STB Andreas 2010
Nachdem Alex P. sich hinsichtlich seiner gesichteten aktuellen Filme momentan bewusst bedeckt hält, poste ich, sozusagen zum Ausgleich der dadurch auf dem Blog entstandenen Versorgungslücke in Sachen Bewertungen ;), wiederum einfach mal spontan eine Liste meiner gesehenen aktuellen Filme von Mitte September bis Ende Dezember 2010 mit Wertungen (Underdox unten seperat, Viennale vorerst ausgeklammert, folgt noch in Form von Mini-Kommentaren; Resnais und Boonmee waren Zweitsichtungen in Nachspielkinos, der Rest Erstsichtungen; und natürlich sind die Wertungen nur Momentaufnahmen ohne größere Überlegung und außerdem nach sehr eigener Auslegung, die sich offenkundig nicht oder nur bedingt mit der Auslegung anderer ET-Bewerter deckt und von daher auch nicht mit gleichem Maßstab betrachtet werden sollte):
Paula-Paula (Jess Franco) – 7/10
Raging Sun, Raging Sky (Julián Hernández) – 9/10
The Life and Death of a Porno Gang (Mladen Djordjevic) – 8.5/10
Nostalgia de la luz (Patricio Guzmán) – 7.5/10
Carlos (Olivier Assayas) – 7/10
The Oath (Laura Poitras) – 7.5/10
Somewhere (Sofia Coppola) – 3/10
Bal (Semih Kaplanoğlu) – 6/10
Im Schatten (Thomas Arslan) – 8/10
Versailles (Pierre Schoeller) – 4/10
My Joy (Sergei Loznitsa) – 8/10
I Killed My Mother (Xavier Dolan) – 5/10
W2 (Alexander Biedermann) – 7/10
Uncle Boonmee Who Can Recall… (Apichatpong Weerasethakul) – 9/10
Hadewijch (Bruno Dumont) – 8/10
No Reason (Olaf Ittenbach) [uncut] – 1/10 (zzgl. partiellem Schlock-Spaß)
Reise nach Agatis (Marian Dora) – 5.5/10 (trotz Holprigkeiten feine Entdeckung)
Humpday (Lynn Shelton) – 5/10
Les herbes folles (Alain Resnais) – 9/10
Alamar (Pedro González-Rubio) – 7/10
Les aventures extraordinaires d’Adèle Blanc-Sec (Luc Besson) – 2/10
Greenberg (Noah Baumbach) – 5/10
The Stool Pigeon (Dante Lam) – 6/10
Piranha 3D (Alexandre Aja) – 7.5/10 (Spaßfilm des Jahres)
Enter the Void (Gaspar Noé) – 5/10
Dream Home (Pang Ho-Cheung) – 3/10
Der letzte schöne Herbsttag (Ralf Westhoff) – 1/10
Fire of Conscience (Dante Lam) – 5/10
Film Socialisme (Jean-Luc Godard) – 9/10
Transit (Angela Zumpe) – 5/10
Unstoppable (Tony Scott) – 7/10
The Strange Case of Angelica (Manoel de Oliveira) – 8.5/10
Orly (Angela Schanelec) – 8/10
Geburt (Silvia Haselbeck, Erich Langjahr) – 8/10
The Social Network (David Fincher) – 7/10
Rammbock (Marvin Kren) – 3.5/10
Gamer (Mark Neveldine, Brian Taylor) – 6.5/10
A Serious Man (Joel & Ethan Coen) – 5/10
Underdox-Wertungen:
Villalobos (Romuald Karmakar) – 7.5/10
Oxhide (Liu Jiayin) – (7/10) (mit Müdigkeitsvorbehalt)
Free Land (Minda Martin) – (5/10) (mit Müdigkeitsvorbehalt)
Oxhide 2 (Liu Jiayin) – 9/10
Let Each One Go Where He May (Ben Russell) – 9/10
Viennale folgt… wohl eher nicht mehr…
Dezember 2010 – bisheriger Film des Monats:
Holocaust 2 / Holocaust – I ricordi, I deliri, la vendetta (Angelo Pannacciò)
Ein spätes italienisches Naziploitation-Flickwerk, von allen guten Geistern verlassen und dafür von bösen, mit hässlichen Fratzen sich selbst in den Wahnsinn lachenden Geistern besessen. Eine unfassbar dreiste, schäbige, schundige Exploitation-Ausgeburt, die als völlig delirant und disparat vor sich hinwabernde Absonderlichkeit zum Rauscherlebnis wird. Irrsinnsfilm, Wahnsinnsentdeckung.
Nachgetragene Kurzkommentare von August/September 2010:
Gestapo’s Last Orgy / L’ultima orgia del III Reich (Cesare Canevari)
Ich gestehe: das sogar von den eher rar gesäten Fans des Films einhellig verschmähte Titel- und Schlusslied „Lise“ finde ich vollkommen großartig, es unterstreicht den Tonfall des gelegentlich ganz ohne Berührungsängste ins Schmierenmelodram abgleitenden Films punktgenau und verleiht dem Abspann den gebührenden, schwer verdaulichen Nachhall. Überhaupt ist Canevaris nicht von ungefähr an „Salò“ erinnerende Faschismusparabel keinesfalls perfekt und schon gar nicht zum Zweck widerstandsloser Verdaulichkeit, guten Geschmacks und politischer Korrektheit an allen Kanten abgeschliffen. Aber gerade in seinem überbordenden, auf hochspannende Weise seine Thesen skizzenhaft in die vollgesaute Wagschale werfenden Stil ist es wohl das alles überragende Ausnahmewerk der berüchtigten italienischen Naziploitationwelle der 70er Jahre, von deren sonstigen Vertretern er sich ohnehin deutlich unterscheidet. Statt reueloser Ausschlachtung entsteht hier vielmehr mit den Stilmitteln der Exploitation ein Stück subversiver Kunst, der gerade ihre Unverfrorenheit und Rücksichtslosigkeit zugute kommt. Es lässt sich kaum in Worte fassen, wie locker dieser Film all die behäbigen, gewissensberuhigenden, unerträglichen „Geschichtsaufarbeitungen“ (die im Grunde auch nur etwas „seriöser“ kaschierte Geschichtsausschlachtungen sind) gerade des deutschen Kinos jüngeren Datums in die Tasche steckt und um wieviel angemessener (weil: herausfordernder, unbequemer und im besten, notwendigsten Sinne anstößiger) seine Exploitation-Methodik letztlich tatsächlich ist. Was für eine Befreiung und was für ein reizvolles Gedankenspiel wäre es, wenn GESTAPO’S LAST ORGY irgendwann hierzulande ganz offiziell und möglichst breitflächig im Kino laufen würde! Leider ist es wohl absolut undenkbar, dass es je dazu kommen könnte. Ansonsten lasse ich lieber Christian Keßler zu Wort kommen, dessen Fazit ich nur zustimmen kann: „Sicher ist, dass sich Canevari innerhalb eines äußerst dubiosen Genres bewegt hat und dabei einen streckenweise zwar ekelhaften, aber keinesfalls gewissenlosen Film gemacht hat. L’ULTIMA ORGIA ist ein nachhaltig wirkungsvoller Film, der seine verstörende Wirkung eben gerade aus der ans Surreale grenzenden Überhöhung der Vorgänge bezieht. Es ist klar, dass er es sich mit den meisten Zuschauern verderben muss. Den einen, weil er zu wenig „Respekt“ vor den historischen Ereignissen hat. Den anderen, weil die meisten mit solch unappetitlichen Dingen nicht konfrontiert werden wollen. Meiner Meinung nach ist es vollkommen wünschenswert, wenn den Leuten im Kino das Essen aus dem Gesicht fällt. Das ist die einzige Reaktion, die den Vorgängen angemessen ist.“
Soul Kitchen (Fatih Akin) *
Länger keinen Film mehr gesehen, der in seinem Bemühen um Leichtigkeit und Lebendigkeit derart verkrampft, bemüht und aufgesetzt wirkte. Bereits „Auf der anderen Seite“ war mir deutlich zu bemüht und leblos konstruiert, aber bei einer Komödie wie „Soul Kitchen“ wird das Problem beinahe noch eklatanter. Von der Energie und Direktheit eines „Gegen die Wand“ ist hier nicht mehr viel geblieben, und wenn mal ein Sleaze-Lüftchen durch den Film weht und daran denken lässt, was vor 40 Jahren für wahnwitzige filmische Energiebündel in Hamburg entstanden sind, verhindert das leider auch nicht den Eindruck, dass hier statt einer bizarren Mief-Transzendenz dann doch eher nur der abgestandene Mief deutscher 90er-Jahre-Komödien mit bisweilen dezent chauvinistischem Anstrich vorherrscht. Komödie als Nötigung der Figuren und Zuschauer gleichermaßen – nicht gerade meine Vorstellung von einem gelungenen Spaß.
Babystrich im Sperrbezirk (Otto W. Retzer) *
Ein letztlich doch ziemlich faszinierender Prostitutions-Mondo mit dazwischen montierten Spielszenen aus diversen früheren Produktionen der Lisa-Film. Die Anklänge an Sex- und Reportfilme wirken dabei für die Entstehungszeit, als es mit dem Genre im Wesentlichen längst vorbei war, teilweise geradezu anachronistisch. Dahingehend auch ziemlich interessant, dass der Film fast zeitgleich mit Saless‘ gnadenlosem Abgesang „Utopia“ ins Kino kam. Für einen kurzen Moment standen sich damit zwei Filme quasi direkt gegenüber, deren Milieuzeichnung, deren Selbstverständnis und auch deren Rezeption zumindest nach gängigen Vorstellungen weiter wohl kaum auseinander liegen könnte: die radikale, kritische Kunst und der zwielichtige Schund, wenn man so will. Und doch laufen gerade in Retzers Vermengung recycelter Spielszenen und eigens gedrehten Beobachtungs- und Interviewszenen verschiedene Verbindungslinien zusammen, kristallisiert sich gewissermaßen die ganze Ambivalenz, Faszination, Schmierigkeit, Problematik und Fragwürdigkeit des Sexploitation-Films und seiner artverwandten Verästelungen. Ein in seiner Zwiespältigkeit irritierend unbeirrter Blick ins freudlos-kalt gewordene Herz des Sleaze ohne beruhigende gedankliche Fluchtmöglichkeit in reine Fiktionalität.
Vanessa (Hubert Frank) *
Fabelhafter Film. Außer Rand und Band geratene Verfremdungseffekte transzendieren den kunstgewerblichen Weichzeichner-Kitsch zur vollendeten Stilisierung nach bester Franco-Manier: Zeitlupen, Weitwinkel, radikale Schnitte, ein formidabler Soundtrack von Gerhard Heinz und die sich hier endlich erschließende Faszination Olivia Pascal lassen kaum Wünsche offen.
September 2010 – sporadische Kurzkommentare (* = Kinosichtung; # = wiederholt gesehen):
Villalobos (Romuald Karmakar) *
Wenn es diesmal leider schon nicht mit dem Karlsruher 70mm-Festival geklappt hat (schade vor allem um Jack Cardiffs seltenen „Scent of Mystery“, den man wohl so schnell nirgends mehr in dieser Form sehen können wird), dann wenigstens ein paar Filme beim Münchner Underdox-Festival mitnehmen. Sehr schön die beiden Filme von Sharon Lockhart und Costas „Ne change rien“, die ich bereits in Berlin bzw. Wien gesehen habe. „Villalobos“ lief letztes Jahr auch schon auf der Viennale, ließ sich aber während meines Fünf-Tage-Abstechers nicht unterbringen. Da bietet Underdox eine willkommene Gelegenheit zum Nachholen von Filmen, die es jenseits von Festivals üblicherweise nicht ins Kino schaffen (manchmal zugegebenermaßen aus basalen technischen Gründen dort aber auch nicht optimal aufgehoben sind), auch wenn Karmakar noch zu den aussichtsreicheren Kandidaten gehören dürfte und wohl der bestbesuchte Film dieser Underdox-Ausgabe bleiben wird. Besonders spannend der Abschnitt, in dem DJ und Musiker Villalobos sich ausgiebig über den Niedergang auf Aufnahme- und Klangqualität auslässt und zu dem Ergebnis kommt, dass heute niemand mehr in der Lage sei, auch nur annäherend die tontechnische Qualität der 50er und 60er Jahre zu erreichen und dass es dem digitalen Ton grundlegend an Tiefe mangele. Interessant aus cinephiler Sicht vor allem deshalb, weil man diese Feststellung fast umstandslos auch auf die Entwicklung der Kinotechnik übertragen kann, die in den 50er und 60er Jahren auch zu Höchstleistungen fähig war, von denen man heute nur noch träumen kann und bestenfalls auf Retro- und Nostalgie-Festivals eine Ahnung davon vermittelt bekommt, und es ähnlich wie beim digitalen Ton auch dem digitalen Bild an Tiefe und Räumlichkeit mangelt (was sich natürlich auch positiv nutzbar machen lässt, bevor das jemand mutwillig falsch versteht – es geht erst einmal nur darum, dass es einen markanten Unterschied gibt, der erst dann zum Nachteil gereicht, wenn er nicht als solcher berücksichtigt wird, was halt leider recht häufig der Fall ist). Überhaupt: würde gerne mal z.B. über einen Kopierwerkstechniker einen solch interessierten, sich aufgeschlossen auf seinen Gegenstand einlassenden Film wie „Villalobos“ sehen. Oder gibt es das bereits? Hinweise sehr willkommen.
[…]
Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (Walter Boos) * #
Macht bei der zweiten Sichtung fast noch mehr Spaß. Exploitation as exploitation can. Um keine schmuddelige Fragwürdigkeit verlegen, wird aus dem sozialkritisch verbrämten Jugenddrama eine unverblümte Sleaze-Kolportage, kurzweilig und von erfrischender Direktheit. Eine wunderbare Abwechslung während des FFF, wo man derlei offenherzige Spekulationen dann doch recht schmerzlich vermisst, denn man kann es leider nicht anders sagen: sowas wird heute einfach nicht mehr gedreht. Und das ist ein nicht gerade kleiner Verlust – vor allem wenn man sich ansieht, was stattdessen in diesem Bereich gemacht wird.
Der Untergang der Emma (Helmut Dziuba) *
Frozen (Adam Green) *
Anfangs erfüllen sich die Erwartungen: die erste halbe Stunde ist prima Idioten-Trash mit dämlichen Dialogen vor zwar kaum genutzter, aber immerhin vorhandener winterlicher Bergkulisse. Sobald der Lift dann aber tatsächlich stehen bleibt, wird’s schnell äußerst lahm und langweilt ab der Hälfte dann streckenweise fürchtlich, zumal die vor sich hinklimpernde Musikuntermalung deplatzierter und nervtötender kaum sein könnte. Allerdings gibt es zwei wirklich unfassbare Pinkelszenen, von denen vor allem die zweite den Vogel abschießt und den Harndrang der weiblichen Hauptfigur zum großen melodramatischen Schicksalsmoment stilisiert, was wirklich jeder Beschreibung spottet (hier leistet dann auch die Musik ausnahmsweise große Dienste) – solche wahrhaft außergewöhnlichen Momente trösten zusammen mit dem Anfang dann doch über manches hinweg.
Outrage (Takeshi Kitano) *
Mit inszenatorischer Klarheit und Präzision zerlegt Kitano den Yakuzafilm. Ein Meta- und Anti-Yakuzafilm als Endspiel ohne Wiederkehr ist die konsequente Folge. Eine Studie der Genre- und Milieu-Mechanik, von Abläufen und Kreisläufen, von sich verselbständigenden Codes und Regeln, von einem alles zermalmenden Gefüge, in dem Figuren und hierarchische Positionen zwangsläufig jederzeit austauschbar sind. Der offen gelegte Irrwitz ist nahe an der Satire, aber der Humor ist bestenfalls tiefschwarz – statt befreiender Heiterkeit gibt es blutigen Wahnsinn. Für weitere Ausführungen empfehle ich die treffende Kritik von Daniel Kasman. Würde mich überraschen, wenn ich auf dem diesjährigen FFF abgesehen von der schon seit Wochen freudig erwarteten „Amer“-Zweitsichtung noch einen besseren Film zu sehen bekäme.
Sie sind keine Schulmädchen mehr! / Ladies in Lace (Jack Remy) *
Ungenießbar. Positiv hervor zu heben wären dank Synchro allenfalls einige kurze Dialogpassagen. Ansonsten reiht sich der Film widerstandslos in die Niederungen eines „Frauenstraflager“ oder „Teen-age Fantasies“ ein. Dass man hinterher eigentlich nur abwägte, welcher der Filme noch am wenigsten unerträglich wäre, sagt bereits alles. Wäre nicht zeitgleich auch ein „New Wave Hookers“ entstanden, könnte man meinen, dass es Mitte der 80er Jahre im Kino mit dem Genre schon völlig vorbei war – wobei es das kurze Zeit später dann auch tatsächlich war, und es aus heutiger Sicht lange her sein dürfte, dass zuletzt ein Porno tatsächlich fürs Kino gedreht und dort ausgewertet wurde…
Bruce Lee – Der Unbesiegte / Lung Dik Ying Ji (Bruce Li) *
Verworren zusammen geschusterter Eastern im „Filmfritzen“-Milieu mit großartigen Nebenfiguren und einer absolut umwerfenden Synchro aus dem Hause Schier. Ein debiles, wirres, sonderbares Vergnügen.
August 2010 – sporadische Kurzkommentare (* = Kinosichtung; # = wiederholt gesehen):
Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt (Ernst Hofbauer)
Sollte noch ein Zweifel an Hofbauer bestanden haben, räumt ihn spätestens dieser Film mühelos aus dem Weg. Eine bisweilen fast ins Surreale verdichtete, ungebremste Frontalkonfrontation mit der frisch-fröhlich-frei machenden deutschen Arbeits-, Beziehungs- und Gesellschaftsmoral. Ein übersprudelndes Sammelsurium an ungezügelt sich im tiefsten bigotten Sumpf suhlenden „Alltagsgeschichten“, und das im doppelten Sinn: irgendwo zwischen Pseudo-Doku, Mockumentary und Realsatire wird unverhohlen spekulativ eine hochgradig absurde Dystopie eines „übersexualisierten“, vom moralischen Untergang bedrohten gesellschaftlichen Gesamtklimas gezeichnet, die in ihrer extremen Zuspitzung zur Karikatur umso brachialer die eigentliche, längst real gewordene Dystopie entlarvt und unverdünnt die (nicht nur zeitgenössischen) wertkonservativen, verklemmten, traditionsbeflissenen und engstirnigen Geisteshaltungen und Verhältnisse zum Vorschein kommen lässt. Und wenn Peter Thomas‘ beschwingter Soundtrack die Geschehnisse auf groteske Weise konterkariert und dem Zuschauer dabei im atemlos unterhaltenden Eiltempo (wie es außer Hofbauer wohl niemand auf diesem Gebiet hinbekommt) ganz trocken die schmierigsten Sprüche um die Ohren gehauen werden, kommt das lustvoll-schadenfreudig dar- und bloßgestellte deutsche Selbstverständnis und die wahnwitzige Raserei dieses unglaublichen Films voll zum Tragen.
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Jungfrau unter Kannibalen / Sexo caníbal (Jess Franco) *
Ein Film wie von einem anderen Stern, und ein weiteres entgleistes Wunder in Francos an Wundern und Entgleisungen nicht gerade armen Filmografie. Beinahe so etwas wie ein avantgardistischer Kannibalenfilm, wild oszillierend zwischen Ultra-Kunst und Ultra-Trash. Es gibt im Grunde kaum eine Einstellung in diesem Film, die nicht inspiriert und von einem wunderbar eigensinnigen Stilwillen beseelt wäre. Die brillante Kamera wählt nie den Weg der einfachsten, klassischen Auflösung von Szenen, und die Musik transportiert abermals eine jenseitige, entrückte Aura, wie sie dem Setting nicht angemessener sein könnte. Das Ganze steht dem Experimentalfilm stellenweise fast näher als dem Exploitationkino, und kippt dann doch regelmäßig völlig aus der Bahn, so sehr ist der Film gleichzeitig bis zum Bersten mit unfassbaren Bizarrheiten bestückt. So wechseln sich entfesselte Lachkrämpfe und aufrichtige Bewunderung in schönster Eintracht ab (bzw. bestehen gleichberechtigt nebeneinader), wobei die unersetzliche deutsche Granaten-Synchro und ähnlich wie bei „Lolita am Scheideweg“ schätzungsweise auch die Kürzung von etwa 20 Minuten bei der deutschen Kinofassung wohl erst jenen vollendeten Genuss ermöglichen, der bei der Langfassung mutmaßlich durch Füllmaterial eher verwässert wird.
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The Endless Summer II (Bruce Brown) *
Mit Surfen als Sport habe ich eigentlich nichts am Hut, mit Surferfilmen aber umso mehr, jedenfalls seit ich letztes Jahr unvorbereitet „Red Hot Blue“ sah und seitdem den Verdacht habe, dass der purste aller Actionfilme wohl ein Surferfilm sein muss. Und nach einigen Expeditionen in diesen Bereich hat es mittlerweile bereits fast etwas wohlig-heimeliges, endlich wieder bei einem Surferfilm im Kino zu sitzen, was im vorliegenden Fall von der vertrauten Titelmusik des ersten „Endless Summer“-Films noch verstärkt wird (und natürlich auch bewusst so eingesetzt ist). Jener erste Film ist dann im schönsten Moment des zweiten Films auch kurz im Fernsehen zu sehen – in der Dunkelheit eines einsamen Hauses schauen ihn sich die beiden Protagonisten zum unzähligsten Male an und werden davon inspiriert, sich selbst aufzumachen, um rund um den Globus nach der perfekten Welle zu suchen, schließlich ist immer irgendwo gerade Sommer. Vieles hat sich indes in den 30 Jahren zwischen beiden Filmen gewandelt: aus einer surfenden Randbewegung wurde ein Massenphänomen, aus abseitigem Independent-Kino eine größere Produktion, aus abenteuerlich enstandenen 16mm-Aufnahmen wird professionelle 35mm-Klarheit. Und es gibt als Übergänge zwischen den einzelnen Locations plötzlich kurze gespielte Szenen mit eigentümlichem Slapstick-Humor, fast eine Travelogue-Comedy wird es stellenweise – der beigemischte Schuss Selbstironie (auch der Protagonisten) ist dabei vermutlich gar nicht so verkehrt, wenn auch in der Darreichung zunächst eher befremdlich. Toll ansonsten der verblüffend souveräne 5-jährige Surfboy, weniger toll, dass es nur gelegentlich Zeitlupen (dafür gibt es immerhin einige grandiose Unterwasseraufnahmen) und ungeschnittene Surfs gibt, hier und da wird dann doch zu schnell abgewürgt und kompiliert, vermutlich ein Zugeständnis ans anvisierte breitere Publikum. Insgesamt ist’s dann schon durchaus unterhaltsam, auch wenn mir die älteren Vertreter deutlich mehr geben, und fraglos auch eine reizvollere Rezeptions-Assoziationskette mitbringen: auf mitunter abenteuerliche Weise entstanden, auf undurchsichtige Weise überlebt, und dann in den schummrigen Kellern von verwegenen Hintertreppenkinos wiederentdeckt. „The Endless Summer II“ liefert dahingehend naturgemäß wenig neues Pulver.
Drei Bayern in Bangkok (Siggi Götz)
Dumpfer, zotiger Sexklamauk aus der untersten Schublade, unfassbar schal und abgestanden. Da weiß man umso besser, was man an Hofbauer hat – wo etwa dessen äußerst unterhaltsamer „Wenn die prallen Möpse hüpfen“ in seinem schmierigen, bizarren Wahnwitz fast zur comichaften Abstraktion wird, bleibt bei diesem „sich unter Niveau amüsierenden“ (FAZ) Götz-Trip nach Thailand dann tatsächlich vor allem zynische Widerwärtigkeit und lähmende Dummdreistigkeit übrig (und noch nicht mal ehrlichen Sleaze gibt es, der einen dafür entschädigen könnte, stattdessen wird alles von der betont verharmlosenden „Humor“-Dampfwalze erdrückt und übermannt). Kein Vergleich zu einem Götz-Klassiker wie „Griechische Feigen“.
Manhunt in the City / L’uomo della strada fa giustizia (Umberto Lenzi)
Selbst ist der Mann von der Straße – wenn die Staatsmacht offenkundig versagt, werden eben die eigenen Ärmel hochgekrempelt und mit harter Hand und eiserner Miene mal kräftig durchgewischt im Sumpf des niederträchtigen Gesocks. In seinen Suggestionen mehr als durchschaubares und dann wiederum doch nicht ohne Ambivalenzen anrollendes Mobilmachungskino, das mit Henry Silva, grandiosen Nebenfiguren und der geradlinig brachialen Drauflos-Action der Marke Lenzi einige Trümpfe in der Hand hält.
A Serbian Film / Srpski film (Srdjan Spasojevic)
MTV-Kiddies Ausflug in die motherfuckin‘ evil porn hell. Oder: ein ganz böser Trip in ganz fiese Abgründe im marktschreierischen Werbe-Videoclip-Look… Dem andeutungsvollen Blödsinn der ersten Hälfte lässt sich ein gewisser Schlock-Appeal nicht absprechen (wird nicht lange dauern, bis man darüber herzhaft ablachen kann, so aufdringlich zeitverhaftet ist der ganze Quatsch), aber das ändert auch nicht viel am Gesamteindruck eines grundfalschen, ästhetisch lausigen, sexualfeindlichen (da ist das offenkundige Gummi-Gemächt dann durchaus symptomatisch, ganz zu schweigen von einer mehr als problematischen, geradezu affirmativen Aneignung des vorgeblich kritisierten Fließband-Porno-Modus), auf lächerliche und stumpf-uneffektive Weise provozierenden, mit peinlich forcierter Tongestaltung daher kommenden, letztlich in jeder Hinsicht indiskutablen Machwerks.
Dolls (Takeshi Kitano) * #
Hat erst bei der Zweitsichtung mit einigen Jahren Abstand gezündet, dafür aber richtig. Anfangs noch gelegentlich an einer allzu plumpen Symbolik vorbei schrammend (die allerdings durch die erzählerische Rahmung durchaus ihre Legitimation erfährt), wird der Film kontinuierlich stärker und steigert sich fast zu einer Art introvertiertem Melodram. Ziemlich großartig, aber ähnlich wie „Takeshis'“ dann halt doch zu reichhaltig, als dass mir dazu wirklich was prägnantes einfallen würde.
Der Hexentöter von Blackmoor (Jess Franco) *
Der experimentelle, versumpfende Franco ist natürlich interessanter als der eher konventionell Erzählende, aber alles in allem ist das doch recht ordentlich und hat zwischen eher drögen Passagen seine Momente. Wirklich veredelt wird das Ganze aber durch den wahrhaft unglaublichen Auftritt von Howard Vernon, der einmal mehr den gewohnt fiesen Franco-Folterknecht gibt, vor allem aber mit seiner jeder Beschreibung spottenden Henkerskluft einen mehr als denkwürdigen Anblick abgibt.
Schwarzer Markt der Liebe (Ernst Hofbauer) *
Eine wüste Mädchenhändler-Krimi-Kolportage, rasant im Ablauf, mit Schnitten wie Axthieben von einer Szenerie zur nächsten wechselnd und mit allerlei ergötzlichen Charakteren und Dialogen ausgestattet. Und vor allem mit bieder-drallen Schmierigkeiten gewürzt, die einem „Ein Toter hing im Netz“ oder „Geißel des Fleisches“ in Erinnerung rufen und diese obskure Perle dann auch tatsächlich in ähnliches Fahrwasser schippern lassen.
Juli 2010 – Sichtungsliste mit Kurzkommentaren:
Takeshis‘ (Takeshi Kitano) *
Bay of Blood / Reazione a catena (Mario Bava) #
Die ab den späten 60er Jahren in Bavas Filmen geradewegs zum festen Bestandteil gewordenen gallig-bösartigen Schlussvolten sind immer wieder eine Freude, aber diese hier ist wohl eine der schönsten, weil sie dem Film noch mal einen ganz anderen Schlussdrall gibt, ihm gar eine ergänzende Dimension verleiht und ein zusätzliches Licht auf die vorherigen, blindwütig gierigen Verstrickungen wirft. Einfach so, verschmitzt grinsend aus dem Ärmel geschüttelt. Und schon werden ausgetüftelte Komplotte ganz banal vom gleichmütigen Lauf der Dinge durchkreuzt.
Masters of Horror: Pick Me Up (Larry Cohen)
Selten erlebt, dass ein Film dermaßen kippt. Die erste Hälfte ein beinahe altmodischer, unbekümmert dümmlicher Exploitation-Trash der entspannt spaßigen Sorte, wie ich ihn Cohen gar nicht mehr zugetraut hätte. Die zweite Hälfte durch ein Drehbuch-Ärgernis die Unterbietung noch aller Befürchtungen und im Abspulen der Vorgaben dermaßen fad, dass es kaum auszuhalten ist.
Der Vater meiner Kinder / Le père de mes enfants (Mia Hansen-Løve) *
Kikujiros Sommer / Kikujirô no natsu (Takeshi Kitano) * #
…soviel nackte Zärtlichkeit (Günter Hendel) *
Eine weitere Ausgrabung aus der deutschen Mief- und Sleaze-Schatztruhe. Vor allem in der ersten Hälfte mit allerlei Ungeheuerlichkeiten gesegnet, da fallen dann gerne mal Dialogzeilen wie folgende (hingeschrieben und ohne den bildlichen Kontext natürlich nur von eingeschränkter Wirkung):
1) „Warum hast du deine Frau verlassen?“ – „Sie ist so kalt. Eine von diesen modernen Frauen, die noch nicht mal im Bett richtig warm werden.“
2) Er zu ihr, nachdem er sie mittels Verabreichung von Hochprozentigem sowie anschließender Vorführung von Super8-Pornos (!) gefügig gemacht und umgehend ausgenutzt hat und danach beide nebeneinander im Bett liegen: „Na, bist du glücklich?“ – „Mir ist so schlecht.“ – „Kunststück! Dann geh dich erstmal richtig auskotzen.“
3) „Sag mir, was bist du: Engel oder Teufel?“ – „Ich bin ein Weib, ein bisschen was von beidem!“
Er – Stärker als Feuer und Eisen / Ironmaster – La guerra del ferro (Umberto Lenzi) *
Der Söldner / The Soldier (James Glickenhaus)
Faszinierend, wie der Film vor allem in der ersten Hälfte jede Actionszene zelebriert, zerdehnt und in ungewöhnlich langen Einstellungen feiert, als sollte der Effekt jedes investierten Dollars auch zweifelsfrei sichtbar gemacht werden. Angesichts des heute verbreiteten Trends zum regelrechten Verstecken und Verschleiern von Schauwerten durch hektische, desorientierende Montage – das Vorgaukeln eines „noch mehr“, obwohl eigentlich längst genug da wäre, wenn es nur genutzt würde – ist das ausstellende Präsentieren bei Glickenhaus regelrecht erfrischend. Ebenso in den Verfolgungs-Szenen die gelungeren Momente mit länger ohne Schnitt auskommenden Kamerafahrten, die erst jene Dynamik und jenes Gespür für Geschwindigkeit ermöglichen, welches vom Schnitt meist nur ausgebremst wird. Das alles kann leider trotzdem nicht verhindern, dass der Film in der zweiten Hälfte kräftig abbaut.
Paul (Klaus Lemke)
Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (Rolf Olsen)
Mief auf Ecstasy, mit Vollgas durch den Kiez geprescht. Hier haut Opas Kino, prächtig mit unfassbaren Obszönitäten eingeschmiert, mit Verve und Schmackes auf den volkstümlichen Stammtisch, und Curd Jürgens stellt nach untergejubeltem Knastaufenthalt mit deutscher Gründlichkeit und irrwitzigem Overacting sein gutes Ansehen wieder her. Er hat ja auch Glück gehabt, ist er doch schließlich allen schadenfroh-lüsternen Andeutungen von Schmutzfink Olsen zum Trotz in letzter Sekunde dem unwissentlichen Inzest mit dem blutjungen Töchterlein entgangen, und das, wo doch beim fröhlichen Ausflug nach Helgoland die Versuchung nicht gerade klein war… Der blanke Wahnsinn!
Dirty Angels / Vergogna schifosi (Mauro Severino)
Die Sieger (Dominik Graf)
Lolita am Scheideweg / Eugenie (Historia de una perversión) (Jess Franco) *
Anfang der 80er Jahre schien der Meister aller Schmuddelklassen mit einigen Filmen noch ein mutmaßlich letztes Mal zu Hochform aufzulaufen. Das Wabernde, Traumwandlerische, Versumpfende, wie es die besten frühen Francos häufig auszeichnet, fehlt auch hier nicht, sogar durchaus erotische, gelegentlich sehr einfallsreich fotografierte Sexszenen (die sonst beim späten Jess meist eher zur Qual geraten) werden geboten, und die Architektur zu Beginn mit ihren steilen Winkeln und harten Kanten wird eindrucksvoll genutzt. Inwieweit man es dem Film anrechnen will, dass die vom deutschen Produzenten in die hiesige Fassung hinein geworfene, aber ziemlich tolle und passende Musik zur Feinabstimmung noch das ihrige beisteuert, sei dahingestellt. Jedenfalls ein essentieller Pflichtfilm für Franco-Aficionados.
Fast ein Held – Die Abenteuer des braven Kommandanten Küppes (Rainer Erler) *
Klassenfahrt (Henner Winckler)
Seit ich vor Jahren den sehr tollen „Lucy“ zufällig im Fernsehen gesehen habe, wollte ich mehr von Henner Winckler sehen. Leider ist „Klassenfahrt“ bislang sein einziger weiterer Langfilm, zeichnet sich jedoch durch die gleiche Bereitschaft und Offenheit aus, sich auf seine Figuren einzulassen, auf Augenhöhe mit ihnen. Dankenswerterweise auch ohne unglaubwürdige „Scheinjugendliche“, wie man sie viel zu häufig vorgesetzt bekommt. Großartig die schlaglichtartigen, subjektiven Kameraeindrücke aus fahrenden Bussen und Autos heraus. Überhaupt liefert die Beschreibung des Transitzustandes der Klassenfahrt zugleich auch ein trefflich verdichtendes Bild für den Transitzustand der Adoleszenz.
Vorsicht Sehnsucht / Les herbes folles (Alain Resnais) *
Substitute (Vikash Dhorasoo, Fred Poulet) *
Ein alternativer Blick auf die Fußball-WM 2006, eine andere (Innen- und als Ersatzspieler doch wiederum umso mehr Außen-)Perspektive, andere Bilder, andere Emotionen. Dem technisch hochgerüsteten medialen Großevent mit Tagebuch-artig intimen, verwaschenen Super8-Bildern entgegen getreten. Dabei zeigen die beiden Filmer stellenweise durchaus ein bemerkenswertes Gespür für die spezifische Disposition des Mediums, das in einigen Momenten tatsächlich eine an seinen genuinen Möglichkeiten und Potenzialen ausgerichtete Nutzung erfährt.
Sonatine (Takeshi Kitano) * #
Kitanos Bewusstsein für Farbe – eine Ausnahmeerscheinung im zeitgenössischen Kino. Was gerade bei einem dahingehend vermeintlich eher unauffälligen Film wie diesem dann umso deutlicher wird.
Crystal Voyager (David Elfick) *
Vielleicht ist der Schmalfilm wirklich näher an der Essenz, der Basis des Kinos. Spuren von Licht, dem gröberen Widerstand abgerungen, ihm zum Trotz mit aller Rohheit eingeschrieben, eingefressen ins Gewebe des Materials.
Barbarella (Roger Vadim) * #
Im unverblümten Fetisch-Kino von Vadim lässt der Trivialfilm keine Wünsche mehr offen. Endlich „style over substance“ im ausgesprochen positiven Sinne, der Plot zur lächerlichen Nichtigkeit verdammt, ist alles nur im Moment, in der Oberfläche, wird Form, Bewegung, Körper, Objekt, Erscheinung, Klang, Textur, Farbe. Überhaupt: in Sachen Eye Candy geht kaum etwas über filmische Sixties-Pop-Art. Im Kino ein fast ungeheuerlicher Genuss.
Blue Velvet (David Lynch) * #
Tag/Nacht, hell/dunkel, Licht/Schatten. Übergänge und Grenzgänger. Coming-of-Age und Melodram, Liebes-Märchen und Noir-Alptraum. Ein großer Film über den Verlust der Unschuld (der Wahrnehmung). Nach dem entscheidenden Blick hinter den Vorhang gibt es kein Zurück mehr – man wird die Welt für immer mit anderen Augen sehen.
Anchorman: The Legend of Ron Burgundy (Adam McKay)
Ein ungewisses Drittel zweifelnden Aufwärmens, ein überraschend begeisterndes Drittel gnadenlosen Infantilitäts-Exzesses, ein bedauerliches Drittel des langsamen Abflauens.
Charley Varrick (Don Siegel)
Schnörkellos versierte Genre-Kunst, immer präzise auf den Punkt. Vergleichbar tolles habe ich auf diesem Gebiet in den letzten Monaten höchstens mit Romeros „Crazies“ gesehen.
Und der Regen verwischt jede Spur (Alfred Vohrer) *
Deutschtümeln mit Onkel Alfred. Ziemlich unfassbar, hat aber schon seine Momente. Manchmal dann tatsächlich auch echte Vohrer-Momente.
Zwei geile Hirsche auf der Flucht (Alois Brummer) *
Nach bieder-schmierig derbem Auftakt werden ausgedehnte Hardcore-Szenen von der dankenswerterweise ständig eingesetzten Musik angenehm rhythmisiert, zum filmischen Äquivalent des Easy Listening wird hier der Seventies-Porno stellenweise fast, was paradox anmuten mag, aber (als Film betrachtet) wirklich nicht das schlechteste ist, was man über ihn sagen könnte.
Der Todesschrei der Hexen / Cry of the Banshee (Gordon Hessler) *
Ein uninspirierter Brei, streckenweise schier unerträglich öde. Jedenfalls in der deutschen Kinofassung, die leider auf der deutlich gekürzten AIP-US-Fassung basiert.
Shutter Island (Martin Scorsese) *
Ein Film, über den nachzudenken (wegen der vielen interessanten Ansätze) letztlich mehr Spaß macht, als ihn sich tatsächlich anzusehen (wegen der wiederkehrenden Penetranz seines inszenatorischen Duktus).
Filmfest München (Fazit)
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Sichtungslisten April bis Juni:
Keine Angaben zu wiederholten Sichtungen (sind aber regelmäßig einige dabei), keine Angaben zu Kinosichtungen (die Angabe von Nicht-Kinosichtungen wäre bei mir seit einigen Jahren wohl auch einfacher), keine Punktbewertungen.
Juni 2010:
The Hills Have Eyes (Wes Craven)
Far from Heaven (Todd Haynes)
Der Räuber (Benjamin Heisenberg)
Natalie 3 – Babystrich online (Dagmar Damek)
North by Northwest (Alfred Hitchcock)
Angel’s Höllenkommando (Kenneth Hartford)
Some Came Running (Vincente Minnelli)
Imitation of Life (Douglas Sirk)
Final Mission (Cirio H. Santiago)
Lady Terminator (H. Tjut Djalil)
The Riffs II – Flucht aus der Bronx (Enzo G. Castellari)
The Riffs – Die Gewalt sind wir! (Enzo G. Castellari)
Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn (Rolf Olsen)
Stadt in Panik (Giuseppe Rosati)
Terminator 2 – in 70mm über Sensurround-Anlage (James Cameron)
A Year Along the Abandoned Road – in 70mm (Morten Skallerud)
Mission Galactica – in Sensurround (Vince Edwards, Christian I. Nyby II)
Kampfstern Galactica – in Sensurround (Richard A. Colla, Alan J. Levi)
Achterbahn – in Sensurround (James Goldstone)
Schlacht um Midway – in Sensurround (Jack Smight)
Erdbeben – in Sensurround & 70mm (Mark Robson)
Written on the Wind (Douglas Sirk)
City Hunter (Wong Jing)
Wenn die prallen Möpse hüpfen (Ernst Hofbauer)
Das zweite Gesicht (Dominik Graf)
Urlaubsreport – Worüber Reiseleiter nicht sprechen dürfen (Ernst Hofbauer)
Mai 2010:
The Crazies (George A. Romero)
Darfur (Uwe Boll)
Rampage (Uwe Boll)
Bedways (RP Kahl)
Tanzender Habicht (Grzegorz Królikiewicz)
Das zweite Gesicht (Dominik Graf)
Griechische Feigen (Siggi Götz)
Horror-Sex im Nachtexpress (Ferdinando Baldi)
Demon Night / Night of the Demons III (Jim Kaufman)
Seven Invisible Men (Sharunas Bartas)
Hunger (Steve McQueen)
Party Girl (Nicholas Ray)
Three Times (Hou Hsiao-hsien)
A Nightmare on Elm Street (Wes Craven)
Pauline am Strand (Eric Rohmer)
Frauenstraflager / Desperate Women (Ned Morehead)
Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe (Dario Argento)
Unter den Dächern von St. Pauli (Alfred Weidenmann)
Ana and the Others (Celina Murga)
Die Rechnung wird mit Blei bezahlt (Giulio Petroni)
Die Vogelscheuche (Rolan Bykow)
Sex O’Clock U.S.A. (Francois Reichenbach)
RR – Railroad (James Benning)
Ein Zug für zwei Halunken / Emperor of the North Pole (Robert Aldrich)
The Exploding Girl (Bradley Rust Gray)
Pünktchen und Anton (Thomas Engel)
Black Angels… die sich selbst zerfleischen (Laurence Merrick)
Die grausamen Sieben (Richard Rush)
Der Tod trägt schwarzes Leder (Massimo Dallamano)
Oh Happy Day (Zbynek Brynych)
Deadlock (Roland Klick)
Wie treu ist Nik? (Eckhart Schmidt)
Wildwechsel (Rainer Werner Fassbinder)
Man-Eater – Der Menschenfresser (Joe D’Amato)
Anvil! The Story of Anvil (Sacha Gervasi)
Die Frau des Fliegers (Eric Rohmer)
Nachtlied des Hundes (Gábor Bódy)
The Wizard of Gore (Herschell Gordon Lewis)
Intimate Confessions of a Chinese Courtesan (Chu Yuan)
Evil Breed: The Legend of Samhain (Christian Viel)
Der Teufel in Miss Jonas (Erwin C. Dietrich)
Der Stein des Todes (Franz Josef Gottlieb)
The Texas Chainsaw Massacre (Tobe Hooper)
Krieg der Welten – Das nächste Jahrhundert (Piotr Szulkin)
(Favoriten/Entdeckungen des Monats: „Nachtlied des Hundes“, „Oh Happy Day“ und „Wildwechsel“.)
April 2010:
La herenzia Valdemar (José Luis Alemán)
Schreie in der Nacht (Antonio Margheriti)
Eruption (Stanley Kurlan)
Der Rattengott (Krsto Papic)
Terror in der Oper (Dario Argento)
Giallo a Venezia (Mario Landi)
Bengelchen liebt kreuz und quer (Marran Gosov)
Malabimba – Komm und mach’s mit mir (Andrea Bianchi)
Michael (Carl Theodor Dreyer)
Justine und Juliette (Mac Ahlberg)
Sie und Er (Susumu Hani)
Das Mädchen Nanami (Susumu Hani)
Was? (Roman Polanski)
Gertrud (Carl Theodor Dreyer)
Ich habe sie gut gekannt (Antonio Pietrangeli)
Ran (Akira Kurosawa)
Das Mädchen, das ich wegwarf / Watashi ga suteta onna (Kiriro Urayama)
Dressed to Kill (Brian De Palma)
Das Wort / Ordet (Carl Theodor Dreyer)
Scanners (David Cronenberg)
Sieben Schönheiten (Lina Wertmüller)
Vampyr (Carl Theodor Dreyer)
Wendy and Lucy (Kelly Reichardt)
Bruce Lee – Das war mein Leben (Mar Lo)
M. Butterfly (David Cronenberg)
Die Fliege (David Cronenberg)
Querelle – Ein Pakt mit dem Teufel (Rainer Werner Fassbinder)
Liebe zwischen Tür und Angel – Vertreterinnen-Report (Ralf Gregan)
Bei Anruf: Mord (3D) (Alfred Hitchcock)
Die Foltermühle der gefangenen Frauen (Jean Rollin)
Das Lustschloß der grausamen Frauen (Jean Rollin)
Der Tod im roten Jaguar (Harald Reinl)
Die sich in Fetzen schießen (Tanio Boccia)
Die Passion der Jeanne D’Arc (Carl Theodor Dreyer)
Ich, die Gräfin (Petar Popzlatev)
Man nannte ihn Hombre (Martin Ritt)
(Lieblingsfilme des Monats, beide zwar schon vorher gesehen gehabt, aber im Kino dann eben doch nochmal eine Offenbarung: „Ordet“ und „Dressed to Kill“. Entdeckung des Monats: Susumu Hani, aber auch einige andere Einzelfilme. Größtes Sleaze-/Trash-Vergnügen: „Bruce Lee – Das war mein Leben“, wobei „Malabimba“ und der grenzenlos schäbige „Giallo a Venezia“ natürlich auch nicht zu verachten sind. Scheißfilme des Monats: „Vertreterinnen-Report“ und „La herenzia Valdemar“, auf ihre Weise jeweils Musterbeispiele für unerträglichen filmischen Bodensatz. Sehr schön dagegen, nach Jahren Hitchcocks „Bei Anruf: Mord“ noch einmal als 3D-Doppelprojektion sehen zu können und im direkteren Vergleich mit der neuen Welle an 3D-Filmen noch eindrucksvoller bestätigt zu bekommen, dass Hitchcocks 3D-Raumgestaltung und ihr dramaturgischer Einsatz immer noch alle Produktionen der letzten Jahre locker in die Tasche steckt. Und schön auch das Jean-Rollin-Double-Feature, leider halt auch mit die einzigen seiner Filme, die man heute mit Glück noch auf der Leinwand sehen kann, weil die meisten seiner Werke hierzulande leider nie den Weg ins Kino fanden. Und auf eine aufwändigere Retrospektive mit importierten Kopien wird man wohl lange warten können, weil diejenigen, die die Mittel dafür hätten, kein Interesse daran haben, und diejenigen, die derartiges liebend gerne machen würden, nicht die Mittel dafür haben.)
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Januar 2010:
Bin in den ersten Wochen des neuen Jahres in einem regelrechten Trash- und Exploitation-Inferno versumpft und habe unter anderem gesehen:
Samurai Cop (Amir Shervan)
Dead Eyes (Luigi Cozzi)
Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (Walter Boos)
Die Brut des Bösen (Christian Anders)
Eine Armee Gretchen (Erwin C. Dietrich)
Blutrausch der Zombies (León Klimovsky)
Frankenstein ’80 (Mario Mancini)
Draculas Bluthochzeit mit Frankenstein (Al Adamson)
Zwei Supertypen räumen auf (Fernando Di Leo)
Macumba sexual (Jess Franco)
Der Teufel kam aus Akasava (Jess Franco)
Die Sklavinnen (Jess Franco)
Frauen ohne Unschuld (Jess Franco)
Wie sag ich’s meinem Kinde? (Roland Cämmerer, Klaus E.R. von Schwarze)
Küss mich, Monster (Jess Franco)
Nacht der Vampire (León Klimovsky)
Vögelein, wo steht dein Bett? – als kruden Filmreste-Remix (Claude Pierson)
Frauenlager der Ninja (Godfrey Ho)
Dazwischen neben absolutem Kontrastprogramm (mit Tarkowski, Godard etc.) aber auch tolle Genre-Entdeckungen gemacht:
Manos: The Hands of Fate (Harold P. Warren)
Sukkubus – den Teufel im Leib (Georg Tressler)
Assault! Jack the Ripper (Yasuharu Hasebe)
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STB-Archiv – Ein paar Mini-Kommentare vom November 2009:
Wonnekloß
Marran Gosov, BRD 1972
Ebenso heitere wie bittere Reflexion übers Filmemachen und die Liebe, von Marran Gosov mit musikalischem Feingespür und einer tollen Balance der Gefühlslagen inszeniert.
Vers Mathilde
Claire Denis, F 2005
Schöne Ergänzung zu Wisemans neuem „La danse“. Das ‚irresistible perfect match‘, das die Kombination A. Godard & Denis & Tanz (schon wegen der großartigen Körperlichkeit vieler Denis-Filme) versprach, ist es allerdings nicht ganz.
The Fog
John Carpenter, USA 1980
Vielleicht der Carpenter, der am meisten von der Kinoaufführung profitiert. Seine Raumentwürfe sind atemberaubend, von dieser Tiefen-Plastizität kann das digitale Kino vorerst nur träumen.
Vengeance
Johnnie To, HK/F 2009
Keiner der besten Tos, aber gerade in den entschleunigten Auszeiten, die er sich gönnt, und den Spielereien am Rande doch erneut von einer angenehm entspannten Professionalität geprägt.
(500) Days of Summer
Marc Webb, USA 2009
Neuer Stoff für „Garden State“-Fans. Indie-Quirkiness all over the place. Naja.
Verspätung in Marienborn
Rolf Hädrich, BRD/F/I 1963
Der Irrwitz des kalten Krieges als Miniatur verdichtet zu einem ebenso spannenden wie komplexen Geflecht von Individualverantwortung, Hierarchiegefüge und Systemzwang. Interessant auch die Parallelen zum aktuellen rumänischen „Politist, adjectiv“.
Looking for Eric
Ken Loach, GB/F/I 2009
Droht immer wieder, zu einer abgeschmackten Selbstfindungs-Feelgood-Schmonzette zu werden, entgegnet (und entgeht?) diesem Verdacht aber mit einem entwaffnenden Charme.
Friday Night
Claire Denis, F 2002
Das Wesen der Dinge und ihre Anmutung. Orte und Momente, im magischen Blick des Kamera-Auges. Eine Sinfonie der Großstadt, gebadet in Sinnlichkeit und Atmosphäre.
Killing Birds
Joe D’Amato & Claudio Lattanzi, I 1987
Zwei mal halb totgelacht. D’Amato hätte Teenie-Soaps drehen sollen. Der Rest: durchdrungen von Madigkeit, zäh und lähmend.
Venus im Pelz
Massimo Dallamano, I/GB/BRD 1969
Italo-Perle. SM-Diskurs meets Sixties-Eurokult. Fetisch-Kino der Blicke und Körper, ein Voyeurismus-Traum in Scope.
Das Mikroskop
Rudolf Thome, BRD 1987
Unaufgeregt, zärtlich und gelegentlich hinreißend – Thome eben.
Halloween
John Carpenter, USA 1978
Sehr lange nicht gesehen, die erste Hälfte hat mich diesmal ziemlich umgehauen. Zudem traumhafte Kinokopie.
Vampire Girl vs. Frankenstein Girl
Yoshihiro Nishimura & Naoyuki Tomomatsu, J 2009
Nerviger Fun-Splatter mit Videogame-Charme und leider nur wenigen guten Ideen.
Manila: In the Claws of Light
Lino Brocka, Philippinen 1975
Meisterwerk und Viennale-Höhepunkt. Die Spätvorstellung war mein bislang intensivstes Kinoerlebnis des Jahres.
Monster Shark
Lamberto Bava, F/I 1984
Idioten-gegen-mutierten-Hai-80er-Schlock, äußerst schäbig und mit Sleaze-Akzenten, ergo überwiegend sehr spaßig.
Aber Andreas, der Verdacht einer Schmonzette sollte sich bei Loach erst gar nicht regen. I am not a man, I am Cantona! Noch Fragen?
Bei The Fog finde ich immer wieder faszinierend, wie Carpenter seine Scopebilder füllt. Am Verblüffendsten für mich: Er kann in diesem Format die Treppe zum Leuchtturm aussehen lassen, als ob sie halsbrecherisch in einen bodenlosen Abgrund führte. Wie macht der Mann das bloß?
Schön, auch im STB-Bereich mal einen Kommentar vorzufinden, wobei meine Reaktion natürlich leider mal wieder viel zu lange auf sich hat warten lassen… (im neuen Jahr werde ich dann auch wieder regelmäßiger gesehene Filme hier eintragen, kam zuletzt einfach nicht mehr dazu)
Kenne von Loach fast nichts und muss zugeben, da gewisse Vorbehalte mit mir rumzuschleppen. ‚Schmonzette‘ ist wohl in der Tat nicht so ganz das richtige Wort, ‚Message-Kino‘ trifft vermutlich besser, was mich bei ihm immer skeptisch macht. Ich sollte aber vielleicht auch einfach erst mal mehr sehen, vor allem aus dem Frühwerk, „Kes“ wurde mir schon wiederholt empfohlen. Ändert aber auch nichts daran, dass ich bei „Looking for Eric“ doch einiges in Handlungsverlauf und Dramaturgie recht abgeschmackt fand (und auch das persönlich in Erscheinung tretende Idol ist spätestens seit „Narco“ kein umwerfend neuer Einfall mehr, wobei ich ansonsten gar nichts gegen Cantona sagen will), aber mit der richtigen Haltung rettet er sich dann zum Glück doch ganz gut über die Runden.
Ja, die Treppe zum Leuchtturm in „The Fog“ war auch für mich einer der verblüffendsten Momente. Aber welche Tiefe und Sogkraft Carpenters Bilder oft schon in einfachen Totalen der Bucht erreichen, ist schon grandios. „Assault“ eine Woche später war dann ein ähnlich tolles Erlebnis. Definitiv Filme fürs Kino, und man kann nur hoffen, dass dem Mann mit seinen diversen neuen Projekten vielleicht doch noch mal ein Comeback gelingt.
Wie ausgesprochen erfreulich, mal wieder etwas von Dir zu lesen. Da hast Du ja mal wieder fleißig Filme gesehen (ich dagegen im Mai überhaupt noch keinen, heute abend wird sich das ändern), darunter jede Menge, von denen ich wie so oft vorher noch nicht mal gehört habe. Aber immerhin, ich kenne erstaunlicherweise acht der April-Filme (wobei ich Hitchcock aber noch nie in 3D gesehen habe, trotzdem glaube ich Dir unbesehen, daß Hitch die Technik sinnvoller verwendet hat als es heute geschieht). Meine Favoriten unter den von mir gesehenen sind, was wohl keine große Überraschung ist, „Die Passion der Jeanne d’Arc“ und „Ran“. Was mich mal besonders interessieren würrde, wäre noch, was Du von „Sieben Schönheiten“ hältst, den fand ich nämlich, als ich ihn gesehen habe, doch ausgesprochen großartig und warte seitdem darauf, noch mal etwas anderes von Lina Wertmüller sehen zu können, aber so langsam fürchte ich, daß ich da bis ans Ende meiner Tage vergeblich warten werde.
Dafür sollte ich, wenn ich die Chance habe, wohl doch endlich mal „Ordet“ sehen, um den bin ich bislang immer nur herumgeschlichen, ohne daß es zu einer Sichtung gekommen wäre, was wohl doch ein Fehler zu sein scheint.
Sehr interessiert wäre ich natürlich noch an den Cronenbergs (schließlich fand ich alles gut, was ich bislang gesehen habe), und mal selbst einen Film von Herschell Gordon Lewis zu sehen, fände ich auch mal interessant, ich vermute zwar stark, daß das die Sorte Film ist, die mir überhaupt nicht liegt, aber das ist eine Vermutung, die ich dann doch mal gern verifizieren würde.
„Sieben Schönheiten“ hat mir durchaus auch sehr gefallen, bei Lina Wertmüller bleibt trotz aller grellen Überzeichnung dann doch meistens überraschend viel Platz für widerborstige Zwischentöne. Noch interessanter fand ich aber eigentlich den einige Wochen zuvor gesehenen „Verdrehte Verhältnisse durch ein eigenartiges Schicksal im azurblauen Meer des August“ (so übersetzte man den Titel zumindest bei der Wertmüller-Reihe im Filmmuseum München, der alte deutsche Verleihtitel ist offenbar „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“, am bekannten dürfte der Film unter dem englischen Titel „Swept Away“ sein – unter gleichem Titel drehte Guy Ritchie vor einigen Jahren ja auch ein berüchtigtes Remake) – der ist in all seinen Überzeichnungen, Ambivalenzen und Fragwürdigkeiten wirklich eine sehr spannende Angelegenheit, unterstützt von exzellenter Kamera und Musik (dahingehend ist auf italienische Filme dieser Zeit aber sowieso meistens Verlass).
Mit „Ordet“ und „Gertrud“ hatte ich vor Jahren im Fernsehen doch erhebliche Probleme, von daher war die Nürnberger Dreyer-Reihe (die zuvor ja auch in Berlin zu sehen war) eine willkommene Gelegenheit, den Filmen eine zweite Chance zu geben. Vor allem „Ordet“ fand ich ziemlich atemberaubend, allein in seinem Umgang mit Raum und Licht, aber auch in seiner hinter der stilistischen Strenge förmlich brodelnden Emotionalität und Menschlichkeit. Großartiger Film, den man aber vielleicht nicht gleich beim ersten Anlauf ins Herz schließt (wenn Christoph das hier liest, gibt’s wahrscheinlich sowieso heftige Widerrede :)).
Cronenberg ist natürlich fast immer empfehlenswert, die Filme kannte ich auch vorher schon fast alle, aber kann mir bei solchen Regisseuren dann halt meistens doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, sie im Kino zu sehen. Vor allem dann, wenn man die Filme sowieso lange nicht gesehen hat. Würde dir besonders „Die Unzertrennlichen“ und „M. Butterfly“ empfehlen (gehören beide zu meinen Cronenberg-Top-5), mit Abstrichen auch „Die Fliege“ und „Scanners“. Meine Favoriten sind wohl „Crash“ und „Videodrome“, wobei ich von den Frühwerken „Shivers“ besonders mag. Von Herschell Gordon Lewis kann ich dir hingegen nur abraten, kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, das du damit viel anfangen könntest. Lewis ist ja sogar unter Exploitation-Aficionados ziemlich umstritten.
Ich fand bei „Sieben Schönheiten“ ja auch toll, wie der Film einerseits kein Klischee ausläßt (die fette, potthäßliche, sadistische KZ-Wächterin…), dann aber auf eine – wie ich fand – sehr raffinierte Weise mit all diesen Klischees herumspielt.
Bei dem anderen Wertmüller-Film (mir gefällt ja der ältere deutsche Titel „Hingerissen von einem…“ noch ein Stück besser, den englischen Titel kann man wohl getrost vergessen, da geht ja der ganze Spaß des Bandwurmtitels verloren, der Originaltitel ist dann ja auch „Travolti da un insolito destino nell’azzurro mare d’agosto“, rein gefühlsmäßig scheint mir der ältere Verleihtitel genauer übersetzt zu sein, aber ich kenne nicht italienische Vokabeln, um mir sicher sein zu können) beneide ich Dich natürlich um die Sicht, den würde ich nämlich sehr gern mal sehen, so wie auch „Liebe und Anrchie“, Mimi – in seiner Ehre gekränkt“ oder „Operation gelungen – Patient tot“.
Mit „Gertrud“ tat ich mich seinerzeit auch recht schwer, da scheinen unsere Erfahrungen also zumindest ähnlich zu sein.
Ansonsten noch vielen Dank für die Ausführungen und Einschätzungen zu Cronenberg und Lewis, das hilft doch gleich, etwas Orientierung zu gewinnen.
Zu den August-Einträgen zwei Erkenntnisse: Du scheinst riesengroßer Fan der Adjektive geworden zu sein. 😉 Und irgendwie gelingt es niemanden, der neuerdings serbische Filme schaut, darüber Stillschweigen zu bewahren. Aber so weiß ich zumindest, dass wir in diesem einen Film nicht weiter auseinander sein könnten.
Jetzt läufst du aber zu Hochform auf, Andi.;-) Bei deinen Kommentaren zu den jüngsten Deutschtümel-Exzessen wünsche ich mir einmal mehr, dass du dich doch mal eines solchen Films für die deutsche Reihe annimmst – das könntest du sicherlich trefflichst in Worte fassen. Finde aber deine jüngsten Kommentare generell viel besser und gehaltvoller, prägnanter als deine ersten Versuche letztes Jahr. Unbedingt so weitermachen, ein echter Lese-Genuss!
Vollste Zustimmung natürlich beim SERBIAN FILM, sehr viel mehr und anderes muss man dazu gar nicht mehr sagen, etwas Skepsis bei LOLITA AM SCHEIDEWEG: Von einem noch ein letztes Mal zu Hochform auflaufenden Franco zu sprechen halte ich dann doch für eine Missverstehung der Francoschen Ultra-Kunst, die nicht nur dann eine solche ist, wenn sie besonders glatt und schmeichelhaft die Speiseröhre hinunterfließt sondern auch im Kontext von Madigkeiten wie DIE RESIDENZ DER REITENDEN LEICHEN oder dem jüngst von mir gesehenen Spätwerk MARIE-COOKIE AND THE KILLER TARANTULA noch glänzt. Das liest sich ein wenig wie eine gestellte Bedingung und obwohl auch ich LOLITA AM SCHEIDEWEG sofort unter die fünf besten Filme meiner inzwischen 41 Werke umfassenden Franco-Erfahrung einsortiert habe, würde ich doch weder einen FRAUEN OHNE UNSCHULD, noch einen OASE DER ZOMBIES oder SADOMANIA missen wollen. Den völlig uninspirierten Franco habe ich noch nicht gesehen.
Und wir haben noch immer nicht über SHUTTER ISLAND gesprochen! Warum ist der inszenatorische Duktus (hat der Film eigentlich überhaupt einen solchen, ausgeprägten? Ich bin mir da gar nicht sicher.) denn so penetrant? Ich habe den Film jedenfalls am meisten im Moment des Sehens genossen – er ist für mich ein „Film des Moments“.
So, ein ein paar kleinere Ergänzungen vorgenommen und eine ganze Reihe von Tippfehlern korrigiert, nachdem ich fast alle Kurzkommentare von „Substitute“ aufwärts gestern im ziemlich langen schlaflosen Halbdelirium nach durchgemachter Filmnacht geschrieben hatte…
@Schwanenmeister
Stimmt schon, vor allem geht das alles ziemlich in eine blumige, metaphorische Richtung, was mir aber gar nicht so unangemessen scheint, solange es vor allem um Trash- und Exploitation-Kino geht, wie es das bei mir im Moment vor allem tut. An einer Anmerkung zum Serbischen Film kam ich nicht vorbei (du selbst nun ja auch nicht ;)), nachdem ich gerade wieder probeweise in Richtung vollständiger Sichtungskommentare zu gehen versuche. Außerdem scheint jede Gegenstimme nötig zu sein, mir ist die zu doch recht weiten Teilen positive Rezeption ehrlich gesagt ziemlich unerklärlich. Kann an diesem Totalausfall eigentlich nichts positives entdecken.
Hatte ansonsten ja eher mit einem Kommentar deinerseits zur deutschen Sexploitation gerechnet. Geht bei mir zwar sehr breit gestreut und dementprechend unfokussiert voran, aber immerhin. Bei Hofbauer liegen wir mittlerweile wohl noch weiter als vor ein paar Jahren auseinander: „Urlaubsreport“, die „prallen Möpse“, die „blonden Katzen“ oder jüngst der „Schwarze Markt“ – ein Fehlgriff war da (im Gegensatz zu manch anderem aus diesem Segment) noch nicht dabei, und von „Die dressierte Frau“ und dem „Hausfrauenreport International“ wurde mir auch schon ausgiebig vorgeschwärmt. Tauche da in nächster Zeit sicher nochmal vertieft ein, „Frühreifen-Report“ steht auch schon in den Startlöchern… Ist schon ganz spannend, weil unsere Zugänge sich da wohl doch stärker unterscheiden, vermutlich ist es nämlich gerade das von dir mal als „vertrocknet, verkrampft und bestenfalls trashig“ bezeichnete, was mich an Hofbauer ziemlich begeistert. Meine Motivation heißt da eben schon sehr eindeutig Trash und Sleaze, insofern finde ich die Sexploiter umso unterhaltsamer, je humorloser, verstockter und schmieriger sie sind. Die eher auf pausenlosen Klamauk und Zoten setzenden Vertreter finde ich dagegen meistens ziemlich ungenießbar. (Sorry, dass ich dir jetzt ungefragt und unvermittelt gleich einen ganzen Absatz dazu ans Bein binde…)
@Christoph
Brauche erst mal wieder etwas mehr Schreib-Routine, alles ziemlich eingerostet, aber gerade die Trasher, Exploiter und Tümeleien bringen einen da wieder in Schwung… %-) Für einen Eintrag zur Reihe reicht’s aber gerade wohl noch nicht ganz, hier bei den Kurzkommentaren ist das durch die abwechselnden Filme etwas einfacher und motivierender. Mittelfristig ist aber sicher mal eine zünftige Tümelei dran – schon die Auswahl, zu welchen der zuletzt gesichteten Filme es Anmerkungen gibt, macht ja auch deutlich, über welche Filme ich momentan im Zweifelsfall am liebsten schreibe… 😉
Der Franco-Kommentar kam aber wohl etwas falsch rüber. Sollte natürlich nicht heißen, dass man alle Francos nach den frühen 80ern bedenkenlos vernachlässigen kann. Gerade Jesus-Junkies wie unsereins nehmen natürlich auch den verdünnten und gestreckten Stoff gerne (und kriegen höchstens bei staubigen Sperrholz-Brocken wie „Downtown Heat“ ernsthafte Schluckbeschwerden ^^), aber das sollte ja trotzdem nicht daran hindern, die richtig guten Drogen entsprechend zu würdigen. Und auch wenn Madigkeiten wie „Frauen ohne Unschuld“ oder „Sadomania“ noch vereinzelte schäbige Reize offerieren, wäre es doch etwas befremdlich, sie als Produkte eines „Franco in Hochform“ zu bezeichnen. Wir sind uns ja einig: Franco ist Franco, der kommt in aller Regel zum Glück auch bei dürftigsten Entgleisungen noch gelegentlich durch und gibt auch dem ausgedehnten Leiden so etwas wie einen schwummrigen Sinn :lol:, aber erst Franco in Hochform knallt eben so richtig rein. Und ob sich ein Destillat wie „Lolita am Scheideweg“ nach 1985 nochmal in Francos Filmografie findet, dürfte eher fraglich sein, was einen natürlich trotzdem nicht vom Forschen und Ausprobieren abhalten sollte… Uff, was habe ich da bloß gerade zusammen geschrieben…
Und dann auch noch „Shutter Island“. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass der gerade so weit weg von mir gewandert und mit einigen Wochen Abstand auch irgendwie schon so sonderbar egal geworden ist, dass ich (nicht nur) dazu in dieser Morgenstunde gerade kaum einen klaren Gedanken fassen kann. Verschieben wir das vielleicht doch lieber aufs persönliche Gespräch bei nächster Gelegenheit.
@Andi Wenn schon, denn schon. Wenn ich mich melde, dachte ich, dann in der vergnüglichen Kombination aus Pöbeln und Sensationshascherei.
Deine Ausflüge in die erotischen Gefilde der Krautploitation habe ich natürlich sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber eure Tagebücher sind ja auch Zeitfallen. Da geht es plötzlich los, als ob es keinen Morgen mehr gäbe. Keiner kriegt etwas mit. Und dann herrscht wieder monatelang Windhosen zählen.
Zu Hofbauer: Die „Prallen Möpse“ bezeichnete ich selbst als kleines Meisterwerk und fand, dass dessen Filmografie ungefähr zweigeteilt ist. Die braven, biederen Anfangstage und die Jahre, in denen die Konkurrenz riesig und die Zuschauer nicht mehr willig waren. Aus der Erinnerung heraus sind Werke wie „Schulmädchenreport 1“, „Erotik im Beruf“, „Der neue heiße Sexreport“ oder „Frühreifenreport“ immer noch der Bodensatz des Genres. Und auch „Karate, Küsse, blonde Katzen“ halte ich insgesamt für überschätzt. Der zehrt vor allem doch von drei, vier Synchrongranaten, die weniger etwas mit der filmischen Qualität zu tun haben. Meine Lieblinge bleiben „Was Schulmädchen verschweigen“, „Schulmädchenreport 5“ und „Wenn die prallen Möpse hüpfen“. Bin aber immer offen dafür, meine schnell gefassten Theorien über den Haufen zu werfen, wenn ich denn das passende Filmmaterial fände. Grundsätzlich lache ich doch sehr ungern über Filme, viel lieber mit ihnen. Ein wesentlicher Unterschied.
Was ebenso für die Rezeption von „A Serbian Film“ gilt. Ich bin aber auch nur noch selten bei Cinefacts eingeloggt und kenne so gut wie keine Kommentare auf dieser Ebene. Harry Knowles und zwei, drei Amis vom South By Southwest-Festival hatte ich gelesen. Du magst das Ganze für ein Kinkerlitzchen halten, ich fühlte mich an die 1970er-Jahre und „Cannibal Holocaust“ erinnert. Bei einer Zweitsichtung verliert er übrigens nichts, gewinnt eher.
@Andi: Der schon von anderen angesprochene neue Stil fällt mir in Deinen jüngsten Beiträgen auch auf, solche Verbaleruptionen wie vor allem beim serbischen Film bin ich ja gar nicht gewohnt…
Sehr schöner „Barbarella“-Kommentar im Juli übrigens, dem ich mich vollauf anschließen kann.
Zu den August-Filmen kann ich nicht viel sagen, mit der einzigen Ausnahme von „Dolls“, der aber auch schon wieder arg verwischt in der Erinnerung ist, der Nachteil, wenn man so viele Filme wie unsereins sieht, ist der, daß die einzelnen Filme sich in der Erinnerung gegenseitig verdrängen, zum Teil auch miteinander verschwimmen, sich überlappen und ausfransen – zumindest geht es mir so, da würde mich mal interessieren, ob es bei Dir ähnlich ist, da Du ja gefühlt 20mal so viele Filme wie ich siehst, müßte ein solcher Effekt, wenn er vorhanden ist, ja noch viel stärker ausgeprägt sein.
Ansonsten muß ich ja zugeben, daß ich gestern abend ein wenig fassungslos war, am 2. August bereits eine solche Masse von im August gesehenen Filmen vorzufinden. Ich sollte ja eigentlich nicht mehr drüber staunen, tue es aber irgendwie immer noch.
@Schwanenmeister
Ja, das läuft schon sehr in eher unberechenbaren Intervallen ab, was zweifellos seine Nachteile hat und eine stetige Leserschaft nicht gerade motiviert. Deshalb war ich wiederum auch ziemlich überrascht, dass, nachdem ich nach zweiwöchiger Pause plötzlich das STB aktualisiert habe, schon nach wenigen Stunden eine Reaktion kam.
Habe bei Hofbauer bewusst die Feinheiten unterschlagen, um ein bisschen zu provozieren und den aktuellen Stand der Dinge zu erfahren. Aber den ersten „Schulmädchen-Report“ zum Bodensatz des Genres zu zählen, ist schon heftig. Habe ihn seither auch nicht wiedergesehen, zähle ihn aber nach wie vor zu den Höhepunkten, was demnächst überprüft wird, um dann vielleicht doch endlich mal noch mit der Reihe durchzustarten. Nachdem „Karate, Küsse, blonde Katzen“ unter deutscher Co-Regie und -Produktion entstand, würde ich die grandiose Synchro durchaus direkt dem Film anrechnen. Zumindest bei den „prallen Möpsen“ treffen wir uns, ansonsten haben wir jeweils schlichtweg andere Teile seiner Filmographie gesehen. Sollte mich aber sehr wundern, wenn du einen „Schwarzer Markt der Liebe“ nicht zu schätzen wüsstest (leider wohl nur im Kino gelaufen und entsprechend rar), werde hingegen mal schauen, wie es mir mit dem „Frühreifen-Report“ geht, wobei allein der Titel Spekulation vom Feinsten verspricht.
Beim Lachen mit und über Filme muss ich jetzt doch nochmal weiter ausholen, was vielleicht angesichts der vielen hier im STB auftauchenden Trash- und Exploitation-Filme auch als allgemeine Anmerkung nicht verkehrt ist. Trash(-Rezeption) halte ich für ein in seiner Komplexität stark unterschätztes Phänomen, jedenfalls in meiner durchaus eigenwilligen Auslegung des Begriffs (der bei mir eigentlich auch fast immer positiv konnotiert ist, was ihn dann ganz erheblich von der verbreiteten Gleichung Trash=Müll unterscheidet [womit oft eh nur das Scheitern am Abgleich mit den zeitverhafteten, beschränkten eigenen Sehkonventionen gemeint ist] und eher in die Richtung von „camp“ rückt, geht aber gleichzeitig auch darin nicht wirklich auf). Würde sich der Gewinn allein im Auslachen der Filme erschöpfen, könnte ich dafür sicherlich keine solche Begeisterung aufbringen. Vielmehr ist es ein Spannungsfeld von widerstreitenden und auch widersprüchlichen Emotionen und Reaktionen, von Anziehung und Abstoßung, Anerkennung und Kopfschütteln, Belustigung und Entgeisterung, Charme und Schäbigkeit. Eben von einem sonderbaren Gelingen, das erst aus einem vermeintlichen Scheitern erwächst und sich damit gängiger Kategorien entzieht. Insofern sind beim Lachen die Grenzen zwischen „mit“ und „über“ bisweilen verwischend und fließend, die vermeintlich destruktive Rezeptionshaltung schlägt bei wirklicher Trash-Leidenschaft (der es gerade nicht um Verächtlichmachung geht) dann eben durchaus in eine konstruktive „Wertschöpfung“ um, wo andere Rezeptionshaltungen oft nichts mehr bergen können oder wollen (sehr häufig zu beobachten z.B. bei stark fokussierten Horror- und Genrefans, die wunderbar bizarren Trash- und Schlock-Granaten oft völlig ratlos gegenüber stehen, weil ihre Hoffnung auf konventionelle Erwartungserfüllung enttäuscht wird). Insofern erweist man mit einer Trashverweigerungshaltung trotz edler Absicht und vermeintlich fairerer Haltung dann den Filmen und sich selbst letztlich oft einen Bärendienst, wie auch Sano wohl bestätigen kann, der mit ernstem Ansatz sicherlich nicht halb so viel Gewinn aus z.B. „Blutrausch der Zombies“ gezogen hat wie die meisten anderen unserer Truppe.
Das erstmal nur als grundsätzliche Anmerkungen – vielleicht verfasse ich dazu mal einen längeren Essay und versuche, meine Position zu diesem weitläufigen Thema etwas mehr zu präzisieren (irgendwie fühle mich gerade trotzdem fatal an Immo und „Planet der Vampire“ erinnert…).
Dann wiederum sehe ich aber bei manchen Filmen gerade aus dem deutschen Sexfilm-Bereich angesichts ihrer bisweilen äußerst zwielichtigen, leichtfertigen und zynischen Haltung gegenüber ihren Gegenständen noch einen anderen Aspekt. Etwas pathetisch gesagt, halte ich dort dann gelegentlich tatsächlich das ausdrückliche lachen ‚über‘ den Film für die angemessenere Haltung, weil sie gewissermaßen den herabwürdigend behandelten „Gegenständen“ der Filme ihre Würde zurück gibt, während ein ‚mitlachen‘ mir dann eher wie ein unterstützendes Einverständnis mit eben jener Herabwürdigung erschiene. Klingt jetzt vermutlich moralistischer als es gemeint ist – Fragwürdigkeit und Spekulation ist schließlich das täglich Brot der Exploitation, womit ich sicherlich kein Problem habe -, aber zwischen abstraktem Meta-Genuss bzw. neutralem Tolerieren und beherzter Zustimmung ist dann eben doch nochmal ein Unterschied, was vielleicht erst an einem Extremfall wie „Drei Bayern in Bangkok“ wirklich deutlich wird, der deutschen Sextourismus auf eine ungenießbare Weise (nämlich ganz harmlos als doller Jux mit ständig lüsternen Thailänderinnen, deren Bedrängungen sich die unwilligen Bayern kaum erwehren können) goutierbar zu machen versucht, schon eher deutlich wird. Solange es wenigstens als ehrliche Spekulation daher kommt, habe ich meistens nicht wirklich etwas dagegen einzuwenden.
Ganz interessant übrigens in Sachen Sexploitation, dass Alex P. nach seinen ersten Ausflügen (u.a. Hofbauer und Otto) in dieses Gebiet – wohl zur eigenen Überraschung – dann doch ziemlich direkt abgestoßen reagiert hat, also nochmal eine ganz andere, dritte Position einnimmt. Wäre sicherlich ganz spannend, wenn er sich einschalten würde.
Wobei ich mir durchaus vorstellen könnte, dass ich als zeitgenössischer Zuschauer auch eher so reagiert hätte, aber herausgelöst aus ihrem damaligen Kontext kann ich mich davon bestens unterhalten lassen und bekomme nebenbei (eher unfreiwillig, aber bei unverblümter Exploitation-Haltung umso direkter und anschaulicher) auch viel über jenen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Kontext erzählt. Gut möglich, dass gleiches in einigen Jahrzehnten auch für „A Serbian Film“ gilt, heute finde ich ihn aber eher fragwürdig und ärgerlich, und in seiner Tabubruch-Pose dann auch tatsächlich nicht wirklich schockierend oder verstörend, sondern eher peinlich und ermüdend – vor allem die zweite Hälfte, die erste Hälfte wiederum eher lächerlich, was auf lange Sicht zumindest ein gewisses Trash-Potenzial hat 🙂
@Sam
Mit dem Filmschauen läuft es bei mir oft in ähnlich unregelmäßigen Intervallen wie mit den Tagebüchern ab (vielleicht kommen mir Festivals daher auch durchaus entgegen). Auf längere Distanz pendelt es es sich dann aber in den letzten Jahren immer auf einen Schnitt von etwas über einem Film pro Tag ein (mit Festivals dann etwa 1,2 bis 1,3), meistens aber eher dadurch, dass ich an einem Tag zwei bis drei Filme sehe, dann aber wieder ein bis zwei Tage gar keinen. Insofern kommt dann zwar mal so ein Exzess wie am 1. August vor (zusammen mit zwei Freunden nachmittags/abends drei Filme regulär im Kino gesehen, und dann nochmal eine private Filmnacht mit drei weiteren Filmen bis morgends dran gehängt), in den nachfolgenden fünf Tagen habe ich dann aber wiederum nur einen Film insgesamt gesehen. Vielleicht rückt das den ersten, fassungslosen Eindruck etwa ins Verhältnis 😉 Eine fast ununterbrochene Regelmäßigkeit, wie sie etwa Christoph häufig erreicht, gibt es bei mir jedenfalls nicht wirklich oder bestenfalls innerhalb eines begrenzten Zeitraums…
Klar, die Erinnerungen verlieren mit der Zeit natürlich unweigerlich an Konturen und Details. Hängt bei mir dann nicht selten auch von den Sichtungsumständen ab, wie sehr sich ein Filmerlebnis und ein Film einprägt. Paradoxerweise ist mir ein Festivalfilm, den ich als dritten von fünf Filmen innerhalb eines Tages gesehen habe, dann aber doch sogar häufig besser in Erinnerung, als ein Film, den ich vielleicht ganz entspannt als einzigen Film des Tages irgendwann gesehen habe (mag auch daran liegen, dass bei einem Festival die ganze Aufmerksamkeit aufs Kino gerichtet ist und sich alles damit zusammenhängende entsprechend gut kontextualisiert einprägt). Und oft bleiben nach längerer Zeit dann nur bestimmte Bilder, ein Gespür für die Atmosphäre und den „Geist“ des Film, oder ein erinnerter Gesamteindruck übrig, was manchmal dann aber doch noch für ein recht gutes Gefühl für den Film ausreicht, auch wenn es sich weitgehend der Beschreibbarkeit entzieht. Aber der sprachlichen Beschreibbarkeit entzieht sich nach meiner Überzeugung ohnehin das meiste, was mit Film und Kino zusammenhängt (auch wenn mir schon der ein oder andere eindrucksvolle Gegenbeweis begegnet ist), andernfalls bräuchte man keine Filme zu sehen, sondern wäre mit Texten und thematischen Diskursen besser bedient…
Noch eine Empfehlung am Rande: „Klassenfahrt“, zu dem ich noch einen kurzen Kommentar eingefügt habe, könnte dir gefallen, wäre auf jeden Fall einen Versuch wert, wenn er mal wieder im Fernsehen auftauchen sollte.
„Eine stetige Leserschaft nicht gerade motiviert“ – schön formuliert. Zumindest mich habt ihr mit der Zeit als Stammkundschaft gewonnen, nachdem ich mich anfangs in Folge des kino.de-Outings doch eher zierte, dir hinterherzulesen. Aber durch die Einführung der individuellen Filmtagebücher, die dann auch nach ein paar Monaten zumindest teilweise in Gang kamen, sprach eigentlich nichts dagegen, nach langer Anlaufzeit die Eskalierenden Träume im alltäglichen Internetrhythmus unterzubringen. Und schließlich seid ihr, wie meine Wenigkeit, inzwischen siggigötzisiert worden. Also müsste ich schon aus Prinzip für die Sache sein, die hier betrieben wird.
Du siehst, es hat sich bei Hofbauer nicht gelohnt. 😉 Man müsste schon so etwas wie Alpenglühen-TV abonniert haben, um da ernsthaft voranzukommen. Ich hatte ja gehofft, dass sich nach ProSiebens Oswalt Kolle-Vorstoß einer der Schmierfinkensender wie Tele-5 erbarmt und die frühen 1990er-Jahre mit Lederhosen und Reports neu heraufbeschwören würde. So muss wirklich erst Tarantino ein schwedisches Sexploitation-Gericht auf den Tisch zaubern, damit es auch auf Das Vierte und Co. weitergeht. Und ich weiß, ich weiß, Bodensatz ist noch sehr rücksichtsvoll ausgedrückt, wenn wir vom ersten Schulmädchenreport reden. Wenn ich aber ehrlich bin, dann erinnere ich einen angefangenen und wieder schnell abgebrochenen Versuch, mir den erste Teil ein zweites Mal anzuschauen, weil er nach all dem ertragenen Schlock der Jahre plötzlich ziemlich kurzweilig geworden war. Das mag aber vielleicht auch nur ein Fiebertraum gewesen sein …
Beeindruckend kompliziertes Traktat, der Herr! Soweit ich das richtig sehe, liegen wir in den Standpunkten, wie das immer so ist, gar nicht soweit auseinander. Alles eine Frage der Definition und der Betonung. Ich mag es halt nicht besonders, wenn sich cinephile Gruppen zusammenschließen, die dann gemeinschaftlich über Amateurschauspieler und billige Produktionsbedingungen herziehen. Ich suche dann lieber die versteckten Qualitäten, Storyelemente oder visuelle Einfälle etwa, weil ich darum weiß, wie wenig Zeit und Geld die Filmemacher zur Verfügung hatten. Es ist ja keine Kunst, wenn Michael Bay Actionszenen inszeniert, weil diese ein millionenschweres Budget haben. Er engagiert die besten Leute und damit hat es sich. Er kann das Ganze dann natürlich noch durch die Schnitttechnik in den Sand setzen. Wenn ich dagegen zum Beispiel Don Edmonds’ Verfolgungsjagden in „Bare Knuckles“ halte, gedreht ohne Knete, aber mit unbändigen Willen, dann will ich davor in die Knie gehen. Ich betrachte einen deutschen Sexploitationfilm nicht automatisch als Trash, der vor allem von den ach so smarten Kommentaren der Zuschauer gerettet werden muss. Aber wie heißt es so schön in „Pappa ante Portas“: „Wir lachen auch mal gerne herzhaft, wenn es angebracht ist!“ Zu Alex: Man muss auch Glück haben mit den Filme, mit denen man in ein unbekanntes Genre einsteigt. Wenn ich Biker-Filme ausprobiere und zuerst „Hell’s Belles“ erwische, dann gute Nacht! Ist es dagegen „Nam’s Angels“, dann viel Spaß. Und meine Einstiegsdroge in die German Sexploitation hieß „Stoßtrupp Venus bläst zum Angriff“ von Georg Tressler, einem Regisseur, dem Alex bekanntlich auch sehr zugetan ist. Wobei du ja einer der wenigen noch lebenden bekennenden Gunter Otto-Fans bist. 😉
Verstehe deine Antihaltung zum serbischen Film immer noch nicht so recht, also warum das jetzt genau ärgerlich und peinlich ist. Er war dir wohl zu plump, zu primitiv auf Krawall gebürstet, dass du ihn zu keinem Zeitpunkt ernst nehmen konntest. Richtig?
@Andi: Deine sehr ausführliche Antwort auf Schwanenmeisters vorangegangenen Beitrag habe ich (natürlich) auch gelesen, dabei aber festgestellt, daß ich angesichts zu geringer Kenntnisse auf diesem Gebiet da nichts substanzielles beisteuern kann. Ich vermute aber mal, daß das ohnehin nichts für mich wäre, weshalb ich mich, was dies betrifft, mit dieser Randbemerkung begnügen möchte.
Bei etwas über einem Film pro Tag im Durchschnitt siehst Du dann wohl doch „nur“ ungefähr viermal so viele Filme wie ich, was aber immer noch ein riesiger Unterschied ist. Das liegt zum einen wohl an anderen Lebensumständen, aber auch daran, daß mein Filminteresse (wie Du ja vermutlich weißt) immer in Konkurrenz zu meinem Interesse mit Literatur und Musik steht (wobei es so aussieht, daß mein Verhältnis zur Musik vielleicht besonders zärtlich ist, ich aber zugleich davon nur sehr wenig verstehe, während ich mir bei Filmen am ehesten ein halbwegs fundiertes Urteil zutraue, die Literatur aber insofern am wichtigsten ist, weil ich da ja selbst das eine oder andere schreibe – aber all dies gehört natürlich nicht hierher), und in der letzten Zeit habe ich wieder recht viel gelesen und nur wenig Filme gesehen. Ich glaube, 400 Filme im Jahr könnte ich wahrscheinlich gar nicht sehen, ohne meinem Filminteresse ernsthaften Schaden zuzufügen. Aber das sieht bei Dir ja offenbar ganz anders aus (aber daß Du im Vergleich mit mir noch der wesentlich größere Filmfreund bist, ist mir eigentlich auch schon lange klar).
Daß übrigens Festivalfilme stärker im Gedächtnis bleiben (oft sogar dann, wenn sie einem nicht gefallen), kann ich durchaus bestätigen, ich glaube, da spielt einfach auch die besondere Atmosphäre eine große Rolle, ein einfach nebenbei im Fernsehen gesehener Film verblaßt leichter als einer, den man im Kino unter besonderen Bedingungen gesehen (und womöglich vorher eine Stunde für die Karte angestanden hat); jedenfalls geht es mir in der Beziehung ähnlich.
Und zustimmen kann ich sicher auch bei der begrenzten Beschreibbarkeit von Filmen durch Worte, dazu hat ja David Lynch schon gemeint: „Wenn man darüber reden kann, hat es nichts mit Kino zu tun.“ Was natürlich nicht bedeutet, daß man es nicht trotzdem versuchen kann, schließlich gibt es ja großartige Kritiken (und in meiner kürzlich abgeschlossenen Erzählung, um höchst unbescheiden noch ein etwas anders geartetes Beispiel anzubringen, wird ein Film beschrieben, den es eben gar nicht gibt: in der Hoffnung, daß im Kopf eines eventuellen Lesers dann etwas ähnlich tolles entsteht, wie ich es beim Schreiben vor Augen hatte. Aber dies gehört eigentlich erst recht nicht hierher…). Das ist dann übrigens etwas, was Der Film mit Musik gemeinsam hat, auch dort gehen die meisten verbalen Schilderungen mehr oder weniger daneben, obwohl es auch da überzeugende Gegenbeispiele gibt (als erstes würde mir da Thomas Mann einfallen, bei dem mehrere großartige Schilderungen von Musik zu finden sind).
Vielen Dank auch noch für den Hinweis auf „Klassenfahrt“, beim Titel dachte ich zunächst an einen gleich oder ganz ähnlich betitelten Film Claude Millers, den ich vor Jahren mal gesehen habe und auch recht gut fand, aber von Wincklers Film hatte ich vorher noch nichts gehört. Wobei ich dann doch noch fragen muß, was ich mir unter dem Begriff „Scheinjugendliche“ vorzustellen habe…
Zur „Erotik im Beruf“-Euphorie ein „Räuber Hotzenplotz“-Zitat: „Blödsinn, alles Blödsinn!“ Na ja, Hauptsache, es macht euch Spaß. 😉
Danke für den käsigen Link. Aber Derek Elleys „Outrage“-Kritik ist dann doch näher an meinem Filmherz, wobei ich auch Mark Schillings Text recht passend fand.
– http://www.filmbiz.asia/reviews/outrage
– http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/ff20100618a2.html
Um der Vollständigkeit halber nach endlich vollzogenem Providerwechsel nochmal kurz auf die offenen Antworten zurück zu kommen…
@Schwanenmeister
Mit den beiden Links kann ich wiederum wenig anfangen, das jeweilige beiläufige Bashing von Kitanos vorherigen drei Filmen spricht da schon für sich. Da ist der ‚käsige‘ Kasman definitiv näher an meinem Filmherz, auch abseits von „Outrage“ (wenn es nicht gerade um „Love Crime“ geht, dafür hat er „Copie Conforme“ umso treffender als „certified copy of an european arthouse film“ auf den Punkt gebracht). Nicht zuletzt, weil er einer der wenigen Kritiker mit einem Blick für & einem Interesse an technischen und filmmaterial-ästhetischen Grundlagen ist, wofür man angesichts der allgemeinen diesbezüglichen Ignoranz gar nicht dankbar genug sein kann.
Was Hofbauer und die Trash-Thematik angeht, ging es dahingehend zwischenzeitlich ja in Alex‘ STB bereits weiter. Nachdem unser Blog, wie du passend schreibst, auch siggigötzisiert worden ist, dürfte dieses Thema hier noch desöfteren zur Sprache kommen. Wir scheinen aber nach deinen Ausführungen zu urteilen tatsächlich gar nicht so weit auseinander zu liegen, wie ursprünglich vermutet. Sich über Schauspieler, Budget- und Produktionsmängel lustig zu machen, finde ich ja auch recht witzlos (mir erscheint dahingehend etwa das Konzept von Sachen wie „Mystery Science Theater 3000“ eher dubios, auch wenn ich es zu wenig kenne, um mir da wirklich ein Urteil bilden zu können), statt an den beschränkten Mitteln erfreue ich mich ggf. lieber am Wahnsinn und der Dreistigkeit beim Einsatz jener Mittel, und auch das ist wie gesagt keineswegs eine lediglich verächtliche, sondern durchaus eher eine staunende, entgeisterte, faszinierte, anerkennende Haltung. Vielleicht ist der Begriff „Trash“ wirklich zu schwammig, zu weitläufig und zu unterschiedlich besetzt, um damit all diese Phänomene und persönlichen Auslegungen halbwegs fassen zu können. Zum „Serbian Film“ wiederum mag ich gerade nichts mehr schreiben, so ungefähr trifft es deine kurze Zusammenfassung jedenfalls durchaus. Und auf ein Revival von Lederhosen und Reports in TV-Spartensendern hoffe ich natürlich auch schon länger. Die DVD-Flut von WVG & Co. dürfte da eigentlich eine gute Voraussetzung sein, die Shaw-Brothers-Filme sind nach den MIG-VÖs schließlich auch irgendwann im Fernsehen gelandet.
@Sam
Bleibt eigentlich wenig, was ich deiner Antwort hinzuzufügen oder zu widersprechen hätte. Und klar, die begrenzte sprachliche Beschreibbarkeit von Filmen (Bildern, Musik etc.) heißt natürlich nicht, dass man es nicht trotzdem versuchen sollte, und mitunter kommt dann doch sehr erstaunliches oder gar adäquates dabei heraus. War insofern natürlich etwas polemisch überspitzt ausgedrückt. Und was deine Frage zu den Scheinjugendlichen angeht: der Begriff machte die Runde, als vor ein paar Jahren die pornografische Darstellung von Erwachsenen, die „hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes den Anschein eines Minderjährigen erwecken können“ (Wikipedia) verboten wurde (oder zumindest diskutiert wurde, so genau habe ich das nicht verfolgt). Wie so manchem juristischen Begriff haftet auch dem „Scheinjugendlichen“ etwas sonderbar konstruiertes, bürokratisches, abstraktes an, weshalb ich ihn gelegentlich ganz gerne in ganz anderem Kontext verwende. Wobei in dem Fall schon ein ähnliches Phänomen gemeint war, das auch Sano kürzlich bei „Der letzte schöne Herbsttag“ in seinem STB angesprochen hat: dass dem Zuschauer in der Rolle von Jugendlichen Darsteller präsentiert werden, die ganz offensichtlich längst keine Jugendlichen mehr sind und daher unglaubwürdig wirken. Oder eben analog dazu (etwa beim „Herbsttag“) Mittdreißiger, die als Mittzwanziger ausgegeben werden. Diesen oft lächerlichen Fehlgriff macht „Klassenfahrt“ wohltuenderweise nicht.
War dann doch ganz gut, daß ich wegen der „Scheinjugendlichen“ nachgefragt habe, ich hatte mir nämlich tatsächlich etwas ganz anderes drunter vorgestellt: von den Autoren auf unglaubwürdige Weise als „jugendlich“deklarierte Figuren nämlich, die dann den gängigen Klischeevorstellungen genau entsprechen und dann noch die angeblich so typische „Jugendsprache“ verwenden; erwähnenswert in diesem Zusammenhang wäre auch das von einer obskuren Jury kürzlich gekürte Jugendwort des Jahres „Niveaulimbo“, zu dem in einer Glosse im „Tagesspiegel“ sehr treffend angemerkt wurde, es klinge so, als ob es eigens von einem frühpensionierten Deutschlehrer erfunden worden wäre – ich wage doch mal zu bezweifeln, ob irgendein Jugendlicher jemals dieses Wort verwendet.
Jedenfalls waren meine Vorstellungen vom Scheinjugendlichen in diese Richtung gegangen, aber im konkreten Fall hattest Du doch wirklich etwas anderes gemeint, vielen Dank daher noch für die Aufklärung.
Abgesehen von deinen Feststellungen des von mir als ganz und gar skrupellos empfundenen BABYSTRICH IM SPERRBEZIRK (auch wenn du deine Sichtweise hier sehr nachvollziehbar schilderst – das hättest du mir auch früher schon so sagen können;-) sprichst du mir mit deinen letzten Kommentaren aus der Seele, natürlich vor allem, was GESTAPO’S LAST ORGY angeht. Die Vorstellung, dieser Film würde heute flächendeckend in den deutschen Kinos starten, ist wirklich angenehm ungeheuerlich. Wir sollten uns eines Tages vielleicht einmal gemeinsam an einen Text zu dem Film setzen. Man muss ihm praktisch schon seine Ehre retten, die ihm ja schon grundsätzlich abgesprochen wird (siehe auch den schrecklich bornierten, hysterischen Essay zum Naziploitation-Kino, den ich zu dem Film in meinem Sehtagebuch verlinkt habe). Auch für mich beinahe so etwas wie die Endlösung der Holocaustfilm-Frage.
Kannst du ganz kurz erläutern, was du an RAMMBOCK so schlecht und an A SERIOUS MAN so durchschnittlich fandest?
Die Wertung von RAMMBOCK mag zugegeben etwas harsch sein, weil mir das Projekt an sich schon sympathisch ist. Dem Ergebnis konnte ich aber leider ziemlich wenig abgewinnen. Wie ich in den Kommentaren beim STB von Alex S. schrieb: „in seinen schlockigen Momenten fand ich RAMMBOCK zwar auch nicht ununterhaltsam, aber diese jetzt bereits abgeschmackte grau-blaue Red-One-Optik (mag gar nicht wissen, was da noch alles kommen wird), der Hauptdarsteller, der ‘Dialogwitz’, die musikalische Untermalung und der in der Tat “heillos verirrte Schluss” (Zitat SZ) – nein, gut im eigentlichen Sinne würde ich das nicht nennen. Interessante Ansätze gab’s durchaus, aber vieles davon funktioniert in der Umsetzung m.E. einfach nicht…“
A SERIOUS MAN fand ich zwiespältig, weil mir aufgrund seiner mitunter durchaus virtuosen, aber auch im Übermaß durchgeplanten, kontrollierten und letztlich leblosen Inszenierung dann etwaige emotionale Anknüpfungspunkte und das fortgesetzte, ausgestellte Unglück des Protagonisten ins Leere liefen bzw. einen etwas schalen Beigeschmack hatten. Ihr inszenatorisches Vorgehen kann man sicher auch anderen Coen-Filmen vorwerfen, aber bei einem von vornherein abstrakteren, stilisierten und überhöhten Film wie NO COUNTRY FOR OLD MEN, der gar kein empathisches Interesse an Menschen vorgibt, sondern sich umstandslos eher für Mechanismen, Strukturen, Kreisläufe interessiert, funktioniert das für mich weitaus besser.
… und genau das finde ich bei den Coens sonst ebenso kaltschnäuzig wie -herzig, weshalb mich der endlich einmal persönliche, menschliche und tragikomische Ansatz von A SERIOUS MAN überrascht und auch verzückt hat. Der viel gepriesene NCFOM war für mich unterm Strich mit seiner perfektionierten formalen Ausstellerei nämlich nur ein Stillleben, das mir vielleicht etwas übers Kino, aber nichts über Menschen, die Welt oder gar die Coens an sich erzählt hat.
Bei RAMMBOCK habe ich als Genreconnaisseur das Glas dann wohl halbvoll genossen. 🙂
Und ich habe eben kein Problem damit, wenn mir ein Film im Wesentlichen etwas übers Kino erzählt (und, auf abstraktere, trockenere Weise, erzählt NO COUNTRY durchaus auch etwas über die Welt). Ausschließlich solche Filme würde ich freilich nicht sehen wollen, aber nachdem man dazu nicht gezwungen ist, geht das schon in Ordnung. Von der Welt und von den Coens an sich erzählt eigentlich z.B. auch BARTON FINK, aber der scheint gar nicht dein Fall zu sein?
Gegen halbvoll genossene Gläser ist prinzipiell bestimmt nichts einzuwenden, du neigst sonst ja doch eher zum Gegenteil 😉
Wie kommst du darauf, dass BARTON FINK nicht mein Fall ist? 😉
Denn das stimmt. 😀 Es ist wahrscheinlich sogar der Coen-Film, der mir am Meisten auf die Nerven ging. Ich fand damals, dass der Film nichts über Autorenschaft, kreative Prozesse und Ich-Entfremdung zu erzählen hatte, das nicht auch Cronenberg im selben Jahr um ein Vielfaches komplexer und sinnlicher zu verhandeln wusste. Die Ähnlichkeiten beider Filme fallen da für mich ohne Ausnahme zu Ungunsten von BARTON FINK aus.
Hatte kurz auf Verdacht einen Blick in die ofdb geworfen und prompt eine ungnädige 2/10 entdeckt… 😉
Sehe zwar keine Notwendigkeit, die beiden Filme gegeneinander auszuspielen, neige aber selbst in diesem Fall und auch im Allgemeinen mehr zu Cronenberg und bin nicht der allergrößte Coen-Fan, jedenfalls mittlerweile nicht mehr (wobei ich einige Filme, vor allem frühere Favoriten wie MILLER’S CROSSING, FARGO, MAN WHO WASN’T THERE und BIG LEBOWSKI, dringend mal wiedersehen müsste), so dass ich mich da auch gar nicht zu großen Verteidigungen motiviert sehe (allerdings dank des „neo-p.“-Gejammers von Christoph auch vom Bashing eher genervt bin :)). Eine erneute Sichtung meines früheren Coen-Favoriten BLOOD SIMPLE vor etwa zwei Jahren fiel doch etwas ernüchternd aus, und von den jüngeren Arbeiten hat mich nur NO COUNTRY wirklich begeistert. Von daher…
Freund Blase, was soll die tote Hose hier? Plädiere entschieden für ein regelmäßigeres Update deines Sehtagebuchs!
Ich auch. So leere Hosen, das ist ja eine Zumutung!
Alles hat halt seinen Preis. Sprich: Hose zu oft geplatzt = Hose leer/tot. 🙁
Bin aber guter Dinge, dass bald eine neue Hosenlieferung kommt. Wird in der Tat Zeit, dass mein STB mal endlich im „neuen“ Jahr ankommt. Spiegelt andererseits aber immerhin meine eigene Verfassung der ersten 2011er Monate ganz gut wieder. Kann insofern nur besser werden. Und mit meiner Berlinale-Bilanz sollte ich auch in die Gänge kommen, bevor ich es mir (einmal mehr) dann gleich ganz sparen kann.