Immer nur dabei gewesen – Roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten (2022)

    Roger Fritz, fotografiert von Herbert List

    Um meine Gedanken nicht zu verraten, nehme ich sofort die Kamera in die Hand.
    Wenn ich den Apparat vor das Auge halte, ist er wie ein Schutzschild.

Immer nur dabei gewesen – diesen Eindruck kann man rasch gewinnen, liest man allzu oberflächlich durch den „Boulevard der Eitelkeiten“ quer, der einige Monate nach seinem Tod im einmal mehr coronabedingt vom regen Treiben menschlicher Geselligkeit bereinigten Spätherbst 2021 das Vermächtnis des Fotografen, Filmemachers, Gastronomen, an erster Stelle jedoch immer Lebemannes Roger Fritz darstellt. Unwissend wohl auch im Spätherbst des Lebens begonnen, jedoch erst unter dem Eindruck des eigenen Todes erschienen und von anderen weiter redigiert, beschreitet es einen dem plötzlichen Gefühlsumschlag zugetanen Pfad zwischen Feier des Lebens und Andacht. Vorrangig beiläufige Anekdoten, flüchtige Begegnungen von anhaltendem Eindruck verdichtet Roger Fritz – alle Fallstricke selbstgefälliger Memoiren umschiffend – zu einem plastischen Eindruck von seiner langen Zeit ganz nah am Zentrum der Aufmerksamkeit. Die saftigen Geheimnisse des Promijournalismus hiergegen nimmt er weise mit ins Grab. Sie wären fehl am Platze, denn er, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alles gesehen hat, erdet die kommentierte Führung durch 79 Berühmtheiten und eine große Liebe seiner Lebensjahre durch den untrüglichen Blick für das Besondere im Alltäglichen. Wie immer es auch ausfallen mag. Da kennt er nichts. Weiterlesen…

Die Autonomie der Bilder in Dietrich Schuberts „Köln 5 Uhr 30 / 13 Uhr 30 / 21 Uhr 30“ (2013)

Die bislang letzte Regiearbeit des Eifler Dokumentarästheten Dietrich Schubert erreichte 2013 in einer Zeit die Leinwände, die schon zu den Ausläufern der zunehmenden sinnlichen Vereinheitlichung des Dokumentarfilmes und nahezu völligen Einstellung breitenwirksamen Dokumentarkinos aus deutscher Produktion gehörte. Was einmal die dem Experimentalfilm, seinem speziellen, vermehrt strukturell geprägten Fluss, der Form um Sub- wie Objekte, womöglich am nächsten stehende Art des Bewegtbildes war und damit Filmschaffende anzog, die wie Schubert vielfältig expressiv zwischen Experiment, Dokument sowie dem gelegentlichen Spielfilm zu wechseln vermochten, wurde Spielwiese spezifisch an einer funktionalen (Fernseh-)Ästhetik ausgebildeten Nachwuchses, dessen höchste redaktionelle Aufgabe die Thematik allein ist. Die Bildebene an und für sich wird zum Sklaven des Konzeptes, nicht seinem vielstimmig kündenden, die Gedanken weiter auffächernden Botschafter; die Zuschauenden zu weitestgehend Unmündigen, denen die Einordnung eines stilistischen Überhanges über dem kleinsten ausgeschriebenen Nenner zumeist nicht obliegt. Weiterlesen…