Die Schwarte des Architekten (1987)
Die Kamera starrt geradeaus in die Räume, durch die Türen, die Fenster mit ihren wehenden Vorhängen. Wenn ein Bild ohne Achse, ohne Zentrum bleibt, wenn die Perspektive ihre Balance verliert, werden wir immer mit höflicher Determiniertheit und britischer Pedanterie auf die Limitationen der Kadrierung – das ist hier das Zauberwort per se – hingewiesen. Filmische Architektur mit Ecken und Kanten etwa? Filmische Perfektion, in der sich architektonische Perfektion spiegeln soll, ein kongeniales Konzept? Oder vielleicht Architektur an sich als Gewaltakt wider die Anarchie der Natur, dessen Rezeption an den Rubensschen Wölbungen von Brian Dennehys Korpus versagt?
Stourley Kracklite, unser tragischer, aber tragikkomisch modellierter, ja zurecht- und zerkneteter Held, unser museal geneigtes Konglomerat aus einem Don Quijote liberaler Dekadenz und einem verfallenden Götterbild (Zeus), lässt seinen pittoresken amerikanischen Speck in der barocken römischen Badewanne wogen. Wir sehen ihn aber nicht wogen, weil die Kamera geradeaus über den Badewannenrand starrt und Kracklites Stiernacken, die Marmorwanne und die Marmorfliesen zu einer Ebene verschmelzen lässt. Aber immerhin: In der Totalen, die den Blick aus dem Schlafzimmer und von Kracklites Frau, der Kunstbanausin, ins Badezimmer freigibt, steht die Badezimmertür nicht ganz offen. Ein asymmetrisches Detail in einem pompös symmetrischen filmischen Gewaltakt, wie er nur vom Guckloch-Kleinkrämer, bzw. „Schaufensterdekorateur“ (Jean-Luc Godard) Greenaway kommen kann.
Eindrucksvoll ordentliche britische Erbsenzählerei trifft pervertierte italienische Romantik in einer abstrakten künstlerischen Trinker-Ehe, an deren Ende eine Scheidung mit vorgehaltener Zirkelspitze steht. Ein Film voll von Ehen und ohne Seitensprünge, die Teil des Bauplans sind. Sperma als Kaffeefleck auf den Repliken von Boullées Schöpfungen. Die Ehe zwischen Brian Dennehys Wampe und Lambert Wilsons tänzelnd-athletischer Kunst-Diabolik. Die Ehe zwischen römischen Bildungsbürgern und dem britischen Intellektuellen, der mit beiden Füßen in dem Perdeäpfel-Haufen vor seinem eigenen Cottage steht. Die obszöne Ehe zwischen Papier und Marmor. Die goldene Hochzeit von Straub / Huillet und Max Ophüls, dem Filmemacher als Totengräber im Krepppapier-Kostüm.
Sinnliche, geradezu erotische Verbindungen, soweit das Auge reicht. Architektur als Manifest sexueller Altersfrustration, Obelisken als tödliche Phalli und die üppigen Brunnen Roms als Galle-Fontänen. And, last but not least, der tote Architekt als vulgärer Fettfleck im seidig schillernden Treiben cäsarisch benaster Geschmacksbürger, der Ölfilm im Rotweinglas. Die Skulpturierung des Specks, die Geburt der bastardisierten Knochen.
Eine völlig herzzereißende Geschichte, die einen so sehr zum Schäumen bringt wie überreife Feigen. Da Vincis Abendmahl in der postmodernen Interpretation des selbsternannten Kinoerneuerers und Kunstdozenten Grünweitweg. Säuberlich didaktischer kompositorischer Schangel, der sich selbst genügt. Ohne Magenbeschwerden, aber mit Kater.
THE BELLY OF AN ARCHITECT – GB/Italien 1987. 115 Minuten.
Regie und Buch: Peter Greenaway – Produktion: Colin Callender, Walter Donohue – Kamera: Sacha Vierny – Schnitt: John Wilson – Musik: Wim Mertens
Darsteller: Brian Dennehy, Chloe Webb, Lambert Wilson, Stefania Casini, Sergio Fantoni, Vanni Corbellini
Bild © Film Four / Mondial