Ein Loblied auf Yasuzô Masumura…

…und „Akumyo: shima arashi“ (1974) im Speziellen.

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Die sich schleichend entwickelnde Tragödie des wandernden Hahnenkämpfers Asakichi, der völlig ohne Absichten durch seine Liebe zu der Geisha Kotoito in den Machtkreis der Yakuza gerät, beschreibt Yasuzo Masumura über weite Strecken nüchtern ohne die expressive Schwerblütigkeit seiner frühen Melodramen. Die Welt, von der Asakichi und der sich ihm anfangs noch enthusiastisch anschließende junge Ex-Yakuza Sada absorbiert werden, wird von starren männlichen Verhaltenskodizes beherrscht, von ehrenhaften Selbstopfern und einem undurchdringlichen Zyklus formell-traditioneller Gesten, deren Macht Asakichi widerstandslos die unerwünschte Position als Yakuza-Hauptmann akzeptieren lassen und an der die Frauen um ihn und Sada zugrunde gehen, da sie nicht in der Lage sind, sich diesem ewigen Spiel aus Abhängigkeiten und maskulinen Ritualen weit genug anzupassen, in dem die Kette fallender Dominosteine nie zuende geht. Gewaltsam zu Ende gebracht wird sie schließlich, wie so oft bei Masumura, durch die mit japanischer Konsequenz und Determiniertheit ohne Selbstzweifel gewählte letzte Option des Suizids, der hier, anders als in seinen Melodramen, nicht einmal mehr aktiv verübt wird. Das System, welchem sich Asakichi und Sada unterworfen haben, will sie vernichten – und vernichten lassen sich beide willenlos, Sada von den Yakuza und Asakichi von einer Gesellschaft, deren Werte sich so eindeutig in ihrer Unterwelt widerspiegeln, dass für ihn keine Hoffnung mehr besteht, den Rest an Liebe, der ihm geblieben ist, in das befreiende Ideal zurückzuverwandeln, als das er ihm, dem von seiner Familie vor Jahren Geächteten, zu Beginn des Films stillschweigend und ohne Erwartungen erschienen ist. Masumuras Figuren sehnen sich bis zur völligen Selbstaufgabe danach zu leben, doch sie schreien erst dann mit einer alles verzehrenden Verzweiflung danach, steigern sich erst dann in den ihnen zustehenden emotionalen und sinnlichen Exzess, wenn sie sich in einem rituellen Todeskampf noch einmal ekstatisch aufbäumen. Das hat dieser, in seinen intimen Momenten mit observierender Distanz und in seinen zahlreichen Kampfszenen betont physisch, trocken brutal aber auch bewusst undynamisch inszenierte, stählerne Film mit den düsteren, erdrückenden und leidenschaftlichen Melodramen gemein, die Masumura in den 60iger Jahren mit seiner Muse Ayako Wakao in der Hauptrolle drehte. Ein Gangster-Film, der keiner ist, weil die Gangster zwar zentrales Motiv sind, allerdings ihrer verqueren Moral enteignet werden. Vielleicht hätte sich Francis Ford Coppola mit seinem THE GODFATHER PART II unangenehm berührt gefühlt, wenn er diesen Film gesehen hätte. Ihm wäre dann vielleicht bewusst geworden, dass man die Hölle eines Systems nur dann wirklich als solche in Szene setzen kann, wenn man sie selbst mit voller Intensität fühlt.

Es hat auf mich langsam den Anschein, als würde im kommerziellen japanischen Kino (respektive Mainstream) wesentlich unmittelbarer auf die Enge und die Kompromisslosigkeit, die emotionale wie sexuelle Repression und perfide Konsequenz des eigenen Kulturkreises reagiert als im Amerikanischen, wo eine konkrete Reaktion oft erst mit einer Distanz in der Perspektive einhergeht – zumindest ist das ein Gedanke, der mir bei meinen jüngsten Begnungen mit den Filmen Yasujiro Ozus (den ich nicht sonderlich schätze, obwohl er das Übel mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versucht), Nagisa Oshimas (bei dem der intellektuelle Verarbeitungsprozess sofort auf den Impuls folgt) und eben Masumuras gekommen ist. Masumura allerdings lässt den Impuls einfach schwingen, solange, bis aus den kleinen Wellen eine schaumgekrönte, wogende Wasserwand erwachsen ist, die tosend in sich zusammenfällt und den Versuch des Begreifens ertränkt. Masumuras Filme erlangen Transzendenz durch Exzess. Das teilen sie mit anderen aggressiv existenzialistischen Regisseuren wie Andrzej Zulawski, Douglas Sirk oder Paul Verhoeven, die zu meinen engsten Lieblingsregisseuren gehören, deren Kreis Yasuzo Masumura nun, nach nur sechs Filmen, mit AKUMYO: SHIMA ARASHI offiziell beigetreten ist. Seit langem hat mich kein Filmemacher mehr so nachhaltend und umfassend inspiriert, stimuliert, berührt und vor allem zutiefst verstört. Diese Filme sind ein Geschenk, für das man sich nicht oft genug bedanken kann. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, mehr und schlüssiger über sie zu schreiben. Doch Filme wie diese kann zumindest ich unmöglich adäquat in Worte fassen. Man muss sie in erster Linie spüren.

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5 Masumura-Filme, 5 neue Lieblingsfilme: MANJI – DIE LIEBENDEN* (1964), SEISAKU’S WIFE ** (1965), RED ANGEL* (1966) , DIE BLINDE BESTIE * (1969) , AKUMYO: NOTORIOUS DRAGON (1974)

* Auf DVD in England von Yume Pictures und den USA von Fantoma erhältlich. In Deutschland sind bei Rapid Eye Movies „Die blinde Bestie“ und „Irezumi“ (1966) erschienen.
** In Frankreich auf DVD erhältlich von Ciné Malta, leider nur mit französischen Untertiteln und in mäßiger Bildqualität.

Anmerkung: Offenbar handelt es sich bei AKUMYO: SHIMA ARASHI um den letzten Teil einer ganzen Serie von Filmen um den von Shintaro „Zatoichi“ Katsu gespielten Hahnenkämpfer Asakichi. Davon habe zumindest ich beim Ansehen nichts bemerkt; der Film wirkt in sich abgeschlossen, auch wenn Kenner der übrigen Filme den Protagonisten vielleicht weniger enigmatisch empfinden dürften als ich.

Abschließend noch ein Zitat von Masumura, auf dass ich in der IMDb gestoßen bin:

„My goal is to create an exaggerated depiction featuring only the ideas and passions of living human beings. In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist. The theme of Japanese film is the emotions of the Japanese people, who have no choice but to live according to the norms of that society . . . After experiencing Europe for two years *, I wanted to portray the type of beautifully vital, strong people I came to know there.”

* Masumura studierte Anfang der 50iger Jahre Film am “Centro Sperimentale Cinematografico“ in Rom.

Links:

http://www.chicagoreader.com/chicago/tales-of-ordinary-madness/Content?oid=896201
http://somedirtylaundry.blogspot.com/search/label/Masumura
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0401/feuilleton/0036/index.html
http://www.independentcinemaoffice.org.uk/masumura.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Yasuzo_Masumura
http://www.dvd-forum.at/5/special.htm

Und als negatives Fundstück ein in meinen Augen zumindest äußerlich (es handelt sich allerdings nur um einen Hinweis auf eine Masumura-Reihe im Arsenal-Kino Berlin) ausgesprochen engstirniger Kurztext, der eindimensional am Geist von Masumuras Werk vorbeischreibt, da er nicht der durchaus fließenden Entwicklung des Regisseurs nachspürt sondern sein Schaffen in handelsübliche Kategorien handelsüblichen Kritiker-Jargons einbettet und ihm im Vergleich mit Nagisa Oshima (der selbst zu Masumuras Anhängern zählte) auch flugs noch unterstellt, weniger radikal gewesen zu sein:

http://www.critic.de/aktuelles/kalendarium/detail/artikel/filme-von-yasuzo-masumura-im-kino-arsenal-1900.html