Betten, die die Welt bedeuten – Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln (1976)

    How I’d like to look into that little book
    The one that has the lock and key
    And know the boy that you care for
    The boy who’s in your diary

    (Neil Sedaka – The Diary)

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Zeitnah gesehen: Un couteau dans le cœur (2018)

Ein sonderbarer Film, so möchte man über den Verlauf seiner gefühlt ersten Hälfte hinweg fast durchweg meinen – so proppevoll mit Referenzen an die große Zeit messerbetriebener Genreentwürfe, ein wenig überfällt von ihnen fast. Der, pardon the pun, fesselnde Auftaktmord aus William Friedkins ohnehin unübersehbar Pate gestanden habendem „Cruising“ (1980), die selbst ausgewiesenen Fußfetischisten das Fürchten lehrenden Zehenübergriffe aus „Lo squartatore di New York“ (Lucio Fulci, 1982), des Mörders Seelenreise, die an eine bösartig verfremdete Version von Jacques Scandelaris „New York City Inferno“ (1978) gemahnt, Zauberweltenschwulenpornos à la Wakefield Poole, Schnapsexzesse hinterm Steuer wie man sie bereits ausgiebigst von Franco Nero kennt – dies alles und noch viel mehr taucht in Yann Gonzalez so hitzig schwülem wie unerschrocken schwulem Neo-Giallo-Entwurf in Form penibelst studierter Pastiches erneut aus den schlammigen Untiefen der filmischen Vergangenheit auf. Weiterlesen…

Filmvorschau #11

Unruhige Töchter
Hansjörg Amon BRD/Schweiz 1967

Aktion deutscher Film #4: Strandgut aus DÖS



Kurz vor Ablauf der ersten Phase der Aktion deutscher Film (auch „DÖS“ für „Deutschland-Österreich-Schweiz“ genannt, weil es nicht im engen Sinne um den deutschen, sondern den deutschsprachigen Filme geht) kommt also auch von mir endlich noch ein Eingangsposting. Erst der unmittelbar bevorstehende Fristablauf forcierte dann endlich das lange aufgeschobene Vorhaben, wenn auch nun ungünstigerweise während des ohnehin im allgemeinen Listen-Overkill und Weihnachtsstress versinkenden Dezember. Immerhin konnte die Liste durch die ewige Verzögerung andererseits noch mit einem guten Schwung besonderer Titel angereichert werden, die ich vor einem halben Jahr noch nicht kannte. Von ET-Seite haben sich bisher (und es wird leider auch niemand mehr hinzu kommen) Sano, das Hofbauer-Kommando und Christoph an dieser unterstützenswerten Aktion beteiligt. Und sie haben dabei zu weiten Teilen in ihren Einleitungen schon viel grundsätzliches erwähnt, das ich im Großen und Ganzen ähnlich sehe.
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100 deutsche Lieblingsfilme #8: L’amour, l’argent, l’amour (2000)



Marie und David. Zwei Außenseiter. Berlin. Er trifft sie auf der Straße. Zufall. Beide sind Anfang 20. Beide haben nen scheiß Job. Sie kommen zusammen, irgendwie, und machen sich auf die Reise. Raus aus Berlin. Raus aus der Welt, aus dem Leben, oder auch rein in die Welt, in eine neue Welt, in ein neues Leben. Versuche, Neuanfänge, Abbrüche. Die Suche.

Der Titel fasst es zusammen: Es geht um Liebe, es geht um Geld. Wie finanziert man den Ausbruch aus dem Jetzt? Sie ist Prostituierte, er Bauarbeiter. Die Arbeiterklasse verdient ihr Geld durch körperliche Arbeit, und dieser ist schwer zu entkommen. Macht man sich selbständig, wird man Unternehmer, ändert sich das Selbstverständnis. Geld ist Fetisch, Geld macht unabhängig, Geld macht frei. Was machen da Gefühle?

Der Film gehört Philip Gröning. Wie er ihn gedreht hat, wie er es geschafft hat, Menschen, Gesichter, Landschaft, die Luft, Bewegung, den Atem, die Stadt, den Zwang, die Freiheit, die Liebe sogar – dies alles in Zusammenhänge zu betten. Wie beiläufig eingefangen und doch präzise. Der Film gehört aber auch Sophie Maintigneux, Florian Stetter und Sabine Timoteo. Vielleicht ist es diese Intimität, oder das Gefühl davon, mit kleiner Crew quer durch Deutschland, das den Film so einzigartig macht. Die Reduktion auf zwei Charaktere im Road Movie ist häufig und immer wieder effektiv. Als Spiegelung, Bespiegelung. Depardieu und Dewaere, Bridges und Eastwood – die 70er Jahre leben in diesem Film etwas auf. Aber die 70er sind längst vorbei, und so toll waren sie auch nicht. Zumindest wissen wir aus all den Filmen und Figuren die damals unterwegs waren, dass die Träume von Freiheit eben oft nur Träume waren. Denn Ankommen wollten die Meisten ja nicht so wirklich. Es ging eher um das Wegkommen, die Flucht. Sich dem Alltäglichen, dem Festgefahrenen zu entreißen. Und meist mit dem Auto.

Das Interessante an Grönings Film ist, dass er der oberflächlichen Sorglosigkeit vieler früherer Filme die oberflächliche Last der Sorgen gegenüberstellt, und dem außergewöhnlichen der Bewegung ihre Gewöhnlichkeit. Routine stellt sich überall ein. Gefühle nutzen sich ab wenn man nichts mit ihnen anzufangen weiß.

Es ist ein Märchen, ein Dokument, ein Film über das Filmemachen geworden. Und ein Geschenk an den Zuschauer, der vor allem das Zusehen genießen kann, wie damals in deutschen Filmen schon lange nicht mehr. Die Bewegungen der beiden Hauptdarsteller, ihre Manierismen, ihr Sprachduktus, ihr Lebensrhythmus, ihre Formulierung der Figuren. Ein Film den man bewohnen kann, episch in seinem DA SEIN. Ein Vielleicht auf den Lippen, in den Gesichtern, im Film. Und das Trotzdem. Ein Versuch, immer und immer wieder.

Was Gröning zeigt und erkennt, den Zuschauer erkennen lässt, ist die Gleichzeitigkeit von Banalem und Sublimem. Diese Einsicht durchströmt den ganzen Film, bildet seinen eigentlichen Reichtum. Der Augenblick, in all seiner Beiläufigkeit und Fülle. Eine Gabe. Ein Versprechen.


L’amour, l’argent, l’amour – Deutschland, Schweiz, Frankreich 2000 – 134 Minuten – Regie: Philip Gröning – Produktion: Philip Gröning, Dieter Fahrer, Res Balzli, Françoise Gazid – Drehbuch: Philip Gröning, Michael A. Busch – Kamera: Philip Gröning, Sophie Maintigneux, Max Jonathan Silberstein, André Bonzel – Schnitt: Philip Gröning, Valdís Óskarsdóttir, Max Jonathan Silberstein – Darsteller: Sabine Timoteo, Florian Stetter, Michael Schech, Dierk Prawdzik, Gerhard Fries, Marquard Bohm, Thomas Gimbel, Julia Lindig, Heiner Stadelmann, Helmut Rühl, Meral Perin, Lothar Kompenhans, Mia Moser

100 Deutsche Lieblingsfilme #2 : Ich, ein Groupie (1970)



London. Ein Stadtpark. Vicky (gespielt von Ingrid Steeger) nähert sich von links der Kamera, biegt um die Ecke, in Richtung der anschwellenden, treibenden Rockmusik, während ein leichter Kameraschwenk ihre Bewegung aufnimmt. Auf dem Grün spielt eine Rockband, und Vicky verliebt sich prompt in den Sänger Rolf. Nachdem sie die Nacht mit ihm verbringt, versucht sie ihm, der bereits weitergezogen ist, von London nach Berlin zu folgen. Naiv, ohne Geld, nur mit Liebe im Kopf.

Fast jeder verkauft sich in diesem eineinhalbstündigen Abgesang auf die Ideale der 68er Generation und den Verlust der Unschuld, die Musiker ebenso wie die Protagonistin. Für eine Illusion, für Drogen, um vor der Realität zu flüchten. Mit Hippiekultur, Gammlern oder sonstigen Gegenbewegungen im gesellschaftlich-politischen Sinne  hat das alles wenig zu tun. Das utopische Potential der 60er Jahre ist versiegt, die Gemeinschaft der Aufständischen zerbrochen. Vicky, die am Anfang des Films noch nie Gras geraucht hat, und am Ende bereits Heroin konsumiert, findet auf ihrer Reise keine wirkliche Freundschaft, entwickelt keine Nähe zu den Menschen um sie herum. Vielmehr wird sie allenthalben ausgenutzt und missbraucht, immer mehr auch durch sich selbst und ihre eigene Passivität. Die Vorstellungen und Lebensweisen der Gegenkultur verkommen zu Floskeln und Ausreden, zur Maskierung einer ganz und gar ignoraten Umgebung. Meist passiert im Film nicht wirklich viel – wenn, dann geht es darum, Geld und Übernachtungsmöglichkeiten aufzutreiben. Ingrid Steeger stolpert weltoffen aber zunehmend desillusioniert von einer Szene zur nächsten, durch einen Film, der sich traut die Naivität und die Verlorenheit seiner Figuren zu präsentieren, sie bloßzustellen, ohne sie zu verdammen. Der Traum von Freiheit und Glück ist da, nur: die realen Lebensumstände präsentieren sich gänzlich anders.

In der prägnantesten Sequenz des Films wird Vicky zunächst von einer Gruppe Schweizer Hell’s Angels aus dem Wasser gefischt und vergewaltigt. Nach einem abrupten Schnitt sehen wir sie nackt auf dem Motorrad sitzend, sich an einen der Fahrer klammern. Zunächst geht es zum Kleiderkauf, danach in die Kneipe. Am Ende versucht Vicky wieder per Anhalter weiter zu kommen. Während die Hell’s Angels zuvor in der kleinen Stadt darauf warten, dass Vicky aus dem Klamottengeschäft herauskommt, betrachten zwei von ihnen mit leidigem Interesse das Schaufenster des örtlichen Kinos. Es läuft: „Easy Rider“. Der Widerspruch zwischen äußerer Erscheinung und innerem Bedürfnis, den der Film durchweg formuliert, verdichtet sich in dieser Szene auf das Wesentliche. Die Biker in Dietrichs Film sind das dunkle Gegenstück zu Fonda und Hopper, nihilistisch wie der Grundton des Films. Diesmal sind die Aussteiger nicht nur die Gearschten sondern auch die Arschlöcher, und von Freiheit ist hier weit und breit nichts mehr zu spüren.

Der formale Höhepunkt des Films findet sich jedoch am Ende, wenn die Kamera der nackt durch die Berliner Straßen rennenden und mit Heroin vollgepumpten Ingrid Steeger durch die einstige Reichshauptstadt folgt, während sie sich in die Alpen halluziniert, und von einem Auto überfahren zu Tode kommt. Der Zynismus der deutschen Wirtschaftswundermentalität, angesiedelt zwischen Heimatkitsch, Generationenkonflikt, Realitätsflucht und struktureller Gewalt, findet in dieser brillant inszenierten Abschlusssequenz seinen finalen allegorischen Ausdruck.


Ich, ein Groupie – BRD, Schweiz 1970 – 89 Minuten – Regie, Produktion und Drehbuch: Erwin C. Dietrich – Kamera: Peter Baumgartner – Musik: Walter Baumgartner, Walter Senn – Darsteller: Ingrid Steeger, Rolf Eden, Vivian Weiss, Li Paelz, Terry Mason, Stewart West, Sharon Richardson

 

Hinweis: Die Nummerierung der Filme folgt lediglich der Reihenfolge der Einträge. Die Gesamtauswahl von 100 Filmen ist nicht redaktionell abgestimmt, sondern eine im Laufe der Veröffentlichung zufällig entstehende Zusammenstellung, die sich aus den Einzelbeiträgen und persönlichen Vorlieben der Teilnehmer ergibt.

Passion (1981)

Passion- oder die Leidenschaft die manch Einem Leiden schafft

Jean-Luc Godard wurde in seiner Karriere mit Namen der unterschiedlichsten Couleur bedacht: Beginnend bei „Onkel Jean- dem schrecklich ungezogenen Kind“ über den „Maitre Penseur des Kinos“ und endend bei „dem Heiligen des Films“. Zur Einordnung des Films Passion möchte ich zuerst einige wichtige Entwicklungslinien Jean-Lucs aufzeichnen, die zum besseren Verständnis des Films dienen.

Der wohl prominentste Film des Regisseurs ist zugleich sein Debutfilm: A bout de Souffle. Allgemein bekannt ist, das dieser Film auf manigfache Weise mit filmischen Konventionen bricht. Jean-Luc, der für das 1951 von André Bazin gegründete Cahiers de Cinema polemische Kritiken über von ihm hoch geschätzte Filme beispielsweise Bergmans oder Eisensteins schrieb, gilt in den sechziger Jahren als ein Erneuerer des Film- eine zutreffende Bezeichnung, die auch in den achtziger Jahren noch äußerste Gültigkeit besitzt. In den siebziger Jahren beschäftigt sich Jean-Luc mit Video und Fernsehen, Einflüsse, welche die Filme der achtziger Jahre wie Passion prägen.

Der 1981 gedrehte Film Passion besteht aus mehreren Handlungsfragmenten, die sich nicht zu einer Geschichte oder mehreren Episoden zusammen fügen, sondern sowohl inhaltlich als auch formal in einer Collage belassen bleiben.

  1. Passion handelt von einem polnischen Regisseur der einen Film mit dem Titel Passion dreht. Dabei besteht der Film (im Film) aus Tableau Vivants – lebendigen Bildern- von berühmten Malern wie Rembrandt, Delacroix, El Greco und anderen (Bildbeispiele siehe unten). Doch die Dreharbeiten stocken wiederholt und werden schließlich abgebrochen, da der Regisseur Jerzy (Jerzy Radziwilowicz) mit dem Licht nicht einverstanden ist und auch sonst seine Vorstellungen nicht umsetzen kann. Die Dreharbeiten geraten in Verzug, der Produzent ist unzufrieden, die Statisten erscheinen nur noch vereinzelt. Ersatz für diese werden in einer nahegelegenen Fabrik gefunden.
  2. Eine weitere Handlungsebene hat mit dieser Fabrik zu tun. Isabelle (Isabelle Huppert) ist dort eine Arbeiterin und setzt sich für die Gründung eines Betriebsrats ein. Auch sie scheitert mit ihren revolutionären Vorhaben und wird von dem Fabrikbesitzer (Michel Piccoli) entlassen.
  3. Der Fabrikbesitzer hat mit Hanna (Hanna Schygulla), der Inhaberin des Hotels in dem die Filmcrew residiert, ein Verhältnis. Im Verlauf des Films löst sich ihre Verbindung. Hanna liebt den Filmregisseur Jerzy, der sie gerne für eine Rolle in seinem Film besetzen würde, am liebsten als Statistin eines Rubens- Tableau Vivants.
  4. Jerzy ist hin und her gerissen zwischen Isabelle, der Fabrikarbeiterin, und Hanna- beide teilen ihn sich als Geliebten.

Jede der Personen hat Wünsche und Sehnsüchte, aber vor allem Passionen: Die Dreharbeiten als Leidensgeschichte des Regisseurs, der gescheiterte Arbeiteraufstand als Leidensgeschichte Isabelles und die Liaisons vor allem zwischen dem Regisseur, der von zwei Frauen begehrt wird als Leidenschaft. Auch Polen nimmt als Folie eine wichtige Rolle ein, denn die politische damalige Situation (die Zerschlagung der polnischen Solidarität) dient als Metapher zugleich für das Scheitern und generell für die Leidensgeschichte der Menschen. Kurz gefasst beinhaltet der Film die auf vielen Ebenen veranschaulichte Suche nach Identität in der Arbeit, im Leben, der Kunst und der Liebe- und aller Scheitern.
Die Tableau Vivants des Filmes offenbaren dem aufmerksamen Betrachter und Kunstkenner nun noch eine weitere Facette dieses Films. Die Geschichte der Tableau Vivants reicht weit zurück. Im späten achzehnten Jahrhundert war das Tableau Vivant ein beliebtes Gesellschaftsspiel in hochgestellten, gebildeten Kreisen. Berühmte Gemälde oder Skulpturen wurden theatralisch durch Personen nachgestellt und avancierten zu einer Modeerscheinung.

Hier sei nur kurz auf Johann Wolfgang von Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ verwiesen, in welchem die zwei Tableau Vivants eine heraus gestellte Rolle einnehmen: Die Rolle, welche die Romanfiguren in den Tableau Vivants nachstellen fassen ihre Rolle in der Handlung des Romans quasi als Schema ihrer Existenz zusammen. In Jean-Lucs Film finden sich einige Analogien zu dem Verständnis der Tableau Vivants der damaligen Zeit, denn auch in Passion fungieren die lebendigen Bilder als Speicher archetypischer Identität: das potenzierte Dasein des Menschen. Diese Sinngebung bei Goethe trifft auch auf die Tableau Vivants in Passion zu.
Die Tableau Vivants in Passion stehen als Paradigmen für die Leidenschaften des realen Lebens. Diese Aussage soll an einem Beispiel verbildlicht werden:
In einer Versammlung der Arbeiterinnen klagen diese über die Mühsal der Arbeit, die Unterdrückung durch den Arbeitgeber und überlegen sich Möglichkeiten zu einem Aufstand. Begleitet werden diese Gespräche vom Largo des Introitus aus Mozarts Requiem und Zitatfragmenten aus Texten über das Leid vergangener Revolutionen. Daraufhin handelt die nächste Szene im Filmstudio, wo mehrere Tableau Vivants, unter anderem „Die Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai 1808“ vom Requiem musisch untermalt nachgestellt werden. Die Kamera zeigt das Tableau Vivant dabei nicht statisch, sondern taucht in das lebendige Bild ein, gleitet über Gesichter und zeigt Details. Zum einen erschwert dies das Erkennen der Vorbilder aber zum anderen zeigt die Kamera hierin ihre Überlegenheit der Malerei gegenüber: Im Film können Details betont werden, die dem Betrachter sonst entgingen. Doch vor allem ist der Film ein Bewegungsbild, die Kamera kann in das Gemälde eintauchen und muss nicht statisch verharren. Die Tableau Vivants sind jedoch niemals zur Gänze still gestellt, die Statisten zwinkern, bewegen die Hände und beleben so das Bild und brechen die Illusion ein getreues Abbild zu sein.

Francisco José de Goya y Lucientes: Die Erschießung der Aufständischen am 3.Mai 1808 (1814)Tableau VivantTableau Vivant

Die Hauptfigur der Figurengruppe „Der Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai 1808“, die von den Gewehrläufen bedroht wird, ist dabei unschwer mit dem gekreuzigten Christus zu assoziieren. Kurz darauf ist das Tableau Vivant des Gruppenporträts der „Königsfamilie Karls IV“ zu sehen.

Königsfamilie Karls IV.Tableau Vivant

Der Gegensatz zwischen diesen beiden lebendigen Bildern greift die realen Erfahrung der Arbeiterinnen auf, die im Gespräch thematisiert wurden. Diese haben sich über den sozialen Konflikt zwischen Armen und Reichen unterhalten, über Revolution und Herrschaft.“Die Erschießung der Aufständischen vom 13. Mai 1808″ steht dabei bildlich für Revolution und Unterdrückung wohingegen das Porträt der Königsfamilie für die reiche Gesellschaftsschicht steht. Die Tableau Vivants setzen die Aussagen der Arbeiterinnen also in einer zeitenthobenen ästhetischen Fiktion um.
Nur kurz möchte ich noch auf eine weitere Ebene des Films hinweisen, die ich schon kurz angerissen habe: die Medienreflexion. In Passion reflektiert sich das Medium Film über die Tableau Vivants selbst. Besonders prägnant zeigt sich dies schon in dem ersten lebendigen Bild: „Der Nachtwache“ von Rembrandt.

Rembrandt Harmensz van Rijn: Die Nachtwache (1642)Tableau Vivant

Im Film wird davon gesprochen, dass das Bild eigentlich eine „Tagwache, bestrahlt von der Sonne“ darstellen würde. Hiermit wird auf die Technik der „amerikanischen Nacht“ hingewiesen. (Dies ist ein Aufnahmeverfahren des Hollywood- Illusionskinos, das es ermöglicht mittels Filtern und Blenden Nachtaufnahmen am Tag zu drehen.) Gleichzeitig verweist Jean-Luc damit auf Truffauts Film „La Nuit Américane“, einem der bekanntesten Repräsentanten des Films im Film.
Passion ist unzweifelhaft ein Film der zur Leidenschaft oder zum Leidensweg werden kann. Damit Letzteres nicht eintritt empfehle ich jedem Interessierten, sich vor der Filmsichtung dessen Handlung zu Gemüte zu führen, denn die fragmentarischen Handlungsstränge des Films sind ohne Vorkenntnis der Geschichte schwer zu entwirren und die vielen Zitate kaum zu identifizieren! Zudem werden Bild und Ton asynchron verwendet ganz im Sinne der Illusionsbrechung. Und natürlich gilt, umso öfter man den Leidensweg begeht, umso mehr Leidenschaft für diesen Film entsteht!


Meine Buch- Empfehlung für Leidenschaftliche:
Paech, Joachim: Passion oder die Einbildungen des Jean-Luc Godard.
Frankfurt am Main 1989.