100 Deutsche Lieblingsfilme #15: Der Engel mit dem Saitenspiel (1944)

„Sie sind zurückhaltend und dabei fühlt man sich beständig herausgefordert. Ihre Ruhe ist eine Art komplizierter Nervosität. Wenn sie hilflos sind besitzen sie dafür eine tödliche Sicherheit. Wenn sie bekümmert sind machen sie das mit einem heiteren Lächeln. Wenn sie sich freuen hat man das Gefühl sie sind im Grunde traurig. Kurz und gut: sie widersprechen eigentlich ständig auf eine bezaubernde Weise ihrer eigenen Existenz.“

Vielleicht sieht man den Schauspieler Heinz Rühmann am Besten als Regisseur. Dass er sich selbst zu inszenieren wusste, wird in jedem Film in dem er Auftritt klar. Wie er das macht, und was er damit ausdrücken möchte, sieht man jedoch deutlicher wenn er als Filmemacher auftritt. In Der Engel mit dem Saitenspiel führt er die Schauspieler durch ein Melodram das keines ist. Komödiantisch fängt es an, wobei es zunächst eigentlich nichts zu lachen gäbe. Dramatisch geht es weiter, und am unangenehmsten wird der Film als sich eigentlich schon alles aufgeklärt zu haben scheint. Innerhalb eines vor allem in den Nebenrollen brillanten Darstellerensembles (mit u.a. Erich Ponto und Lina Carstens) liegt der Fokus auf der Beziehung zwischen 2 Figuren, gespielt von Hans Söhnker und Rühmanns Ehefrau Hertha Feiler. Wenn sie ein Kind von ihm bekommt und er es erfährt, kriegen wir es nie zu Gesicht, spielt es selbst keine Rolle. Der Engel mit dem Saitenspiel versucht schon beinahe penetrant dem Sentimentalen aus dem Weg zu gehen, und alles Überflüssige aus der Inszenierung zu verbannen.

Während der Kriegszeit entstanden, spürt man das Unglück und die Verzweiflung im Verlauf des Films immer stärker, obwohl Rühmann die Handlung zunächst ins Jahr 1938 verlegt und auch später der Krieg nicht vorkommen wird. Keine Nazisymbole, keine Naziideologie. Vielmehr wird ein idealistisches Menschenbild gezeichnet, in dem die Protagonisten ihre Egoismen und Unsicherheiten überwinden müssen um glücklich zu werden. Jedoch ist es ein spezifischer Idealismus, denn wie im Märchen ist des einen Glück des anderen Pech, und das glückliche Ende eine unnötige Coda, eine nachträgliche Beruhigung, dass alles Schlimme einmal ein Ende hat. Rühmann zeigt die Menschen nicht nur wie er sie gerne hätte, sondern auch wie er sie sieht. Seine größte Stärke neben der präzisen Inszenierung von Worten und Räumen ist hierbei die Beobachtung. Oberflächlich opulent und innerlich reduziert besteht die eigentliche Stärke in der Widersprüchlichkeit von Allem das uns gezeigt wird. Nichts ist so wie es scheint: das Innere der Menschen kann man nur erspüren, und dennoch versucht Rühmann dem Zuschauer alles offen zu legen.

In einer der Schlüsselszenen des Films, sehen wir alle wichtigen Personen auf einer Verlobungsfeier versammelt. Sie lachen, sind scheinbar vergnügt, doch wie in den intimsten Augenblicken bei Yasujiro Ozu beherrscht Bitterkeit und Verzweiflung diesen Moment. Im Gegensatz zur Innerlichkeit und der Akzeptanz des Schickslas bei Ozu treibt Rühmann den Widerspruch zwischen Innen und Außen jedoch ins Absurde, um ihn in einer musikalischen Sequenz, die die Narration auf den ersten Blick unterbricht, ins Leere laufen zu lassen. Zwänge, Wünsche, Entschlüsse und Widersprüche sind von den Figuren erschaffen, die Bewegung verläuft bei Rühmann von Innen nach Außen. Erkenntnis folgt dadurch nicht aus Einsicht in die Welt, und ist nicht Akzeptanz. Erkenntnis ist Kampf, entsteht aus innerer Einsicht und basiert auf Entscheidungen. Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann nichts außer dem Menschen.

Der Engel mit dem Saitenspiel – Deutschland 1944 – 101 Minuten – Regie: Heinz Rühmann – Drehbuch: Curt Johannes Braun, Helmut Weiss – Produktion: Heinz Rühmann – Kamera: Ewald Daub – Musik: Werner Bochmann – Schnitt: Helmuth Schönnenbeck – Darsteller: Hertha Feiler, Hans Söhnker, Susanne von Almassy, Otto Graf, Hans Nielsen, Lina Carstens, Erich Ponto, Emil Hess, Paul Rehkopf