Fragmentfischen im Naturtrüben: Dear Dead Delilah (1972)
- Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
(Matthaeus 3:10)
Kunstschaffende, die hauptberuflich in abweichenden Gefilden wilderten, hinterließen dem Kino bisweilen markante Abstecher, formschmelzende Seltsamkeiten, in denen sich die Grenzen des strikten Zweitmediums sprengend einbringt, was in der gänzlich anderen Zeichensystemen folgenden Heimat auszeichnete. Pat Boyettes regionaler Experimentalgrusler „The Dungeon of Harrow“ (1962) formulierte bereits aus, was diesem wenig später, dann in der wie angegossen sitzenden Domäne der Comichefte, zum Durchbruch verhelfen sollte, während sich Edgar Wallace 1930 selbst an die Verfilmung zweier Romane aus eigener Feder machte, die wohl oder übel als verschollen angesehen werden müssen. John Farris hingegen – fleißiger Autor gotischer Horrorromane sowie des durch die gleichnamige Brian-De-Palma-Verfilmung zu ein wenig Nachruhm gekommenen Telekineseschockers „The Fury“ (1976) – teilt sich mit Wallace die Profession und Boyette die idiosynkratische Herangehensweise an das offenkundig autodidaktisch aus bereits vertrauten Kunstgefügen heraus erschlossene Medium. „Dear Dead Delilah“, der Farris‘ einzige Regiearbeit blieb, ist eine schlanke Horrornovelle, die den klar literarischen Zugang zum Filmemachen auf halbem Wege haltend in eine fragmentarischere Zwitterstruktur überführt.
Luddy Dublin (Ann Gibbs) hat ihre Mutter mit dem Beile in just solche wortwörtlichen Fragmente zerlegt, ein einzelner Arm ist alles vorerst Auffindbare, womit sie im Wahn zu diskutieren scheint. Später, unter die Credits gelegt, werden wir Zeugen ihrer eigenen gekonnten Skizzierungen: Menschen, Gesichter, detailreiches schwarzes Blei und doch in nicht definierten Situationen geschildert, gefangen im weißen Leer des Zeichenblockes. Gefangen in der Vergangenheit hingegen: Luddys älteres Ich (Patricia Carmichael), frisch aus der Psychatrie entlassen wirft sie den Fahrtpreis in den Trichter des Linienbuses – den alten Fahrpreis. In Momenten wie diesen arbeitet Farris maßlos präzise, fernab jeder expositorischen Erwägung im Bilde. „I don’t remember anymore.“, entgegnet Luddy einmal auf die Frage, ob ihre Mutter den Tod verdient hatte. Ihr vages Leid ist Fragmentfischen im Naturtrüben, verheißungsvoll locken die Luftbläschen auf der kargen Brühe und doch, es schwimmt nichts Gutes darunter. Solcherlei Andeutungen, den verzweifelten Flügelschlag einer mechanischen Käferschatulle, Altvertrautes und doch unfreiwillig Antiquiertes, stellt Farris gerne heraus; es sind die Geheimnisse der Figuren, die seinem auktorialen Erzählstil, nicht jedoch dem Auge des Kinos verborgen bleiben.
Dieses ist dafür an anderer Stelle wie beschlagen, ein eigentümlicher literarischer Zauber macht sich breit. Nicht wenige Vorgänge in „Dear Dead Delilah“ wirken wie nebenher – im Augenblicke der Bewegung noch – beschrieben, richtiggehend niedergeschrieben. Bedächtig blendet man über von dem am Boden zerschmetterten Bildnis des Vaters zu den stobenden Funken einer Axt am Schleifstein, sekundenlang verharrt die Komposition im Bildzwischenraum, so lang, bis sich der Eindruck verfestigt, der Sprühregen steige in Wirklichkeit aus den Bruchstellen des Glases empor. Eine vortreffliche Zustandsbeschreibung, entstanden allein aus Farris‘ Weigerung über ein Lesetempo hinauszudrehen. Nahezu alles läuft in seinem Film geschätzte 25% langsamer ab, der gleichsam geschliffene Dialog treibt die exaltiertesten Blüten. Bedrohlich wabern boshafte Pointen zwischen Luddys späteren Gastgeberhexen Delilah (Agnes Moorehead) und Grace Charles (Anne Meacham) umher, der schiefhängende Haussegen lässt nur mehr die Verständigung (oder eben gerade deren Gegenteil) in Zischlauten zu. Schlangen, nicht im übertragenen, im Wortsinne. Auch über Graces Klavierspiel legt sich einmal Hall und transparentes Abbild des Schleifvorganges, kein Erinnerungssprengsel, eine Manifestation, wie die parallelmontierenden Zeilen eines Buches von Natur aus existent im gleichen Augenblicke. Aus dem Dunkel vor ihr schälte sich eine Gestalt… Die Rückführung in eine verschriftlichte Romanform wäre ein Leichtes, wie im Schritt für Schritt ablaufenden Lesevorgang erstarrt erwartet das Opfer den Hieb. Zerdehnung des mit Ruckhaftigkeit assozierten Axtmordes ins Tragikomische.
Phänomene – der Mörder, eine spätere Geistererscheinung – existieren zumeist durch die Montage von den Handelnden separiert, wie Wahrnehmungen, Einflüsterungen, die erst rezipiert und für die Zuschauenden weiterbeschrieben werden müssen. Sengend rot leuchtet das Himmelszelt, dessen Schein bei der irrlichternden Grace am Boden keinen Widerhall zu finden vermag – ein Matte Painting, sicher, doch zu exponiert für eine aus der Not geborene Billiglösung. Besser so. Wie ihre spätere Poloenthauptung aus vollem Galopp beweist, fällt das Zusammentreffen dieser Abspaltungen in einer Aufnahme fatal aus. Eine bemerkenswerte Imitation des Realisationsmomentes, den man vertieft in die Zeilen beim Anblick des alles verändernden Wortes einer langen Beschreibung verspürt. Jenes Wort ist in Farris‘ Welt verdächtig häufig eine Waffe. Vergleichbar mit den biblischen Versen oder Teilen der mittelalterlichen Dichtung beschwört ihr plötzliches Erscheinen eine schwefelige Ahnung von Unheil herauf. Fast greifbar werden sie extern durch den Autoren (in dieser Handlung lässt er sich kaum von dem unsichtbaren Orchestrator des Gemetzels trennen) prominent in die Bilder eingepflanzt. Literarische Motive ersetzen nur unzureichend ausformulierte kriminologische. Das ausgelobte Vermögen, hinter dem ganz wie in Mario Bavas Erbschleichersatire „Reazione a catena“ (1971) ein jeder herjagt, verflüssigt sich im Tötungsrausch bis zur Unkenntlichkeit.
„Dear Dead Delilah“ ist keine Ökologie des Verbrechens, dafür ist die interagierende Umwelt zu artifiziell, eher ein metaphorisches Gemälde, in dem die Zeichen bisweilen ihre Richtung ändern oder ihre Bedeutung aus tonalen Divergenzen ziehen. Südstaatenhymnen wo nichts Besonderes zu sehen ist, bloß Landarbeit. „The Sound and the Fury“ (William Faulkner, 1929) in derangiert. Der Mörder, der lasziv seine Flinte streichelt, um die arme Luddy zu Verteidigungshastigkeiten zu verleiten und sich dabei nicht auf die Wirkung des reproduzierten Motives verlassen kann. Abweichende Realitäten ins Southern-Gothic-Gewand gehüllt. Ein Rückgriff auf den eingangs erwähnten Pat Boyette: In modernen Comicserien stößt man häufig auf getrennt voneinander existierende Universen mit jeweils einem eigenen Kanon und nominell identischen, in Aussehen wie Biografie dennoch abweichenden Figuren. Eine Besonderheit, die einige verschriene Literaten – wie Karl May mit seinen mal mehr mal weniger deutlich in Parallelwelten zu seinen bekannten Reiseerzählungen stattfindenden Jugendromanen – bereits spätestens im 19. Jahrhundert antizipierten. Guter Umgang also für einen Film, dessen Figuren im Laufe der Handlung teilweise morphen, auch optisch nicht mehr mit ihren Ursprungsvarianten in Einklang zu bringen sind – ganz wie von verschiedenen Stiften ins Leben gerufen. Nach und nach verwandeln sich die den überbordenden Motivspielereien Ausgesetzten in schlechtere Varianten ihrer selbst. Haare, Klamotten – aus den jungen Leuten, die Luddy überhaupt erst Zuflucht in dieser verfallenden Welt gewährten, ist gegen Ende jede Entspanntheit, alle Zeitgenössigkeit gewichen. Beinahe wirkt es, als seien die Geschehnisse, die auf Luddys Resozialisierung folgen, nichts als ein ausgefeiltes Theaterstück, dem die Übergänge zwar die Kulissen, nicht jedoch die Spielenden erhalten. Auch das Fragmente – hier finden die inkompatiblen Teile spielerisch zusammen.
So recht wird man nicht schlau aus diesem geheimnisvollen Film, wie viele Werke nur einmalig Übergelaufener lässt er sich nicht in Einklang bringen mit dem, was in runtergebrochenen Theorien meist als Kino identifiziert wird. Gewiss bleibt jedoch: Nur selten stößt man auf Kunstwerke, die die Stränge grundverschiedener Erscheinungsformen intelligenter miteinander in Gleichklang bringen.
Dear Dead Delilah – USA 1972 – 97 Minuten – Regie: John Farris – Produktion: Jack Clement – Drehbuch: John Farris – Kamera: William R. Johnson – Schnitt: Ron Dorfman – Musik: Bill Justis – Darsteller: Patricia Carmichael, Agnes Moorehead, Dennis Patrick, Elizabeth Eis, Robert Gentry u.v.a.
[…] „Dear Dead Delilah“ von 1972 sagte mir bisher gar nichts. Der Drehbuchautor und Regisseur John Farris umso mehr. Hatte ich doch […]