Als einer hinter seiner nüchternen – mit dem Auge auf Regisseur Eastwood, sein Alter, seinen Hintergrund als Filmemacher würde mancher sicherlich eher zu dem verschämten Lobwort „klassisch“ tendieren – Fassade eventuell filmarchitektonisch ausgeklügeltster Film des vergangenen Jahres gibt „The Mule“ schon mit seiner zeitlich versetzten Einleitung den Takt vor für das, was ihn in den kommenden so gut wie zwei Stunden antreiben wird: Eine Dekonstruktion fast des gemeinhin mit visueller Opulenz assoziierten Scopeformates, spezifischer jedoch dessen, was zwischen den dazugehörigen Kaschierungen der Leinwand so gerne verhandelt wird. Träume, Freiheit, insbesondere auch räumlich gedachte Sehnsüchte. Die Weite des so oft in diesem Seitenverhältnis sortierten amerikanischen Westens, sie ist schlicht und speziell in Erwartung des zu Beginn von zartesten Auslösereizen angetäuschten Vorstadtcowboyaufrührertums aus dem letzten „großen Abgesang“ des Eastwoodschen Werkes – „Gran Torino“ (2008) – nicht hier. Aneinandergereiht an ihrer statt: Unzählige Möglichkeiten der baulichen Obstruktion. Sich von dem anziehenden Rechteck des Bartresens, an dem Earl Stone (Eastwood) der Tochters Hochzeit auslassend versumpft, wegbewegend zu den in indirekter fotografischer Analogie vertraut wirkenden Flachbauten ein jeder amerikanischen Vorstadthölle, zwischen denen nun die Enkeltochter zwölf Jahre später ihr Hochzeitsbesäufnis begehen darf. Weiterlesen…
Der Knoten ist geplatzt – etwas mehr als 10 Jahre nachdem Til Schweiger und sein Keinohrhase den Goldstandard einer zeitgenössischen Optik des zutiefst durchkommerzialisierten deutschen Komödienkinos installierten, hat diese Saat nun Früchte getragen, die visuellen Versatzstücke zu einer weiten Spiel- wie Experimentierfläche umformuliert. In Florian David Fitz‘ opulenter Minimalismusdramödie „100 Dinge“ – benannt nach einer Verzichtswette, 100 Tage und an jedem kehrt allein ein unverzichtbar gewähnter Alltagsgegenstand der Wahl zum Eigentümer zurück, zwischen zwei urbanen Besserlebern – tritt sie an gegen die leergefegt-kargen, aus den entlegensten Winkel des Raumes vermessenen, auf diese Weise zum Refugium gegen die unverbindliche Moderne aufgeblasenen Stahl-und-Glas-Wohnlandschaften. Gegen die wärmende Werbefilmästhetik des ungeliebten Trendsetters mit ihren von der knatschigen Übersättigung beflügelt alles zermalmenden Katalogfarben und das sengend durch jedes noch so kleine Fenster berstende Weißlicht der Sonne. Weiterlesen…
Toller Auftakt: In einer Art Reminiszenz an die vor etwa einem Jahr von mir schwer liebgewonnene Eröffnung aus Christopher Nolans „Dunkirk“ (2017) mit ihrer Flucht vor der geradezu unsichtbaren, auf der Tonspur aber umso mehr eskalierenden (Sound-)Kulisse des Krieges rettet sich Chloë Grace Moretz aus dem nur kriegsähnlichen Terror der Roten Armee Fraktion und ihrer Sympathisanten in den Hort ihres Psychiaters. Dort, im jedweden Lärm wohl am nachhaltigsten eliminierenden Ort der Welt, gibt sie sich in Gänze der Hysterie hin, während es Regisseur Guadagnino fort zur alles überdeckenden Ruhe des Landes und der ätherischen, viel mehr schon sakralen Totenmusik Thom Yorkes zieht. Die umgehende Installation einer konsequent durchexerzierten Ruhe, die „Suspiria“ für bemerkenswert ausgedehnte Intervalle aufrecht erhalten wird – schon zu Beginn durch die Aussparung jenes berühmten und Goblins Prog-Gewitter erst so wirklich lostretenden Auftaktmordes, der in Dario Argentos ursprünglicher Variante dieses Stoffes noch einer vergleichbaren Figur zugedacht wurde, vielmehr allerdings durch die permanente Umkodierung von im Allgemeinen nicht mit Stille assoziierten Orten. Berliner Straßen, ein Polizeirevier, der U-Bahnhof, an dem mit Dakota Johnson unsere neue Heldin ohne jeden Bruch erstmals außerhalb der ländlichen Heimat aufschlagen darf – alles wie in Watte oder gar einen das Immunsystem schonenden Kokon gehüllt, jedes ansetzende Geräusch dabei bereits im Keime erstickend. Weiterlesen…
Es liegt in der Natur der Sache, dass es einigermaßen schwer fällt, über die narrative Ebene eines Filmes zu schreiben, dessen Figuren sich allem Anschein nach erfolglos mit Versuchen der Rekonstruktion eines für sie schlüsselhaften Ereignisses beschäftigen. Lassen wir dies also und richten an dessen Statt den Blick auf das, was sich an Tilman Singers Langfilmdebüt „Luz“ ganz und gar nicht geheimniskrämerisch, sondern vielmehr auf größtmöglichste Weise präzis und ausgereift gibt – die fabelhafte Inszenierung, die snobistischere Gemüter mit ziemlicher Sicherheit nicht aus dem Umfeld von Abschlussarbeiten deutscher Filmhochschüler erwarten dürften.
Luz beginnt mit zwei Menschen, der eine Empfangsherr einer Polizeiwache, die andere titelgebende Hauptfigur und Taxifahrerin Luz, die sich von den entgegengesetzten Randpolen der Scopekompositionen zu belauern scheinen. Sie schlurft wie in Trance mit herabbaumelden Gliedern umher, wird nicht beachtet, scheint sich in der weiten Leere der Kadrage zu verlieren und überschreitet doch nie auch nur versehentlich die Demarkationslinie zwischen den gegenüberliegenden Revieren. Weiterlesen…
Eine doppelte Täuschung direkt zu Beginn, dem Zuschauer und Elmar Weppers alterndem Gärtner gleichermaßen vor die Glubscher gehalten – ein Prachtgolfplatz in Vegas. Mit dem ihn abbildenden IPad aus der Kadrage geschoben, kommt doch nur ein oller bayerischer Rasen darunter hervor. Wichtiger als der schmückende Tinnef von Übersee erscheint etwas ungleich Existentielleres, gleichsam weniger Augenscheinliches. Das Grün der Halme, leicht verblasst, von geringer Leuchtkraft. Später, Wepper hat sich da längst selbst via Kleinflugzeug aus Geldnöten, ätzender Kundschaft und seiner Unfähigkeit, eine wirkliche Bindung zu Frau und Kind aufzubauen, enthoben, schält sich nicht selten ein beinahe kränkliches Gelb aus diesem Grün hervor. Wiesen als Stimmungs-, als Sehnsuchtsbarometer, mannigfaltig eingefangen, vom Himmel, von der Erde aus, digital plattgemacht in unisono, sich wiegend in der mehr oder weniger texanischen Weite der Totalen. Wildwest in Bavaria – doch kein Held weit und breit. Weiterlesen…