Bevor der Sommer richtig los legt und nicht zuletzt die Fußball-WM einmal mehr die Kinosäle leer fegt (anschließend werden sie Ende Juli beim 13. Hofbauer-Kongress hoffentlich wieder gut gefüllt – mehr Infos dazu bald hier und auf Facebook), gibt es diese und nächste Woche noch zwei unbedingt empfehlenswerte Cine-Veranstaltungen: Die UNDERDOX-Halbzeit im Münchner Filmmuseum widmet sich von Mittwoch 21.5. bis Samstag 24.5. an vier Abenden dem kanadischen Avantgarde-Filmemacher Michael Snow, der auch persönlich anwesend sein wird. Zu sehen sind sechs zentrale Arbeiten seines Schaffens, die (mit Ausnahme der Videoarbeit *Corpus Callosum) allesamt in den ursprünglichen 16mm-Filmkopien präsentiert werden. Eine seltene Gelegenheit, das Werk von Snow im Kino zu erleben, das in seiner radikalen Durchmessung von Bildern und Räumen wohl wie kaum ein anderes erst dort wirklich erfahrbar ist. Eine Woche später präsentiert die Retrospektive der NIPPON CONNECTION im Frankfurter Filmmuseum von Freitag 30.5. bis Sonntag 1.6. kompakt in drei Tagen unter dem Titel The Wild Child Of The Sixties eine Auswahl aus dem Werk des hierzulande fast gänzlich unbekannten japanischen Regisseurs Kō Nakahira. Zu sehen sind neun Werke aus den 1950er und 60er Jahren, allesamt in 35mm und in OmeU – höchstwahrscheinlich in neu gezogenen Kopien aus Japan, einem der wenigen verbliebenen Länder, wo der leider längst verzerrend von den Marketing-Abteilungen okkupierte Begriff „Restaurierung“ noch beim Wort genommen wird und man sich nicht zu schade ist, die Filme auch wirklich im ursprünglichen Format und Medium wiederherzustellen (während dieser Tage aus Cannes von der hochgradig überflüssigen Classics-Sektion, die dort längst eine ernstzunehmende Retrospektive ersetzt hat, die triste Meldung zu vernehmen ist: „For the first time no 35mm print will be screened at Cannes Classics with regret for some or with celebration for others“).
Aus den Veranstaltungsankündigungen: Weiterlesen…
Als ich vor ein paar Monaten durch meine örtliche Bücherei flanierte, gelangte ein neues Filmbuch von Taschen in mein forschendes Blickfeld. Gewöhnlich mache ich aufgrund vergangener negativer Eindrücke eher einen weiten Bogen um filmbezogene Bücher dieses Verlagshauses, oder begnüge mich bei zufälligen Begegnungen mit einem kurzen Durchblättern der reich bebilderten Bände, wobei mich meist das übliche Bedauern befällt, dass der Kunstform Film in diesem Fall passend zum qualitativ hochwertigem Bilderreichtum nicht auch gehaltvolle Texte zur Seite gestellt werden. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, und nachdem ich die erten Zeilen des Einführungstextes gelesen hatte, landete der Band auch schon in meinem kurzzeitigen Besitz.
Bis vor kurzem hat die westliche Welt das japanische Filmschaffen nur durch ein Prisma betrachtet. Über Jahre mussten sich westliche, am japanischen Film interessierte Cineasten mit den gesammelten Werken Akira Kurosawas, einer rudimentären Filmauswahl der Regisseure Kenji Mizoguchi und Yasujiro Ozu sowie Unmengen von anime-Zeichentrickfilmen und schlecht synchronisierten Monsterfilmen begnügen. Viele bedeutende Filmemacher wurden im Westen völlig ignoriert, und ganze Genres blieben unentdeckt.
Die vierseitige Einleitung sorgte bei mir dann zunächst auch für reges Lesevergnügen. Kurzweilig und informativ wird hierbei der Bogen von den Anfangsjahren des japanischen Stummfilms zur Situation der 40er Jahre gespannt. Was sich jedoch anfangs hoffnungsvoll anließ, sollte sich im Laufe des Buches als sehr gemischte Angelegenheit erweisen.
Das Buch ist in Zehn Kapitel unterteilt. Der Einleitung folgt das erste Kapitel „Japan über Japan“, in dem das Selbstbild der Japaner untersucht wird, und sich der Hauptaugenmerk auf humanistische Themen, und Filme über den zweiten Weltkrieg legt. Das zweite Kapitel behandelt nach eigenen Angaben „Bedeutende Filmemacher der 1950er- und 1960er-Jahre“, in dem zunächst interessanterweise u.a. Regiearbeiten von So Yamamura, Shin Saburi und Kinuyo Tanaka besprochen werden. Dem als „Komödien, Musicals & Liebesgeschichten“ betitelten dritten Kapitel, das sich vor allem um beliebte japanische Filmkomiker dreht, folgt im vierten Teil „Taiyozoku & Nouvelle Vague“ eine etwas eingehendere Betrachtung der Werke von Oshima, Shinoda, Masumura, Hani und Imamura. Kapitel 5 ist eine liebevolle Betrachtung der relativ übersichtlichen Anzahl von Godzillafilmen und ihrer Ausläufer und ein Aufruf zu neuer Wertschätzung Ishiro Hondas, während Kapitel 6 die schwer zu bewältigende Aufgabe in Angriff nimmt auf vier Seiten vom Yakuzagenre ausgehende Betrachtungen zum japanischen Gangster- und Kriminalfilm anzustellen. Das siebte Kapitel hat ähnliche Schwierigkeiten über das Samuraithema den jidai-geki Film zu fassen zu bekommen, wobei es hierbei jedoch ähnlich dem Kapitel über Monsterfilme von Vorteil ist, dass der Autor zumindest teilweise seine Sachkenntnis mit persönlicher Begeisterung für das Thema zu verbinden weiß. Darauf folgt im achten Teil eine kurzweilige Einführung in das Gebiet des „Anime“, woraufhin die letzten beiden Kapitel unter den Titeln „Adaptation“ und „Die zweite Nouvelle Vague“ das japanische Kino nach dem (zeitweiligen) Zusammenbruch des Studiosystems Anfang der 70er Jahre in den Griff zu bekommen versuchen. Hierbei stehen jedoch etwas hilflos eine Auseinandersetzung mit den Filmen Juzo Itamis neben der Betrachtung der populären Tora-san-Reihe, und der sogenannten neuen Nouvelle Vague um Miike, Tsukamoto, Kitano und Iwai werden erfolgreiche Alterswerke etablierter Regisseure zur Seite gestellt. Für den J-Horror werden zwar nebenbei auch noch ein paar Worte verloren, aber insgesamt scheint dem Autor gegen Ende ziemlich die Puste ausgegangen zu sein. Das Desinteresse mit dem das „neuere“ japanische Filmschaffen abgestraft worden ist, zeigt sich für mich u.a. auch darin, dass für den Leser das aktuelle Erscheinungsdatum von 2009 nur im Kleingedruckten ersichtlich wird – zumindest die abschließenden 2 Kapitel hätten in leicht variierter Form auch 1999 die Druckwerkstätten dieser Welt verlassen können. Abschließend folgen noch eine knappe Chronologie, eine wirre und sinnfreie Filmographie (bestehend aus 9 Filmen…), und eine äußerst nützliche, selektive aber immer noch genügend umfangreiche Bibliographie, inklusive Verweisen zu einschlägigen Websites.
Im Großen und Ganzen dominieren die jeweils bekannten und anerkannten Filme und Regisseure die verschiedenen Kapitel, und Liebhaber von Animes, Samuraifilmen oder der sogenannten japanischen Nouvelle Vague der 60er und 70er Jahre, werden mit Sicherheit keine neuen Ansichten zu ihren bevorzugten Interessensgebieten erhalten. Dies scheint mir jedoch auch nicht Sinn und Konzept dieser Veröffentlichung zu sein. Vielmehr geht es um Einblicke in die Vielfalt und den Reichtum des japanischen Kinos im Allgemeinen, was sich vor allem an Personen richtet, die bisher noch keinen oder nur einen beschränkten Zugang zum japanischen Film zu finden imstande gewesen sind. Daraus erklärt sich für mich auch die offenscheinige Herangehesnweise aus 2 sich dem Anschein nach widersprechenden Blickwinkeln. Einerseits dem historischen Ansatz, welcher, in Verbindung zu anerkannten Filmemachern wie Kurosawa und Ozu einer eher akademisch etablierten, übergreifenden Narrativik folgend, eine Entwicklungslinie der japanischen Filmgeschichte von ihren Anfängen bis zur Gegenwart zu ziehen versucht ist. Andererseits dem in diesem Band quantitativ überwiegenden Zugang über Genres und Tendenzen der Filmindustrie, der Faktenreichtum mit einer cinefilen Begeisterung für Einzelaspekte japanischer Filmkultur zu mischen versteht. Im Klischee gesprochen, gilt es also dem Liebhaber des „anspruchsvollen“ japanischen Films mit seiner Präferenz von einem halben Dutzend anerkannten „Meistern“ im gleichen Zuge wie dem Horror- Anime- oder Monsterfilm Aficionado den Blick auf unaufdringliche und verständliche Art zu erweitern, und dadurch ein wirkliches Interesse auf japanisches Kino zu erwecken. Ein löbliches Unterfangen, das durch die Auswahl zahlreicher großformatiger Standbilder und Szenenfotos begünstigt wird.
Die Stärken des Bandes liegen für mich also in der Ausweitung des üblichen Diskussionsfeldes einführender westlicher Filmliteratur zu japanischem Kino: der Erwähnung und teilweisen (immer noch sehr beschränkten, aber im Kontext des Buches als ausführlicher zu bezeichnenden) Beschäftigung mit hierzulande eher vernachlässigten Schauspielern und Filmemachern (um einige Regisseure zu nennen: Kiriro Urayama, Kihachi Okamoto, Nobuo Nakagawa, Hiroshi Inagaki, So Yamamura, Tadashi Imai, Tai Kato und Teruo Ishii) dem ernstgemeinten Interesse an Industrieproduktionen aus dem Genrebereich z.B. der Komödie und des Monsterfilms, und der im Textfluss gleichberechtigten Erwähnung und Beachtung von scheinbar unbedeutenden und uninteressanten Anekdoten und Bereichen (für mich am Interessantesten die Tatsache dass zu Hochzeiten des japanischen Filmbooms in den 50er Jahren Schauspieler eigene im Ausland völlig unbeachtete Regiekarrieren starteten). Außerdem empfand ich es als positiv, dass die Bilder und ihre Beschreibungen nicht nur den Schwerpunkten des Textes und etablierten Gesetzmäßigkeiten der „Bebilderung“ folgen, sondern teilweise eigene Wege beschreiten.
Problematisch wird es beim vorliegenden Band hingegen beim Suchen eines roten Fadens sowie der Beanstandung dass Ausführlichkeit und Genauigkeit oft fehlen. Die Beschreibung spezifischer Strömungen und Genres geht nie wirklich über Allgemeinplätze hinaus und die Auswahl der besprochenen Teilgebiete erscheint willkürlich. Wieso finden Stummfilme und die 30er und 40er Jahre so wenig Beachtung? Warum gibt es überhaupt keine Beschäftigung mit Bereichen des erotischen Kinos? Und kann es wirklich sein, dass der Autor in einem Buch der gewollten Akzentverschiebungen und Blicke über den Tellerrand hinaus, nicht nur keine Skrupel zu haben scheint manche Filmemacher und Werke wie im Vorbeigehen als substanzlos einzuschätzen, sondern auch die japanische Filmproduktion der letzten 30 Jahre(!) als minderwertig zu betrachten? Auch wenn es im heutigen Zeitalter der Geschichtsamnesie ehrenhaft erscheint, den Fokus vor allem auf ältere Filme zu legen, sollte dies nicht aus Ignoranz gegenüber dem gegenwärtigen Filmschaffen geschehen.
Zu bedauern ist nach dem Lesen des Bandes auf den ersten Blick die Tatsache, dass für die einzelnen Kapitel nicht auch unterschiedliche Autoren beauftragt worden sind. Innerhalb des essayistischen Ansatzes (jedes Kapitel besitzt nur ca. 4 Seiten reinen Text) hätte dadurch möglicherweise die schwankende inhaltliche und stilistische Qualität ausgeglichen werden können. Die Schuld, dass das Buch zerfahren und unfertig wirkt, und mich die Lektüre trotz zahlreicher Informationen am Ende unbefriedigt zurückgelassen hat, liegt aber wohl am Herausgeber, bzw. der Politik des Taschen Verlags. Das augenscheinlichste Problem sind zunächst Schwierigkeiten mit der Zuordnung, Übersetzung und der Orthographie. Wenn beispielsweise die Bilder der Umschlagvorder- und rückseite falsch beschriftet sind, in einem Kapitel der Nachname von Yasuzo Masumura ständig falsch geschrieben wird (Masamura), und die deutschen Filmtitel uneindeutig zwischen dem Versuch der akkuraten Neuübersetzung („Auf ein neues, reflorierte Jungfrau!) und der übernahme deutscher Verleihtitel („Japango“) schwanken, bekommt man bei der Vielzahl dieser normalerweise vernachlässigenswerten Pannen, eher das Gefühl ein hastig zusammengestelltes Liebhaberprojekt, als ein sorgfältig redigiertes Coffe Table Book aus einem angesehenen Verlag in den Händen zu halten. Dabei drängt sich dann zusätzlich der Verdacht auf, dass der Umfang des Textes ursprünglich wesentlich größer gewesen sein muss (er liest sich zuweilen als von unterschiedlichen Autoren geschrieben oder bearbeitet), der Verlag jedoch bei der inhaltlichen sowie graphischen (Um)strukturierung und -gestaltung des Bandes Sorgfalt und Engagement vermissen ließ.
Eine definitive Einführung ins japanische Kino oder ein gut geschriebenes Buch über das Thema der westlichen Blindheit gegenüber fremder Vielfalt ist dieser Band also nicht geworden. Dennoch würde ich jedem am Japankino interessierten Filmfan raten bei Gelegenheit einen Blick hineinzuwerfen, und sich in der Stadtbücherei oder bei der Schnäpchenjagd nach reduzierten Filmbüchern vom Cover verführen zu lassen. Es gibt schließlich vieles zu entdecken – und um die ganze Sache noch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten: Wenn eine äquivalente Veröffentlichung zu Slovenian, Belgian, Georgian oder Bolivian Cinema vorliegen würde, wäre sie mit Sicherheit als eine der besten des Jahres zu betrachten.
Stuart Galbraith IV. / Paul Duncan (Hg.): Japanese Cinema.
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Egbert Baqué.
TASCHEN Verlag, Köln, 2009.
1. Auflage.
August 6, 2010 | Veröffentlicht in
Ältere Texte,
Blog,
Filmbücher,
Sano…und „Akumyo: shima arashi“ (1974) im Speziellen.
Die sich schleichend entwickelnde Tragödie des wandernden Hahnenkämpfers Asakichi, der völlig ohne Absichten durch seine Liebe zu der Geisha Kotoito in den Machtkreis der Yakuza gerät, beschreibt Yasuzo Masumura über weite Strecken nüchtern ohne die expressive Schwerblütigkeit seiner frühen Melodramen. Die Welt, von der Asakichi und der sich ihm anfangs noch enthusiastisch anschließende junge Ex-Yakuza Sada absorbiert werden, wird von starren männlichen Verhaltenskodizes beherrscht, von ehrenhaften Selbstopfern und einem undurchdringlichen Zyklus formell-traditioneller Gesten, deren Macht Asakichi widerstandslos die unerwünschte Position als Yakuza-Hauptmann akzeptieren lassen und an der die Frauen um ihn und Sada zugrunde gehen, da sie nicht in der Lage sind, sich diesem ewigen Spiel aus Abhängigkeiten und maskulinen Ritualen weit genug anzupassen, in dem die Kette fallender Dominosteine nie zuende geht. Gewaltsam zu Ende gebracht wird sie schließlich, wie so oft bei Masumura, durch die mit japanischer Konsequenz und Determiniertheit ohne Selbstzweifel gewählte letzte Option des Suizids, der hier, anders als in seinen Melodramen, nicht einmal mehr aktiv verübt wird. Das System, welchem sich Asakichi und Sada unterworfen haben, will sie vernichten – und vernichten lassen sich beide willenlos, Sada von den Yakuza und Asakichi von einer Gesellschaft, deren Werte sich so eindeutig in ihrer Unterwelt widerspiegeln, dass für ihn keine Hoffnung mehr besteht, den Rest an Liebe, der ihm geblieben ist, in das befreiende Ideal zurückzuverwandeln, als das er ihm, dem von seiner Familie vor Jahren Geächteten, zu Beginn des Films stillschweigend und ohne Erwartungen erschienen ist. Masumuras Figuren sehnen sich bis zur völligen Selbstaufgabe danach zu leben, doch sie schreien erst dann mit einer alles verzehrenden Verzweiflung danach, steigern sich erst dann in den ihnen zustehenden emotionalen und sinnlichen Exzess, wenn sie sich in einem rituellen Todeskampf noch einmal ekstatisch aufbäumen. Das hat dieser, in seinen intimen Momenten mit observierender Distanz und in seinen zahlreichen Kampfszenen betont physisch, trocken brutal aber auch bewusst undynamisch inszenierte, stählerne Film mit den düsteren, erdrückenden und leidenschaftlichen Melodramen gemein, die Masumura in den 60iger Jahren mit seiner Muse Ayako Wakao in der Hauptrolle drehte. Ein Gangster-Film, der keiner ist, weil die Gangster zwar zentrales Motiv sind, allerdings ihrer verqueren Moral enteignet werden. Vielleicht hätte sich Francis Ford Coppola mit seinem THE GODFATHER PART II unangenehm berührt gefühlt, wenn er diesen Film gesehen hätte. Ihm wäre dann vielleicht bewusst geworden, dass man die Hölle eines Systems nur dann wirklich als solche in Szene setzen kann, wenn man sie selbst mit voller Intensität fühlt.
Es hat auf mich langsam den Anschein, als würde im kommerziellen japanischen Kino (respektive Mainstream) wesentlich unmittelbarer auf die Enge und die Kompromisslosigkeit, die emotionale wie sexuelle Repression und perfide Konsequenz des eigenen Kulturkreises reagiert als im Amerikanischen, wo eine konkrete Reaktion oft erst mit einer Distanz in der Perspektive einhergeht – zumindest ist das ein Gedanke, der mir bei meinen jüngsten Begnungen mit den Filmen Yasujiro Ozus (den ich nicht sonderlich schätze, obwohl er das Übel mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versucht), Nagisa Oshimas (bei dem der intellektuelle Verarbeitungsprozess sofort auf den Impuls folgt) und eben Masumuras gekommen ist. Masumura allerdings lässt den Impuls einfach schwingen, solange, bis aus den kleinen Wellen eine schaumgekrönte, wogende Wasserwand erwachsen ist, die tosend in sich zusammenfällt und den Versuch des Begreifens ertränkt. Masumuras Filme erlangen Transzendenz durch Exzess. Das teilen sie mit anderen aggressiv existenzialistischen Regisseuren wie Andrzej Zulawski, Douglas Sirk oder Paul Verhoeven, die zu meinen engsten Lieblingsregisseuren gehören, deren Kreis Yasuzo Masumura nun, nach nur sechs Filmen, mit AKUMYO: SHIMA ARASHI offiziell beigetreten ist. Seit langem hat mich kein Filmemacher mehr so nachhaltend und umfassend inspiriert, stimuliert, berührt und vor allem zutiefst verstört. Diese Filme sind ein Geschenk, für das man sich nicht oft genug bedanken kann. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, mehr und schlüssiger über sie zu schreiben. Doch Filme wie diese kann zumindest ich unmöglich adäquat in Worte fassen. Man muss sie in erster Linie spüren.
5 Masumura-Filme, 5 neue Lieblingsfilme: MANJI – DIE LIEBENDEN* (1964), SEISAKU’S WIFE ** (1965), RED ANGEL* (1966) , DIE BLINDE BESTIE * (1969) , AKUMYO: NOTORIOUS DRAGON (1974)
* Auf DVD in England von Yume Pictures und den USA von Fantoma erhältlich. In Deutschland sind bei Rapid Eye Movies „Die blinde Bestie“ und „Irezumi“ (1966) erschienen.
** In Frankreich auf DVD erhältlich von Ciné Malta, leider nur mit französischen Untertiteln und in mäßiger Bildqualität.
Anmerkung: Offenbar handelt es sich bei AKUMYO: SHIMA ARASHI um den letzten Teil einer ganzen Serie von Filmen um den von Shintaro „Zatoichi“ Katsu gespielten Hahnenkämpfer Asakichi. Davon habe zumindest ich beim Ansehen nichts bemerkt; der Film wirkt in sich abgeschlossen, auch wenn Kenner der übrigen Filme den Protagonisten vielleicht weniger enigmatisch empfinden dürften als ich.
Abschließend noch ein Zitat von Masumura, auf dass ich in der IMDb gestoßen bin:
„My goal is to create an exaggerated depiction featuring only the ideas and passions of living human beings. In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist. The theme of Japanese film is the emotions of the Japanese people, who have no choice but to live according to the norms of that society . . . After experiencing Europe for two years *, I wanted to portray the type of beautifully vital, strong people I came to know there.”
* Masumura studierte Anfang der 50iger Jahre Film am “Centro Sperimentale Cinematografico“ in Rom.
Links:
http://www.chicagoreader.com/chicago/tales-of-ordinary-madness/Content?oid=896201
http://somedirtylaundry.blogspot.com/search/label/Masumura
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0401/feuilleton/0036/index.html
http://www.independentcinemaoffice.org.uk/masumura.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Yasuzo_Masumura
http://www.dvd-forum.at/5/special.htm
Und als negatives Fundstück ein in meinen Augen zumindest äußerlich (es handelt sich allerdings nur um einen Hinweis auf eine Masumura-Reihe im Arsenal-Kino Berlin) ausgesprochen engstirniger Kurztext, der eindimensional am Geist von Masumuras Werk vorbeischreibt, da er nicht der durchaus fließenden Entwicklung des Regisseurs nachspürt sondern sein Schaffen in handelsübliche Kategorien handelsüblichen Kritiker-Jargons einbettet und ihm im Vergleich mit Nagisa Oshima (der selbst zu Masumuras Anhängern zählte) auch flugs noch unterstellt, weniger radikal gewesen zu sein:
http://www.critic.de/aktuelles/kalendarium/detail/artikel/filme-von-yasuzo-masumura-im-kino-arsenal-1900.html