„Das Ding“ oder die filmische Suche nach dem Etwas als Verzweiflung am Jemand

„The Thing“ – so schlicht und bescheiden sich dieser Filmtitel auch anhört, so problematisch und hintergründig wird er, wenn man ihn auf dem Hintergrund der Philosophiegeschichte betrachtet. Was ist das eigentlich, ein Ding, ein Etwas überhaupt, unausgemacht ob Mensch, Tier, Pflanze oder Gestein, Gegenstand oder Eigenschaft, Realität oder Einbildung? Kann man dieses „Etwas=x“ definieren, allgemeine Aussagen darüber treffen, die dann auf jedes Etwas und seine Verhältnisse zu anderem etwaigen in jedem Falle zuträfen? Dies war der Versuch der klassischen Metaphysik, spätestens seit Aristoteles, der sein Etwas, seine Ousie, jedoch nicht definiert haben, sondern in einer paradigmatischen Wirklichkeit ideal verkörpert sehen wollte, von der aus die anderen, abgeleiten Wirklichkeiten dann analog bestimmbar wären. Doch nicht nur die Philosophie, auch die Theologie laborierte immer am Ding, genauer gesagt an seiner Einheit, Zweiheit oder Dreiheit. Inwiefern ist Gott ein Ding – eine Ousie=Ding – und doch auch drei (Hypostasen = Dinge), inwiefern der Christus ein doch immer auch und ebenso auch wieder nicht zwei Dinge?

Was soll es also genau sein, dieses Etwas oder Ding? Schließlich ist auch ein Unding ein Ding, eben ein Etwas, genau wie jede Art von Phantasiegebilde oder auch jede Art von Nichts: Das Nichtvorhandensein von Geld etwa, Schulden oder Zahlungsunfähigkeit, können ein eminent wirksames und verheerendes Ding sein, ebenso wie das Nichtvorhandensein von Zeit, Kraft, Witz oder auch Verstand. So kam man in der idealistischen Tradition, spätestens aber mit Kant, auf den genialen Kunstgriff, daß Aussagen über das Etwas als Etwas, das ens qua ens, als solche unmöglich sind, da dieser Begriff sich letztlich in seiner Überabstraktion selbst aufhebt: Möglich sind Aussagen über das Etwas oder Ding als solches nur insofern es Objekt ist, also Erkenntnisgegenstand einer Subjektivität: Das gesuchte Ding oder etwas ist also immer das Objekt, der Gegenstand überhaupt auf den wir uns erkennend und wollend beziehen.

Weit entfernt von philosophischer Naivität scheint die filmische Bearbeitung des Themas diese Erkenntnis immer vorauszusetzen, so daß man Aristoteles fast ein wenig bemitleiden muß, daß er nicht einfach ins Kino um die Ecke gehen und sich seine Ousie, sein Etwas, sein Ding von Christian Nyby und John Carpenter hat erklären lassen. Ersterer setzt nämlich schon im Titel („The thing from another world“) die fundamentale Differenz zwischen diesseitigem Subjekt und andersweltlichem Ding, also jenseitigem Objekt der Erkenntnis voraus, während letzterer, in Wahrung des Hegelschen Satzes vom Bewußtsein, diese Differenz (trotz der Ignoranz deutscher Verleiher) bereits wieder eingezogen hat und voraussetzt, daß jede erkennende Subjektivität das Ding nur von sich unterscheidet, indem sie es gleichzeitig auf sich bezieht. Hier tut sich also bei allem grundsätzlichen Konsens in der Herangehensweise bereits eine metaphysische Spannung zwischen beiden Regisseuren und Epochen (1951 und 1982) auf, die in der lebensweltlichen Vermittlung, der konkreten filmischen Umsetzung des metaphysischen Themas geradezu zu diametral auf den Kopf gestellten Verhältnissen führt, zu einer totalen Umpolung im wahrsten Sinne des Wortes: Siedeln die fünfziger Jahre die Geschichte nämlich oben, auf dem von den Amerikanern kontrollierten (aber auch an Rußland grenzenden) Nordpol an, wählt der Carpenter der frühen Achziger das unten, die Einsamkeit und Abgeschiedenheit des Südpols. Bedenkt man die unterschiedlichen metaphysischen Vorzeichen ist dies sicher alles andere als bloßer Zufall: Wie gesehen setzte Nyby in der titularen Gestaltung des von ihm vorgestellten Ding- oder Objektbezuges mit der radikalen Differenz ein. Das Objekt oder Ding ist das ganz andere, dem Geist äußerliche, welches ihn aber, umso widerständiger und äußerlicher es ihm erscheint, desto mehr anspornt, es zu überwinden und es sich symbolisierend und organisierend, erkennend und handelnd anzueignen. In den Fünfzigern bildet die Menschheit eine Einheit in ihrem Erkenntnis- und Organisationsstreben, eine Einheit, die auch durch das ihr von oben entgegenkommende, photosynthesefähige und gefühllose „Rübenwesen“ (die humoristischen Einlagen des Journalisten entsprechen ganz dem heiter-zielbewußten Optimismus des aneignungssicheren Dingbezugs) aus dem Weltall nicht ernsthaft in Frage gestellt wird, sondern sich nur innerlich bewähren muß: Ist die Spannung zwischen Erkennen und Organisieren, Wissenschaft und Militär erst ausgefochten, dann hat eben in diesem Fall der erkenntnishungrige Professor das Nachsehen, doch ist ganz klar, daß das Ding überwunden und angeeignet wird. Letztlich kann die ganze Geschichte den Gang der menschlichen Angelegenheiten nicht in Frage stellen, sondern wird zum bloßen Katalysator, der der Menschheit einen neuen Sieg und unseren Helden Cpt. Hendry und der kessen Sekretärin Nikki die erwünsche Hochzeit bringt.

Ganz anders jedoch der Objektbezug bei Carpenter: Hier erscheint der Mensch verzweifelt an der Aneignung des Außen und ganz Zurückgeworfen in das Innen, nicht oben, auf dem Nordpol, dem Himmel entgegen, sondern unten, abgeschieden in der Antarktis, konfrontiert mit etwas, was seit tausenden von Jahren im Erdboden schlummert, genauer gesagt wohl in den Tiefen des eigenen Selbst. Nicht die amerikanische Gruppe als Speerspitze der Menschheit selbst stößt hier auf das Ding, sie muß vielmehr im Nachhinein mit etwas fertig werden, was Generationen vor ihr längst entfesselt haben und an dessen Aneignung sie verzweifelt und zugrunde gegangen sind. Das Ding ist daher auch kein dem Menschen überlegenes Wesen eigenen Rechts, vielmehr nichts weiter als ein hinterhältiger, die menschlichen Zellen von innen befallender und schließlich klonender Retrovirus, der sich überall um uns herum und in einem jeden von uns verbergen könnte.

Will die Menschheit hier weiter kommen, so jedenfalls nicht in der erkennenden oder handelnden Aneignung des Außen, sondern höchstens in der Transformation des Innen. Verzweifelt am Oben und Außen, wendet sich die Subjektivität in ihrem Ding bezug also nach unten, zum Innen, doch allerdings nur um festzustellen, daß dieses, verobjektiviert und zum Gegenstand geworden, ebenfalls Ding und damit dem subjektiven Selbst äußerlich werden muß: Niemand weiß genau, ob er selbst, sein Freund, Zimmer- oder Bettgenosse den Virus bereits im Blut haben, ob wir uns also selbst sehen oder nur unseren Übergang zum Ding, einem Etwas, von nicht nur nichts wissen, sondern das wir vor allem auch keinesfalls kontrollieren können, nicht einmal mit allem Sprengstoff, der sich in der antarktischen Militärbasis finden läßt. Aus dieser überpessimistischen metaphysischen Perspektive bleibt dem Regisseur wie dem Zuschauer abschließend nur die bange Frage: Wo warst Du? Wo war ich? Was bleibt, als abzuwarten, ob wir Ich bleiben oder Ding werden?

Encore une fois: La cave et le cinéma

Wiederholt wurde Platons zu Beginn des siebten Buches seiner Politeia beschriebene Höhle als erstes Kino der Geistesgeschichte bezeichnet, und das aus naheliegenden Gründen: Unsere Alltagsrealität wird dort mit einer finsteren Höhle verglichen, in der die Menschen gefesselt unter einer Mauer sitzen und auf eine große (Lein-)Wand starren, auf die, kraft einer in ihrem Rücken befindlichen Funzel, der einzigen Lichtquelle der Höhle, die Schattenrisse von allerart Zeugs projiziert werden, das hinter der Mauer in ihrem Rücken entlanggehende Unbekannte dort vorbeitragen. Morphologisch deckt sich dies sicher relativ weitgehend mit den Lebensverhältnissen gerade obsessiver Cineasten, welche tatsächlich an die Leinwand gefesselt sind, da sie das Kino – eingestandener- oder uneingestandenermaßen – für die bessere, eigentlichere Form der Realität halten. Man könnte im Cineasten also mit Platon in der Tat eine besonders degenerierte Form seines Höhlenmenschen sehen, zumal er nicht nur mit der Masse die eigentliche Realität für die wahrnehmbare Alltagswelt eintauscht, sondern selbst dieser noch deren auf Zelluloid gebannte und damit noch einseitigere und seinsärmere Abbilder vorzieht. Der Cineast wäre somit das abschreckendste Beispiel von Degeneration einer auf die (scheinbar) wirksame und wahrnehmbare Oberfläche der Dinge fixierten Menschheit, die jede Fähigkeit, diese auf deren transzendenten Grund hin zu übersteigen, abgelegt, und sich gänzlich im Spiegelkabinett materieller Defizienz verfangen hat.

Andererseits muß nicht jeder Cineast das Kino mit der wahren Wirklichkeit verwechseln. Im Gegenteil kann ein reflektierter Umgang mit Kino und Medialität überhaupt sogar genau dazu beitragen, wozu Platon durch das Höhlengleichnis aufrufen will: Seine Fesseln zu lösen, zum Ausgang aufzusteigen, draußen die wahre Wirklichkeit zu schauen und nach deren Schau schließlich wieder zurückzukehren, um anderen zu selbigem Aufstieg zu verhelfen. Platon selbst rekurriert ja ausdrücklich auf die wahrnehmbare Abbildstruktur, um das von ihm anvisierte Verhältnis von uneigentlicher, wahrnehmbarer und wahrer, intelligibler Wirklichkeit zu verdeutlichen: Wie wir einen wahrnehmbaren Gegenstand in einem Spiegelbild oder auf einer Abbildung als solchen immer nur defizient erkennen können, da die Abbildung eben nur eine Perspektive, einen durch ein Medium wie Malerei oder Bildhauerei vermittelten Ausschnitt oder Aspekt dieses Gegenstandes vermitteln kann, so vermittelt die wahrnehmbare, ausgedehnte, an eine konkrete Raum-Zeitstelle gebundene Instanz einer Wesenheit immer nur einen durch die konkreten Gegebenheiten eingeschränkten und durch den Blickwinkel der Wahrnehmung getrübten Aspekt dieser Wesenheit selbst: Was es wirklich, überall und zu allen Zeiten hieß, Mensch zu sein, werden wir niemals erkennen, wenn wir nur diesen konkreten oder auch beliebig viele andere menschliche Körper anstarren: Dies gelingt vielmehr nur durch die geistige Besinnung auf die elementarsten und wahrsten Ausdrücke des Menschseins und die sich ihnen äußernde eine, ewig sich gleichbleibende Essenz. Natürlich wird diese ständig verdeckt durch ihre durch die Alltagserfahrung immer neu induzierte Verwechslung mit einer ihrer konkreten Ausprägungen, also genau derjenigen medialen Täuschung, die Platon im Höhlengleichnis ankreidet. In einem selten beachteten Paralleltext, dem Schlußmythos des Phaidon, macht er dies noch etwas klarer: Dort entwirft er eine Vorstellung der Erde als von unterschiedlich tiefen und teilweise mit Wasser oder Nebel gefüllten Höhlen durchlöchertem „Fußball“, dessen unterschiedliche Regionen sehr unterschiedliche Arten von Bewohner hervorbringen, je nach dem Medium, durch das diese nach oben, auf die Wirklichkeit der wahren Oberfläche blicken: entweder aus dem nur durch gebrochenes Licht erleuchteten Wasser, dem allzumal von einem filigranen Glanz durchlichteten Nebel oder der in den Höhlen angestauten „dicken Luft“. Wie viele verschiedene Begriffe von Wirklichkeit diese unterschiedlichen Medien hervorbringen müssen, kann man sich vorstellen: Jede Region imponiert die im eigenen Medium gewohnte Wahrnehmung auf die Bewohner und läßt sie diese für die ultimative Form der Wirklichkeit halten, wobei diese jedoch nur an der echten Oberfläche, im reinen Medium des Äthers wirklich gesehen werden kann.

Wie würde es nun in diesen unterschiedlichen Regionen mit der Kunst stehen? Ist Kunst für Platon im Prinzip nichts anderes als Abbild des Abbilds, so würden die Künstler der verschiedenen Regionen die jeweils unterschiedlich gebrochenen Abbilder ihrer Wirklichkeit in einer analog gebrochenen Weise wiederum abbilden: Es käme zu nebelhaften Schemen umwölkter Silhouetten oder zu trüben Spiegelungen wässriger Brechungen. In jedem Fall würde die Kunst für das philosophisch erwachte Auge in der Art ihrer Abbildung immer die Signatur des jeweiligen Mediums tragen und auf diese Weise dazu beitragen können, die Art der medialen Täuschung, Stilisierung oder Vereinseitigung zu durchschauen. Kunst könnte dann nicht nur als Abbild des Abbild, sondern als Abbilden des Abbildens wahrgenommen werden und so als Anfang, wenn nicht sogar als Medium der Philosophie dienen.

Wäre dies jedoch der Fall, so böte gerade die besagte analoge Struktur von Kino und Höhle eine hervorragende Chance, mediale Repräsentation in ihrer Reinstform zu studieren, also die Wahrnehmung von etwas als etwas durch etwas drittes, ein Medium, das dabei selbst aber unthematisch bleibt. Und genau in diesem unthematischen Charakter des Mediums liegt die Gefahr in Platons Höhle: Die Gefangenen sehen die Dinge als Schemen, vermittelt durch die in ihrem Rücken befindliche, ihnen selbst unbewußte, Funzel am Höhlenausgang. Der Philosoph hingegen sieht direkt in die Sonne, blickt in die Idee des Guten und wird sich so über das Medium klar, dem alle Dinge ihr Sein und ihre Existenz verdanken. Auf einer niedrigeren Stufe kann die Reflexion auf das Medium Film ähnliches leisten, um mit unserem alltäglichen Generalmedium, der Erfahrung bzw. der Höhlenfunzel, reflektierter umzugehen.

Es gilt also, darauf zu achten, wie uns ein Film den Menschen, die Welt als Mensch oder Welt (wie er sie sieht) wiederum in einem bestimmten Medium zeigt, dialogisch, situativ oder visuell. Szenen oder Geschichten, Gespräche und Bilder bilden alle für sich genommen, aber auch in der jeweils konkreten Summe nur einen bestimmten erfahrungsabhängigen Ausschnitt dar, in dem wir Welt oder Mensch als das sehen, als was wir sie (in unserer eigenen Erfahrung) sehen wollen bzw. (in dem vom Film gezeigten Ausschnitt) sehen sollen. So zeigt uns ein Fassbinder den Menschen als in sich selbst gefangenes, an jeglicher Beziehung zum scheitern verdammtes Individuum im Medium konkreter Szenen und Dialoge aus dem tristen Alltagsleben, das klassische Hollywoodkino, etwa eines Frank Capra, hingegen als eingebettet in eine letzten Endes gelingende, von metaphysischer Sinnganzheit getragene Weltgemeinschaft in großen, paradigmatischen und von der Alltagsrealität abgelösten Geschichten. Die von Platon ausgehende Herausforderung an den Cinéasten besteht nun darin, keine der beiden Aspekte mit der Realität zu verwechseln und damit selbst in der jeweiligen Höhle angekettet zu bleiben, sondern sich zu einer Perspektive aufzuschwingen, die beides in einer umfassenden Idee von Welt und Menschheit, die ihrerseits nur im transzendenten Grund erschwinglich ist, zu vermitteln.