Nachdem in den letzten Jahren immer mehr Filme aus Rudolf Thomes umfangreicher Filmographie das digitale Licht der Welt erblickt haben, scheint nun die Aussicht auf eine vollständige Digitalisierung und allgemeine Verfügbarkeit seiner Werke in greifbare Nähe gerückt zu sein.
Liebhaber der Filme Rudolf Thomes in Deutschland waren im neuen Jahrtausend zunächst zumeist auf Fernsehausstrahlungen einer kleinen Handvoll regelmäßig gezeigter Werke oder den Besuch von engagierteren Kinos angewiesen, wenn sie einen ersten Einblick in das Schaffen eines der faszinierendsten gegenwärtigen Filmemacher erhalten wollten. Für eine Weile schien Thome in der öffentlichen Wahrnehmung beinahe ein marginalisierter, untergegangener, ja fast schon verschollener Filmemacher geworden zu sein, und die bedauernswerte Tatsache, dass seine jeweils neuen Filme (denn er blieb nach wie vor äußerst produktiv) bundesweit meist nur in wenigen Kinos und für kurze Zeit zu sehen waren, ein nachhaltiges Armutszeugnis hinsichtlich eines breiten Interesses und Engagements für lebendige deutsche Filmgeschichte. Nachdem jedoch seine jüngsten Filme zumindest in den deutschen Feuilletons und in einigen Kritikerkreisen mit immer größerer Regelmäßigkeit bewundert und sogar bejubelt worden waren, scheint sich nun der bisherige Kultstatus Thomes langsam in eine weitreichendere Akzeptanz und generelle Relevanz seiner Arbeit wandeln zu können. Wenn man bedenkt, dass der Großteil der hiesigen Filme und Filmemacher nach Ende des gängigen „Verwertungszeitraums“ und der event- und aktualitätsbasierten „Interessen“ weiterhin dazu verdammt scheinen, ein Dasein im Niemandsland der permanenten (bewussten wie unbewussten) Ignoranz großer cinephiler Kreise fristen zu müssen, darf es schon als enormer Erfolg gewertet werden, wenn sich von einem Filmemacher mehr als 20% seiner künstlerischen Arbeiten überhaupt in irgendeiner Form von (kommerziellem) Umlauf befinden. Zwischen Til Schweiger und Fritz Lang gefangen, scheint hierzulande die Bereitschaft, sich auf die unermesslichen Schätze der Filmgeschichte, ja die Tausenden verschütt gegangener Filmographien, überhaupt einzulassen, im Allgemeinen gen Null zu tendieren, so dass man im Falle Rudolf Thome nun vielleicht schon von einer Kanonisierung zu Lebzeiten zu sprechen beginnen könnte. Weiterlesen…
Ein Magischer Moment: Gerade eben in Rudolf Thomes Online-Tagebuch einen Ausschnitt aus dem Making-Of seines neuen Films Ins Blaue gesehen, der bei Youtube hochgeladen wurde. Es geht um Film als Lebensenergie. Ich bin ganz elektrisiert, und freue mich nicht nur erneut auf Ins Blaue sondern auch auf das Making-Of. Wenn es nur halb so intensiv wie dieser kurze Einblick wird, gibt es 2012 vielleicht sogar 2 Filme um Thome zu entdecken.
Endlich ist das neue Buch über Rudolf Thome und seine Filme erschienen. Bisher gab es meines Wissens nach nur ein zwar sehr schönes, aber inzwischen doch schon arg überholtes Heft der Freunde der Deutschen Kinemathek (Nr. 66 – Rudolf Thome) aus dem Jahr 1983 (bestellt werden kann es im Internet z.B. noch hier). Seitdem hat Thome, der mit zunehmendem Alter scheinbar immer fleißiger wird, bereits 18 weitere Filme abgedreht. Bei seinem neuesten Werk Das Rote Zimmer, das voraussichtlich nächstes Jahr in die Kinos kommt, hat er vor wenigen Tagen die Dreharbeiten abgeschlossen und sitzt gerade an der Montage. Thome dokumentiert seine Arbeit schon seit mehreren Jahren im Internet, wo man Einblicke in seine Drehbücher bekommt, und z.B. den täglich aktualisierten Bericht über die Dreh- und Schneidearbeiten auf seiner Website mitverfolgen kann.
Ein paar Betrachtungen und Hinweise zu den Filmen von Rudolf Thome
Rudolf Thome ist für mich der vielleicht größte deutsche Filmemacher. Nicht weil er große Filme im üblichen Sinne macht, das heißt mit viel Geld, in großen Studios mit großen Bauten, mit viel Tam Tam und überdimensioniertem Werbeaufwand. Seine Filme sind eher still, in sich gekehrt – kleine Gesten, statt viel Gerede. Präzise. Das widerspricht sich eben nicht, das Große und das Kleine, oder besser gesagt: im Unscheinbaren steckt manchmal das ganz Große, wie vielleicht Helmut Käutner es ausgedrückt hätte.
Beim letzten Film den ich von Thome gesehen habe, Pink (2008) – übrigens im Kino auf der großen Leinwand – habe ich geweint. Daher u.a. der Titel meines Beitrags. Denn entgegen der landläufigen Meinung unter Thome-Fans (von denen es übrigens viele gibt – allein in meinem Freundeskreis sind es mindestens drei), sind seine Filme nicht vorwiegend heiter und lebensbejahend, sondern oft zutiefst traurig. Lebensbejahend vielleicht im Nachhinein, im Trotzdem, in der Tatsache, dass Thome nicht aufhört, regelmäßig weiter Filme zu drehen. Doch wenn ich an Rote Sonne (1970) denke, an Detektive (1968), an System ohne Schatten (1983), Just Married (1997), oder Pink (2008), ist es tiefe Melancholie die diese Filme durchdringt. Eine Verzweiflung am Zustand der Welt, an sich, an seiner Umgebung. Existenziell könnte man das nennen. Aber diese Verzweiflung ist viel zu direkt, viel zu stark, viel zu ehrlich, um sie mit solch einem bedeutungsschwangeren Adjektiv zu beladen. Thomes Filme sind nämlich auch Märchen. Und wie im Märchen, das voller Klischees, voller Stereotypen, voller altbekannter Tricks und Wendungen steckt, geht es noch um etwas ganz anderes als die Realität. Der Schrecken des Traumes gibt Kraft für das Leben. Die Hoffnung, das ist bei Thome vielleicht das Kino, also das was die Protagonisten zu erschaffen versuchen, und das was Thome ständig erschafft. Auf der Leinwand. In der Dunkelheit. Zaubern mit Licht.
Er hat inzwischen auch einen eigenen Blog. Eigentlich nichts Neues, denn er äußert sich schon lange über das Internet: seine alte Webseite stammt noch aus den 90ern. Nur die letzten Jahre, wird es immer mehr und immer regelmäßiger. Seine Filme schreibt er zwar auch schon seit längerem selbst, aber die Leidenschaft fürs Schreiben gabs vielleicht schon vor dem Filmemachen. Früher war er ja Filmkritiker. Und ebenso leidenschaftlich wie als Filmemacher. Ein Überzeugungstäter also. Neben seiner Website, hat er aber auch einen Youtube-Kanal. Man kann also einerseits über den Entstehungsprozess seiner Filme lesen, andererseits Auschnitte, Werbematerialien und Interviews aus, für und zu seinen Filmen ansehen.
Wie man an den vielen bisherigen Links erkennen kann, war einer der Hauptgründe für diesen Text, auf Rudolf Thomes vielfältige Präsenz im Internet aufmerksam zu machen. Einen Liebesbrief gibt es später einmal. Dies soll einfach nur ein bescheidener Beitrag in Richtung größerer Wertschätzung und Wahrnehmung sein. Werbung sozusagen. Aus Überzeugung. Wer nämlich nicht das Glück hat, mehrere Filme auf DVD (inzwischen hier, hier, und hier erschienen), oder aufgenommen aus dem Fernsehen (bei mir noch auf VHS) zu besitzen, der kann sich einen Einblick über das Internet verschaffen. Und zwar einen vergleichbar umfangreichen.
Den Trailer zu meinem bisherigen Lieblingsfilm von Thome, Frau fährt, Mann schläft (2003) kann man z.B. hier betrachten. Ich liebe diesen Film, und halte ihn sogar für besser als sein Vorbild. Wie Hanellore Elsner hier spielt, wie sie sich bewegt, wie sie spricht und schreit, ist wahre Kinomagie. Thome inszeniert seine Schauspielerinnen meistens großartig, aber hier wird es fast zu enem kleinen Wunder. Des weiteren empfehle ich über seinen Kanal auch Auszüge aus seinen frühen Kurzfilmen, z.B. (was für ein großartiger Titel:) Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt. Eigentlich sollte man ihn auf großer Leinwand in der ganzen Pracht des Cinemascopebildes genießen, aber wo bekommt man heutzutage im Kino noch Kurzfilme zu Gesicht? Dennoch mekt man auch am Bild vor dem Monitor, was Thome meint, wenn er über seinen Darsteller Marquard Bohm schreibt: „Wie Marquard Bohm den Pelzmantel bezahlt, hat mir so gefallen, dass er in meinem ersten Spielfilm die Hauptrolle spielen musste.“ Aus seinen seltener und schwieriger zu sehenden Filmen aus den 70er Jahren gibt es ebenfalls Ausschnitte: Supergirl (1971), Fremde Stadt (1972), Made in Germany und USA (1974), Tagebuch (1975), Beschreibung einer Insel (1978). Diese Schaffensphase (für mich vom Gefühl her durch seine Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Karin Thome geprägt), die auch essayistisch-Dokumentarisches umfasst, ist mir noch unerschlossen. Daher bin ich umso dankbarer für die Clips. Karin Thome hat übrigens auch selbst Filme gemacht, und war vor Thome (das nur nebenbei) mit einem inzwischen in Vergessenheit geratenen Regisseur verheiratet. Wie die Werke der meisten Filmemacher weiblichen Geschlechts, sind ihre Arbeiten äußerst unbekannt.
Fast noch erfreulicher als die Ausschnitte aus seinen Filmen sind für mich jedoch die inzwischen ebenso zahlreich hochgeladenen Drehberichte zu seinem Schaffen. Ja, es gibt und gab sie wirklich. Ausführliche Dokumentationen, zum Teil in Spielfilmlänge, zu lebenden deutschen Filmkünstlern. Kaum zu glauben, oder? Ich denke, wenn heutzutage jemand versuchte etwas Vergleichbares über sagen wir mal Dominik Graf oder Angela Schanelec bei den Öffentlich-Rechtlichen finanziert zu bekommen, er würde wahrscheinlich ausgelacht… Zu sehen gibt es über Thome mehrere Reportagen und Filmsendungen sowie in vollständiger Länge ein Porträt von Stefan Dutt und Peter Hornung aus den frühen 80ern, und vor allem den großartigen Film is a Battleground (1998) von Petra Seeger über die Dreharbeiten zu Just Married und Tigerstreifenbaby sucht Tarzan (1997). Das letzte, gerade einmal vorige Woche eingestellte Video, zeigt Thome Mitte der 90er bei einem wunderbar entspannten Fernsehinterview anlässlich des 25jährigen Jubiläums von Rote Sonne.
Der Glücksfall, dass ein Filmemacher auch die Rechte an seinen Filmen besitzt, ist bei Thome durch seine Produzententätigkeit gegeben. Man kann daher wohl bei ihm persönlich anfragen, wenn es um die Verfügbarkeit der meisten Kopien geht, und könnte dadurch wohl ziemlich einfach eine Retrospektive oder zumindest eine Werkschau seiner Filme auf die Beine stellen. Wann dies in Deutschland zuletzt passiert ist weiß ich leider nicht. Ich hoffe aber sehr, dass es schon des öfteren versucht wurde. Nichtsdestotrotz wird es langsam wieder einmal Zeit dafür. Im Notfall muss man sich selbst darum kümmern. Also schreibt alle eure Kommunalen Kinos und Kinematheken an, und fordert: mehr Thome!
Im Grunde warte ich zur Zeit aber immer noch auf das erste Buch über Thome, vom Schüren Verlag schon seit einer halben Ewigkeit angekündigt, aber immer noch nicht erschienen. Wenn Klaus Lemke und Eckhart Schmidt entsprechende Würdigungen bekommen haben, sollte so ein Unterfangen ja auch bei Thome gelingen. Bis es endlich soweit ist, kann man sich zumindest mit Heft Nr.66 der Freunde der deutschen Kinemathek über Wasser halten, oder darüber sinnieren, wie eine Studie zum Münchner Filmschaffen der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts aussehen könnte. Oder einfach weiterhin Thomes Filme schauen – und natürlich seinen Blog lesen. Da erfährt man nämlich bereits alles über seinen neuesten Film.