Fiedler, die ihre bezaubernde Natürlichkeit in einen Zustand der Ultranatürlichkeit transzendiert, in dem die Essenz des menschlichen Seins offengelegt wird. Das, was Menschsein und unser Leben wahrhaftig ausmachen. Kess, unverblümt, liebend, leidend und mitfühlend bewegt sich Bea durch kulturelle Riten, szenespezifische Räume und von Wollust durchtränkte Schlafzimmer. Der Discobesuch, das Abhängen in einer Bar, das Anschauen eines Boxkampfes – alles steht im Zeichen ihrer individualistischen Autonomie. Wobei das Aufgehen in einer körperlich-magischen Kollektivität auf der Tanzfläche hier schon mangels fehlender tanzender Masse ausscheidet. Stattdessen erleben wir eine innerliche Ekstase, die einen Sinn konstituierende Selbsterfahrung, die sich als alles überstrahlende Lebendigkeit darstellt und meine Wahrnehmung verändert hat, fremdgetrieben, berauscht, überglücklich. Auch impulsive Momente wie die Lust auf ein „geiles Frühstück“, in denen Beas liebreizend-verführerische Augen eruptiv-verlockend aufflackern, wirken zärtlich und warm. Wie Christoph es so schön ausgedrückt hat: “Ein Film an dem hängt, den man liebt, den man in seine Arme schließt und der so reich ist, dass man ihn unmöglich in- und auswendig kennenlernen kann…“. Und abweichend gemäß unserer unterschiedlichen sexuellen Präferenzen: Eine Geliebte, zu der man immer wieder zurückkehren muss.

THE RUM DIARY / RUM DIARY *
Bruce Robinson – 2011 – OmU – digital – 7.0

PICKPOCKET *
Robert Bresson – 1959 – DF – 35mm – 8.0

Der Fluch des Kanons. Es ist schon so viel gesagt und abgehandelt worden, „das virtuose Ballett der Hände“, die „Suggestivkraft“, die „Bewegungskunst“, die leblose Perfektion des Taschendiebstahls, diesem uralten Gewerbe. Hier gibt es keine Fetischisierung des Objekts, sondern eine der Bewegung. Die dann aber doch wieder zum Subjekt führt. Denn natürlich ist es auch und vor allem ein Film über die Liebe – die Suche, das Nichterkennen, das Finden. Es sind nur kurze Momente, die die Kamera auf dem Gesicht von Jeanne, dem Subjekt der Begierde, verweilt, skizzenhaft flüchtig. Aber hinter der konzentrierten Nüchternheit des Kameraauges verbirgt sich die Essenz der Zärtlichkeit und der Hingabe. Sie ist schwer zu erkennen hinter Jeannes geheimnisvollen, strengen Augen, in ihren kaum sichtbaren Emotionen, aber dadurch umso intensiver. Der Protagonist begreift sie nicht in seinem Streben nach den perfekten Griffen, in seinem technisierten Einzelgängertum, in der immer weiter fortschreitenden Entfremdung  von sich selbst. Aber auch für ihn steht am Ende das Glück, der Schmerz der Katharsis führt ihn auf eine höhere Ebene des emotionalen Seins: “Welch einen seltsamen Weg musste ich nehmen, um zu dir zu gelangen.“

Hong Kong Film Festival (Düsseldorf – alle OmU und 35mm bis auf * DCP) 
SIT YAN FUNG WAN 2/OVERHEARD 2 – Felix Chong & Alan Mak – 2011 – 7.0
GAO JU AI QING/LOVE LIFTING – Herman Yau Lai-To – 2012 – 4.9
HONG MEN YAN/WHITE VENGEANCE – Daniel Lee – 2011 – 4.1
CURE – Bill Yip – 2011 – 8.9
MY WAY * – Segment aus BEAUTIFUL 2012 – Ann Hui – 2012 – 8.0
DA LAN HU/BIG BLUE LAKE * – Jessey Tsang Tsui-Shan – 2011 – 7.5
DAAI MO SEUT SI/THE GREAT MAGICIAN – Tung-Shing Yee – 2011 – 5.3

KOI NO TSUMI / GUILTY OF ROMANCE *
Shion Sono – 2011 – OmU – digital – 8.8

Susan Vahabzadeh bemerkte in ihrer Kritik zu MAGIC MIKE in der Süddeutschen Zeitung, dass jemand, der Sex für Geld verkauft,  immer einen Teil seiner Seele und seiner Würde hergeben muss. Sie ist mit ihrer Meinung nicht allein. Als ob das alles ganz einfach ist. Als ob der außenstehende Beobachter  im Gewande des selbstgefälligen Moralisten nichts hinterfragen muss und legitimiert ist, ohne Fallunterscheidung das abschließende, von der Gesellschaft schon abgesegnete Urteil zu fällen. Renate Rasp hat mit ihrem 1973 erschienenen Buch “Chinchilla“ einen Leitfaden zur praktischen Ausübung der Prostitution geliefert, mitten rein in ein Volk, das Liebesbeziehungen schon größtenteils zu Tauschbeziehungen transformiert hat. Sie beendet ihren Text mit den Sätzen:  “Die Erhaltung Ihres Selbstwertgefühls ist eine der Hauptbedingungen, diesen Beruf zu einem erfolgreichen Ende zu führen (Chinchilla). Auf dem allgemeinen Markt verkaufen Sie das Beste.“ Hier ist die Prostituierte kein Objekt, sondern ein Subjekt, ein selbstgesteuertes Individuum, das fähig ist, seine Würde zu konservieren, nicht nur im emotionalen Zusammenspiel mit sich selbst, sondern auch durch von außen sichtbare Taten.  Auch Shion Sono traut einer objektiven Würdeverlust-Definition nicht und belässt die weibliche Sexualität lieber dort, wo sie hingehört – bei jeder Frau selbst. In dem Wissen, dass er sich seiner Protagonistin Izumi nur annähern kann und sie ein Mysterium bleiben wird, tastet er sich feinfühlig an sie heran und stellt dabei seinen “männlichen Blick“ ganz zurück. Dadurch sehen wir, wie sie sich selbst sieht und begreift, ihren prächtig gebauten Körper, das Objekt, das danach schreit, sich in ein sexuell sinnesfreudiges und genießerisches Subjekt zu verwandeln und sich so zu befreien. Der Schritt, sich zu prostituieren, ist der Grenzen überschreitende Bestandteil der Befreiung, die Perversion auch eine Strategie, um den Schmerz zurückzuhalten. Weniger kluge Filmemacher hätten Izumi zum Opfer erklärt, das sich an den Männern rächen will und zum Fetisch wird, um die Macht über die männliche Sexualität zu erlangen.  Solche Klischees sind Sono fremd. Er erweist sich wieder einmal als genuin-eigenständiger Auteur, der sich stilsicher in seinem unnachahmlich ästhetisierten, individuell-formvollendeten, empathisch-humanistischen und fantasievoll-philosophischen Kosmos bewegt. Und zwar so einnehmend, wie ich es bei ihm noch nie erlebt habe. Tatsächlich ist GUILTY OF ROMANCE  der erste von Sonos Filmen, der mich niedergeschmettert  und verändert hat. Zum ersten Mal fühlte ich mich nicht als Beobachter, sondern als unmittelbar im Innersten Getroffener. Ich spürte keine Längen oder Löcher. Und die heterogenen und fragmentierten Elemente erschienen mir jederzeit substanziell-harmonisch zusammengefügt. Hemmungslos und besessen, funkelnd und spritzend, brünstig und sinnlich, schamlos und zart – ein mirakulöses Pop-Noir-Melodram.

DER SEX-AGENT
Günter Hendel – 1978 – DF – 8.7

Juli 2012

55 Filme im chronologischen Schnelldurchlauf:

Filmfest München (* 35mm / ** 16mm):
Refn: FEAR X * (8) Courtin-Wilson: HAIL (6) Lapid: HA-SHOTER * (7.5) Arnold: WUTHERING HEIGHTS * (8.5) Coppola: TWIXT (7) Milos: KLIP * (7) Fassbinder: LOLA * (8.5) Beigbeder: L´AMOUR DURE TROIS ANS (5.5) Shimizu: RABITTO HORÂ 3D (4.5) Berlinger & Sinofsky: PARADISE LOST 3 – PURGATORY (9) Perry: THE COLOR WHEEL (8) Franco: MY OWN PRIVATE RIVER (8) Haynes: ASSASSINS… ** (5) SUPERSTAR ** [5] (8.5) DOTTIE GETS SPANKED (6) Hui: TAO JIE * (8) Friedkin: KILLER JOE (8) Shelton: YOUR SISTER´S SISTER (7.5) Delpy: LE SKYLAB (6.5) Haynes: I´M NOT THERE * (7.5) Singh: ANHEY GORHEY DA DAAN * (6) Lee & Shin: MING-KEU-KO-TEU (3) Carax: HOLY MOTORS (9.5) Schreier: ROBOT & FRANK * (6.5) Delpy: 2 DAYS IN PARIS * (7.5) Al-Janahi: SEA SHADOW (6) Davies: THE DEEP BLUE SEA * (10)

Cronenberg: COSMOPOLIS * (7) Schmidt: MARILYN MONROE – ICH MÖCHTE GELIEBT WERDEN * (6) Kieslowski: TRZY KOLORY BIALY * [3] (8) Macc: SONNE, SYLT UND KESSE KRABBEN * [2] (7) Huston: THE MISFITS * (6.5) Ichikawa: HAKAI * (6) Mora: THE RETURN OF CAPTAIN INVINCIBLE * (7.5) Hofbauer: URLAUBSREPORT * (7) Hani: TE O TSUNAGU KORA * (5.5) Smarzowski: WESELE * (3.5) Kieslowski: TROIS COULEURS ROUGE [5] (9) Rothemund: DIE SCHÖNEN WILDEN VON IBIZA [2] (7.5) Rosi: UOMINI CONTRO * (7)

6. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos (* 35 mm)
Schier: TRÄNEN TROCKNET DER WIND * (7.5) Petrini: OPERAZIONE KAPPA: SPARATE A VISTA (7.5) Tinney: NACKT UND HEISS AUF MYKONOS (8) Siragusa: SENZA VERGOGNA (6.5) Baumgartner: SEX UND NOCH NICHT SECHZEHN * (6.5) Franco: LES POSSÉDÉES DU DIABLE (8.5) Hendel: EIN LANGER RITT NACH EDEN (9) D´Amato: TOP MODEL (7) Lautner: ROAD TO SALINA * (8) Duke: PAYDAY * (7.5) Hofbauer: PROSTITUTION HEUTE (9) Brummer: GEFÄHRLICHER SEX FRÜHREIFER MÄDCHEN (8.5)

Mancini: FRANKENSTEIN ´80 * (6.5) Christian: THE SENDER (7) Itô: ÔSHÔ * (6)

Juni 2012

MÄNNER SIND ZUM LIEBEN DA
Eckhart Schmidt – 1970 – 9/10

UNDINE
Eckhart Schmidt – 1992 – 8/10

BLUTIGER FREITAG
Rolf Olsen & Lee Payant – 1972 – 7.5/10

TORI BLACK IS PRETTY FILTHY & TORI BLACK IS PRETTY FILTHY 2
Mason – 2009 & 2010 – OF – 7-9.5/10

„Tu deinem Leib Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ bemerkte Teresa von Avila schon im 16. Jahrhundert. Und Michel Foucault schrieb, dass Lust zunächst und allererst in Bezug auf sich selbst als Lust zu erkennen ist, “also in ihrer Intensität, ihrer spezifischen Qualität, ihrer Dauer und ihrer Ausstrahlung im Körper und in der Seele.“ Ich habe sehr lange keine Pornodarstellerin mehr gesehen, die diese Worte so kompromisslos unterstreicht wie Tori Black. Wenn sich ihre Pupillen im Moment höchster Erregung nach oben wegdrehen und man in das lüsterne Weiß ihrer Augäpfel blickt, scheint sich ein rational nicht mehr fassbarer, unendlicher Raum des sexuellen Erlebens auf einer transzendenten Ebene zu öffnen. Man spürt einen maßlos entfesselten Energiestrom aus ihr herausfließen und ihre Seele schmachtend und freudvoll im Rhythmus ihrer ekstatischen Zuckungen leuchten. Aber auch in diesen Momenten verliert Tori nie die Kontrolle über sich selbst. Sie nimmt sich in jeder Sekunde das, was sie will. Die mit ihr schnackselnden Männer und Frauen degradiert sie in ihrer verzehrenden Unersättlichkeit kontinuierlich zu Erfüllungsgehilfen, die nur einem Zweck dienen: sie in ihr Paradies der ewigen, sinnlich donnernden Orgasmen zu führen. In eine Welt, zu der nur sie Zutritt hat.

LA BÊTE / DIE BESTIE *
Walerian Borowczyk – 1975 – DF – 35mm – 8/10

VIVRE SA VIE: FILM EN DOUZE TABLEAUX / DIE GESCHICHTE DER NANA S. *
Jean-Luc Godard – 1962 – OmU – 35mm – 7/10

LA PRINCESSE DE MONTPERSIER / DIE PRINZESSIN VON MONTPERSIER *
Bertrand Tavernier – 2010 – OmU – digital – 6.5/10

AI NO MUKIDASHI / LOVE EXPOSURE *
Sion Sono – 2008 – OmU – 35mm – 7/10

INTOUCHABLES / ZIEMLICH BESTE FREUNDE *
Olivier Nakache & Eric Toledano – 2011 – OmU – 35mm – 2.5/10

Eine ewig hinausgezögerte Sichtung. Es hat sehr lange gedauert, bis ich mich reingetraut habe. Zwischen dieses Publikum, dass es erhebend findet, wenn man Behinderte oder gesellschaftlich Marginalisierte auf der Leinwand sieht und sich trotzdem amüsieren kann. Zwischen Menschen, die nur noch berührt sind, wenn Emotionen als ihrer schmerzlichen Intensität beraubte Schatten fernab jeder Wahrhaftigkeit auf sie hinabrieseln. Ich mag keine Worte darüber verlieren. Wie Christoph bringt auch mich der Erfolg solcher Filme abwechselnd zum Heulen oder zum Rasen. Diese klug kalkulierte wahre Geschichte, die sich so grazil einfügt in die Historie von piefiger Gesellschaft und vertrockneter Kultur. Diese Kriegserklärung an das intelligente, schlockresistente Unterhaltungskino. Carsten Moll hat es auf filmgazette.de adäquat formuliert: “Dazu ist alles zu sehr auf Gefälligkeit getrimmt, die Ironie angenehm sanft und die Witze schön vorhersehbar und harmlos; das Vorhandensein von Unmengen von Klischees und Stereotypen wird geradezu zu einer Notwendigkeit, wenn nicht zur Essenz des Unterhaltungskinos erklärt.“

LA GUERRE EST DÉCLARÉE / DAS LEBEN GEHÖRT UNS *
Valérie Donzelli – 2011 – OmU – 35mm – 8.5/10

IL PORTIERE DI NOTTE / DER NACHTPORTIER *
Liliana Cavani – 1974 – DF – 35mm – 8/10

NEVER TOO YOUNG TO DIE / LANCE – STIRB NIEMALS JUNG *
Gil Bettman – 1986 – DF – 35mm – 7.5/10

Vanity konnte nur in den merkwürdigen 80ern entstehen. Daher wartete sie bis zum Beginn dieser Dekade. Ihrer Dekade. Dann stieg sie in TANYA´S ISLAND sehr nackig aus dem Meer und trieb sich auch auf der titelgebenden Insel zumeist nicht mit viel mehr Stoff um die Hüften rum. Eine animalische Sexualität erblickte ich seinerzeit ihn ihr. Ein kryptisches, unnahbares Traumwesen. Die in perfekte weibliche Formen gegossene  Regina sexualis. Der Titel ihres 1984 erschienenen Albums “Wild Animal“ erschien mir nur folgerichtig. Ich hörte den puren Sexus orgasmisch durch die Rillen schleifen und spürte den Muschisaft heftig auf mich niedertropfen. Ein paar Jahre später trieb Vanity ihre Amazonenhaftigkeit in LANCE auf die Spitze. Dort präsentiert sie sich dem wie immer perfekt geföhnten John Stamos  als  mütterliche Beschützerin und sinnliche Liebhaberin. In einer unglaublichen Verführungsszene hält er eine Flasche Perrier und 1 ½ Äpfel  durch, bevor sich Bienchen und Blümchen in einem schwitzend-gierigen Rausch brünstig miteinander vereinen.

URSUS, IL TERRORE DIE KIRGHISI / URSUS & DIE SKLAVIN DES TEUFELS *
Antonio Margheriti – 1964 – DF – 35mm – 7/10

”…viel rollende Augen…” (Filmdienst)

CHINESISCHES ROULETTE * [2]
Rainer Werner Fassbinder – 1976 – 35mm – 9/10

“Natürlich ist es mir lieber, mit erfahrenen Darstellern zu arbeiten, wie mit Margit Carstensen oder auch mit Anna Karina. Denen sage ich, sie sollen von da nach dort schauen, und die machen das dann auf eine Art und Weise, die mich glücklich macht, die sie zwar selbst erfunden haben, aber genau in dem Rahmen, den ich als Regisseur vorgebe.“ (Rainer Werner Fassbinder)

THE BAREFOOT CONTESSA / DIE BARFÜSSIGE GRÄFIN * [2]
Joseph L. Mankiewicz – 1954 – DF – 35mm – 4/10

Dass ich diesen Film beim ersten Mal als eher durchschnittlich empfunden hatte, habe ich immer auf die Unzulänglichkeiten der seinerzeitigen Fernsehsichtung geschoben. Vom Kinobesuch erhoffte ich mir daher, dieses Werk endlich in seinem Glanz und seiner Glorie zu erblicken. Leider reichte es nur zu Trübnis und Jammer. Ein Bewunderer Ava Gardners war ich nie, doch dünkte mich ihre Fehlbesetzung als nacktfüßige Edeldame erst jetzt heftig. Immer noch von glamouröser Optik, aber für ein neues Filmsternchen dann doch schon etwas zu alt und verbraucht, im Badeanzug gar mütterlich wirkend. Die flachen Charaktere hatte ich noch gut in Erinnerung – aber sollten sie nicht so sein, in dieser trist-leeren und geistig-substanzlosen Welt voller Zynismus? Ich musste an den von mir sehr geschätzten Rainer Knepperges denken, der an mir einmal die fehlende Ironie im Umgang mit geliebten Filmen bemängelte. Seitdem erscheint mir die Ironie manchmal wie ein Zauberelixier, von dem zuweilen eine Nuance genügt, um mit dem nötigen Abstand die Essenz einer Wahrheit herauszukristallisieren. Ja, die Ironie fehlt mir auch hier. Ich glaube, dass mit einem sanften Hauch davon aus dem seichten Geschwätz dieses faden Kammerspiels, in dem Wahrheit nur gelogen wird, eine intelligent-scharfsinnige Provokation voll strahlender Gelassen- und Wahrhaftigkeit hätte werden können.

MOONRISE KINGDOM *
Wes Anderson – 2012 – OmU – 35mm – 9/10

DIE SCHULMÄDCHEN VOM TREFFPUNKT ZOO * [2]
Walter Boos – 1979 – 35mm – 8/10

Wieder ein Film, der sich mir erst bei der Sichtung im Kino in seiner ganzen Pracht erschlossen hat. Die vollkommene Tiefe der melodramatischen Elemente. Mit welch wunderbarer Harmonie sich Aufklärung, Sleaze und Teeniefilm verbinden. Und Katja Bienert, deren empathische Melancholie mich tief berührt hat. Souverän hält Walter Boos die Balance, nichts lässt er ins Lächerliche fließen. Wunderschön.

HORSE FEATHERS / DIE MARX BROTHERS IN DER UNI *
Norman Z. McLeod – 1932 – OF – 16mm – 8/10

GEISSEL DES FLEISCHES *
Eddy Saller – 1965 – 35mm – 7.5/10

LA MORT EN DIRECT / DEATH WATCH / DER GEKAUFTE TOD *
Bertrand Tavernier – 1980 – DF – 35mm – 7/10

LA PETITE VOLEUSE / DIE KLEINE DIEBIN *
Claude Miller – 1988 – OmU – 35mm – 8/10

ENDGAME – BRONX LOTTA FINALE / ENDGAME – DAS LETZTE SPIEL MIT DEM TOD *
Joe D´Amato – 1983 – DF – 35mm – 7/10

NEGRESCO – EINE TÖDLICHE AFFÄRE * [2]
Klaus Lemke – 1968 – 35mm – 8/10

PROMETHEUS *
Ridley Scott – 2012 – OmU – digital – 3D – 7/10

Mai 2012

EL SEDUCTOR / DER MALER UND SEIN MODELL *
Chano Urueta – 1955 – DF – 35mm – 7/10

L´ANIMAL / EIN IRRER TYP *
Claude Zidi – 1977 – DF – 35mm – 7/10

WORK HARD – PLAY HARD *
Carmen Losmann – 2012 – digital – 7.5/10

Vor einigen Jahren ging es los. Man wurde vom Sachbearbeiter zum „Unternehmer im Unternehmen“. Kompetenzen, Verantwortung und Arbeitsbelastung stiegen – das Gehalt nicht. Heute sind wir weiter: Die Trennungslinie zwischen Arbeit und Freizeit löst sich auf, das Joy-Gen geht flöten, das Burn-out liegt auf der Lauer. Nicht überall, aber immer öfter. Der Kapitalismus zerstört in seiner unersättlichen Profitgier sein immer noch wichtigstes Kapital: den Menschen. Den perfiden Mechanismus, dem Arbeitenden zynische gewinnmaximierende Änderungen als für ihn positiv und befreiend zu verkaufen, seziert Carmen Losmann kühl und akzentuiert. Digitales Kino findet hier zu einer eigenen Identität, wenn die Kamera gebremst-hypnotisch über glatt-glänzende Flächen, entseelte Gesichter und durch kalkuliert-sterile Räume schwebt. Ein Zombiefilm.

PORTRAIT OF A LESBIAN
Viv Thomas – 2009 – OmU – 7.5/10

REVENGE OF THE PETITES
Harry Sparks – 2012 – OF – 7/10

MEMORIES WITHIN MISS AGGIE *
Gerard Damiano – 1974 – OF – 16mm – 8/10

HOW I WON THE WAR / WIE ICH DEN KRIEG GEWANN *
Richard Lester – 1967 – DF – 35mm – 5/10

MONACAPHAGUS / DER MENSCHENFREUND *
Moe D´Amato – 1980 – DF – 35mm – n.b.

Viel zu spät, schon im Zustand massiver delirierender Eintrübung, erkannte ich die unendlich tiefe Verzweiflung und rasende Todessehnsucht dieses verlorenen Geschöpfes. Verloren war auch ich, der diesem Film nicht das geschenkt hatte, was er verdient: ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuneigung.

TROTACALLES / MÄDCHEN DER STRASSE *
Matilde Landeta – 1951 – DF – 35mm – 7/10

SOUND IT OUT *
Jeanie Finlay – 2011 – OmU – digital – 5/10

In Dokumentationen über exotische Minoritäten wird gern zur massiven Ausstellung von expressivem Nerdtum gegriffen. Das bringt die Zuseher und Zuseherinnen schön zum Schmunzeln und berührt sie zuweilen sogar, wenn persönliche oder gesundheitliche Probleme zutage treten. Berührt hat mich SOUND IT OUT auch, allerdings nur im technischen Sinne. Denn ich gehöre selbst zu der hier beobachteten Spezies der Vinyljunkies, die tausende Platten um sich herum stapeln und diese Stapel  immer größer werden lassen. Die Gleichgesinnten, die Jeanie Finlay vorstellt, müssten mir eigentlich nah sein. Doch sie sind ganz weit weg. Denn die Wahrheit ist natürlich viel weniger trüb und nerdig als man hier sieht. Wir haben keinen Dachschaden, sondern sind normale Menschen, die normal miteinander reden, auch wenn manchmal merkwürdige Angewohnheiten an uns zu beobachten sind, die wir selbst nicht unbedingt als merkwürdig empfinden. Dass man zum Beispiel Platten nach dem Aussehen des Covers aussucht oder sehr viel Geld nach Lateinamerika transferiert, um seiner Sammlung ein seltenes Exemplar einzuverleiben. Wichtige, auch uns umtreibende Themen wie die Digitalisierung, spart Finlay aus, um den eng gesteckten Nerdkosmos nicht zu stören. Das ist schade, denn sie kann mehr. Das beweist sie mit den differenzierten Beobachtungen der beiden Mitarbeiter des Plattenladens, um den sich in SOUND IT OUT alles dreht. Ihr leidenschaftlicher Idealismus und ihre Mission, andere glücklich zu machen, sind immer spürbar. Denn “hier nimmt die Liebe Form an“, wie Karl Bruckmaier in der Süddeutschen Zeitung in seinem schönen Artikel über den Münchner Laden “Optimal Schallplatten“ so treffend angemerkt hat.

ANIMAL CRACKERS * [2]
Victor Heerman – 1930 – OF – 16mm – 8/10

LES ADIEUX À LA REINE / LEB WOHL, MEINE KÖNIGIN *
Benoît Jacquot – 2012 – OmU – digital – 8/10

THE TOY BOY / SEXUALRAUSCH *
Ronald Victor Garcia – 1970 – DF – 35mm – 7/10

GUESS WHAT HAPPENED TO COUNT DRACULA? / DRACULAS LÜSTERNE VAMPIRE *
Laurence Merrick & Mario d´Alcala – 1971 – DF – 35mm – 9/10

YORU NO HENRIN / MÄDCHEN IM SCHATTEN *
Noboru Nakamura – 1964 – DF – 35mm – 7.5/10

THE PROFESSIONALS / DIE GEFÜRCHTETEN VIER *
Richard Brooks – 1966 – DF – 35mm – 7/10

DIE FARBE DES OZEANS *
Maggie Peren – 2011 – 35mm – 4/10

DON´T GO IN THE HOUSE / DAS HAUS DER LEBENDEN LEICHEN *
Joseph Ellison – 1980 – DF – 35mm – 6/10

Ein verwirrter junger Rächer, von seiner qualvollen Kindheit traumatisiert und zum Äußersten getrieben. Mit dem Flammenwerfer degradiert er schöne Frauen zur verbrutzelten Wohnzimmergarnitur. Das ist aufrichtig und liebevoll inszeniert, zuweilen aber auch ein wenig redundant und trüb. Dennoch ist dieser Film ein pädagogisch wertvoller Versuch, sadistische Rabenmütter und solche, die es werden wollen, zur Raison zu bringen. Vielleicht erkennen sie durch ihn, welch grausame persönliche und gesellschaftliche Folgen ihr Tun haben kann.

CABARET TRÁGICO / NACHTS…WENN ANDERE SCHLAFEN *
Alfonso Corona Blake – 1958 – DF – 35mm – n.b. (stark beschädigte Kopie)

LOS VIOLADORES / MAD FOXES [2]
Paul Grau – 1981 – EF – 8.5/10

Paul Grau hat sich mit diesem Wunderwerk schwungvoll in den Olymp des Hofbauer-Kommandos katapultiert. Dass er danach nur noch SECHS SCHWEDINNEN AUF DER ALM inszeniert hat, ist trübster Stoff. Denn MAD FOXES ist eines der prächtigsten Slüberraschungseier ever. Revenge, Gore, Disco, Biker, Martial Arts, Sex, Liebesschmonzette – all das und noch viel mehr ist drin. Für ein paar Schweizer Franken zwischen dem 15. November (Erhalt des Produktionsauftrags) und Weihnachten 1980 liebevoll zusammengekurbelt, imponiert besonders das traumwandlerische Zusammenfügen der heterogenen Genreelemente. Hier läuft nichts ineinander über, es gibt keine zarten Übergänge und keine Schwingungen. Grau erzeugt stattdessen eine intensive Reibung, indem er die pure Lust an der Inszenierung maximiert und den übersinnlichen Moment findet, in dem die Schönheit auf ihrem Höhepunkt ekstatisch gebrochen in sich zusammenfällt und etwas Neues entstehen lässt, das ganz anders, aber genauso erregend ist. Ein erhabener Destruktionsloop, der eine cinephile Intuition ausdrückt, die andere nur zu umkreisen vermögen. “Unter diesen Aspekten aber dominiert jener der Auflösung des falschen Scheins der Totalität, der Destruktion symbolischer Schönheit, der klassischen Harmonie der Gestalt durch entstaltende Phantasie.“ (Walter Benjamin).

OBSERVE AND REPORT / SHOPPING-CENTER KING
Jody Hill – 2009 – OmU – 8/10

American Dirt. Beeindruckend an den tollen US-Komödien dieser Machtart ist die Stringenz, mit der dem Publikum von der ersten bis zur letzten Minute der Schmutz ins Maul gestopft wird. OBSERVE AND REPORT steht ganz im Zeichen von Seth Rogen, dessen Charakter zwischen knüppelhartem Securitymann und liebevollem Kumpeltyp oszilliert. Berührend sind die zärtlichen Momente, die er mit seiner alkoholkranken Mutter verbringt. Nachdem er sie wieder einmal daheim aus ihrer Kotzlache aufliest, zeigt sie ihm ihre wahre Liebe. Sie verspricht, sich künftig nicht mehr mit harten alkoholischen Flüssigkeiten zu betrinken, sondern nur noch mit Wein.

TERRORE NELLO SPAZIO / PLANET DER VAMPIRE *
Mario Bava – 1965 – DF – 35mm – 7.5/10

VICTÍMAS DEL PECADO / VERBOTENE STRASSE * [2]
Emilio Fernández – 1951 – DF – 35mm – 9/10

MEDIANERAS *
Gustavo Taretto – 2011 – OmU – digital – 4/10

THE COCOANUTS *
Robert Florey & Joseph Santley – 1929 – OF – 16mm – 7.5/10

Der erste Film der Marx Brothers ist  die Umsetzung ihres gleichnamigen Broadway-Stückes. Ich möchte ihn wie LOVE HAPPY neben ihr Gesamtwerk stellen. Letzteren als schwächelnden Ausklang einer fulminanten Leinwandkarriere voller Höhepunkte, THE COCOANUTS als schützenswerten und liebenswürdigen Auftakt. Dieser war vor allem ein Versprechen für die Zukunft, in seiner rohen und kulissenhaften Art mehr auf der Bühne als im Kino verhaftet. Aber es war ein wunderbares Versprechen. Die Brüder wirken hier noch wie übermütige kleine Buben, die ihre Eltern mit klugen Streichen in den Wahnsinn treiben. Die freie, pure, unschuldige Lust – Anarchie im Kinderzimmer.

PHANTOM LADY / ZEUGIN GESUCHT *
Robert Siodmak – 1944 – OF – 16mm – 7/10

FUKUMOTO KÔHEI KAKU HASHIKIRI / KOHEIS RENNEN *
Suguru Kubota – 1992 – OmU – 35mm – 4/10

Buster Keaton-Kurzfilm-Programm * (alle 16mm)

NEIGHBORS (B.  Keaton & Edward F. Cline, 1920, 8.5/10) HARD LUCK (B. Keaton & Edward F. Cline, 1921, 7.5/10) THE BLACKSMITH (B. Keaton & Malcolm St. Clair, 1922, 7/10) DAY DREAMS (B. Keaton & Edward F. Cline, 1922, 7/10) COPS (B. Keaton & Edward F. Cline, 1922, 7/10)

THE HOWLING / DAS TIER *
Joe Dante – 1980 – DF – 35mm – 8.5/10

LA BESTIA NELLO SPAZIO / DIE BESTIE AUS DEM WELTRAUM
Alfonso Brescia – 1980 – DF – 8/10

Schon nach wenigen Minuten musste ich an sphärische Transzendenz denken, später an die ekstatische Entgrenzung des Raumes. Wie schnell ich bei Heidegger und Binswanger war. Tatsächlich löste sich etwas aus mir heraus und begab sich in einen Raum, der nicht mathematisch berechenbar oder von materialistischer Substantialisierung geprägt war. Eine psychische Raumdimension, in der die Unendlichkeit erfahrbar wird, die aber keine unendliche Leere ist, in der man sich verloren fühlt. Es war eine entgrenzte Räumlichkeit der Liebe, Vertrautheit und Nähe waren ganz stark. Ich war erstaunt über die Resonanzfähigkeit meiner Psyche, über ihre Frequenz der Schwingung, die energetische Dynamik, angekommen im Heimathafen einer anderen Dimension. Ich habe nur eine entrückte Poesie gefühlt, die sich vermählt hat mit einer bizarr schimmernden Schönheit. Die Farben waren nicht bunt, das Licht nicht hell, die Nacht nicht dunkel. So musste es sein und nicht anders. Verum et Bonum – alles fühlte sich wahr und gut an.

EN LA CIUDAD DE SYLVIA / IN THE CITY OF SYLVIA
José Luis Guerín – 2007 – OmU – 9.5/10

DAS BROT DER FRÜHEN JAHRE *
Herbert Vesely – 1962 – 35mm – 6.5/10

THE CABIN IN THE WOODS *
Drew Goddard – 2011 – OmU – digital – 8/10

THE AVENGERS / MARVEL´S THE AVENGERS *
Joss Whedon – 2012 – OmU – digital – 3D – 7/10

”Doctor Banner, I think now might be a good time for you to get angry.” “That’s my secret, Cap: I’m always angry.” Der tollste Hulk ever. Ein wild funkelnder, feinsinnig ausbalancierter Charakter – wütend bis zum Anschlag, melancholisch und voller Weltschmerz.

April 2012

58. internationale Kurzfilmtage Oberhausen

MAVERICKS, MOUVEMENTS, MANIFESTOS: From The Ashes, Science Fiction, Bruchlos LINDA CHRISTANELL: Programme 1+2+3 VERA NEUBAUER: Programme 2+3 ILPPO POHJOLA: Programm 2 ROEE ROSEN: Programm 1 INTERNATIONALER WETTBEWERB: Programme 3+5 KINDER- UND JUGENDFILMWETTBEWERB: Ab 16

PALM BEACH STORY *
Preston Sturges – 1942 – OF – 35mm – 7.5/10

NICHT FUMMELN, LIEBLING *
May Spils – 1970 – 35mm – 9.5/10

THE GIRLFRIEND EXPERIENCE
Steven Soderbergh – 2009 – OF – 7/10

EL LUGAR MÁS PEQUENO / THE TINIEST PLACE *
Tatiana Huezo – 2011 – OmU – digital – 8/10

SHIVER *
Julian Richards – 2011 – OF – digital – 4/10

17 FILLES / 17 MÄDCHEN *
Delphine & Muriel Coulin – 2011 – OmU – 35mm – 9/10

Am Anfang steht eine Utopie: Eine Kollektivschwangerschaft als Motor für eine Solidargemeinschaft, in der alle füreinander da sind. Der Sturm und Drang der überschwänglichen Gefühle feiert einen Pyrrhus-Sieg über die nüchterne Ratio. Delphine und Muriel Coulin konzentrieren sich in ihrem Debüt ganz auf die Mädchen und schaffen damit eine aufregende Nähe, in der Eskapismus, Träume, Verlorenheit und Ernüchterung eng beieinander liegen. Der Blick der beiden auf das Geschehen ist entspannt, das Rauschen des Meeres gibt den Takt vor. Manchmal stoppt die Flut des überbordenden  Teenie-Selbstbewusstseins. Dann dürfen wir auf die Mädchen in ihren Zimmern schauen. Diese schwebend-starren Momente sind von einer emotionalen, aber gleichzeitig auch merkwürdig nüchternen Wahrhaftigkeit. In ihrer hypnotischen Strenge erinnern sie an die Mädchenfotografien von Sarah Jones, in denen sich sinnlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kreuzen. Auch in 17 FILLES entsteht die vibrierende subkutane Dynamik in und aus den stillsten Momenten. French girls are classy.

GEZORA, GANIME, KAMEBA: KESSEN! NANKAI NO DAIKAIJÛ / MONSTER DES GRAUENS GREIFEN AN *
Ishirô Honda – 1970 – DF – 35mm – 6/10

VIOLENZA IN UN CARCERE FEMMINILE / LAURA – EINE FRAU GEHT DURCH DIE HÖLLE *
Bruno Mattei – 1982 – DF – 35mm – 8/10

An Laura Gemser mag ich besonders ihre melancholische Ernsthaftigkeit, die sie auch in den stumpfesten Momenten ihres Leinwanddaseins erhaben entrückt wirken lässt. In diesem minimalistisch-kargen Kammerspiel voll schmerzlicher Intensität holt Laura alles aus sich raus, bleibt dabei aber unaufgeregt zurückhaltend. Charakterrolle.

VIZI PRIVATI, PUBBLICHE VIRTÚ / DIE GROSSE ORGIE
Miklós Jancsó – 1976 – OmU – 9/10

DUK HAAN CHAU FAAN / ALL ABOUT LOVE *
Ann Hui – 2010 – OmU – 35mm – 7.5/10

WARRIOR OF THE LOST WORLD / THE LAST WARRIOR – KÄMPFER EINER VERLORENEN WELT *
David Worth – 1983 – DF – 35mm – 7/10

Der schönste Moment gehört Persis Khambatta. Als sie und Robert Ginty seltsamen zombieartigen Kreaturen entkommen, sagt sie melancholisch zu ihm: „Die sehen so furchtbar aus. Ich erschrecke mich immer vor denen. Auch wenn ich weiß, dass sie nichts dafür können.“ Selten lagen in diesem Genre Ekel und Mitgefühl so eng beieinander.

GANBAPPE FURA GÂRUZU! FUKUSHIMA NI IKIRU KANOJOTACHI NO IMA / FUKUSHIMA HULA GIRLS *
Masaki Kobayashi – 2011 – OmU – digital – 5/10

Die Evakuierung aus der Heimat, unbewohnbar gemacht durch eine Katastrophe. Und die kurze Rückkehr in die Sperrzone. Das ist emotionaler Overkill, Stoff für bewegende Filmmomente. Leider fehlen Masaki Kobayashi die filmischen Mittel, um dem Zuschauer das Schicksal der Flüchtlinge nahe zu bringen. In entscheidenden Passagen machen unglückliche Einstellungen und Schnitte die einfühlsamen Ansätze zunichte. So gelingen nur wenige Bilder, die berühren. Kobayashi begleitet eine Gruppe tanzender Hula Girls bei ihrer Tour durch Japan. Sie kündigen die Wiedereröffnung ihres Spa Resorts Hawaiian an, das nur 50 Kilometer vom havarierten Kernkraftwerk Daiichi entfernt liegt. Mit ihrem exotischen Tanz zaubern die Girls den Menschen ein Lächeln aufs Gesicht. Doch ihr Charme ist in den Filmbildern nur bedingt spürbar, denn Kobayashi lässt sie zuweilen wirken wie Protagonistinnen in einem flachen Werbefilm für den Wiederaufbau. Die kraftvollste Szene gehört einer Tänzerin und ihrer schmerzlichen Wiederbegegnung mit dem Haus ihrer Familie. Die Zeit scheint stehen geblieben in diesem Museum der Erinnerungen, doch vom Fenster ihres Zimmers aus kann sie nicht mehr wie früher den ganzen Atommeiler betrachten. Sie sieht nur noch seine Spitzen. Der vertraute Anblick ist durch die weiter gewachsenen Pflanzen verdeckt. Ein intensiver Moment, in dem eine traurige Wahrheit erkennbar wird: Die Natur lässt sich nicht zerstören durch den Menschen – sie passt sich an. Der Mensch zerstört nur sich selbst.

UNFAITHFUL: PART III
Viv Thomas – 2008 – OF – 8/10

THE HUNGER GAMES / DIE TRIBUTE VON PANEM – THE HUNGER GAMES *
Gary Ross – 2012 – OmU – digital – 7/10

STREET OF A THOUSAND PLEASURES
William Rotsler – 1972 – OF – 6.5/10

Am Ende zählen wir zwar nicht tausend, aber immerhin 71 Kronen der Schöpfung aus allen Ecken unserer Welt. Ja, schön ist das Wandern von einer Nackten zur andern. Der junge Mann, der als Dank für die Lebensrettung eines Scheichs den orientalischen Sklavinnenmarkt der tausend Freuden besuchen darf, kriegt sich gar nicht mehr ein. Umgeben von wiegenden Möpsen und saftigen Hinterteilen fehlen ihm die Worte. Er beschränkt sich bei der Fleischbeschau daher auf wenige Beifallsbekundungen. „Nice“ und „soft“ und besonders „beautiful“ werden dafür so oft wiederholt, dass man schon durch diese Redundanz ins Delirium fällt. Von der permanent zwischen den nackten Leibern umher schlingernden Kamera ganz zu schweigen. Wir werden zum Voyeur, unsere Augen sind die der Kamera. Beim gern und mehrmals ausgeführten Schmatz auf  kuschelige Hupen der Lust sehen wir daher leider schwarz. In ihrer Verzweiflung geben die Schönheiten ihr Bestes und schenken uns ihr hübschestes Lächeln, auf ein besseres Leben im Hause eines Käufers hoffend. Sogar die trübe Rammelei des Protagonisten wird von ihnen als gut und enthusiastisch beurteilt. Ein merkwürdiger Film – aufregend in seiner haptischen Sinnlichkeit, ermüdend in seiner Reizüberflutung.

IRON SKY *
Timo Vuorensola – 2012 – OmU – 35mm – 5/10

ALLELUJA E SARTANA FIGLI DI…DIO / HUNDERT FÄUSTE FÜR EIN VATERUNSER
Mario Siciliano – 1972 – DF – 6/10

QUEEN OF BLOOD
Curtis Harrington – 1966 – OF – 7/10

Ein hypnotisches Hybrid, das sanft zwischen Professionalität und Naivität oszilliert. Zusammengestückelt aus dem farbenprächtigen russischen Film BEGEGNUNG IM ALL und implantierten Studioaufnahmen, die sehr low und wunderbar entspannt daherkommen. Hier liest die Besatzung der Rakete auch mal ein gutes Buch oder ergeht sich in Notsituationen in Träumereien. Auch gutes Essen spielt eine wichtige Rolle, über Astronautennahrung rümpft man die Nase. Eine denkwürdige Performance liefert Florence Marly. Als außerirdische Königin des Blutes wirkt sie wie die hübsche Schwester von Frankensteins Monster. Sie ist begehrenswert in ihrer Fremdartigkeit, ihre stechenden Augen sind bedrohlich und verführerisch zugleich.

TONIGHT FOR SURE
Francis Ford Coppola – 1962 – OF – 7/10

ROSEMARY´S BABY *
Roman Polanski – 1968 – DF – 35mm – 8/10

OVERNIGHT
B. Skow – 2012 – OF – 6.5/10

Gonzo oder Feature? In den Pornos von B. Skow verwischen die Konturen häufig – und das auf eine unangenehme Art und Weise. Das ist auch bei OVERNIGHT nicht anders, der dem Einblenden der Anfangscredits einen fast 20-minütigen sinnfrei-schönen Dreier mit Jessie Andrews und Allie Haze voranstellt. Darauf folgt der Versuch, eine Geschichte wie in den 80er Jahren zu erzählen. Die Story ist bekannt (Geschäftsmann verliebt sich in drogenabhängige High-Class-Hure), die Zutaten auch. Romantik, Intrigen und Sex – alles ist da, eingebettet in eine warme Old-School-Inszenierung. Auch die Too-pretty-for-porn-Prinzessin Allie Haze wirkt auf eine altmodische Weise charmant. Ultrasexy und süß, verleibt sie der vom Schicksal gebeutelten Vera Würde, Sanftheit und Sehnsucht ein. Dennoch gelingt Skow sein ambitioniertes Unterfangen nur bedingt, denn er bremst den Flow und die Stringenz durch das wiederholte Einfügen seiner üblichen fantasielosen Standard-Sexszenen. Am Ende muss Allie alles rausreißen und zweimal nacheinander ran. Das wirkt ein wenig wie ein atemloser Schlussspurt, ist aber von betörender Sinnlichkeit. Im Vergleich zur Over-the-top-Expressivität von Tori Black bleibt Allie auch in den Momenten höchster Lust in sich gekehrt, ohne dass Intensität verloren geht. Es ist wundervoll anzuschauen, wenn sie sich aus allen Poren schwitzend und bis zum Anschlag mit sexueller Energie aufgeladen in ekstatischer Passivität einfach nur gehen lässt. Porno-Impressionismus at its Best.

März 2012

“MONSTER MACHEN MOBIL!”-Festival Hamburg (nur DF und 35mm)

8/10: THE TIME TRAVELERS (Ib Melchior,1964)
7/10: THE MAN WITHOUT A BODY (Charles Saunders & W. Lee Wilder, 1957) ZHONG GUO CHAO REN INFRA-MAN (Shan Hua, 1975) THE BATWOMAN (René Cardona, 1968) WAR OF THE COLOSSAL BEAST (Bert I. Gordon, 1958) THE GOLDEN VOYAGE OF SINBAD (Gordon Hessler,  1973)
6.5/10: STAR CRASH – OLTRA LA TERZA DIMENSIONE (Luigi Cozzi, 1979)
6/10: DAIKAIJÛ KÛCHUSEN: GAMERA TAI GYAOSU (Noriaki Yuasa, 1967)

CITY GIRL / DIE FRAU AUS CHICAGO *
Friedrich Wilhelm Murnau – 1930 – Original-Zwischentitel – digital – 8/10

YOJÔHAN FUSUMA NO URABIRI / THE WORLD OF GEISHA *
Tatsumi Kumashiro – 1973 – OmU – 35mm – 7/10

Filme von Dieter Wieland * (alle 16mm)

LANDSHUT ODER HAT DIE SCHÖNHEIT EINE CHANCE (1973, 8/10) GRÜN KAPUTT – LANDSCHAFT UND GÄRTEN DER DEUTSCHEN (1983, 8/10) DER HAUSBAUM (1983, 6.5/10) VORSTADT GIESING (1975, 7.5/10) DIE GROSSMARKTHALLE: MAGEN DER GROSSSTADT (1971, 7.5/10)

AMER *
Hélène Cantet & Bruno Forzani – 2009 – OmU – digital – 8/10

CARNIVALE: PICK A NUMBER (S1 E6)
Rodrigo Garcia – 2003 – OF – 8/10

CARNIVALE: BABYLON (S1 E5)
Tim Hunter – 2003 – OF – 8/10

JÛSAN-NIN RENZOKU BÔKÔMA / SERIAL RAPIST
Kôji Wakamatsu – 1978 – OmU – 7.5/10

AKANISHI KAKITA / THE LETTER *
Mansaku Itami – 1936 – OmU – 35mm – 4/10

HAUSU * [2]
Nobuhiko Ohbayashi – 1977 – OmU – 35mm – 9.5/10

AKAI KAMI NO ONNA / THE WOMAN WITH RED HAIR *
Tatsumi Kumashiro – 1979 – OmU – 35mm – 8/10

Der Beginn ist einer Ikone würdig. Junko Mijashita schreitet eine breite Straße entlang, ihre wunderbare rote Haarpracht  elegant durch den Wind schwingend. Ein Glamourgirl – schön, stark, selbstbewusst. In der nächsten Szene gibt es auch unter dem Bauchnabel rote Haare, denn Kumashiro macht dem Glamour schnell den Garaus: Die erste Quotenvergewaltigung trifft eine Jungfrau. Kozo und ein Kumpel, Fachmänner vom Bau, nehmen sich die Tochter ihres Bosses vor. Kurz darauf trifft Kozo auf der Straße die Frau mit den roten Haaren. Sie fährt mit ihm hinab in den finsteren Schlund des wirtschaftlich und emotional ruinierten Proletariats. Eine Tour der Erniedrigung in einer Welt der verwahrlosten Behausungen und Seelen, in der sich die Männer rücksichtslos Frauen nehmen, wann und wo es ihnen passt. Dem drogenabhängigen Pärchen, das neben Kozo wohnt, bleibt nur schmutziger Sex, um sich zu beweisen, dass es noch lebt. Sie vögeln ununterbrochen. Die Grunzlaute, die sie dabei von sich geben, scheinen nicht mehr menschlich. Frau Rothaar ist abgestoßen und fasziniert von der Umgebung. Sie assimiliert sich schnell und will von Kozo auch genommen werden, bis sie quiekt wie ein Schwein. Dieser lässt sich gelangweilt und brutal nicht lange bitten. Nichts ist voyeuristisch an diesem Werk, das durchzogen ist von einem schmerzlich-melancholischen Grundton. Ein Film wie ein stechender Wirbel, der mir Würde und Gnade als subjektive, von ihrem sozialen Umfeld determinierte Begriffe erscheinen ließ. “Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ (Friedrich Nietzsche)

BARBARA *
Christian Petzold – 2012 – 35mm – 8/10

FAUST
Alexander Sokurov – 2011 – 8/10

YOUNG ADULT *
Jason Reitman – 2011 – OF – digital – 6/10

DERRICK: TOTE VÖGEL SINGEN NICHT
Alfred Vohrer – 1976 – 9/10

LASS JUCKEN, KUMPEL 2: DAS BULLENKLOSTER
Franz Marischka – 1973 – 7/10

Wie schon der erste Teil eine genaue, realitätsnahe und fein ausbalancierte Milieubeobachtung. Feiste Stammtischparolen der ewig Gestrigen werden abgenickt, Frauen verachtet und geliebt. Gastarbeiter beäugt man misstrauisch, die Mädels lassen sich freudvoll von ihnen pudern. Der Clash der Kulturen findet unter der Gürtellinie statt, Missverständnisse und Vorurteile klärt man unter der Bettdecke. Dort beginnt das Verstehen des fremden Anderen. Eine deutsche Frau hobelt sich alle Schamhaare ab, weil sie glaubt, dass alle türkischen Damen und Herren unten eine Glatze haben müssen. Ihr  Gastarbeiterrammler wundert sich, erträgt es mit Gleichmut und beginnt umgehend mit dem Begattungswalzer. In einer Paraderolle dürfen wir Rinaldo Talamonti als Lucky erleben: Er brennt leidenschaftlich, sein Hunger nach aufrichtiger Liebe ist unersättlich. Ein ironisch gebrochener Italian Lover – cool, aber auch sensibel. Nach einer schlimmen Abfuhr sehnt er sich zurück in seine Heimat. Aber am Ende darf er seinem Namen alle Ehre machen: Das reizendste Mädchen mit den schönsten und größten Äpfeln schließt ihn liebevoll in ihre Arme. “Happiness will get you in the end“.

KARATE, KÜSSE, BLONDE KATZEN
Ernst Hofbauer & Kuei Chih-Hung – 1974 – 9/10

THE BIG EDEN *
Peter Dörfler – 2011 – 35mm – 8/10

Es muss sie geben – die stillen Momente, in denen Rolf Eden in sich selbst hineinschaut. In denen seine Maske von ihm abfällt. In denen er sich auch der unangenehmen Dinge bewusst ist, die ihn umgeben. In diesem Film gibt es diese Momente nicht. Und Eden behauptet, dass es sie nicht gibt. Niemals. Er spielt seine (von ihm und/oder von anderen?) auferlegte Rolle so konsequent wie immer. Ich finde das faszinierend und unheimlich. Ich will nicht glauben, dass ein Mensch wirklich so sein kann. Das geht mir auch mit marodierenden Diktatoren so. Es treibt mich an die Grenzen meiner Vorstellungskraft und berührt  meine Empfindungen zur Essenz und Widersprüchlichkeit des Menschseins. THE BIG EDEN hat mich bei diesem Thema, das mich bis ans Ende meiner Tage begleiten wird,  nicht wirklich weitergebracht. Aber er hat bestimmte Ahnungen verstärkt.

UN GENIO, DUE COMPARI, UN POLLO / NOBODY IST DER GRÖSSTE
Damiano Damiani – 1975 – DF – 7/10

AIRPLANE! / DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN FLUGZEUG
Jim Abrahams & David Zucker & Jerry Zucker – 1980 – OF – 8/10

FA MEG PA, FOR FAEN / TURN ME ON, DAMMIT
Jannicke Systad Jacobsen – 2011 – OmU – 8/10

Norwegisches Jugendkino, das gleich zu Beginn klare Akzente setzt: Die 15-jährige Alma holt sich heftig und laut einen runter, während sie einer Sex-Hotline lauscht. Tatsächlich hat dieses Fräulein Immerspitz nichts anderes als Sex im Kopf und will sich immer und überall ihre Perle polieren. Skandinavische Filme über das Erwachsenwerden waren ihrer Zeit schon immer voraus, weil man dort früh begriffen hatte, dass junge Menschen sexuelle Wesen sind. Das Erforschen des eigenen Körpers und die Neugier, die Körper Gleichaltriger zu erkunden,  wurden ganz selbstverständlich als elementare Bestandteile der jugendlichen Existenz aufgefasst. Auch hier erleben wir eine junge Frau, die selbstbewusst ihre Sexualität auslebt und sich nicht reinreden lässt. Als Alma von ihrer Mutter gefragt wird, warum sie Telefonsex macht, ist die Antwort:  “Weil ich geil bin.“  Gespielt wird Alma von Helene Bergsholm, die ein atemberaubendes Debüt hinlegt. Sweet und tough zugleich balanciert sie berührend zwischen Traum und Realität, Trotzigkeit und Romantik, provinzieller Enge und dem Ausbruch aus ihr. Auch in ihren widerspenstigsten Momenten spürt man tief in ihrem Herzen die große Sehnsucht nach wahrer Liebe.

DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU / THE GIRL FROM RIO
Jesus Franco – 1969 – OF – 7.5/10

Februar 2012

AKAI SATSUI / INTENTIONS OF MURDER / VERBOTENE LEIDENSCHAFT *
Shohei Imamura – 1964 – OmU – 35mm – 7/10

INSIDE PEACHES
Viv Thomas – 2007 – OF – 7/10

ERSTE LIEBE
Maximilian Schell – 1970 – OF – 8/10

Dominique Sanda – die Übersinnliche, ein Enigma. Sie schmettert mich nieder. Ich finde keine Worte für sie. Noch nicht.

LE GAMIN AU VÉLO / DER JUNGE MIT DEM FAHRRAD *
Jean-Pierre & Luc Ardenne – 2011 – OmU – 35mm – 7/10

Sechstägige krankheitsbedingte Kinoabstinenz (Nur DVD und 2 x TV)

Der DIE SCHATZINSEL-Vierteiler – eine aufgefrischte Jugenderinnerung. Das ist auch immer ein Test, wie alt Herz und Seele geworden sind. Ich durfte freudig erkennen, dass sie jung geblieben sind. Mir fehlte die Gewalt, die im Roman eine so herausragende Rolle spielt, mehr als damals, aber die reichen, akzentuierten Figuren und die spannungsvoll aufgeladene Atmosphäre haben mich erneut mitgerissen.

Lieblingsszene der Woche: Amber Heard lässt sich in DRIVE ANGRY von ihrem One-Night-Fuck die Fußnägel lackieren.

THE LIVING AND THE DEAD (Simon Rumley, 2006, OmU, 7/10) THE TIME MACHINE (Simon Wells, 2002, OmU, 4/10) DRIVE ANGRY (Patrick Lussier, 2011, OmU, 7/10) KICK-ASS (Matthew Vaughn, 2009, OmU,  8/10) PIRANHA (Alexandre Aja, 2010, OmU, 8/10) FOXY BROWN (Jack Hill, 1974, OmU, 8.5/10) DIE SCHATZINSEL [2] (Robert Liebeneiner, 1966, DF, 8/10) BLACK MAMA WHITE MAMA (Eddie Romero, 1973, OmU, 8/10) FRANCOIS TRUFFAUT-EINE AUTOBIOGRAFIE (Anne Andreu, 2004, OmU, 8/10) HOFFNUNG FÜR KUMMEROW (Jan Ruzicka, 2008, 4/10) I LEOPARDI DI CHURCHILL (Maurizio Pradeaux, 1970, DF, 6.5/10) HEISSE ERNTE (Hans H. König, 1956, 9/10) SPACEBALLS (Mel Brooks, 1987, OF,  4/10) SILENT MOVIE (Mel Brooks, 1976, OF, 6/10)

LE GENDARME EN BALADE / LOUIS IN GEHEIMER MISSION *
Jean Girault -1970 – DF – 35mm – 8/10

MANGIATI VIVI! / LEBENDIG GEFRESSEN *
Umberto Lenzi – 1980 – DF – 35mm – 7/10

DER KOMMISSAR: ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS
Dietrich Haugk – 1972 – 7/10

SEXANDROIDE
Michael Ricaud – 1987 – OF – 8/10

Der Meister der Pornografie soft unterwegs, in einem kryptischen Zauberreich zwischen Grand Guignol und Cinema of Transgression werkelnd. Melancholische Gore-Anklänge in den ersten beiden Episoden, sexy-humoresker Freestyle im  dritten und letzten Teil, einer sinnlich-schmutzigen Horror-Burlesque: Eine nur mit einem String bekleidete dunkelmähnige Schönheit tanzt grazil neben einem Sarg zu Musik aus Tina Turners schlimmster Phase. Ab und zu stiert ein Vampiropi aus dem Sarg und gibt sabbernd gierige Begeisterungslaute wie “Mmhhh“ und “Ooooh“ von sich. Am Schluss findet er seine Erfüllung. Die Schöne steigt in den Sarg, lässt die Klappe zufallen und beweist, dass auch in der kleinsten Hütte Platz für derbe “Opi nicht nur das Bein ist steif“-Exzesse ist. Ein singulär-genuines Filmgedicht – frappierend in seiner Einfachheit, berauschend in seiner Intensität.

FRIDAY THE 13TH PART 2 / FREITAG, DER 13. – JASON KEHRT ZURÜCK *
Steve Miner – 1981 – DF – 35mm – 8/10

NIKUI ANCHIKUSHÔ / I HATE BUT LOVE *
Kureyoshi Kurahara – 1962 – OmU – 35mm – 8/10

Kritikersnobs werfen diesem Film inhaltliche Leere vor. Dabei ist er reinstes Kino. Intensivste Emotion, Beschleunigung und Entschleunigung, ungeschliffen und elegant, schroff und zärtlich. Ein mitreißender Roadtrip der Liebe, leidenschaftlich getragen vom damaligen Traumpaar des japanischen Kinos, Yûjirô Ishihara und Ruriko Asaoka. Ein romantisches Pop-Melodram, das auch zeigt, wie lässig in Japan schon immer “westliche Kultur“ reflektiert wurde. Beim Sehen kamen mir Bilder aus liebgewonnenen europäischen oder amerikanischen Filmen in den Sinn, doch den originären Charakter dieses kleinen Wunderwerkes habe ich in jeder Sekunde gespürt. Ich musste besonders an ABENTEUER IN RIO denken, einen meiner absoluten Lieblingsfilme. Erst später fiel mir auf, dass dieser erst zwei Jahre später entstanden ist.

DRIVE *
Nicolas Winding Refn – 2011 – OmU – 35mm – 4/10

Glitzernde Lichter in der glänzenden Nacht, darüber fließt ein strahlend-klarer Soundtrack. Den Ort des Verbrechens hinter sich lassend, von der Polizei verfolgt – höchste Anforderungen für den Fluchtfahrer. Doch er bleibt lässig und konzentriert. Cool Control. Der Beginn offenbart, wie aufregend unterkühltes Kino sein kann. Doch schon bald darauf wird klar, dass Refn es nicht schafft, an seine im Film präsenten Vorbilder heranzureichen oder ihnen etwas Eigenständiges entgegenzusetzen. Alles in DRIVE will groß und stilbildend sein – doch es wirkt wie die müde, aseptische Kopie eines Gemäldes voller kraftvoller Pinselstriche. Dennoch wollte ich den Film nicht frühzeitig aufgeben, auf ein Nachglühen hoffend. Vergeblich, denn Refn macht durch zwei elementare Fehler alles zunichte. Die eigentlich klug eingesetzte Liebesgeschichte, die den Driver zu einer Reflexion über sich selbst zwingen soll, funktioniert nicht, weil Carey Mulligan ganz verschreckt aus ihren Äuglein schaut. Und das unaufhörlich in jeder Einstellung. So wird die Poesie der Liebe zur Lachnummer. Noch schlimmer ist aber der Versuch, den Driver cool bleiben zu lassen, obwohl er die Kontrolle über sich selbst verliert. Das kann nicht funktionieren – weder im Leben noch im Film. Denn Coolness und Kontrolle gehören zusammen wie Hänsel und Gretel. Mit diesem unmöglichen Spagat konnte auch Ryan Gossling nicht klarkommen. Seine Körpersprache und Mimik verkrampfen sich immer mehr, er wird zum Schatten seiner selbst. Refn hätte den Driver in einen emotionalen Abgrund fallen lassen müssen, in dem es für Coolness keinen Platz mehr gibt. Leider wollte er diesen Stilbruch nicht. Seltsam: Ich empfinde die Gründe, die für mich zum Scheitern des Films führen, als objektiv feststellbar. Dennoch ist DRIVE für nicht wenige ein Meisterwerk. Wieder einmal erscheint mir der Gedanke, Kunst zumindest in Ansätzen objektivieren zu können, zum Scheitern verurteilt.

KURUTTA KAJITSU / JUVENILE JUNGLE / DIE GELBE VENUS VON KAMAKURA *
Ko Nakahira – 1956 – OmU – 35mm – 7/10

DIE UNSICHTBARE *
Christian Schwochow – 2011 – 35mm – 6/10

Der schmerzliche Selbstfindungsprozess einer jungen Theaterschauspielerin, angetrieben von einem sadistischen Regisseur. Wird für viele als Beweis dienen, dass man auch im deutschen Förderungssystem einen mutigen Film hinbekommen kann. Mir kommt aber auch DIE UNSICHTBARE seltsam zurückhaltend vor, obwohl Schwochow bis an die Grenzen der Selbstzerstörung geht. Alles ist da, und das durchaus atmosphärisch dicht: Seelenstrip, Selbstverletzung, Todesnähe. Und Stine Fischer Christensen hat mich mit ihrer geheimnisvoll entrückten Müdigkeit in einen sanften Taumel versetzt. Aber es fehlen die Momente, die auch dem Betrachter wirklich wehtun. Momente des durchzogenen Schmerzes, wie etwa Dominik Graf sie erschafft.

PERRAK
Alfred Vohrer – 1970 – 8/10

CARNIVALE: BLACK BLIZZARD (S1 E4)
Peter Medak – 2003 – OF – 8/10

MURDEROCK – UCCIDE A PASSO DI DANZA / MURDER-ROCK: DANCING DEATH
Lucio Fulci – 1984 – DF – 7/10

J. EDGAR *
Clint Eastwood – 2011 – OmU – digital – 7.5/10

Das passt. Eastwood, dessen rebellische und anarchische Momente so fruchtbar mit seiner reaktionären Denkart kollidieren. Und der FBI-Chef Hoover, dessen homosexuelle Neigungen so gar nicht in das von ihm gnadenlos verfochtene erzkonservative Weltbild passten. Das feinfühlige, nuancenreiche Portrait eines Mannes, der seine eigene Abweichung von der gesellschaftlichen Norm mit einem fanatischen Kampf für diese Normen überdeckt. Intensiv und zärtlich sind die Momente, in denen man Hoovers Kampf mit sich selbst spürt. Er fühlt in seinem tiefsten Inneren, dass der einzelne Mensch und die Kraft der Liebe über allem stehen. Aussprechen lässt ihn Eastwood dies erst im Angesicht seines Todes.

THE IDES OF MARCH *
George Clooney -2011 – OmU – 35mm – 7/10

ZETTL *
Helmut Dietl – 2011 – digital – 2/10

Am Anfang sehen wir eine Karte von Berlin. Eine Onkelstimme aus dem Off erzählt, dass Baby Schimmerlos tödlich mit seinem Motorrad verunglückt ist. Das ist ein Jammer, denn nicht nur Baby wird gekillt, sondern auch eine wahrscheinlich interessante Geschichte. Schade, dass Franz Xaver Kroetz keine Lust mehr hatte. Stattdessen: Ein künstlerisches Desaster. Eine Subventionsleiche. Ein Millionengrab. Nach fünf Minuten ist klar, dass es ganz böse kommen wird. Zwei weitere Minuten später erlischt auch die Hoffnung auf hübsche Trash-Momente. Tristester Schlumor, groteske Anschlüsse, schlechtes Timing. Und alle sprechen in der ersten Viertelstunde so undeutlich, dass man kaum etwas versteht. Wahrscheinlich absichtlich. Es ist so schlimm, dass man sich nur abwenden will. Wie gern wäre ich wie meine Begleitung nach zehn Minuten eingeschlafen. Dietl interessiert sich nur für zwei Personen, Herbie Fried (Dieter Hildebrandt) und Mona Mödlinger (Senta Berger). Dass es sich um den Vertrauten sowie die Freundin von Schimmerlos und somit um zwei “Kir Royal“-Überbleibsel handelt, ist wohl kein Zufall. Nur ihnen schenkt Dietl seine warmherzige Zuneigung, nur bei ihnen ist er ganz bei sich. Beide lässt Dietl wieder ins schöne München verschwinden. Als der ehemalige High Society-Fotograf Herbie abhaut, sagt er, dass er nur noch einmal ausprobieren wollte, ob er es noch kann. Das sind die Schlüsselworte – so wirkt der ganze Film. Aber ich will nicht glauben, dass Dietl es nicht mehr kann.

BOKUMATSU TAIYÔDEN / SUN IN THE LAST DAYS OF THE SHOGUNATE *
Yûzô Kawashima – 1957 – OmU – 35mm – 6.5/10

VINYAN
Fabrice Du Welz – 2008 – OmU – 7.5/10

TSUCHI TO HETAI / MUD AND SOLDIERS *
Tomotaka Tasaka – 1939 – OmU – 35mm – 6/10

Ein Kriegsfilm fernab jeglicher Glorifizierung. Marschieren, in Deckung gehen, angreifen. Immer und immer wieder.  Hier ist Krieg das, was es ist. Harte Arbeit. Todeshandwerk. Langeweile. Tasaka bietet keine Identifikationsfläche. Es gibt keinen Hauptdarsteller, sondern nur die Soldaten als Masse. Dennoch dringt man zu ihnen vor und spürt das Soldatenethos. Hier lebt die Kampfmoral auch im Kreislauf der ermüdenden Redundanz. Wahrscheinlich überkommt einen Soldaten im schlimmsten Donnerhagel manchmal der Wunsch, sich einfach hinzulegen und zu schlafen.

LESBIAN ENCOUNTERS
Viv Thomas – 2009 – OF – 6/10

ÔKYÔ NAGAREMONO / TOKYO DRIFTER *
Seijun Suzuki – 1966 – OmU – 35mm – 8/10

JACKSON COUNTY JAIL / VERGEWALTIGT HINTER GITTERN *
Michael Miller – 1975 – OF – 16mm – 6/10

Januar 2012

PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO / DIE NACHT DER ROLLENDEN KÖPFE
Maurizio Pradeaux- 1973 – DF – 6/10

HELLRAISER
Clive Barker – 1987 – OF – 7/10

“Zwischen Propaganda und Dokument – Karl Gass, Filmdokumentarist der DDR“ (nur 35mm)

ASSE (1966, 7/10) KLAUS G. UND SEINE 100 MÄDEL (1982, 6/10) EINE DEUTSCHE KARRIERE – RÜCKBLICK AUF UNSER JAHRHUNDERT (1988, 8/10) SCHAUT AUF DIESE STADT (1962, 7/10)

KUMONOSU-JÔ / DAS SCHLOSS IM SPINNWEBWALD
Akira Kurosawa – 1957 – OmU – 35mm – 7/10

BANANAS [2]
Woody Allen – 1971 – OF – 8/10

HISTORY OF THE WORLD: PART I / MEL BROOKS – DIE VERRÜCKTE GESCHICHTE DER WELT
Mel Brooks – 1981 – OF – 8/10

LEHRJAHRE EINES TEENAGERS
Charles Köhn & Michael Lewy – 1981 – 8/10

EMPIRE ME – DER STAAT BIN ICH *
Paul Poet – 2011 – OmU – 35mm – 5/10

In der Einleitung wird Erwin Strauss gefeatured. In seinem Buch “How To Start Your Own Country“ fordert er Widerstand. In den folgenden Bildern ist nichts davon spürbar. Sechs Aussteigergesellschaften ohne gesellschaftliche und politische Substanz. Spaßutopien. Paul Poet sagte nach der Vorführung, dass er dem Zuschauer einen möglichst unverstellten Blick ermöglichen wollte, damit dieser sich selbst und seine eigene Stellung in der Gesellschaft hinterfragen kann. Wo stehe ich? Wo will ich hin? Will ich überhaupt woanders hin? Aber zu was soll man sich hier positionieren?

PLAY TIME * [3]
Jacques Tati – 1967 – OF – 35mm – 9/10

RASHOMON *
Akira Kurosawa – 1950 – OmU – 35mm – 6/10

ALGIERS
John Cromwell – 1938 – OF – 7/10

Elegant zwischen Glamour und Sleaze, Tag und Nacht, Schatten und Licht, Wirklichkeit und Traum balancierend. Die Frage, ob Hedy Lamarr eine gute Schauspielerin war, stellt sich auch hier nicht. In ihrer irrealen Schönheit und übersinnlichen Präsenz ist sie unangreifbar. In ALGIERS findet Lamarr mit Charles Boyer einen kongenialen Partner, der alle an die Wand spielt – bis auf sie.

SHUBUN / SKANDAL *
Akira Kurosawa – 1950 – OmU – 35mm – 7/10

WECHSELBALG
Sohrab Shahid Saless – 1987 – 9.5/10

Mein erster Saless. Epochal. Welch tristes Suppeauslöffeln. Diese unfassbare Destruktion von Gefühlen. Alles wird sichtbar, wenn der ganze emotionale Schleim weggewischt wird. Es ist so faszinierend, wie nah man Personen allein durch ihre Handlungen kommen kann. Wie tief man in leuchtende Seelen eindringt und in die Herzen der Finsternis. Niederschmetternd.

LENINGRAD COWBOYS GO AMERICA *
Aki Kaurismäki – 1989 – OmU – 35mm – 4/10

PINK NARCISSUS
James Bidgood – 1971 – OF – 8/10

THE LAIR OF THE WHITE WORM / DER KUSS DER SPINNENFRAU *
Ken Russell – 1988 – DF – 35mm – 7/10

TRAUMSTADT *
Johannes Schaaf – 1973 – 35mm – 6/10

MUMS & DAUGHTERS: SECRETS IN THE SUBURBS
Viv Thomas – 2008 – OF – 7/10

CRUISING *
William Friedkin – 1980 – DF – 35mm – 8/10

YUME / TRÄUME *
Akira Kurosawa – 1990 – OmU – 35mm – 6/10

SEA OF LOVE / MELODIE DES TODES *
Harold Becker – 1989 – DF – 35mm – 8/10

1989 war ein schönes Jahr. Es sind Jahrhundertalben erschienen: “Doolittle“ von den Pixies, “Workbook“ von Bob Mould oder “On Fire“ von Galaxie 500. Und es wurden noch solche Filme gemacht.

E DIO DISSE A CAINO / SATAN DER RACHE *
Antonio Margheriti – 1969 – DF – 35mm – 8/10

In seinen atmosphärisch intensivsten Momenten wie eine Visualisierung von Doom Metal. Bedrohliche Schwere, Vernichtung, Ausweglosigkeit. Klaus Kinski lässt den Racheteufel sehr menschlich wirken in seinem schönen blutroten Hemd. Ein genialer Stratege, der seine Gegner mit lässiger Coolness und folternder Langsamkeit erst in den Wahnsinn und danach in den Tod führt.

BLAZING SADDLES / DER WILDE WILDE WESTEN
Mel Brooks – 1974 – OF – 9.5/10

Ein weißer Regisseur baut aus anachronistischem Schabernack und rassistischen Witzen ein Black Power-Monument zusammen. “Qualifications?“ “Rape, murder, arson, and rape.“ “You said rape twice?“ “I like rape.”

HIGH ANXIETY / HÖHENKOLLER
Mel Brooks – 1977 – OF – 7/10

“I’m sorry, please forgive me. I’m just so close to my menstrual cycle that I could scream!”

WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN
Harald Reinl – 1968 – 4.5/10

Versehentlich mein erster Film in 2012. Die Frisuren sitzen perfekt, die frisch gebügelte Kleidung ist sauber und der Rasen frisch gemäht. In jeder Puppenstube ist es schmutziger als in diesem “Wilden Westen“. Liebevoll gesetzt sind die schwulen Akzente. Den zarten Hauch von Camp, der in diesen schönen Momenten über die Prärie weht, hätte man gern öfter gespürt.

 

6 Antworten zu “STB Christian”

  1. Silvia Szymanski on August 9th, 2012 at 11:56

    Ein interessantes Tagebuch. Werde bestimmt noch öfter drin herumschnüffeln.
    DIE BARFÜSSIGE GRÄFIN war mal einer meiner Lieblingsfilme. Damals tröstete er mich in meiner bedürftigsten und intensivsten Filmguckphase, als ich von der Nachtarbeit in der Disco nach Hause kam, weil die Protagonistin eine so ungewöhnliche, schwermütige Frauenfigur ist, mit ihrem Hang zum Weglaufen aus dem Leben, das sich ihr bietet, in den Schmutz und in die Gosse. Und Humphrey Bogart als ihr Freund beobachtet ihr Tun und Treiben so schön besorgt, nachdenklich und tief berührt. Ohne sie selber zu wollen; er ist glücklich mit seiner patenten, herzlichen Partnerin in seinem schwierigen Leben. Von dem Moment an, als die Barfüßige Gräfin ihren Adligen kennen lernt, verstehe ich den Film allerdings nicht mehr. Der Mann passt nicht zu ihr, alles wird…hm. Ava Gardner mag ich aber. Sie ist für mich unter den vielen matronenhaften Filmstars von damals eine der schönsten. Meine Oma sah ihr in ihren besten Momenten ähnlich (ehrlich gesagt vor allem, als sie gerade gestorben war). Sie trägt ihr großes flächiges Gesicht wie eine dicke Blüte auf einem bedenklich zarten, langen Hals; sie ist auf beunruhigende Weise beherrscht und ruhig, wie ein Mond, als steckte sie voller Gedanken, die sie nicht ausspricht, als wären weite Landschaften in ihr, in denen sie allein ist und das auch oft will. Das ist natürlich auch eine melodramatische, dick aufgetragene Frauenfigur. Zarah Leander fällt mir ein. Na ja, die mag ich aber auch. – So hatte ich den Film in Erinnerung. Aber als ich ihn vor ein paar Monaten wieder sah, war all das zwar noch in ihm, aber trotzdem kann ich verstehen, wie er auf dich gewirkt hat, Christian. Die gewisse Flachheit der Figuren nehme ich, wie du ja auch, ganz gern hin; sie ist wie aus den alten Heftchenromanen. Aber der Film hat bei aller Interessantheit auch etwas Pappiges, Verklebtes, Statisches. Auch etwas Trübes, wie du sagst. Früher hat mich das nicht gestört, aber ich kenne mittlerweile Filme, die etwas Ähnliches ausdrücken, aber mehr atmen, mehr Feinheiten haben.

  2. Christoph on September 12th, 2012 at 02:33

    „Jacobs beherrscht die Kunst der Fuge, der Gestaltung von trunstvoll-elegischen Füllszenen, in denen einfach nichts geschieht oder sich Personen gemächlich aus dem Bild trüben.“

    „So darf sich die naturtrübe blonde Prachtvenus Gisela Hahn, in guten alten Tagen zeitweilige Gespielin von Hans Billian, mit liebreizender Anmut dramaturgisch effizient ausgedehnt zieren, bevor sie ihrem New Yorker Journalistenkabuff nicht nur hasta pronto sagt, sondern ihrem Muskelstecher für immer in die ewigen Naturgründe folgt. Ein berührender archaisch-romantischer Moment in einer urwüchsig und passioniert peitschenden Zivilisationskritik.“

    “ Ein slenialer Trunstgriff ist dabei die mehrfach gewählte einreihige Anordnung. Ob am Boxring oder an der Tanzfläche – durch den gern ausgeübten Verzicht und die minimalistische Konzentration auf das quantitativ gerade noch Erträgliche können wir unsere Blicke von rechts nach links und wieder zurück schweifen lassen, ohne dass uns vom auserlesenen Personal etwas entgeht – und dürfen ihm so ganz nah kommen. Benda erweckt die Trübnis zum Leben.“

    Wundervoll. Diese Zitate zeigen, dass es durchaus möglich ist, sich den HK-Jargon, seine spezifische poetische Tönung und seine filmhistorische Durchdringung im autodidaktischen Eilverfahren perfekt anzueignen. Chapeau! Wie schön, dass du nun so äußerst tat- und stoßkräftig gegen die zuletzt eingekehrte STB-Trübnis aufläufst. Wo das Hofbauer-Kommando wirkt, hat der Verzicht auf lange Sicht keine Chance.

  3. Silvia Szymanski on Dezember 11th, 2012 at 17:41

    Ich kenne, außer CABARET DESIRE, keinen einzigen aktuellen Porno. Eigentlich ein Unding, denn wenn ich deine Texte lese, glaube ich, dass sie auch für mich interessant sein könnten. Wenn auch nicht unbedingt immer schön, denn mit Pärchen-Pornos (TORN) fühle ich mich auch meistens unwohl, habe ich gemerkt. „Das Erkennen der eigenen Fremdheit im Arschloch des Anderen“ ist eine großartige Formulierung. Dein Text zu LESBIAN SORORITY ist fein. Diese weibliche Sexualität, der weibliche Blick auf Körper, den du beschreibst und den der Film zeigt, die „dürstende Zartheit“, „das andächtige und hingebungsvolle Staunen“ – ja, so ist das wohl, so sind wir (jedenfalls manche von uns) irgendwie 😉 Hm. Weil ich viel eher Jungs als Mädchen auf diese Weise ansehe, bin ich überrascht, etwas von meiner Art in diesen Beschreibungen wieder zu entdecken. Verschönert zwar. Aber das ist interessant.

  4. Christian on Dezember 13th, 2012 at 22:59

    Liebe Silvia, es ist schade, dass du aktuelle Produktionen ignorierst. Ich möchte dir wärmstens die letzten beiden Filme von Graham Travis ans Herz legen. Sein letztjähriges Meisterwerk PORTRAIT OF A CALL GIRL hat er in 2012 noch übertroffen. Mir fällt es nicht leicht, WASTELAND als Porno zu klassifizieren. 85 Minuten lang ist es ein unfassbar deeper Mädchenfilm mit ein paar kurzen, harmonisch in die Handlung eingefügten harten Sexszenen, alles ist so zärtlich und schmerzlich. Dann folgt kurz vor Schluss ein 25-minütiges Clubintermezzo, vor dem ich etwas Angst hatte. Es entpuppte sich aber als konzentriert-geheimnisvolles Inferno der Lust, durchdrungen von Intensität, Transformation und Transzendenz. Hier zeigt Travis auch mal wieder, dass er die zurzeit besten Gangbang-Szenen inszeniert. Ganz groß, das alles, mich hat´s innerlich zerrissen. Und die Performance von Lily Carter hat mir die Tränen in den Augen getrieben. „The darkness from her depths, guiding me into her soul, drawing me into her wasteland… into her world“.

  5. Christoph on Januar 8th, 2013 at 00:40

    Was du zu EROTIK OHNE MASKE schreibst, klingt wirklich großartig, fast schon – ich vermute unterschiedliche Schattierungen des Schäbigen – Bergonzelliesk (denn Bergonzelli, aufgemerkt, war nicht immer so schäbig wie in DANIELA MINI-SLIP und DIAMOND CONNECTION). Auf dem kommenden Kongress muss sich unsere Vierfaltigkeit mit vereinten Kräften endlich einem Film aus diesem von mir schon lange geil aus der Ferne besabberten Slœuvre des Hans D. Bornhauser stellen.

  6. Sen. on Juni 12th, 2013 at 04:00

    Sie schreiben großartig…

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