STB Robert 2025 I
„Und dieses Bild trug das quälend Eintönige an sich, das alle jene Eindrücke kennzeichnet, die tagtäglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung überschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Überraschung hervor.“ (Der Golem)
„Das Rationale (d.h. das vom Verstand Aufzulösende) ist fast immer das nicht Wesentliche und eigentlich ein Schleier, der die Gestalt verhüllt. Soweit aber eine Seele einen Leib braucht, – es ist ja gar nichts dagegen zu sagen – muß der Künstler seine Mittel zu Darstellung aus der rationalen Welt herausgreifen. Dort, wo er selbst noch nicht zur Klarheit, oder eigentlich zur Ganzheit durchdrungen, wird das Rationale das künstlerisch Unbewußte überwuchern.“ (Gustav Mahler)
„Mais le sombre indigo des nuits d’été
Est la caresse consolante à nos yeux dépités
… Lilas frais et mauves pervers
Rhododendrons où les phalènes vont se pâmer
… Orangés calmes des couchants d’automne
Orangés tristes des feuilles tombées
… Voici le bleu mystique des soirs.“
(Le Poème des couleurs)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 15 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (16 bis 60 Minuten) kennzeichnet.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II | 2023/I | 2023/II | 2024/I | 2024/II
Januar
Dienstag 14.01.
fantastisch –
Montag 13.01.
fantastisch –
Sonntag 12.01.
gut +
Sonnabend 11.01.
großartig +
fantastisch –
ok
Freitag 10.01.
gut –
Donnerstag 09.01.
nichtssagend
Ziemlich weit in den Film rein fragt Professor von Franz (Willem Dafoe) überschwänglich, wer irgendwelchen Alkohol, ich weiß nicht mehr welchen, haben möchte. Und ich wollte ganz dringend und genoss, dass mal jemand Spaß am und im Film hatte. Davor und danach nämlich: behäbiges Schreiten durch selbstbesoffenen Ernst, wodurch alles, was da an Pestilenz und sexueller Hysterie vorhanden ist, in einen hochtrabend designten Glassarg, in einen unerfreulichen Tod gezogen wird. Am Ende opferte sich Ellen (Lily-Rose Depp) und hielt Graf Orlok (Bill Skarsgård) wie so oft wie gehabt bei sich bis zum Sonnenaufgang im Bett auf, sie erträgt seinen entstellten, halbverwesten, breiigen, klumpigen Körper. Und ich fühlte erstmals richtig mit: Nur noch das Aushalten und dann ist es endlich vorbei.
Mittwoch 08.01.
großartig –
Der Stil eines warmen, flüchtigen Indiefilms, wie er vll. von Wayne Wang stammen könnte, wird trefflich emuliert. Der Film besteht aus flüchtigen Begegnungen. Oft sprechen sich unbekannte Leute auf der Straße und in Bars an. Sie erleben kleine besondere Momente miteinander. Nur minimal folgt es einer Dramaturgie, eher ist es ein Mosaik. Die Musik ist mit Jazz angehauter Pop. Doch in dieser zeitgemäßen Gefälligkeit steckt eine Figur, wie aus einem John Cassevetes-Film.
Sue (Anna Thomson) erträgt es nicht allein zu sein. Sie muss raus aus ihrem Apartment, auf der Suche nach flüchtigen Begegnungen, flüchtigen Gesprächen, flüchtigem Sex. Sie sucht einen Job, um ihre Mietschulden bezahlen zu können. Sie lügt über ihren Lebenslauf. Flüchtige bleiben aber auch die Begegnungen mit der Arbeitswelt. Sobald die Beziehungen aber so etwas wie Nähe entwickeln, kommt wieder der Fluchtinstinkt. Sue ist das Auge des eisigen Sturms ihrer Persönlichkeit, der sie umschließt, festsetzt, erodiert. Alles an ihr – vor allem die körperliche Präsenz Anna Thomsons, irgendwo zwischen Schönheit und Verbrauchtheit, Sicherheit und Auflösung – ist ungreifbar … und eignet sich deshalb nicht, um sie aus der Scheiße zu ziehen. Aus diesem Fiebertraum eines Feststeckens, der alles unternimmt, um wie ein laues Lüftchen zu wirken.
Faszinierend ist aber auch Matthew Powers, der als Ben wie der junge Bruder Mickey Rourkes wirkt. Wie die mildere, umgänglichere Version, aber kaum weniger explosiv.
Dienstag 07.01.
uff
Nach wenigen Minuten ist klar, wie der Hase läuft und dass der Film verhindern möchte, dass irgendwie Luft an das sofort verstandene kommt. Mehr dazu beim perlentaucher.
Montag 06.01.
gut –
Der große Bruder von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR – beide wurden back-to-back gedreht, wobei der hier mehr Budget abbekam, in Erwartung, dass ein Rod-Cameron-Film eher Erfolg haben würde –, der aber nur noch eine Fußnote in der Filmgeschichte ist. Und das Problem ist ziemlich einfach auszumachen: Horst Frank, der den schwarzgekleideten Billy Clayton spielt ist der viel interessantere Charakter als Rod Camerons Haupfigur, stirbt aber völlig unnütz nach einer Stunde. Ihm ist das Titellied gewidmet, er ist ein charismatischer Sadist, den sein tragisches Ende mit Feuer in seinen blauen Augen jagt. Er ist völlig in schwarz gekleidet, teilweise in Leder. Bei seinem ersten Auftritt ist sein blondes Haar unter seinen schwarzen Hut gestopft, damit er nicht zu hell erscheint, womit er aber auch etwas dümmlich aussieht – trotzdem scheint die Fetischfigur schon hier durch. Rod Cameron wirkt hingegen wie James Garner als netter, schon leicht verbrauchter Opa. Auch er trägt überwiegend schwarz. Nur ein weißes Hemd erhellt ihn etwas. Auch er entwickelt hier und da eine sadistische Ader und ist obsessiv in seiner Gangsterjagd – er bricht direkt von seiner Heirat in die Wüste auf. Er ist so kein Held in schimmernder Rüstung, kein onkliger Strahlemann, keine wirklich ambivalente Figur. Er ist alles ein wenig, aber vor allem ein alter Mann verloren in der Wüste. Und leider passt das auch als Beschreibung für den Film.
Sonntag 05.01.
gut
Mitte der Neunziger hatte ich den Eindruck, dass dies als Höhepunkt der Reihe galt. Als Rückkehr zur Form und Vollendung der Formel. Aus heutiger Sicht kommt mir das eher erträumt vor, als dass es diese Stimmen wirklich gab – außerhalb von Promotionsveranstaltungen in Fernsehen. Heute ist es vll. der schlüssige Abschluss des Konzepts – nach der leichten zeitlichen Verschiebung einer gleichartigen Lebenswelt folgte der Schritt in die Zukunft und nun eben viel weiter in die Vergangenheit. Dazu gibt es einige charmante Witze über die Unterschiede in der Wahrnehmung, darüber, was es heißt Clint Eastwood in einem Western zu heißen und wieder viele Spiele mit Dopplungen und Spiegelungen, die Unterschiede wie Gemeinsamkeiten betonen. Im Ganzen ist der Film aber deutlich weniger verspielt, inspiriert und schmierig als das Original. Als Studie über Fortsetzungen, wie das Gleiche nochmal aufbereiten, aber anders, ist es schon sehr schön, aber vor allem: ein netter Nachklapp.
Sonnabend 04.01.
gut +
Miss Marple (Margaret Rutherford) wird Teil einer Schauspieltruppe und ihr Fall und die Personen bieten reichlich Schmierentheater. Aber da es als Komödie angelegt ist, hätte ich doch gerne mehr, viel mehr Schmierentheater gehabt.
großartig –
Die Horrorvision eines Lehrers, der Leuten, die sich für nichts interessieren, von seinem Lieblingsthema erzählen darf/muss. Es frustriert ihn, logisch, und er wird zum Alkoholiker. Obendrauf hat er noch eine Krankheit, durch die er starken, fischigen Körpergeruch ausdünstet. Er ist Kafkas Käfer in moderner, er ist irgendwann in der Vergangenheit zum Brückentroll verwandelt aufgewacht. Dazu noch ein junger Mann, der weggeschoben wird, und deshalb gegen alles und jeden rebelliert. Beide finden einander und finden kurz Halt an sich. Und doch muss der Film analog gedrehte Wärme vortäuschen und Wärme aus Nostalgie gewinnen, weil sonst alles von Beginn weg erfroren wäre, so kalt ist es.
Freitag 03.01.
gut
Seine verqueren Visionen unserer Gegenwart, der damaligen Zukunft, wird mit jedem Jahr besser, aber auch Biff-Trump und all die Verdoppelungen stellen den ersten Teil problemlos in den Schatten, aber er verliert etwas an Schwung und Humor, wenn er sich in der Zeit hin und her bewegt. Wie bei jedem „normalen“ Menschen war dies früher mein Lieblingsteil, aber zunehmend ist schwer zu übersehen, wieviel trister er über die gesamte Laufzeit gesehen ist.
gut +
Sarah (Kate Winslet) ist als Mutter und Frau eines Mannes, der lieber im Arbeitszimmer mit Schlüpfer auf dem Kopf – im Internet von Erotik-Fotomodell Slutty Kay bestellt – masturbiert, frustriert. Brad (Patrick Wilson) kommt zeitgleich ganz gut damit klar, Hausmann zu sein. Nur würde er dazu lieber jugendliche Aufregung erleben und nicht mit einer Frau (Jennifer Connelly) zusammenleben, die von ihm verlangt erwachsen zu sein. Die beiden starten eine Affäre, bewegen sich zunehmend auf ein eskalierendes Melodrama zu, da sich die gerümpften Nasen in ihrem bürgerlichen Vorort in Stellung bringen, während sie selbst erkennen müssen, dass nur eine Flucht ihnen das geben kann, was sie wollen.
Und eigentlich ist alles daran super. Die langsame Herzverengung bei gleichzeitigem Erleben einer Utopie (sexueller) Erfüllung ist witzig, deprimierend, schmierig und fast schon hundsgemein. Gerade Jennifer Connelly spielt ihre erfolgreiche Traumfrau sensationell als unnahbaren Übermenschen, mit dem die Ehe zu jeder Minute wie ein Gefängnis wirkt. Oder Kate Winslet, als Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, aber doch eine unpassende Randfigur in ihrem Umfeld ist, weil sie sich erlaubt, diese breit machen zu wollen, ist unfassbar gut. Der Film dazu ist locker und konzentriert, flüchtig und pointiert. Und vor allem ist seine Kunst nie steril, sondern albern und schweinisch.
Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die Subplots um den Sexstraftäter und den Ex-Polizisten, der ihn terrorisiert, sobald etwas in seinem Leben nicht so läuft, wie er will. Es gibt unzählige Nebenfiguren, wie Sarahs Ehemann, die einfach nur auftauchen, solange sie etwas beitragen, um doch wieder spurlos aus dem Film zu verschwinden. Gerade diese beiden werden aber mitgeschleppt und ins Finale eingewoben. Ihre Parallelität zum Ehemelodrama, ihre Katharsis ist hölzern wie unnötig. Sie ziehen den Film Richtung HAPPINESS und verleihen allem die Atmosphäre eines bedeutsamen Kaleidoskops, das Gefühle mit großen Gesten erzwingen möchte. Es ist der Klotz am Bein, der verhindert, dass der legere Film mit seinen Flügeln abheben kann.
Donnerstag 02.01.
gut +
Margaret Rutherford und Stringer Davis tanzen den Twist, während Robert Morley von Miss Marple geritten werden möchte … geheiratet werden möchte.
großartig +
Auf der Suche nach der Emotionalität bei Burroughs und andere Cut-Uppern, die in dieser Verfilmung zum zentralen Punkt geworden ist und die ich bisher so nicht wahrgenommen hatte, habe ich angefangen mal wieder Kathy Acker zu lesen und neue Bücher von Burroughs bestellt. Schon eine Leistung des Films. Mehr dazu bei critic.de.
Mittwoch 01.01.
nichtssagend
Leider reichen die paar gelungenen Musikeinlagen und Frauenrechtlerinnen-sind-im-Mittelalter-Hexen-Witze beim zweiten Mal nicht mehr aus, um darüber hinwegzutäuschen, dass dies wirklich kaum etwas zu bieten hat.
großartig –
Crispin Glover ist der heimliche MVP, der supercreepy Gegenpol zum Sonnenschein Michael J. Fox. Die Schmierigkeit, mit der er denkt, Frauen begegnen zu müssen, ist einfach nur sensationell unangenehm gespielt. Und vielleicht ist sein Fehlen der Grund, dass die Trilogie nie wieder so gut ist, wie in ihrem ersten Teil.
Aber den Film interessiert vor allem, die zeitlichen Unterschiede. Wie sehr lediglich 30 Jahre die Welt verändert haben. Und wenn ich das heute mit meiner Tochter schaue, dann sind ja schon die 80er Jahre eine irreale Traumwelt, die ganz viel Erklärung bedarf. Die 50er Jahre aber, dass ist dann ein unverständliches, mittelalterliches Abstraktum, was Kultur, Technik und moralische Codes angeht.
großartig
Hak-keung (Alex Man) schaut heimlich seine schlafende Verlobte Yuk-nam (Cecilia Yip) an. Sie ist neben ihm eingeschlafen, während eigentlich sie liebevoll über ihn und seine zahlreichen Wunden wacht. Der kommende Schnitt fällt mit einer aufschlagenden Tür ins Haus. Kim-fei (Chow Yun-fat) tritt ein, Yuk-nam wacht auf und beide schauen sich nun ihrerseits heimlich an. Verlangen und Traurigkeit liegt in dieser Begegnung der beiden Blicke, über den schlafenden Hak-keung hinweg – wir sind nämlich in der Zeit vorausgesprungen, wo er schon wieder weggetreten ist, selig in den Traum seiner ewigen Liebe gefangen.
Durchgängig wird die tragische Liebesgeschichte der drei über solche kondensierten Momente erzählt, in denen nur Blicke die Gefühle kommunizieren. Eingelassen sind sie die nostalgischen Erinnerungen an einen Sommer einer wunderbaren Freundschaft denen die Invasion Hongkongs durch Japan im Zweiten Weltkrieg entgegensteht, was heißt: mit einem (scheinbaren) Verrat – Kim-fei dient sich den faschistischen Herrenmenschen an, aber nur um insgeheim gegen sie zu arbeiten. Sentimentale Schönheit und melodramatische Daumenschrauben sorgen für ein intensives Hin und Her. Oder: der tatsächliche Übermensch Chow Yun-fat – ein Lächeln, das jederzeit Herr der Lage ist – steigt in die Welt der Menschen hinab und macht den anderen ihre Fehlbar- und Verletzlichkeit nur umso brutaler spürbar.