Rom – das wissen nur die Eingeweihten oder vor Ort Gewesenen, ausformuliert wird dieser Raumbezug nie, denn dimmer, immer dimmer wird der filmische Blick bereits lange bevor ein vom sie stalkenden Serienmörder provozierter Verkehrsunfall Dario Argentos jüngster Filmheldin, dem Edelescort Diana (Ilenia Pastorelli), das Augenlicht raubt. Mit der Aufblende auf diese Stadt, eine Stadt, eröffnet „Occhiali neri“ noch, dann entkoppelt sich das Kameraauge sogleich und reckt den Hals empor ins Grüne, in die Wipfel über den Straßen. Erhobenen Hauptes folgt sie Dianas Weg zu einem Klienten; ortlos, ätherisch, wieder und wieder entlang Baumkronen abbiegend. Kein Auge für den Verkehr. Bald bilden sich disparat ablaufende Alleen um einen Split in der Bildmitte, ein Kaleidoskop entgegengesetzter Richtungen. Prinzipiell doch geradeaus, aber eigentlich rechts, links, zur Mitte, an den Rand. Eine eigentümliche Entörtlichung, für die sein Name so gar nicht steht. Das Vergangene, kartografisches Bindeglied so zahlreicher mal verfallener, mal von bösen Geistern über ihren irdischen Verfall hinfort belebter Prunkbauten im Werk Dario Argentos ab „Profondo rosso“ (1975), existiert hier nicht mehr. Zu Gunsten einer Gegenwart, die immerwährende Dunkelheit verheißt. Weiterlesen…
Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.(Georg Heym – Die Stadt)
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Diese Straße, dieses Haus
Ist wie die gute alte Freundin
Die dich vor langer Zeit verließ
Jetzt hier zu sein, entlang zu gehen
Gefilmt wie aus einem Auto, das nicht hält
Tut weh – so weh
Tut weh – so weh(Mutter – Böckhstr. 26)
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Besser spät als nie der Hinweis auf die zweite Ausgabe von „Terza Visione“ kommendes Wochenende in Nürnberg. Von Klassikern der Genre-Ikonen wie Mario Bava, Dario Argento oder Lucio Fulci bis hin zu Raritäten von selten gewürdigten Regisseuren wie Domenico Paolella, Leopoldo Savona oder Ugo Liberatore wird erneut mit einem Dutzend Filmen auf 35mm ein Streifzug durch das italienische Genrekino der 1960er bis 80er unternommen – diesmal neben deutschen Archivschätzen zudem mit drei Filmkopien in italienischer Originalsprache mit Untertiteln. Noch sind trotz gestiegener Nachfrage ein paar Dauerkarten verfügbar. Alle Infos zur Reservierung und dem Programm gibt es auf den Webseiten des KommKinos und des Filmhauskinos sowie bei der Facebook-Veranstaltung zum Festival.
Als ich Tenebre dank eines guten Freundes zum ersten Mal als DVD-Beam auf der Kinoleinwand bewundern durfte, war das erst mein dritter oder vierter Film von Dario Argento, einem der Schutzheiligen des italienischen Genrefilms. Mein erster Argentofilm war bereits Jahre zuvor seine von Produzentenseite völlig zerstückelte Neuinterpretation des Phantom der Oper-Stoffes Il fantasma dell’opera (1998) gewesen, der zum damaligen Zeitpunkt unter Filmfans als schlechtester Argentofilm überhaupt galt (eine Einschätzung die sich inzwischen leider stark gewandelt hat). Ich liebte den Film. Ich erinnere mich noch wie mein Staunen sich zur Überzeugung formte, hier etwas völlig Neuartiges zu erblicken. „So hätten Filme im 19. Jahrhundert ausgesehen“ war in etwa mein Gedanke, wobei mich wohl vor allem die schwebende Kamera in ihren Bann zog. So genau weiß ich das leider nicht mehr (damals war ich wesentlich Filminteressierter als heute, und machte mir bei der Sichtung auch entsprechend mehr Gedanken), aber ich erinnere mich noch genau an das Gefühl einem Regisseur begegnet zu sein, der eine einzigartige Vision vom Kino hat. Wie zunächst Tarkowskij, Chaplin oder Kubrick, oder inzwischen auch Zulawski und Borowczyk, ist Argento für mich einer jener Filmemacher die dem Kino seine Möglichkeiten vor Augen führen, das Unergründliche zum Vorschein bringen, ohne dass es dadurch wirklich greifbarer werden würde. Die Tatsache, dass der Filmemacher die Welt mit der Kamera erschafft, durch den Sucher blickend, dass Film BILD ist, aber eben beweglich, sich verflüchtigend, paradox wie das Leben selbst, exemplifiziert sich für mich in der Welt dieser Voyeure, denn nichts anderes sind die meisten der größten Filmemacher für mich, jeweils auf ihre eigene Art. Der Blick des Voyeurs fetischisiert das Objekt, und durch die Kameralinse wird die Welt immer Fetisch, egal ob bei Bergman oder Spielberg. Das Wissen wollen, der Drang nach Erkenntnis, zeigt sich bei Argento im Beharren auf dem Blick, dem Blick in all seiner sinnlichen und intellektuellen, seiner umfassenden Form. Der Blick ins Unbekannte durchdringt die Gegenstände ohne dass er sie definiert. Erfahrung als Moment, als etwas das nur erlebbar, nicht begreifbar ist. Die Intensität speist sich hierbei aus der Phantasie. Denn wie der Fetisch selbst nur im Kopf des Betrachters zu sich selbst kommt, öffnen sich die Filme Argentos nur dem beharrenden Auge. Eine wiederholte Sichtung ist daher immer eine Steigerung der Wahrnehmung, der Komplexität, der Vielfalt des Blicks, wobei der Blick hierbei nicht nur das Auge als Organ, sondern das Auge als Körper meint. Weiterlesen…