STB Robert 2023 II
„[…] if magic is defined as the employment of ineffective techniques to allay anxiety when effective ones are not available, then we must recognize that no society will ever be free from it.“ (Religion & the Decline of Magic)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 15 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (16 bis 60 Minuten) kennzeichnet.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II | 2023/I
September
Donnerstag 21.09.
verstrahlt –
Mittwoch 20.09.
gut
Die von der Welt zerstörten Außenseiter des Films – Mittens, eine verbitterte Straßenkatze, und vor allem Rhino, ein fernsehsüchtiger, völlig irrsinniger Hamster – sind einfach nur toll.
gut
Was an diesem Existential Comic nicht ganz stimmig auf mich wirkt, auch wenn ich den etwas anders gelagerten Punkt verstehe, ist, dass die Selbstzerfleischungen der Linken nie erst nach einer Machtergreifung begann, sondern schon lange vorher einsetzte. 1960 liegt in Japan Revolution in der Luft – im Zuge der Demonstrationen gegen ANPO, den militärischen Unterstützungsvertrag zwischen den USA und Japan, der später dazu führt, dass Okinawa zur US-amerikanischen Basis im Vietnamkrieg wird. Doch der Vertrag wurde gegen alle Widerstände ratifiziert und die Gegenbewegung, die zu ihrem Höhepunkt zum brutalen Aufeinandertreffen von staatlicher Gewalt und studentischen und sozialistischen Protest führt, ebbt in Folge sichtlich ab. Frust und Misstrauen entstand zwischen denen, die sich mit dem Staat arrangieren, denen, die sich Richtung Terror bewegen, zwischen den Theoretikern, Unversöhnlichen, den Zweiflern, den Mitläufern.
Eine Hochzeit ist für Ôshima die Ausgangslage, um dies alles zu verhandeln. Doch das, was eine Vermählung sein soll, wird zum Ausbruch schwelender Konflikte, die den Saale in viele kleine Haufen zerteilt. NACHT UND NEBEL ÜBER JAPAN gleicht einer einzigen Anklagebank. Hier diejenigen, die bedröppelt dastehen und/oder sich rechtfertigen. Dort die Ankläger, die zwei, drei Momente aus zehn Jahre revolutionärer-studentischer Bewegung aufgreifen und nun endlich die Wahrheit wissen wollen, ob alles an zu viel Radikalität und schon inhärenter bourgeoiser Tendenzen zu scheitern droht. Immer wieder das Gleiche, aus immer wieder neuen Blickwinkeln, Ankläger und Angeklagte im ständigen Wechsel. RASHŌMON ohne Richter und mit sich ankeifenden Beteiligten.
Wo die Infights in Godards Startpunkt ins rein politische Kino – LA CHINOISE (1967) – schon so absurd wirken, als würden sie LIFE OF BRIAN vorwegnehmen, da herrscht hier blanker Frust und böses Blut. Es wird zwar unendlich viel geredet, aber nachdrücklicher ist die Atmosphäre der gegenseitigen Anklagen, der Ratlosigkeit, der Schuldsuche, des Maulens und der Desillusionierung. Denn dieser Film zeigt nachdrücklich, dass dies nicht einfach eine Debatte, sondern eine (Selbst-)Zerfleischung ist. Lange Plansequenzen, die das Gegeneinander und das Ineinandergekeiltsein zeigen; ein hypnotischer Soundtrack, der dem Aufgewühltsein der Figuren etwas Entrücktes entgegenstellt: Ôshimas Film ist im Text schon reichhaltig und punktgenau, aber viel reicher ist er als Film, der mit Bildern, Tönen, Stimmen, Körpern und Gesichtern kommuniziert
… und was für ein Film. Auch Shōchiku hatte Anfang der Sechziger versucht, mit Sex und Gewalt Geld zu verdienen. Eigentlich unfassbar für dieses konservative Studio. Davon abgesehen ist NACHT UND NEBEL ÜBER JAPAN wahrscheinlich der sperrigste, eigenwilligste und vor allem unwahrscheinlichste Film im Programm des altehrwürdigen Studios. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Shōchiku sich nach dem Film von Ôshima trennte, sondern viel mehr, dass sie es nicht schon vor der Fertigstellung des Films taten.
Dienstag 19.09.
gut +
Bei der ersten Hälfte handelt es sich gewissermaßen um das Blow-Up eines Anfang-Neunziger-DTV-Horrorfilms, der seine Defizite in Sachen Budget und Talent mit Überkandidelung – inspiriert vom italienischen Kino – wettzumachen versucht. Zeitweise ist wundervoll zuzusehen, wie optische und erzählerische Dezenz über Bord geworfen werden und sich stilvoll stillos gehengelassen wird. Leider fällt der zweiten Hälfte auf die Füße, dass die Figuren weitestgehend uninteressant sind. Jeder wird einmal vernommen, darf etwas von seinen Problemen erzählen, vll. sogar schnippisch sein, aber – alleingelassen vom Drehbuch – können sie schauspielerisch nichts beitragen. Verhöre mit den Schaufensterpuppen eines Dramas sind die Folge. Es ist die Krux dieser Filme, Poirot soll mit Originstories und/oder charakterliche Entwicklungen Tiefe bekommen, dabei ist er eben als snobistische Abziehfigur schlicht perfekt, während die Figuren, die sich mit ihm delikat zanken dürfen, völlig unterentwickelt und frei von Charisma bleiben. Da kann das branaghsche Feuerwerk der schrägen Einstellungen und der quatschigen Horror-Papageien-Zwischenschnitte brennen wie es will, am Ende fehlt ihnen ein wenig Herz.
ok +
Ganz sympathisches Einmaleins der Archäologen treffen auf blutrünstige Monster, die vor Katzen Angst haben-Filme.
Montag 18.09.
gut +
Shah Rukh Khan ist an dem Punkt seiner Karriere angekommen, wo er nur noch die Dreifaltigkeit spielen kann: den Sohn, den Vater und den heiligen Geist. Und als diese schickt ihre Version von CHARLIE’S ANGELS aus ihrem HOGAN’S HEROS Frauengefängnis los, um gegen Gangsterbosse, korrupte Politiker und die allgemeine Politikverdrossenheit zu kämpfen. Und während dieser Superheldenerlöserfilm mal mehr, mal weniger eindrucksvoll macht, was er so macht, kommt es immer wieder zu Bildern von kollektiver Rache. Unschuldig Angeklagte werden von einem Mob mit Schuhen ins Gesicht geschlagen. Der Oberbösewicht, der keinen guten Knochen im Leib trägt, geht in einer Horde von Frauen unter, sobald er geschlagen auf dem Boden liegt. Als würde er von einer Horde Zombies zerrissen. Und während ich mit diesen faschistischen Phantasien in Filmen wie THE EQUALIZER ganz gut leben kann, irgendwie, weil Denzel dort nur einer ist, der seine irreale Rache durchführt, um das Böse von der Erde zu entfernen, da bin ich hier beunruhigt. Denn hier haben wir es mit einer rasenden Menge zu tun und damit quasi mit einer atavistischen Vergesellschaftung der Rache, die nicht mehr geordnet von statten geht, sondern nur noch Raserei ist. Es spricht nicht für oder gegen den Film, finde ich, aber es irritiert mich … und gleichzeitig bin ich fasziniert, weil ich nicht ganz sicher bin, was Klaus Theweleit dazu sagt … zu dieser positiv besetzten Welle weibischen Schlamms … denn, klar, immer sind es Frauen in diesem Mob.
Sonntag 17.09.
großartig –
Die Bräsigkeit des Romans Michael Endes scheint immer wieder durch: die böse Moderne, die einem nur die Phantasie raubt, sowie die symbolische Rettungsgeschichte. Aber als Geschichte von Trauerbearbeitung, wo sich durch den Sumpf der Traurigkeit gekämpft werden muss, als epischen Kampf gegen uns ist dies schon sensationell bebildert und betont.
gut
So hatte ich mir den Roman früher immer vorgestellt, denke ich. Als eine tragische Liebesgeschichte mit bitteren Wendungen, die auf ein entrückt-melancholisches Ende zusteuern. Ein zartes Melodrama eben. Darin ist Wylers Verfilmung auch ganz gut … wobei die Dialoge, in denen die Redenden ihre seelische Verfasstheit schon extrem prosaisch aufsagen und klar definieren dürfen, das Drama schon sichtlich entkräften. Ebenso wie die blassen Nebenfiguren – nur Hugh Williams Hindley bildet eine Ausnahme –, und das derb-kunstvolle Schauspiel Laurence Oliviers. Zumindest weiß Wyler, der kein Interessen für die Moorlandschaft besitzt, wie er Türen, Fenster und Mauern wiederholt zu Einschreibungen der Trennung und der Zerrissenheit machen kann. Mein größtes Problem ist aber, dass ich jetzt den seelischen Wundbrand von Emily Brontés Roman kenne, die dortige emotionale Brutalität und die völlig jenseitigen Formen von Hassliebe, von landschaftlicher wie seelischer Versumpfung. Und gegen diese Geschichte – deren Potentiale sich in Wylers JEZEBEL ein Jahr zuvor noch bravurös zeigen (vll. fehlt hier einfach nur eine Bette Davies) – sieht dieser Film dann doch ganzschön alt aus.
Sonnabend 16.09.
fantastisch –
Ein Noir-Plot: ein Liebhaber (Joe Dallesandro) und eine Schwester (Maria Schneider) suchen gemeinsam nach einer Frau sowie den vier Millionen Dollar ihres kriminellen Vaters, der seinen Tod wohl nur vorgetäuscht hat. Sie treffen während ihrer Schnitzeljagd auf zwielichtige Gestalten und wenig vertrauenswürdige Vertraute. Sie bekommen Hinweise und Anhaltspunkte, mit denen sie sich der Auflösung des Rätsels nähern …
Jedes gelöste Zwischenrätsel zieht aber wieder neue Rätsel nach sich und jede Auflösung bleibt zweifelhaft. Denn diese Mischung aus Spielbrett und Verschwörungsthriller ist ein Film der Paranoia. Nichts und niemanden kann getraut werden. Jeder andere ist nur eine Maske, hinter die nur unzureichend geschaut werden kann. Die Vorwärtsbewegung ist ein ewiges Drehen im Kreis. Deshalb auch der Name, d‘oh. Deshalb die wiederkehrenden Alptraumintermezzi, in denen die Protagonisten – oder auch gleich nur welche, die ihnen lediglich ähnlichsehen – gejagt werden, nicht von der Stelle kommen, in eine Schlangengrube herabrutschen. Deshalb die widerkehrenden Aufnahmen des Kontrabassspielers und des Bassklarinettenspielers, die nicht nur den Soundtrack einspielen, sondern einen melancholisch-poetischen Chor zum Geschehen des handelnden Duos bilden. Dies ist ein Film der Sackgassen, Kreisel und der Vereinzelung des Individuums. Dies ist kein Horrorfilm, aber doch handelt er vom Grauen keinen Halt mehr zu finden.
Durch anonyme Hotels, verlassene Häuser, zugewachsene Bahnhöfe und monumentale Luxusvillen führt dabei die Jagd, durch Alter und Fremde. Nirgendwo eine eigene Wohnung, nirgendwo Geborgenheit … abgesehen von der Inseln einer improvisierten Klassenfahrt, deren täuschende Wärme direkt zu dem Ort wird, wo der Bruch zwischen unseren Helden für beide deutlich wird. Kälte und Verwahrlosung also allenthalben … nur packt Rivette (Kamera: William Lubtchansky) dies in warme, weniger kunstvolle als anschmiegsame Bilder. Der Schnitt lädt auch mehr zum Schweifen und Kontemplieren ein, als dass er uns von Station zu Station jagen würde. Weshalb dies irgendwie das Behagen in einer unbehaglichen Moderne, in Markern von Endlichkeit und Leere darzustellen scheint.
Weshalb Gogol in DIE TOTEN SEELEN den ästhetischen Ansatz von MERRY-GO-ROUND vll. ganz passend beschreibt: Kurz, alles war schön, wie es weder die Natur noch die Kunst aussinnen kann, sondern wie es nur dann zustande kommt, wenn sie sich beide vereinigen, wenn die Natur über das, was der Mensch oft ohne Vernunft geschaffen hat, zum Abschluss mit ihrem Meißel dahingeht, die schweren Massen leicht erscheinen läßt, die grobwirkende Regelmäßigkeit aufhebt, die bettlermäßigen Löcher schließt, durch die die unverhohlene, nackte Absichtlichkeit hindurchsieht, und allem, was in der Kälte erklügelter Reinlichkeit und Sauberkeit entstanden war, eine wundervolle Wärme verleiht.
ok +
Ein Chefredakteur (Paul Muni) muss erst mit seiner femininen Seite ins Reine kommen und sich beweisen, dass er auch als undeutender Dr. Sommer mit Liebesratschlägen erfolgreich und bedeutend sein kann, um dann endlich in einem richtigen Fall die Mafia zu Fall bringen zu dürfen. Ein netter kleiner B-Film, der sich von einer Screwball-Komödie zum Krimi wandelt, der aber auch nur mit seinem News Room glänzen kann, der in seinen besten Momenten einem adrenalingeschwängerten Kriegsfeld ähnelt.
*****
Ein Zufall: ein zentraler Handlungsort ist das Mafia-Restaurant Merry-Go-Round.
gut +
Drehbuch (Frank Partos & Millen Brand) und Regie (Anatole Litvak) spielen Good Cop & Bad Cop mit der geistig instabilen Virginia Cunningham (Olivia de Havilland). Die einen wollen uns Psychologie näherbringen und die komplexe Entwicklung einer Persönlichkeit(sstörung) in einer möglichst simplen Auflösung des Falls der Virginia Cunningham. Ihr Agent ist Dr. Kik (Leo Genn), der sich ohne Fehl und Tadel um Virginia kümmert, der alles versteht und es (uns) ständig erklären kann. Es sind aber auch die neurotischen Schwestern der Anstalt, die auf blinden Gehorsam pochen und jeden Versuch einer Aushandlung – ob es nun vll. borniert ist, niemanden auf den neuen Teppich zu lassen, nur damit er weiter neu aussieht – als Widerspruch und Geisteskrankheit wahrnehmen … womit eben kommuniziert ist, dass nicht Macht, sondern Verständnis der Weg zur Heilung sein muss.
Die Inszenierung (Litvaks Helfer sind beispielsweise Leo Tover an der Kamera sowie Ernest Lansing & Thomas Little beim Set Design) hat für solche Didaktik aber nur hämische Freudportraits an der Wand des Doktors übrig, die plump auf die Szenerie herabschauen. In ihren Händen wird die Anstalt zum Gefängnis, zum Zoo, zum Sumpf des Wahnsinns und der Paranoia, aus dem es kein Entrinnen gibt. In Virginias Innerstes trauen sie sich vor, um die Stürme und Taifune ihrer Gefühle zu bebildern. Und Olivia de Havilland glänzt mit einer schauspielerischen Leistung, die den dicken Schweißperlen auf ihrer Stirn entspricht. Ihre Augen und ihr Gesicht winden sich in einem Fort, und die Kamera zeigt es uns nachdrücklich diese Übermacht der Angst, dieses Monument des Zerfließens.
Der einfachen, gutmütigen Erklärung wird so nicht einfach nur eine Geisterbahn böser Anstalten entgegengestellt, sondern die Gefangenschaft in einem Labyrinth der eigenen Paranoia, in dem schlicht nicht klar ist, wie Virginia Besserung erreichen kann, wenn ihrer Wahrnehmung nicht mehr vertrauen kann. THE SNAKE PIT sieht in diesen Momenten reißerischer aus, ist hier aber doch komplexer als im Good Cop-Modus des Drehbuchs … der leider, leider allzu oft die freundschaftliche Oberhand behält.
Freitag 15.09.
ok +
Der Superheldenfilm ist dieses Mal kein Totalausfall und überhaupt sind Blockbuster mit einer Laufzeit von 90 Minuten heutzutage aller Ehren wert. Little Simz hat auch einen kleinen Auftritt. Let there be a quite netter film.
Donnerstag 14.09.
großartig –
Weil es mit den Eltern nicht geklappt hat (LES QUATRE CENT COUPS), lebt der nun 17-jährige Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) alleine und für sich. Mit Musik, dem Kino und Büchern. Doch die Liebe stellt ihn erneut vor das Problem, das schon den vorangegangenen Film antrieb: Wie soll er mit der Welt in Kontakt treten? Wobei er weiterhin verspielt, eigenwillig und Tragik beschwörend auf den Wunsch reagiert, geliebt zu werden, und im Anpacken des Lebens. Doch während über LES QUATRE CENT COUPS ein wenig die Dunkle Wolke der Schuld hängt – Truffaut versucht niemandem den Schwarzen Peter am Scheitern aneinander zu geben, dafür dass er/Doinel auf der Straße und im Heim landet, was seinen Film, der von einer verzerrten Sicht eines Kinds auf die Welt handelt, das anders als DER KLEINE NICK Eltern hat, die das Problem, das sie in ihm sehen, verstoßen wollen, etwas lauwarm werden lässt, weil sich eben Leute schuldig machen, aber im Film nicht schuldig erscheinen sollen –, da ist diese Kurzgeschichte gelöster. Und das Ende von ANTOINE ET COLETTE mit seinem bitteren Fernsehabend ist imho auch viel niederschmetternder und witziger und damit packender als das ikonische Ende von Truffauts Debüt.
gut –
Über die Filme Dany Boons schrieb Kamil M. beim Perlentaucher anlässlich des just ins Kino kommenden LA VIE POUR DE VRAI: Seine Hauptfiguren sind oftmals Selbstbetrüger, denen es mehr Mühe bereitet, sich ihren Täuschungen zu stellen, als ihr Umfeld in groteske Spinnereien zu verstricken: ein geiziger Krediteintreiber, den eine heimliche Investition in den Ruin treibt, ein hypochondrischer Fotograf einer medizinischen Onlineenzyklopädie, der zum eingebildeten Revolutionsführer wird – und am publikumswirksamsten im ersten „Sch’tis“-Film: ein in den Norden Frankreichs strafversetzter Postbeamter, der für seine Frau buchstäblich ein Potemkinsches Dorf voller besoffener Waffennarren errichtet, um ihre Vorbehalte gegen die Gegend nicht entkräften zu müssen.
In SUPERCONDRIAQUE gibt es gleich drei von dieser Sorte. Dany Boon spielt seinen Romain Faubert, den titelgebenden Hypochonder, bewusst als Witzfigur. Jedes hochgepitchte Quietschen nimmt er ob jeder sich bietender Ekelsituaionen nur zu gerne mit. Anna Zvenka ist ebenso eine Witzfigur, aber eine, die mit grenzenloser Hilfe für die Dritte Welt, ihr elitäres Leben in der Ersten Welt reinwaschen möchte. Alice Pol spielt sie aber komplett straight. Keine Ahnung ist Anna mitgegeben, dass sie ihrem Umfeld vor den Kopf stoßen könnte, wenn sie Wagenladungen von illegalen Immigranten in der brüderlichen Wohnung einlagert. So straight spielt sie es, dass ich mich mehrmals dabei ertappte, dass ich das Drehbuch ausscheltete, weil sie ja nur eine Witzfigur sei. Wie unfair! Kad Merad zu guter Letzt spielt seinen Dr. Dimitri Zvenka genüsslich als Straight Man für die beiden egomanen Selbstbetrüger. Er ist aber selbst auch einer, wenn er seine Ehe mit der Hilfe für Romain gefährdet, der, ohne Grenzen zu kennen, Dimitris Privatleben in Chaos versetzt.
Drei Eskalationswege stehen dem Film damit offen. Einmal der der Qual des Hypochonders. Romain lässt der Film speckigen, halbrohen, vollgeschnäutzen Kebab essen oder Wasser aus einer keimigen Pfütze trinken. Oder die Qual bekommt der Straight Man zu spüren. Und Kad Merad brilliert als dieser. Ich habe nun Lust mehr Filme mit ihm zu sehen … gerade wenn sein Dimitri überzogen gegenüber einem Grenzsoldaten so lächelt, als wolle er zweierlei zum Ausdruck bringen: Bitte glaube dem Unfug, der dir erzählt wird, und töte mich nicht. Ich bin ganz harmlos. als auch: Bitte töte mich, weil ich die Ignoranz meiner Mitmenschen keinen Moment länger aushalte. Gerade wenn es die Daumenschrauben in diese beiden Richtungen angezogen werden, dann entwickelt SUPERCONDRIAQUE seine besten Momente.
Der dritte Weg läge in den beiden Selbstbetrügern, die sich gegenseitig hochschaukeln. Anna Zvenka nimmt Romain Faubert auf, weil sie ihn für einen osteuropäischen oder westasiatischen(?) Widerstandskämpfer hält. Beide könnten sich in ihren verengten Selbstentwürfen gegenseitig hochschaukeln und sich und ihre blinden Flecke endlos herausfordern. Aber zwischen ihnen herrscht oft nur eine Liebesgeschichte zwischen zwei Witzfiguren. In ihnen findet sich am ehesten das Problem eines teilweise völlig jenseitigen Films, der ohne mit der Wimper zu zucken, einfach auch im Bürgerkrieg eines ehemaligen Ostblocklandes aufschlägt. Seine wahrlich sichtliche Herzlichkeit gegenüber mit sich Kämpfen verfällt manchmal aber auch in ein Vorführen seiner Witzfiguren, die etwas pietätlos am Nasenring durch die Arena geführt werden. Sprich: etwas weniger Haha, ein erwachsener Mann benimmt sich wie ein verängstigtes Weib hätte dem Film gutgetan.
*****
* In einer besseren Welt wäre der deutsche Verleihtitel SYPOCHONDER gewesen.
Mittwoch 13.09.
ok +
Zuweilen ist AMAZONS sehr phantasievoll geschnitten und das Produktionsdesign mit seinen nebligen Wäldern mit Geistern und schmucken Höhlenwohnungen ist auch schön. Ansonsten überzeugt er aber nur sehr punktuell. Wenn Dyala (Ty Randolph) in den Rambo-Waldpräperationsmodus wechselt. Oder wenn sie und Tashi (Penelope Reed) sich mit blauen Augen anschauen, und beide feststellen, dass Frauen zusammenhalten müssen. Oder wenn der Halbglatzenassibösewicht mit dem Zahnpastalächeln (Joseph Whipp) Leute zum Schweigen bringt. Davon aber abgesehen, dass dies von Beginn weg eher austrübt, als loszulegen, verstehe ich das Konzept von manchen Filmen nicht. Wenn ich beispielsweise einen Amazonenfilm gucke, möchte ich doch Frauen sehen, die Männer dominieren, und nicht Frauen, die sich wie hier mühsam durch eine Männerwelt quälen.
Dienstag 12.09.
ok +
Als ich mich freiwillig meldete, Murnaus Film für critic.de zu besprechen – der Text findet sich (irgendwann) hier –, hatte ich ihn mit Pabsts GEHEIMNISSE EINER SEELE verwechselt. Es könnte deshalb sein, dass mich PHANTOM dieses Mal eher kalt gelassen hat, da ich auf den Ausbruch der Träume wartete und diesen nicht bekam. Aber ist auch völlig naheliegend, dass mir der Leid- und Passivitätsfetisch dieses Films einfach nichts gibt.
Montag 11.09.
großartig +
Die Aussicht auf die Rückgabe Hongkongs an China im Jahr 1997, die über ein Jahrzehnt wie ein Damoklesschwert über der Region hing, wird hier zum Körperfresserhorror übersetzt … und dieser Körperfresserfilm wiederrum zu einem Polizeithriller. Polizist Heung Ming (Yuen Biao) sucht die Mörderin (Pat Ha) seiner Frau. Als er aber aufzudecken droht, dass das korrupte Morddezernat die Strippen bei der Ermordung zog, wird er kurzerhand zum Mörder erklärt. Nirgends ist er mehr sicher, da überall Denunzianten auf ihn warten … und Leute, die noch schnell in der Freiheit Geld scheffeln wollen und dafür den Einzelnen, der ihnen im Weg stehen könnte, gnadenlos jagen.
Wobei ON THE RUN nicht einfach nur ein klaustrophobischer Neonthriller ist, sondern ein Film mit Auge für Paranoia und den Horror von verschworenen Gemeinschaften … und eben ein Film, der den ganz normalen Wahnsinn der Hongkongfilmproduktionen ganz eigen einfängt. Dies ist zwar durchweg düsterer als das Wechselbad der Gefühle und der Albernheiten, die sonst herrscht, und doch schwingen immer wieder extreme Stimmungswechsel mit. Vor allem mittels eines kleinen, süßen Kindes und Charlie Chins. Letzterer ist vor allem als Schönling aus den MY LUCKY STARS-Filmen bekannt, und doch schafft er es hier wie kein Zweiter in konzentrierter Kontemplation, Schmierenkomödie und Wahnsinn zu brillieren und diese nahtlos aufeinander folgen zu lassen.
Sonntag 10.09.
nichtssagend
Tom & Jerry brechen in eine moderne, politisch korrekte Welt ein und bringen durch fehlende Beherrschung von Temperament und Maß sowie durch Cartoongewalt Chaos in eine durchoptimierte Welt. So könnte es sein. Stattdessen müssen sie sehr schnell lernen, nett zueinander zu sein und abzuwägen, ob ihr Handeln nicht kontraproduktiv für die Allgemeinheit sein könnte. Das Aufleben alter TOM & JERRY-Cartoons ist schon ganz nett, aber im Verlauf wird das alles einem sagenhaften Horror preisgegeben.
gut –
Einiges wird versucht, die inzwischen eingespielte Formel der Serie mit Neuem anzureichern – vor allem mit einem Konflikt zwischen verkalktem Alt und unerfahrenem Jung sowie zwischen analoger und digitaler Technik, wobei beides wunderbar aufzeigt, dass nichts, was zwischen Babyboomern und Millenials auftritt, irgendwie neu wäre –, aber auch wenn der Butterberg auf einem Kopenhagener Bahnhof vor sich hinschmilzt und Egon kurzzeitig Charlie Chaplin in MODERN TIMES spielen darf, dabei aber nur seine Beherrschung aller Tresore darstellt, ist dies sichtlich nicht ganz so inspiriert wie die Vorgänger.
gut –
Die eigentliche Produktion mit Franco als Regisseur war 1983 mitten im Dreh steckengeblieben. Payet hat dann ein paar Jahre später das vorhandene Material ergänzt und zu einem Film verwursten dürfen, der immer wieder ansetzt etwas zu sein, aber nichts ist: Amazonenabenteuer, gendergewechselter Tarzanfilm, exotischer Roughie, esoterischer Hypnosethriller, Missionierungsabrechnung, Nimmerlandsphantasie völlig irrealer Erdteile. Weshalb sich der Film trotz allgemeinem Leerlauf nicht entspannt anfühlt, sondern wie das Drücken auf ein Gaspedal, ohne dass ein Gang eingelegt wäre.
Freitag 08.09.
ok
Ein Mann und sein innerer Schweinehund müssen lernen, sich den Körper zu teilen. Die Body-Switch-Komödie VENOM ist eigentlich fast schon sensationell … müsste sie sich nicht den Körper, d.i. den Film mit einem grauenhaften Superheldenadventure teilen, das nicht einmal versucht, seine Potentiale an Horror, Action und Drama abzurufen und trotzdem den größten Teil der Spielzeit einnimmt.
ok
Dass ein Film in vielerlei Hinsicht fürchterlich ist – die Farben, der träge Schnitt, die Struktur der Erzählung –, der von Kriegsheimkehrern handelt, deren Erscheinungsbild (vor allem ihre Gesichter) zerstört wurde und die die Anständigen darstellen – im Gegensatz zu den unversehrten, heimgebliebenen Kriegsgewinnlern –, ist nicht nur passend, sondern einfach sympathisch. Auch ist das schauspielerische wie maskenbildnerische Kasperltheater ziemlich amüsant. Und überhaupt sind die dadaistischen, surrealistischen und/oder kubistischen Kunstwerke schön, die zum Ausdruck eines freien Lebens werden. Trotzdem fällt sich AMERSTDAM ziemlich bleiern an. Einerseits, weil dieser Film, der merklich darauf aus ist, Lebensfreude (der Unangepassten) zu beschwören, völlig trist bleibt. Andererseits, weil seine Unordnung sauber wirkt, ungeschickt erzwungen und wie die dünne Patina eines ansonsten völlig aseptischen Films.
Donnerstag 07.09.
gut +
Die Wohnung des Freundes mit dem ausgestopften Pferd ist schon sehr toll. Und Jean-Pierre Léaud ist ebenso mega. Ich kann aber immer noch nicht so ganz den Finger darauflegen, warum er mich weiterhin nicht so ganz erwischt.
Mittwoch 06.09.
fantastisch
Das Einzige, was ich vll. bemängeln würde, ist, dass Tarantino Jungle Julia (Sydney Poitier) behaupten lässt, dass Pete Townshend besser dran gewesen wäre, wenn er The Who verlassen hätte und Teil von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich geworden wäre. Und diese Revision ist sichtlich Tarantinos eigene Einschätzung. DEATH PROOF gleicht nämlich deutlicher als seine anderen Filme der Szene aus BEING JOHN MALKOVICH, in der Malkovich in seinen Kopf geht und in einer Welt landet, in der alle Leute – Frauen und Männer, Alt und Jung, Groß und Klein – John Malkovich sind. Nur dass hier eben Quentin Tarantino in seinen Kopf springt und uns eine Welt zeigt, in der alle Figuren Quentin Tarantino sind, – Frauen und Männer, Alt und Jung, Groß und Klein. Seine Einschätzung also, dass Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich die bessere Band seien, finde ich – bei allem Respekt vor Hits wie HOLD TIGHT! – abenteuerlich.
Diese seltsame Bewertung ist aber eben auch sprechend für Tarantino, seine Vorlieben und seinen Film. HOLD TIGHT! beginnt mit einem stampfenden Beat und wird bald von einem Killergitarrenriff begleitet. Aber ehe es zu heavy werden könnte, setzt umgehend ein umschmeichelnder Bass ein, und der harmonische, mehrstimmige Gesang lässt auch nicht lange auf sich warten. Was The Who aus einem solchen Riff gemacht hätten, ist da schwerer innerhalb eines Tarantino Films vorstellbar.
Oder BEND IT. Diese Version des Sirtaki zieht ständig an und da, wo Keith Moon erst richtig zu sich kommen würde und John Entwistle und Peter Townshend ihm nur noch in den heißblütigen Rausch hätten folgen müssen, da brechen Dave Dee & Co. immer wieder ab und setzen neu mit Harmonie und lustvoller Verspieltheit an. Please don’t tease me. Try to please me.
Ebenso verhält es sich mit Tarantinos Kino. In diesem findet sich kein Hemmungsverlust, keine atavistische Wildheit, keine ungezügelte Energie wie bei The Who, sondern Kontrolle, perverse Spiele mit Fesseln, Peitschen, anderem Spielzeug und einem Vorspiel, dass immer wieder anzieht und neu beginnt. Inszenatorisch wohlgemerkt, nicht unbedingt inhaltlich – auch wenn es sicherlich auch dort nicht zu wenig vorkommt.
In diesem Sinne ist DEATH PROOF Tarantinos perversester Film, in dem er voll und ganz zu sich kommt und in dem es schlicht auch ständig um Sex geht. Vom Schmier eines genüsslich gemampften Nachotellers geht es über angeleckten Zehen bis hin zur kleinen idyllische, ihr Umfeld erklärenden Pause in einer Verfolgungsjagd, in der plötzlich ein Ölbohrturm – klar, das universelle Symbol für Geschlechtsverkehr – ruhig und beständig vor sich hin pumpt. Während einer Verfolgungsjagd zwischen Frauen, die Rache an einem Triebtäter nehmen und dafür mit ihrem Auto Arschficken wollen, und einem fliehenden Serienmörder, der sich an der Macht über seine Opfer aufgeilt und für den Autounfälle mit Todesfolge für Frauen Sex sind. Text, Subtext, Form: Alles ist Sex. Vor allem wenn Stuntman Mike (Kurt Russell) die Zehen der schlafenden Abernathy (Rosario Dawson) auf einem Parkplatz anleckt – etwas das in GRINDHOUSE noch fehlte – lässt sich Tarantino hier völlig von der Leine.
Das Spiel mit der Dualität des Rape’n’Revenge-Genre – das Auskosten dessen, was den Vergewaltiger anmacht, bei gleichzeitiger Feier der Ermächtigung der Opfer in der Rache –, die Dialoge, die sichtlich Tarantinos Traumvorstellung frivoler Frauen wiedergeben: DEATH PROOF ist voller cringe. Aber es ist sichtlich Teil des Spiels. So kreativ, verquer und bewusst ist es, dass es beispielsweise auch die Möglichkeiten ausweitet, wie Frauen in einem Film dargestellt werden. Vor allem aber teased und pleased er ohne Unterlass. Hier, in seinem besten Film, ist er wirklich nur an seiner und der Lust des Zuschauers interessiert. Weshalb DEATH PROOF formvollendet, konzentriert und so unfassbar kreativ verspielt schmiert, dass es eine wahre Freude ist.
Dienstag 05.09.
ok
Ein wenig ist dies ein Meisterwerk. Mehr noch handelt es sich aber um die Erfahrung, Farbe beim Trocken zuzusehen. Mehr dazu bei critic.de.
Montag 04.09.
nichtssagend
Für die Fortsetzung von DEATHSTALKER zeichnet Jim Wynorski verantwortlich, das Mastermind hinter VIER ENGEL AUF DER TODESINSEL. Es ist also durchaus erwartbar, dass der Ultraschmier des ersten Teils noch übertroffen wird. Dass zudem Rick Hill nicht mehr die titelgebende Figur spielt, sieht auf den ersten Blick auch nach einem Vorteil aus. Jemand mit etwas mehr Leben könnte die Rolle nun ausfüllen. Doch weit gefehlt. Unter Wynorski wird der Sleaze zu Gunsten von Selbstironie zurückgefahren. Und der neue Deathstalker John Terlesky ist auch noch derjenige, der nach den Schenkelklopfern darüber, dass dies ein alberner Film mit albernen Figuren ist, selbstverliebt grinsen darf. Dass sich dies wie eine viel zu weit ausgedehnte Traumsequenz aus EINE SCHRECKLICH NETTE FAMILIE anfühlt, hört sich dann eigentlich schon viel zu schmeichelhaft an.
Sonntag 03.09.
großartig –
Ein launiger Teil. Aber der Hauptheist im Opernhaus, bei dem diverse Wände passend zur Ouvertüre von Friedrich Kuhlaus ELVERHØJ eingeschlagen, zersägt, pressluftgehämmert und gesprengt werden, wodurch aus gelangweilten Musikern durch die scheinbare Intensität ihres Spiels euphorisch werden, ist nicht weniger als Ultrakunst.
gut
Benno Führmanns rasanter Wechsel zwischen armem Tropf/blauäugigem Sympathen und schreiendem Psychopathen ist eines der Hauptmittel, überlebt sich aber auch bald. Manchmal ist ANATOMIE zudem etwas albern … wie in der Einstellung, in der Franka Potente auf der zweiten Reihe zweier Buchregale in der Bibliothek steht und der Slasher auf ihren Fersen im selben Bild zwei Reihen weiter auf den Knien kraucht, um unter den Buchregalen nach Füßen Ausschau zu halten. Und überhaupt ist die Coda, die nochmal unterstreicht, dass es hier um Kontinuität zwischen NS-Staat und Bundesrepublik ging, unnötig plump … und ist damit nicht allein. Aber doch ist ANATOMIE als Film über Körper und das Unbehagen, wenn in ihre Grenzen eingedrungen wird, sprich über Aufschlitzen und Häuten gerade optisch und atmosphärisch sehr schön. Oder als Film über Machtverhältnisse beim Sex … wobei hier neben den Körpern in Seelen eingedrungen wird. Oder als Zeitkapsel über das Ende der Neunziger, die unfassbar konzentriert aus Kleidung und Musik sprechen. Und auch die Schmetterlinge im Wintergarten des Anatomie-Professors sind sehr toll, auch wenn es letztlich nur ein kleines Motiv bleiben. Kurz: Es ist alles ein wenig Hit and Miss, aber schon auf der guten Seite.
Sonnabend 02.09.
verstrahlt –
Im Sehtagebuch letzten Jahres am 31. März findet sich bei FIRE AND ICE der Link zu einem lesenswerten Text über das Sword and Sorcery-Genre. Darin wird u.a. dargelegt, dass es in dem Genre um Brüste geht – männliche wie weibliche. DEATHSTALKER wirkt zuweilen wie ein experimentales Essay, das genau dies unter Beweis stellen möchte. Irgendwo gibt es eine Geschichte, die ENTER THE DRAGON in eine Fantasywelt versetzt und auf sein Minimum runterkocht, nämlich einen internationalen Kampfsportwettkampf, bei dem ein Überschurke zu Fall gebracht werden muss. Aber es auch völlig egal. James Sbardellati und Co. scheinen einzig darauf aus, barbusige Frauen (und Männer) zu präsentieren … oder auch mal deren Ärsche. Hier und da wird sich auch um Figuren wie einem menschlichen Körper mit Schweinekopf und anderen Schauwerten bemüht, aber es bleibt alles nur Nebenwerk. Kostümdesign und Drehbuch überschlagen sich in ihrer Kreativität, um das Gleiche – Brüste – in immer neuem Licht erstrahlen zu lassen. Weshalb wir einen amüsanten, um sich kreisenden Metafilm erhalten.
Freitag 01.09.
ok
Running Gag und Raison d’Être des Films ist der Umstand, dass Jan Josef Liefers in dieser Faust-Variation unter Sexklamottenvorzeichen mehrmals mit einer Frau Sex hat, bei der sich herausstellt, dass diese Frau ein Mann war, der seinen Körper mittels teuflischer Kräfte verwandelt hatte. Dies könnte durch das Drumherum aus entstehenden Zuneigungen und unterstrichenen Abneigungen so gelesen werden, dass sowieso alle Männer schwul sind bis schwule Tendenzen haben. Sie müssen nur mal von einem Mann rangenommen werden. Die ständige angewendete homophobe Sprache des Films würde deshalb nur eine Abwehrreaktion darstellen. Oder: Körper sollten für die Liebe egal sein, da es auf die Seele des Gegenübers ankommen sollte und nicht darauf, was in dessen Schritt baumelt oder nicht. Oder es bleibt dabei, dass Homosexualität hier nur wieder ein Jux zur Belustigung der Normalen ist, die über diese unnatürliche Seltsamkeit lachen dürfen. Als Steinbruch bundesdeutscher Befindlichkeit und Hysterie in Bezug auf Sex ist 666 schon sehr reichhaltig, und als Schenkelklopferkomödie mit Kotz- und Pipi-Witzen, die amüsant sind, weil sie so gar nicht funktionieren wollen, zumindest zu Beginn ganz amüsant. In seiner Gesamtheit ist es aber vor allem ganz schön trist und unerfreulich. Ein wenig ist es wie DER VORNAME mit anderen Mitteln fortgesetzt.
großartig
Ator wird als prophezeiter Heiland geboren. Ein Spinnenpriester, dessen Herrschaft durch ihn bedroht scheint, lässt vorsichtshalber alle Neugeborenen umbringen, weshalb Ator in einem fernen Land bei Zieheltern aufwächst. Ein wenig Moses und ein wenig Jesus steckt also in ihm und seiner Geschichte … was nicht weiter verwundert, könnte die Bibel doch auch gerne als Urtext des Sword and Sorcery-Genre gesehen werden. Statt froher Kunde gibt es hier aber sagenhafte Frisuren (Miles O’Keeffe als Ator), riesige Spinnenmonster, Liebesbeziehungen, die blind für ihr inzestuöses Potential bleiben, verträumt-schöne Bilder (Kamera: Aristide Massacessi höchstselbst), Schwertkämpfe mit einem Schatten und anderer von D’Amato gewohnt entspannt dargebotener exotischer Klimbim, der zwar auch an unserem Seelenheil interessiert ist, aber dafür nichts von uns fordert.
August
Donnerstag 31.08.
fantastisch –
Robert McCall wird zu dem John Wick, der John Wick nicht sein darf. Und ich muss zugeben, dass ich völlig verzückt aus dem Kino kam … weshalb der Text bei critic.de auch etwas länger geworden ist.
Mittwoch 30.08.
großartig
Der ganz normale Hongkong-Wahnsinn: Auf eine völlig arbiträre Hochhausstürmung durch ein Polizeieinsatzkommando folgt der gängige Hollywoodraubbau. Ein übermütiger Wissenschaftler (Chin Siu-ho) landet in Thailand bei einem Kult. Dort wird er verflucht und nach einem Jahr beginnen seine Venen an unterschiedlichen Punkten zu platzen, wobei Lam Nai-Choi aus ALIENS und INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF DOOM eine wilde Achterbahnfahrt der Unfassbarkeiten macht, die den Subtext des Aliens noch mehr an die Oberfläche kitzelt. Denn das Monster, dass einem Priester hier aus seinem Exhibitionistenumhang fliegt, sieht wie eine Kreuzung aus Xenomorph, Muppetfigur und einem Penis aus … womit ALIENS einmal durchinterpretiert wurde Chow Yun-Fat mäandert dazu noch unregelmäßig durch den Film, raucht wissend Pfeife oder schießt mit Panzerfäusten herum. Ein Meisterwerk eben.
Dienstag 29.08.
großartig +
Sehr betrüblich ist, dass dieser sehr schön fotografierte Film auf meiner DVD mehr noch von seiner Schönheit verliert, als bei einer DVD nötig wäre. Sprich: die Yume Pictures-Veröffentlichung des Films ist subpar.
Montag 28.08.
ok –
Christoph Maria Herbst und Florian David Fitz sind schon sensationell in dieser kleinbürgerlichen Hölle, in die sich der Film mit seinem gefallsüchtigen Kunsthandwerk breitbeinig niederlässt, mit seinem fehlenden Interesse an seinen weiblichen Figuren – was er den Männer des Films großkotzig vorwirft –, mit seiner überraschungsarmen Twiststruktur und seinen abgesicherten Provokationen. Eine plötzlich einbrechende Rückblende legt in ihrer Billo-Schangel-Optik nahe, dass sich nicht nur die Leute des Films, sondern dieser selbst keine schöne Welt mehr vorstellen kann. Ob dies nun das Beste ist oder ein grusliger Offenbarungseid, kann kaum entschieden werden, da beides untrennbar scheint.
Sonntag 27.08.
verstrahlt –
Wir bekommen das Vom-Pferd-springen-und-aus-dem-Saloonfenster-geworfen-werden-Kino, das Bad Segeberg, so wie ich es mir zumindest vorstelle, auf die Leinwand bringt. Allein der dauergrinsende Götz George und sein artistisches Schauspiel unterstreichen durchweg, dass dies auf einen staunenden Zuschauer ausgelegt ist. Toller Nebeneffekt: die Frauen dürfen mitmachen und schlagen die übergriffigen Männer durchweg zusammen. Der Western wird damit zur feuchtfröhlichen Barschlägereinachstellung.
Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit. Gerade der Beginn – der dem Heimatfilm entlehnte Kampf mit dem Adler, das Vogelschießen Apanatchis und das sofortige Einsetzen der freundschaftsbeendenden Goldgier – als auch das Finale – die unaufhaltsam den Gangster einholende Bahn, der auf die Kamera und damit uns zuläuft, der lieber mit Gold stirbt als ohne es zu leben – sind ikonisches Kino, dass nur noch von den beiden musikalischen Hauptthemen übertroffen wird … auch wenn diese Leitmotive vll. etwas zu häufig eingesetzt werden. Vor allem ist da aber die allgemeine Schäbigkeit, die in diesem Westen herrscht. Das Saufen, Schlagen und Terroressieren ist zwar durch die Bad Segeberg-Show begründet, aber das Ergebnis ist erstaunlich derb.
fantastisch –
Anti-APOCALYPSE NOW. Der Capt. Willard des Films (Richard Webb als Lt. Tufts) zieht mit seinem Col. Kurtz (Gary Cooper als Capt. Wyatt) in den Sumpf, wo sie nicht das Herz der Finsternis, sondern die Einfachheit der Dinge finden. Mit der Klarsicht von Kurtz stellen sich die beiden einem Camp von Schmugglern und blutrünstigen Semiolen und müssen einfach nur ihren Auftrag erfüllen und überleben. Widersprüche und Ambivalenzen lösen sich unter der simplen männlichen Glorie Wyatts auf. Sein Pragmatismus hebelt rassistische Ideologien und eitlen, überzivilisierten Humanismus aus.
DISTANT DRUMS ist so ein buntes Stück Abenteuerkino mit sensationellen Naturaufnahmen und Szenen für die Ewigkeit. Wie wenn eine in der Wildnis geführte Diskussion über die Qualität des Ei-Benedikts im Country-Club sowie das liebste Gedicht von Shelley immer wieder durch die Kratzgeräusche des sich mit einem Messer das Gesicht schabenden, i.e. des sich rasierenden Wyatts ins Stocken gerät.
Aber auch Anti-FITZCARRALDO, da ein Boot über Land transportiert wird, um es vom Meer in einen See zu bringen und es ist kein Problem.
Sonnabend 26.08.
ok
Was ich gut fand: die Chemie zwischen Ethan Hawke und Lee Byung-hun; Peter Sarsgaards Bösewicht, der wie jemand wirkt, der als Kind gehänselt wurde und sich nun Macht suchte, um andere leiden zu lassen; als auch die Schießereien.
Was ich nicht mochte: das sonstige Casting und deren Schauspiel – vor allem Chris Pratt –; die Farbgestaltung eines ewig staubigen Sonnenuntergangs; die Oneliner; die Handlung; den Schnitt.
Dem stand ich indifferent entgegen: die ständigen Zitate aus diversen Western.
Freitag 25.08.
fantastisch –
Was wir hier erleben ist hoffentlich nicht weniger als THE RISE OF THE SANDLERS. Mehr dazu bei critic.de
nichtssagend
Christopher Walkens Kammerjäger hätte ich gern bei seinem Kampf gegen eine Maus begleitet, die Menschen in Kammern sperrt und ihnen dabei deren Verstand in fast schon lovecraftsche Dimensionen raubt. Diesen simplen Cartoon hätte ich gerne gesehen, aber nicht die pseudo-burtonsche Version eines THE HUDSUCKER PROXY mit so qualvollen Hauptdarstellern wie Lee Evans und Nathan Lane.
Donnerstag 24.08.
gut +
Ein klein wenig war mir rätselhaft, warum mich PASSAGES nicht mehr berührt hat. Beim Perlentaucher gibt es deshalb eine leicht skeptische Annäherung an einen guten Film.
Mittwoch 23.08.
verstrahlt
Im Gegensatz zu SECRET RITES werden die Riten kontextualisiert. Die Beteiligten wirken zwar weiterhin verloren in beliebigen Handlungen, nur wissen wir nun nicht nur, was das alles soll, sondern es wird auch versucht zu vermitteln, dass es hier um mythische Handlungen geht. Was heißt, dass LEGEND OF THE WITCHES mit Gore und Sex arbeitet und bei aller Sachlichkeit doch bei einer Kolportage voll Zwielicht und Schangel landet, die immer wieder das Gefühl von Hypnose beschwört und Sicherheiten ankratzen möchte. Kurz: dies ist kein anthropologisch fundierter, wissenschaftlicher Blick auf ein Phänomen, sondern ein erster naiver, lustvoller Blick, der auch noch die selbsternannten Geisterjäger mit ihren kruden Instrumenten ernst nimmt und gar nicht erst hinterfragt. Stattdessen ist hier alles wahrlich seltsam und mitreißend. (Malcolm Leighs Film ist zudem schwarzweiß und nicht farbig, weshalb die Riten dieses Mal stilvoller aussehen, mysteriös … und nicht wie ein rumpliger Maskenball.)
Dienstag 22.08.
verstrahlt +
Vor 10 Jahren habe ich hier einen euphorischen, naiven bis dummen und trotz meines damaligen Alters doch jugendlichen, wie ich finde, Nachruf auf den just verstorbenen Ôshima Nagisa geschrieben. Der Text dreht sich vor allem darum, dass ich seine Filme damals nicht verstand und dass sie mich gerade deshalb faszinierten. Heute fühlt es sich an, als hätte ich ausdrücken wollen, dass ich vor ihnen die Waffen streckte. Als wollte ich gar nicht verstehen. Dabei war das Schöne gerade, dass ich sie nicht verstand, obwohl ich es versuchte. (Und das, was den Text für mich so jugendlich macht, liegt auch darin, dass ich an ihm erkenne, wie viel bornierter und eingeschränkter mein Verständnis von Film damals war. Dass ich einiges schlicht übersah. Noch mehr noch als es heute.)
Inzwischen habe ich aber das Gefühl, dass ich seine Filme verstehe. Immer besser. Zu gut im Grunde. Die Filme, die ich in den letzten zehn Jahren das erste Mal oder zum wiederholten Mal gesehen habe, faszinieren mich nicht mehr sosehr. Weil mir ihre Absichten klar erschienen, und ich benennen zu können vermeine, was darin geschieht. Halbwegs. Sie sind weiterhin ziemlich schön, aber nicht mehr so aufregend und rätselhaft.
Aber vll. findet sich in diesem Urteil lediglich die Überheblichkeit des Alters. Vll. reagiere ich inzwischen mit Abgeklärtheit und nehme viel weniger wahr, was meinen Horizont übersteigt. Zu dieser Einschränkung brachte mich jedenfalls VIOLENCE AT HIGH NOON.
Auch den fand ich ziemlich einfach gestrickt. Er handelt von einer Vierecks-beziehung, in der niemand von dem zurückgeliebt wird, in den er oder sie selbst verliebt ist … falls hier irgendjemand überhaupt richtig liebt und sich nicht nur seine Vorstellungen aufzwängt, dass Liebe sein muss und was sie sei. Männer sind dabei jedenfalls Leben zerstörende Egoisten, und Frauen fühlen sich gerade dadurch zu ihnen getrieben. Zwangsläufig führt dies zu Vergewaltigungen. Schnitt und Bilder waren fragmentierend und wunderschön … und entsprachen dem, was von einem Film der sogenannten japanischen Neuen Welle zu erwarten ist. Ausgetretene Pfade allenthalben, die sich öde an ihrer bekannten Agenda abarbeiten.
Aber dann war da dieser Moment gegen Ende, als die beiden Frauen (Kawaguchi Saeda als Shino & Koyama Akiko als Matsuko) überlegen, wer nun den Serienmörderehemann Matsukos bei der Polizei anzeigt und wie. Die Ehefrau ist eine Lehrerin und gerade mit ihren Schülern auf Klassenfahrt unterwegs ist. Sie hat Verantwortung für andere. Schon allein deshalb scheint es das Einfachste und Verständlichste, dass sie etwas gegen ihren Mann unternimmt – der sie noch dazu mehr oder weniger verstoßen hat und nur noch selten vom Morden und Vergewaltigen nach Hause kommt.
Die Bilder und der Schnitt werden in diesem Moment noch erratischer und fragmentieren Raum und Gesichter mehr als eh schon. Nichts ergibt mehr Sinn. Nur noch kleine Details sind zu erkennen, die einen Überblick verwehren. Es ist an dieser Stelle auch nicht einfach nur eine Amour fou, sondern das blanke Unverständnis für sich, seine Begierden, Handlungsmotive und Handlungen. Liebe erwartet keine Gegenleistung deklarierte Matsuko bis zur Mitte des Films mantraartig. Aber welche Liebe ist zu dem Zeitpunkt noch übrig? Warum also nicht das Naheliegende tun? Warum nicht leidenschaftlich oder rational handeln? Warum in sich zusammenfallen? Wer sind diese Leute? Wer sind wir?
Zu Beginn trägt Eisuke (Satō Kei), der Phantom Killer, Shino in die erste Etage eines Hauses, und die beiden, Täter und potentielles Opfer, kommen an einem Spiegel vorbei. Die erste und letzte gemeinsame Reflektion sei es, sagt Eisuke. VIOLENCE AT HIGH NOON ist aber nicht weniger als ein einziger ausgedehnter Spiegel für einen zum Verbrechen neigenden Rebellen, der seinen Begierden nur allzu gern nachgibt und zunehmend von ihnen beherrscht wird, ein Spiegel für eine sachliche, tugendhafte Führungspersönlichkeit, die vor sich selbst flieht (Toura Rokkō als Genji), eine idealistische Frau, die für ihre Weltanschauung alles verbiegt und erträgt, und eine pragmatische Frau, die lieber folgt, als selbst tätig zu werden. Es ist ein Film voller Phrasen und absurder, grimmiger Witze über gescheiterte und erfolgreiche Selbstmorde. Ein Film, in dem Männer mit Schweißtropfen auf der Stirn vom Geruch des ersten Opfers schwärmen.
Wunderschön ist VIOLENCE AT HIGH NOON anzusehen. Nur schleicht er ohne Bedürfnis nach Kinetik dahin … und schaut und schaut … auf einzelne Momente, den Rest aus den Blick verlierend …. bis aus den Klischees und einfachen Zusammenhängen nur noch Leere und Ratlosigkeit geworden ist. Während RASHŌMON seinem Beziehungsviereck den Wahrheitsgehalt ihrer Wahrnehmungen und Erzählungen raubt, raubt VIOLENCE AT HIGH NOON seinem Quartett alles, was sie wissen.
Montag 21.08.
gut +
Einem Regisseur, der erzählt, dass er mit der Kamera seinen Schauspielern ganz genau ins Gesicht schaute, auf der Suche nach dem, was dort zu finden sein könnte, wird mit der Kamera ganz tief ins Gesicht geschaut, um zu finden, was sich hinter der Sonnenbrille und den zurechtgelegten Anekdoten und Erklärungen zu seiner Karriere finden könnte. Es endet mit fünf Minuten lynchesken Aufnahmen des Hollywood Boulevard, als solle nun auch hier geschaut werden, was an den Straßenzügen des Ortes, der von Sirk mitgeprägt wurde und der anscheinend Seelen frisst, zu erkennen ist.
Sonntag 20.08.
gut
Ich kann es mir nicht erklären. Bei MENSCHEN AM SONNTAG war Billy Wilder mit für das Drehbuch verantwortlich, bei ABSCHIED aber Emeric Pressburger. Trotzdem ist der andere der bessere? Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 19.08.
gut
Ein Jahr nach THE STING überholt die Olsenbande den Hollywoodklassiker ohne einzuholen. Denn: Wie ungemein ikonischer wäre George Roy Hills Film, wenn auch Paul Newman mehrmals unter dem Druck zusammengebrochen wäre und, verrückt geworden, Pullermann! rufen würde?
großartig –
Da kann der Rest des Filmes eigentlich machen, was er will. Sobald er wieder im Kontrollturm der dänischen Bahn ankommt, wo zwei Beamte in beschaulicher Sicherheit dahinleben, dass wieder ein Tag ohne Probleme und Komplikationen ansteht und sie durch die Olsenbande Schock auf Schock erleben, der sie jedes Mal bis ins Mark erschüttert, weil geschieht, was nie geschieht, dass sich eine oder gleich mehrere Bahnen verspäten, wenn der Film auf dem Papier also ziemlich sarkastisch wird, es aber wirkt, als ob wir ein wirkliches mitfühlendes Drama zerplatzender Träume erleben, dann ist dieser Film einfach nur sensationell.
großartig –
Eine Prügelkomödienwesternodyssee über Außenseiter, die den amerikanischen Traum hochhalten. Also ein Film ganz im Geist von John Ford.
Freitag 18.08.
gut
Im Persönlichkeitstest, der der blu-ray als Extra beigefügt ist, kommt es meist zum Ergebnis, dass ich unter den Disney-Prinzessinnen Belle bin. Weil ich gerne lese und nicht, weil der Test irgendwie wissen würde, wie ich aussehe. So am Rande gesprochen.
nichtssagend
In seinen besten Momenten wirkt dies wie ein Experiment, bei dem geschaut wird, wie die MUPPET SHOW ohne Puppen funktionieren könnte. Meistens geht es aber noch weiter und wirkt wie der Versuch einer High Concept Komödie zum Thema Boys Will Be Boys von Regisseur und Autor Fozzie Bear.
Donnerstag 17.08.
großartig –
Die Fortsetzung ist kaum noch der stoischen Präzision einer geradlinigen Bewegung des ersten Teils verpflichtet. Stattdessen mäandert der Plot, und Robert McCalls bekommt mehr Platz, seine Überlegenheit gegen hilflose Gegner auszubreiten, d.h. dies ist mehr Actionfilm als der Vorgänger. Ich ziehe in diesem Fall aber doch die kalte Klarheit des ersten Teils vor.
Mittwoch 16.08.
fantastisch –
Cop Steve Burns (Al Pacino) geht Undercover, um einen Serienmörder dingfest zu machen, der in der schwulen S&M-Szene agiert. Pacinos Figur legt für diesen Job aber nicht einfach nur die eigene Identität ab und nimmt eine fiktive an. Vielmehr handelt CRUISING von unzähligen performativen Identitäten – in der besagten Fetischszene, bei der Polizeiarbeit, in freundschaftlichen und amourösen Beziehungen –, die zerbröseln. Wenn Burns zum Beispiel mit seiner Freundin (Karen Allen) schläft, sie völlig ignoriert, und sein begieriges Stoßen durch die Musik aus den Schwulenclubs, die auf der Tonspur zu laufen beginnt, angetrieben scheint. Zu diesem Zeitpunkt ist es nicht nur für den Zuschauer schwer zu sagen, mit wem er es zu tun hat, sondern Burns selbst dürfte es kaum noch mit Sicherheit sagen können.
Die Auflösung der Identitäten drückt sich dabei in Sex und Gewalt aus und führt dazu, dass der Film wiederholt in geradezu surreale Momente umschlägt – wenn beispielsweise ein gewaltiger Afroamerikaner, der nur eine Polizeimütze und ein Suspensorium trägt, in ein Verhörraum hineinspaziert, den Verdächtigen vom Stuhl schlägt und wieder verschwindet. Welche Begierden, Neurose, Psychosen und/oder Traumabewältigungsstrategien sich darin ausdrücken wird so nur angedeutet, weil CRUISING durchgängig daran arbeitet, den Figuren und der Geschichte das Feste und Klare auszutreiben. Je nach Interpretation des zu Sehenden und je nach Zählart gibt es bis zu vier Mörder, wenn ich es richtig überblicke. CRUISING ist ein erzählerischer Sumpf, der lediglich andeutet, was tatsächlich geschieht.
Auf der anderen Seite ist Friedkins Film – auch ohne die vierzig herausgenommenen Minuten expliziten Filmmaterials, die entfernt wurden, um von einem X- auf ein R-Rating zu kommen – erstaunlich explizit. Nicht nur weil eine tatsächliche Penetration ganz kurz in den Film geschnitten wurde. Vielmehr weil die detaillierte Präsentation einer ansonsten in Mainstreamproduktionen unsichtbare Lebenswelt ohne jede Scheue vonstatten zu gehen scheint. Teilweise sieht CRUISING in seinen Clubszenen schlicht wie die softe Version von Jacques Scandelaris NEW YORK CITY INFERNO aus. Etwas Übermächtiges – physisch wie psychisch – steckt in dieser Herausforderung von der gängigen Hollywoodnormalität. Im Gegensatz zur Handlung, die jede Menge Interpretationsspielraum lässt, ist die Realität des Gezeigten umso nachdrücklicher.
Das Ergebnis ist so vom Zusammenspiel von Härte und zerfließender Weichheit bestimmt. Von harten Schalen und weichen Kernen. Von innerer Auflösung und drastischen Abwehrreaktionen mit Klingen. Weshalb Al Pacino ein Glücksfall ist. Der eigentlich von Friedkin präferierte Richard Gere wäre zu schön und verführerisch gewesen, zu sehr schon eine Mischung aus beidem. Pacino hingegen stiefelt klein und plump durch den Film. Wie ein Stück Kantholz mit Fusseln auf dem Kopf. In seinen Bewegungen und in seiner Sprache mit all den Pausen und Hemmungen steht jedoch der Umstand eingeschrieben, dass er nicht in der Szene aufgeht, in die er sich begibt, dass er ein Fremdkörper bleibt. Die Unsicherheit strömt förmlich über diesem klobig wirkenden Körper.
Mit anderen Worten: dies ist ein Psychothriller der ganz allgemein von der Angst handelt, herauszufinden, wer man ist, und speziell von einer Abwehr gegen die eigene homosexuelle Lust. Und im Endeffekt brauche ich sicherlich noch einige Durchläufe um mehr als nur Ahnen zu können, was alles vorgeht.
Dienstag 15.08.
nichtssagend
HIGHLANDER als Porno, bei dem D’Amato gelitten haben dürfte, weil hier nur Pflichtübung auf Pflichtübung folgt und es höchstens am Ende ein klitzeklein wenig Platz für Laufen und das Seele Baumelnlassen in einer Welt der Leidenschaften gibt. Und nur sehr selten darf der Schangel des Beginns mal hier und da im Verlauf des Films walten.
Montag 14.08.
gut +
Das war zuweilen so herzverengend, dass ich ganz vergessen hatte, dass es eine Komödie sein soll. Mehr dazu bei critic.de.
Sonntag 13.08.
fantastisch –
Lotti Z. (7 Jahre) fragte, ob wir den mal wieder schauen können. Das hat mich sehr gefreut. Auch weil ich ihr jetzt die Romane von Alexander Wolkow vorlesen darf, die mich zwar erzählerisch jedes Mal ein wenig enttäuschen, aber die Illustrationen von Leonid Wladimirski habe ich in meiner Kindheit so oft angeschaut, dass es jedes Mal wie eine Heimkehr ist.
gut +
Die Kampfkunst dieses Films ist die politische Diplomatie. Ein Herrscher, der der völligen geistigen Umnachtung entgegensteuert, muss geheilt werden. Um den fähigen Arzt aus dem feindlichen Land zu bekommen, braucht es Bestechung. Dazu ist das Gemälde eines berühmten, versoffenen Malers nötig, der dafür die Anwesenheit seiner ihm noch unbekannten Muße verlangt. Die wiederum ist auf der Suche nach demjenigen, der das gleiche Jademedaillon besitzt wie sie. Weshalb die Regierungsbeamten wieder beim Kaiser landen … bzw. bei einem angeworbenen göttlichen Dieb, der es dem Kaiser entwenden muss, damit es endlich losgehen kann, den Stau zu lösen. Zudem treibt noch ein Heiler zwischen all dem sein Unwesen, der den Ablauf zu sabotieren versucht, um in der Gunst eines geistig getrübten Kaisers zu bleiben.
Zuweilen ist diese Suche nach Lösungen süffig und beschwingt, oft auch sehr elegant inszeniert. Vor allem sind diese Kleinigkeiten einer alltäglichen politischen Arbeit mit all den unterschiedlichen Parteien aber ermüdend. Weshalb die finale – garstige und alles zusammenfügende – Pointe einer Erlösung gleichkommt. Dass das Ergebnis also nicht endlos trübe ist, zeigt einmal mehr die Qualität von King Hu.
großartig
Ein subjektives Essay, in dem Regina Schilling ihre Wahrnehmung, die sie sich als Kind von AKTENZEICHEN XY machte, auf alle Kinder der Bundesrepublik überträgt. Ihr Portrait eines Werkzeugs, dass Paranoia hervorrief und wohl auch hervorrufen sollte, ist deshalb vll. nicht wissenschaftlich genau, stellt aber den Wahn seines Sujets eindrucksvoll nach … wodurch Eduard Zimmermann zu E.T.A. Hofmanns SANDMANN einer miefigen, verunsicherten Bundesrepublik gemacht wird. Mehr dazu von Thomas G. beim Perlentaucher.
ok
Schnell mal einer Uni-Koryphäe ein, zwei Fragen gestellt, jemanden der sich als Hexe identifiziert und einem Bekannten von Aleister Crowley, fertig ist die leidlich informative, schnell hingezimmerte Reportage über moderne Hexen.
ok +
William Blake-Gedichte werden zu absurden bzw. bedeutungsschwangeren Bildern von England und Krams vorgetragen. Zuweilen ist die Prätention so überzogen oder wird dermaßen gebrochen, dass nicht ganz klar wird, ob dies ernst gemeint ist oder vll. doch schon eine Vorform von Monty Python darstellt.
gut –
Es beginnt mit einem Sitarspieler, der etwa zwei Minuten lang den Film audiovisuell bestimmt. Es beginnt also mit dem Horror eines selbstbeweihräuchernden Hippiefilms. Danach wird dies aber bis fast ganz zum Schluss hinter sich gelassen und ein Essay beginnt, das sichtlich nach dem Prinzip entstand, dass sich eine Kamera geschnappt wurde und einfach – auch mal mit Fischaugenlinse und Schnickschnack – gefilmt, was einem in Nottingham vor die Linse kam. Im Guten wie im Schlechten ist daraus ein eklektisches Portrait eines eklektischen Viertels geworden. Zwischen kurzen Blicken auf einen nachbarschaftlich selbstgebauten Spielplatz, der den sozialen Zusammenhalt gegen die abwesenden Institutionen (mal von der Polizei abgesehen) aufzuzeigen versucht, und einer ausgedehnten Rockgruppe-macht-Musik-Szene liegen die einzelnen Fundstücke von der Wanderung des Kamerateams.
Sonnabend 12.08.
großartig –
Durch die unerwiderte Liebe Tinkerbells (Julia Roberts) zu Peter Pan (Robin Williams) sowie durch Rufios (Dante Basco) Abkanzlung und Tod ist dieser Film über die Vorzüge kindisch zu sein, um gegen Enttäuschungen und Pflichten anzukommen, auch erstaunlich tragisch.
großartig +
Home und persönliches Improvement: Die beste, gesund lebende, immer pünktliche und kontrollierte Version unserer selbst (Denzel Washington) kämpft gegen unseren inneren Schweinehund (die Russenmafia) und THE EQUALIZER erzählt mit ruhiger Kontrolle des erzählerischen Skalpells von der blutigen Selbstunterwerfung, die es ist, zucker-, gluten- und cholesterinfrei zu leben.
ok
Zu Beginn wird angetäuscht, dass hier etwas über modernes Hexentum erzählt werden würde. Aber Derek Ford scheint eine gewisse Abneigung gegen Informationen zu haben – so wird Hexenmeister Alex Sanders hier bei einem Interview zu sehen sein, aber die Antwort, die er auf eine Frage gibt, wird knallhart von einem Voice Over übertönt. Stattdessen gibt es fünf Hexenrituale. Die eröffnende stellt eine Hammer-Studios-Hexenorgie nach, womit gezeigt werden soll, wie es in Wirklichkeit nicht ist … nämlich reißerisch. Woraufhin vier korrekte gezeigt werden, die in Sanders Hexenzirkel praktiziert werden. Aber auch hier herrscht kein Interesse daran, eine alternative Religion und einen wilden, exotischen Weltzugang nachzuspüren. So bunt, grell und irreal die Bilder auch aussehen und sichtlich Wert auf das außergewöhnliche Umfeld legen, werden schlicht nur Leute gezeigt, die ohne Anteilnahme irgendwelche Dinge praktizieren. Geradezu buchhalterisch wird einer Vorgabe gefolgt, ohne dass es irgendwelchen – drastischen, spirituellen, atavistischen – Sinn ergeben würde. Symbolisch werden ein Mann und eine Frau beispielsweise bei einem Initiationsritus ausgepeitscht, was heißt, dass ihnen die Riemen ganz sachte an den Po gehalten werden. Kurz: diese nackten, halbnackten, absurd verkleideten Leute mit ihren komischen Reliquien gewinnen keine Form von Mystik. Womit wir eben nichts über die Secret Rites erfahren – außer den Umstand, dass die Realität so oft so viel banaler und lächerlicher als das ist, was wir uns in unserer Vorstellungskraft auszumalen verstehen. Da ziehe ich dann doch lieber wieder die Schafsleggins an und tanze mit den People Against Goodness And Normalcy (PAGAN).
ok –
Ein Amateurfilm von 1924, der vll. am ehesten zeigt, wie einfallsreich Méliès ca. 20 Jahre vorher war. Denn für diese kurze übernatürliche Geschichte, die gerade darauf aus ist, durch die Verfremdung der Realität Attraktionen zu generieren, kommt selten jemand auf die Idee, die Kamera für mehr zu nutzen als die Dokumentation der Schauspieler.
gut
Ein Durcheinander aus DIE SIEBEN SAMURAI, Chang Cheh, fragmentierender Cadrage, Rückblicksschnipseln und sehr viel Personal.
Freitag 11.08.
fantastisch
Es folgen ungeordnete Sätze. Schlafen, Echos aus der Vergangenheit und aus anderen Film Weerasethakuls. Mal in komplett durchchoreographierten Bildern, mal in stiller Hinnahme einer Gegenwart. Die Hauptattraktion sind die Krankenhausbetten in einer ehemaligen Schule in einer nicht gerade urbanen Gegend, die von Science-Fiction-Traumregulierungsanlagen umgeben sind. Teil eins zeigt ein Krankenhaus, in dem Leute eine Schlafkrankheit haben. Teil zwei zeigt das Wandern durch eine Vergangenheit, die nicht zu sehen ist. Oder: Alle Filme Weerasethakuls könnten Träume der Frau sein, die am Ende von BLISSFULLY YOURS einschläft. Oder noch anders: Der Film zeigt ein Leben, als würde die ganze Zeit unmittelbar aufgewacht werden, und vermittelt dem Zuschauer für zwei Stunden genau das Gefühl.
fantastisch –
Eine (quasi) inzestuöse Mutter-Sohn-Beziehung wird zum Alptraum, da die Mutter die Schwiegertochter in spe tötet, woraufhin der Sohn die Verstorbene ausstopft, ins Ehebett legt und beginnt Frauen zu ermorden, die ihn erregen und daran erinnern, dass der Fluchtpunkt seiner Lust gerademal für sich beanspruchen kann, nicht zu verwesen. Ergo handelt es sich bei BUIO OMEGA um eine direkte, schäbige, makabrere Version von PSYCHO – optisch wie inhaltlich. Nicht nur weil es mehr Gore gibt, sondern weil dies ein Film ist, in dem eine Mutterfigur ihrem quasi Sohn einen runterholt, während er vor der Puppe seiner Geliebten sitzt. Kurz: ein Film für die Ewigkeit.
großartig
Im Laufe dieser Woche habe ich drei Filme aus meiner Top 100 von 2012 geschaut. Mit den Plätzen 14, 17 und 18 sogar welche, die damals sehr weit vorne landeten. Und alle drei Wiedersehen waren ein wenig enttäuschend. Die Filme haben mir zwar noch gefallen, aber sie würden es dieses Mal nicht mal mehr in eine Top 10 meiner Filme des Monats August schaffen. YUKINOJŌS RACHE war mir zu verplappert, SEPTIEN nicht mehr so seltsam wie bei der ersten Begegnung und DEATH BY HANGING verkackt sein Potential schlicht Richtung Ziellinie.
Eine Stunde und 15 Minuten ist Ôshimas Film ein riesiges Vergnügen. Die beste denkbare alberne und epische Komödie über Todesstrafe, rassistische Vorurteile, die Problematik, dass leidenschaftliche Ankläger meist gegen Dinge kämpfen, die in ihnen selbst verstärkt walten, und den Umstand, dass die eigene Identität keinem sokratischen Dialog standhält. Wenn hier also ein japanischer Justizbeamter einem zum Tode verurteilten Koreaner, der sein Gedächtnis verloren hat, das vorspielt, was seiner Meinung nach bei der Tat geschah, um ihm auf die Sprünge zu helfen, wer er denn ist, und dabei so mitgerissen wird, dass er in einem inzwischen völlig surreal abgedrifteten Film selbst zum Lustmörder wird und sich vor sich und seinen Kollegen zu winden beginnt, dann bleibt einfach kein Auge trocken.
Sobald aber die auferstandene getötete Schülerin beginnt über Politik zu sprechen, scheint es, als wäre ein Schalter umgelegt. Der Spaß ist mit einem Mal vorbei. Es folgt eine selbstgefällige, dröge und zumindest bemüht abgefilmte Stunde politischer Philosophie, die keine Lust mehr am Quatsch hat, sondern sich auf die eigene Bedeutsamkeit versteift.
ok +
Das Companion Piece zu Sirks BATTLE HYMN. Auch hier geht es um eine sentimentale Geschichte mit Waisenkindern während des Koreakrieges, nur ist dies nicht das Märchen einer Rettung, sondern relevante Filmkunst mit der Aufdringlichkeit eines Spendenplakats. Zumindest die Widerholungs- und Rondostruktur ist nicht nur ziemlich schön, sondern steht auch kurz davor, eine Realsatire zu sein.
gut
Schummrige Bilder, schummrige Bedeutung. Oder, wie Tony Ryans sagt: die Schönheit findet sich nicht im Schauspiel, im Drehbuch, der Struktur, den Dialogen usw., sondern in der Attitüde.
fantastisch –
Als es dunkel wurde, die Leinwand sich öffnete und der 35mm-Überraschungsfilm mit einem Taxi, das durch eine Dampfwolke fährt, startete, war ich etwas unschlüssig. Einerseits hätte ich mir für den Abend etwas gewünscht, das ich noch nicht so oft gesehen hatte. Andererseits nahmen mich die Bilder und die Musik (Bernard Herrmann!) von der ersten Minute an gefangen. Vor allem tauchten mehrere Dinge in meinem Kopf auf, die ich mit TAXI DRIVER verband. Als ich 20 Jahre zuvor im gleichen Kino die vll. verregneteste Kopie meines Lebens gesehen hatte. Oder als ich mit 18 bei einem Videoabend Scorseses Film einbrachte und wie kurz nach dem Date im Pornotheater ein Mitschauender aufstand, wobei er deklarierte, dass er gehen würde, wenn der Psychokram weitergeschaut würde. Oder wie ich den Film das erste Mal (auf Sat1) gesehen hatte und etwas deutlich Zugänglicheres erwartet hatte. Mehr Genre, mehr Gewalt … mehr einen Film, zu dem ich mir einen Kult erklären konnte. So war ich durchaus überfordert. Dieses Mal war es keine Offenbarung, aber immer noch ein sensationeller, völlig unebener Film, der nahelegt, dass es deutlich schlimmere Filme gibt, mit denen ich mich dermaßen verbandeln hätte können und deren Wiedersehen mich an so unterschiedliche Punkte meines Lebens zurückwirft.
Donnerstag 10.08.
fantastisch –
Hautausschlag, ausbeuterische Jobs, keine Arbeitserlaubnis, Emigration, Lügen, Betrug, Depressionen, rote Ameisen im Picknick, Triebbefriedigung (die essentiell nur eine Pause im existentiellen Unbefriedigtsein darstellt), Mordgedanken, die in der Luft liegen: in der Stadt und im Wald gibt es nichts als Probleme. Und doch geht es Weerasethakul um Seligkeit. Den Bliss, wenn alles von einem beim Einschlafen abfällt.
Und vll. stellt Weerasethakul eben diesen Moment des Einnickens in seinen völlig unökonomischen Filmen nach. Und vll. sind sie deshalb so langweilig … auf dass wir hier und da den Moment erreichen, dass uns die Augen immer und immer wieder beim Schauen zufallen.
fantastisch
Der erste Teil spielt in einer ruralen Klinik umgeben von Feldern und Natur. Orchideen spielen eine zentrale Rolle. Soldaten laufen herum. Schlager führt zur Nähe zwischen einem Zahnarzt in Glitzerklamotten und einem Mönch. Dem Unangenehmen wird hier mit Geschichten aus dem Weg gegangen, die vom Film lieber verfolgt werden als die Realität. Der zweite Teil spielt in einer urbanen Klinik, die von einem keimfreien Weiß bestimmt ist. Umgeben ist sie von Industrie und Bäumen. Fotos werden gezeigt, statt Erzählungen ausgebreitet. Und überhaupt ist eine Erektion zu sehen, statt das um Gefühle getanzt werden würde.
Beide Teile sind sichtlich Spiegel voneinander, die im Grunde und oft buchstäblich das Gleiche erzählen. Nur in der Form und in ihren jeweiligen Handlungsorten unterscheiden sie sich voneinander. Wodurch es wieder nicht um These und Antithese geht, sondern um zwei Dinge, die – ist der Rauch (das böse Blut?) erst abgesaugt – eine versponnene Synthese ergeben.
großartig –
Ein Mann wird aus dem Gefängnis entlassen und wandelt nunmehr apathisch dahin und damit in seinen Untergang. Weil er nicht mal mehr im kleinsten Mikrokosmos Teil der Gesellschaft werden kann. Die Welt stellt für ihn nurmehr ein sprödes, sinnverlustiges, melodramatisches Gefängnis dar, und er dadurch gänzlich asozial und höchstens gesellig, wenn es um Zerstörung, Raub und sich ans Bein Pissen geht. Mehr noch als DIE LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD nähert sich Fassbinder hier seinem damaligen Ideal von Straub-Huillet als Genrefilmern an.
ok
Der neue Kriminalfall steht ganz weit am Rand. Wie mit Lotto-Otto im Vorgänger hätte dieser etwas neuen Wind bringen können. So bricht er nur hier und da – wenn beispielsweise höchst wissenschaftlich untersucht wird, ob sich mit 3,4‰ noch selbst erhängt werden kann – in das Zurückgeworfensein auf sich selbst auf.
In REHRAGOUT-RENDEZVOUS schmort Niederkaltenkirchen und vor allem die Familie Eberhofer im eigenen Saft. In seinen besten Momenten fällt es zunehmend völlig aus der Form … wie Sebastian Bezzel, dessen Bauch immer imposanter wird. Die Rolle des Helden und Sympathieträgers steht ihm zwar weiterhin ins Gesicht geschrieben, sein Handeln und symbolisch dafür sein Speck zeigen hingegen eine sich gehenlassende Couch Potato, die sich nicht mal für seine Oma zum Geschirrspülen hochraffen kann.
In den beliebigeren Momenten geht es um Running Gags, zu denen nichts Neues mehr einfällt (Vati kifft und Flötzinger geht in den Swingerclub). Oder es geht um Instagram oder neue Männlichkeitsentwürfe, die für die Niederkaltenkirchener – für die deutsche Provinz – eben noch exotische Neuheiten sind, die für ein paar launige Pointen herhalten dürfen … wie wenn Oppa gegen all das moderne Zeug schimpft und es trotzdem nutzt.
nichtssagend
Der einzige Spaß hierbei steckt im Titel und vll. im Twist, dass gute, intelligente Diktatoren schnell von der Menschheit die Nase voll hätten und vor ihr fliehen würden. Und: wenigstens ist es kurz.
uff
Für die Ehre und das Vaterland sterben-die Computerspielzwischenhandlungs-sequenz.
Mittwoch 09.08.
großartig
Der Humor der Klammer ist fast schon hundsgemein. In weiten Teilen der Exposition bekommt Suzanne (Anna Karina) von allen Seiten zu hören, dass das Gelübde als Nonne und das Leben im Kloster für sie alternativlos seien. Die Eltern haben ihr Vermögen schon in die Ehen der älteren Schwestern gesteckt, weshalb sie ohne Mitgift nicht auf dem Ehemarkt zu vermitteln sei. Und ohne Ehe würde sie schlussendlich auf der Straße und damit – sie sagen es durch die Blume, aber nicht minder deutlich – in der Prostitution enden. Also lässt sie sich irgendwann zum Gelübde erpressen und zieht unglücklich ins Kloster … aus dem sie am Ende flieht. Im Schnelldurchlauf wird sie daraufhin über die Straße ins Grab befördert. Nicht die Gepeinigte wird zu ihrem Recht kommen, sondern die Peiniger höhnend Recht behalten.
Zwischen diesem dramatischen Aufbau und seiner grimmigen Pointe befinden sich zwei mögliche Seiten des damaligen Klosterlebens – einmal als Militärdienst, einmal als dekadente Liebeshölle. So oder so betont Rivettes Film aber den Verzicht und die Trübnis in beiden Ausprägungen. Im ersten Kloster landet Suzanne unter der Knute eines preußischen Verzichtsdrills. Frauen werden mit diesem zu Selbstaufgabe und Untertänigkeit gemobbt und gefoltert. Später wandelt sich der Film zum bunten Melodrama, in dem mit Schmuck behangene Frauen von Lust und ihren Leidenschaften zerfressen werden. Oder: auf den spröden psychischen Torture Porn folgt das absurde Karussell der Sinnlichkeit, dass sich um jemanden dreht, der ganz gottesfürchtig und moralisch keinen Sinn für Sex hat.
Zusammen ergibt es eine brechtsche Studie darüber, fehl am Platz und ein Außenseiter zu sein. In der Gesellschaft, im eigenen Leben. Das ist zwar auf den ersten Blick stillsicher, kunstvoll und zurückgenommen, aber tief im Herzen vor allem makaber. Wobei die schönste Note das Wasserplätschern und der zugige Wind sind, die zuweilen in den Zellen Suzannes zu hören sind. Klamm, zugig und ungemütlich ist es überall, wo sie landet.
gut +
Von den Shanghai 13 wird wiederholt wie von einem Team gesprochen, dessen Anführer die Figur von Ti Lung sei. Und wiederholt wird ebenso getan, als ob eine Geschichte erzählt werden würde. Dabei geht es nur darum, von Ort zu Ort zu gelangen, wo jeweils andere Haudegen des Hongkongkinos warten, die miteinander kämpfen und nach getanem Auftritt wieder verschwinden. Zumeist handelt es sich dabei um ehemalige Stars aus der Hochzeit von Chang Chehs Kino – aus allen Phasen, von Jimmy Wang Yu bis zum Venom Mob. Es finden sich aber auch aufstrebende Schauspieler wie Andy Lau und Danny Lee dazwischen. Fast alle sind sie Teil der Shanghai 13, was sich nach und nach als Rangliste offenbart, die nichts weiter zur Sache tut und höchstens kommuniziert, dass es hier nicht um irgendwen geht, sondern um eine Ansammlung von Talent. Flankiert werden die 13 von Minions in Schwarzer oder Weißer Kleidung, was dem abstrakten Videospielsetting nur zuträgt.
Am besten ist SHANGHAI 13 dabei, wenn das Spröde des Chang Cheh’schen Spätwerks durchbrochen wird und Gefühle sowie Seltsames und Homoerotisches einbrechen. Wenn Andy Laus Tod beispielsweise von der Zeitlupenmontage von Liebesimpressionen einer Beziehung begleitet wird, die so überbordend und plötzlich Einzug hält, wie sie schnell wieder verschwindet. Oder wenn im Endkampf der Unterlegene stirbt, indem ihm ein sehr, sehr langes Rohr durch den unteren Bauch gestoßen wird und der aus ihm ragende Phallus direkt auf die Kamera zeigt.
großartig
Am Ende senkt sich die Waage von MOONFLEET schon etwas sehr Richtung DIE SCHATZINSEL, weil die Hauptfigur eben eine Art von Jim Hawkins ist, mit dem sich die moorig-düsteren Melodramatendenzen eines WUTHERING HEIGHTS nicht völlig umsetzen lassen. Da haben wir aber schon einen Film hinter uns, der erstaunlich darin war, DER KLEINE LORD zum düsterromantischen Meisterwerk umzugestalten … wie Jenny J. bei letterboxd treffend beschreibt. Und überhaupt überzeugt George Sanders ab seinem ersten Auftritt – besoffen mit schräg sitzender Perücke – als dekadenter awesome guy ist.
verstrahlt
Familiendrama, Traumabewältigungshorror, Con-Artist-Sportfilm: SEPTIEN ist das alles ein wenig, weil Michael Tully, wie er mal in einem Interview erzählte, nicht davon ausgehen kann, dass er weitere Filme machen kann, weshalb er in den aktuellen alles reinpackt, was ihn gerade so antreibt. Es ist aber auch nicht von der Hand zu weißen, dass SEPTIEN nichts von alldem wirklich (überzeugend) ist.
Zuvorderst ist Tullys Werk seltsam. Und das seltsamste ist der Gegensatz daraus, wie angenehm er inszeniert ist – wie sehr die warmen, diesigen Bilder nach einem Sundance-Publikums-Pleaser aussehen –, und wie krude er dann doch immer wieder daherkommt und wie den Dämonen und Unfertigkeiten der Filmemacher ohne Netz und doppelten Boden freien Lauf gelassen wird. Wenn beispielsweise zwei erwachsene Männer an den Nippeln ihres Bruders saugen, der auf dem Höhepunkt der Selbstoffenbarungen gesteht, dass er ihre Mutter sein möchte. Oder wenn ein cowboyiger Engel (oder Teufel) am Lagerfeuer mit Fernsehpredigersprüchen gegen die Traumata einer sexuellen Misshandlung in der Kindheit anruft und Erfolg zu haben scheint. In seinen besten Momenten ist SEPTIEN krude und lässt die geistige Nähe zu Ulli Lommel ahnen.
Die Musik ist darüber hinaus toll. Ebenso das Artwork. Die Sportszenen verlieren zwar durch den Schnitt etwas, der sich darauf versteift, die Treffer bei Tennis, Basketball oder Golf wie Pointen zu schneiden, statt auch mal dem Können etwas Platz zu bieten. Trotzdem sind sie mit das Beste am Film. Im Endeffekt haben wir es eben mit einem unrunden Ritt zu tun, der zumindest einiges draufhat, wenn es darum geht, Atmosphäre zu erzeugen … und deshalb sich damit begnügt fast vollständig Atmosphäre zu sein.
Dienstag 08.08.
gut
Erinnerungen und Vergangenheit als Echos (Erschütterungen) auf der Tonspur und als Abwesenheit von Dingen, die innerhalb des direkt Erlebten doch irgendwie gegenwärtig sind. MEMORIA ist Weerasethakuls sprödester Film, bei dem er sich Lav Diaz und Tsai Ming-Liang annähert und doch zuvorderst einer Kunstinstallation nahekommt.
großartig –
Ein Tearjerker, der zwischen Schmerz/Selbstaufgabe und Mutterglück hin und her pendelt. Auf der einen Seite steht dabei das Leben als dekadente, rauschhafte Party, mit der die seelische Selbstmarter ertränkt werden soll. Auf der anderen Seite befindet sich die Chance einer Frau eine Mutter zu sein, die vll. sogar die Erfüllung in einem bürgerlichen Leben findet. Ergo haben wir es mit einem zutiefst gespalten Film zu tun, einem propagandistischen Familienfilm, der ein Frauenleben nur in bürgerlicher Mutterschaft erfüllt sieht, der gleichzeitig ein schmerzhafter, genussvoller, makabrer, punkiger Anklageschrei gegenüber einer Gesellschaft ist, die jeden, der nicht in ihr Bild passt, moralisch unter Druck setzt und ausgrenzt.
ok
Eine dreiminütige Schnittfassung von SHOT könnte das Musikvideo zu SABOTAGE der Beastie Boys ergeben. Oder anders: dies wirkt wie ein niedrigbudgetierter Porno, der sein Geld bei dem Engagement von Sexwilligen gespart hat und stattdessen den Etat in Schießereien, Gore und Hubschrauberaufnahmen – so stolz sind die Macher auf diese, dass sie unablässig eingesetzt werden – investierte.
großartig –
Schlussendlich fällt dem Film auf die Füße, dass schon in seinem Aufbau eingelassen ist, dass es auf eine bedeutende gesellschaftspolitische Frage hinauslaufen soll. Vier Polizisten werden nämlich in den Mittelpunkt gestellt, die sich alle durch ein spezifisches soziales Problem auszeichnen, das sie früher oder später auf der anderen Seite der Trennlinie der polizeilichen Machtausübung stellen wird – der Neonazisohn, die Scheidung inklusive Schlammschlacht, einen Strafprozess wegen Polizeigewalt, die Räumungsklage der Mutter.
Besagte Machtausübung macht ihnen sichtlich Spaß und erfüllt ihr Leben sowie ihr Gesellschaftsbild mit Sinn – und sichtlich geht es ACAB nicht darum sie zu verteufeln, sondern die Ambivalenz dieses Spaßes und des Sinns maximal auszuloten. Irgendwann gelangt der Film aber an den Punkt, wo der Spaß und der Sinn durch die Probleme kippen. Dass dubiose und fragwürdige des Films – es sind seine Stärken – wird verwässert, die korrupten Polizisten werden nochmal mal überdeutlich und didaktisch enttarnt und vorgeführt. Nochmal wird unterstrichen, dass die vier nicht einfach nur auf die Anforderungen ihres Jobs reagieren, sondern problematisch handeln. Es der bisher gelebten Selbstverständlichkeit wird plötzlich Bemühung.
Ansonsten handelt es sich nämlich um einen schönen Endzeitthriller, der in der Gegenwart spielt. Das gezeigte Rom steht gesellschaftlich kurz vor der Apokalypse, während es optisch bereits die Postapokalypse erreicht hat – das Aufeinandertreffen von Polizei-, Gang- und Rowdygewalt findet in einem geradezu rechtsfreien Rahmen statt, auf den die Institutionen des Staates keinen Zugriff mehr haben. Hooligans, Obdachlosen, Unruhestifter; Querulanten und Nazis sind die einzigen Leute, die sich auf den Straßen dieses Roms finden … einem Cocktail der zur Eskalation strebt, während die zivileren Teile der Stadt blinde Flecken bleiben.
Als Thriller ist ACAB dergestalt tendenziös und melodramatisch. Stilistisch geht er dies aber ruhig an und lässt die Konflikte nicht zu schnell eskalieren, auf dass sie langsam Feuer fangen. Es ist eigentlich eine gelungene Mischung.
*****
Auf einer rein persönlichen Note machte mich das Orange der Nacht des Colorgradings etwas nostalgisch, da bei mir zu Hause inzwischen alle Straßenlaternen mit einem hellen, kalten Weiß ausgestattet sind, sodass der Nacht viel von ihrer früheren Atmosphäre verlorengegangen ist.
Und Lotti Z. (7 Jahre) fragte mich am nächsten Tag, was das A.C.A.B. bedeutet, dass auf der Mülltonne im Schulhof gesprayt steht. Zuerst hielt ich es für einen Zufall. Dann fiel mir aber ein, dass ich durch mein reichliches Angebot an Filmen Zeit spare und Filme lose, statt mich in den Weiten meiner Sammlung zu verlieren. Durch die Lose habe ich eine kleine Auswahl von Filmen vor mir, die ich mal sehen wollte, bei denen die Entscheidung nicht so schwerfällt. Es ist ein wenig, als müsste ich mich wie früher in der Fernsehzeitung entscheiden, ob ich nun ARD, Pro7 oder Vox schaue. Nur dass die Sender einen an mich angepassten Geschmack haben und mit dem Beginn auf mich warten. Egal. Unter den am Montag gelosten fünf Filmen hatte sich ACAB befunden, und auch Lotti hatte zwei Lose gezogen. Da sie nie nachfragt, was das für Filme sind, die da auf den Zetteln stehen, dachte ich, dass sie sich gar nicht dafür interessiert. Aber inzwischen denke ich, dass sie mehr aufpasst und sich mehr fragt, als ich mitbekomme.
Montag 07.08.
fantastisch –
Das Wort wurde dem Menschen gegeben,
um seine Gedanken zu verbergen.
Voltaire*
Die erste Hälfte besteht aus Fragmenten der (amourösen) Annäherung zweier Männer. Keng (Banlop Lomnoi) ist Wildhüter, Tong (Sakda Kaewbuadee) Arbeitsloser bzw. Tagelöhner. Eine moderne Stadt und ihr rurales Hinterland werden mittels der beiden gegenübergestellt. Aber auch Religion und Materialismus. Angst vor Tiefen und die Anziehung zu diesen. Die Ansätze einer Handlung werden durch Zeitsprünge und unklare Zuordnungen zersplittert. Falls die Figuren, die Sakda Kaewbuadee und Banlop Lomnoi hier spielen, überhaupt immer Keng und Tong sind.
In der zweiten Hälfte sind Raum und Zeit dann im Einklang. Ein Mann (Banlop Lomnoi) befindet sich mit einem anderen Mann (Sakda Kaewbuadee), der sich in einen Tiger verwandeln kann, im Dschungel. Beide machen Jagd aufeinander. Gleichzeitig sind sie füreinander Jäger und Gejagte, wenn sie einander ausdauernd auflauern – wobei sie auf ihre Körper zurückgeworfen sind. Sprich es gibt nur sie und den Dschungel. Die Liebesgeschichte aus dem ersten Teil wird dergestalt vll. noch einmal, aber anders erzählt. Vll. handelt es sich aber auch um die Fortsetzung des ersten Teils. Oder es ist einfach eine zweite Geschichte, die nichts mit dem anderen Kram zu tun hat. Sie erhält ja auch ihren eigenen Titel und ihren eigenen Vorspann.
Es liegt dabei nahe, dass die allgegenwärtigen Dualitäten – Urbanes und Rurales, profanes Abfilmen und schöne Inszenierung, Moderne und Vormoderne, Zivilisation und Animalität, Beredsamkeit (im ersten Teil wird geredet) und Sprachlosigkeit (im zweiten nicht) – Gegensätze darstellen sollen. Dass es sich um einen guten und einen schlechten Zustand handelt. Aber Weerasethakul tappt nicht in diese Falle, sondern betont immer wieder das Verbindende. Schon weil die Kontaktpunkte genug Gemeinsamkeiten besitzen, weshalb die Anschlusspunkte für Assoziationen und Überlagerungen fast zwangsläufig auftreten. Nicht das eine ist die Rettung und das andere die Verderbnis, sondern in allem zusammen liegt das Leid und die Schönheit, die sich gegenseitig jagen.
Eine der offensichtlichsten Interpretationen des Ganzen liegt darin, dass die Annährung, die nie zu einem offenen Liebespaar führt, von der Furcht vor der eigenen Homosexualität gekennzeichnet ist. Zumindest bei Sakda Kaewbuadees Figur(en). Und ich bin mir ziemlich sicher, dass da ein profunder universeller Sinnzusammenhang besteht. Aber in diesem Meer aus Möglichkeiten ist dies besser aufgehoben, als in meinen profanen Worten.
*****
* Zitiert nach Stendhals ROT UND WEISS, wo es dem 22. Kapitel vorangestellt, aber dem Jesuiten Gabriel Malagrida zugeschrieben ist, obwohl es doch fast durchgehend Tellyrand zugeschrieben wird, der es aber wahrscheinlich nie gesagt hat. Bei Voltaire findet es sich jedenfalls früher, aber nicht genau in der oben zitierten Tellyrand-Form.
großartig –
Kabukischauspieler Yukinojô (wie in der Version von AN ACTOR’S REVENGE aus dem Jahr 1935 von Hasegawa Kazuo gespielt) ist gezüchtet um Rache zu nehmen. Doch der Wille zu dieser Rache zersetzt ihn. Sein Geschlecht ist nicht klar – er ist ein Mann, gibt sich aber auch außerhalb der Bühne als täuschend echter Frauendarsteller. Außerdem spielt Hasegawa eine Doppelrolle und ist gleichzeitig noch ein Dieb, der seiner anderen Figur hilft – irgendwann offenbart sich, dass Yukinojô mit Geburtsnamen Yamitaro heißt … wie eben der Dieb. Er spielt somit womöglich zwei Ausprägung einer Persönlichkeit oder zwei Persönlichkeiten in einem Körper. Der Les Baxter-artige Lounge-Soundtrack ist darüber hinaus etwas irritierend und überhaupt betont Ichikawas Inszenierung mit artifiziellen Bühnen und Kameratricks, dass diese Welt aufgesplittert und ein Produkt ist, das im Gegensatz zu einer gegebenen Realität steht.
Teil dieser Abrechnung mit glorreichen Rachethrillern ist aber auch, dass Leben hier Theater bedeutet, was wiederum reden, reden, reden heißt. Bei der ersten Sichtung war ich vom optischen Reichtum so verzückt, dass ich gar nicht bemerkte, dass gut 50% des Films Informationen auf uns abladen. Leider ist es ziemlich enervierend alles haarklein erklärt zu bekommen. AN ACTOR’S REVENGE ist in dieser Form zwar immer noch toll, nur hat ein Naruse gefehlt, der seinen Schauspielern Dialogzeile auf Dialogzeile aus dem Drehbuch strich, um ihn richtig zu veredeln.
großartig –
That’s French cinema for you: Mit Jane Fonda in einer dekadenten Villa an der Côte d’Azur festsitzen und nichts anderes zu tun haben, als zu lesen und zu faulenzen …. und der Film tut so, als würde Grausames geschehen.
Dieser Zustand ist aber nur der Höhepunkt des gotischen Dekadenzthrillers LES FÉLINS, in dem Alain Delon etwas unnötig im Vordergrund herumscharwenzelt, während die Figur, für die sich der Film am ehesten interessiert, von Jane Fonda gespielt wird. Die Kamera versucht ihrer Schönheit – ihres Lächelns und ihres Körpers – eine Bühne zu bieten und sie folglich so sexy wie möglich einzufangen – inklusive Strips und Tänzen. Und doch muss sich Fondas Figur schmerzhaft damit auseinandersetzen, dass nicht sie die Verführerische ist, sondern die launische, bedeckte, ältere, stilsichere Figur von Lola Albright. Die Ausstattung, die Bilder, die Musik, alles ist dekadent schön … und doch ist die Frage des Films, was Aura und Sinnlichkeit ausmachen. Betont wird durchaus, dass die Antwort nicht bei simpler Schönheit zu suchen ist.
gut –
Eine grobschlächtige Pulperzählung über organisierte Monsterkämpfe und korrupte Promoter, in denen sich Monster und Menschen sich darin übertrumpfen – zwei Twists bereiten darauf vor, dass nichts so ist, wie es scheint, und damit indirekt darauf, dass noch zwei Twists folgen werden – mit Phallen Gewalt anzutun.
gut
Mord ist nicht ihr Hobby, sondern ihre Berufung. Claudette Colbert muss als Nonne einen Mord aufklären, um zu beweisen, dass sie auch das Richtige tut, wenn es für sie das seelische Höllenfeuer bedeutet. Und der Glaube an die Unschuld bedeutet nicht weniger als das, weil Colberts Umfeld lieber an die Schuld einer Angeklagten (Ann Blyth) glaubt, als an die überzeugenden Argumente einer sie überstrahlenden Tugendhaften, der sie nur zu gerne unterstellen, dass sie lediglich Recht behalten möchte.
Das Ergebnis ist ein Melodrama, dass von seinen Krimianteilen ausgebremst wird. Der Mordfall ist sehr offensichtlich und hält nicht ansatzweise die Leidenschaft bereit, der in einem Aufbau lauert, der unsere Heldin in den Wahnsinn treiben soll. Wenn die Angeklagte aber ihre Pein in die Welt hinausmotzt, wenn Colbert doch gegaslighted wird, wenn eine Flut einen Konvent zur von Wasser umgebenen, klaustrophobischen Rettungsstation wird, die von einem Nebelmeer umschlossen ist, über das übergesetzt werden muss, um den Anwalt des Teufels in das Pulverfass des Konvents zu holen, dann ist THUNDER ON THE HILL ein wunderbarer Hort von verrückter Theatralik und optischer Opulenz.
Sonntag 06.08.
großartig –
In einem Ferienhaus in Dänemark war die vorangegangene Woche das zentrale Thema, ob nun Tuborg oder Carlsberg die präferierte Biermarke der Olsenbande sei. Einen Tag nach der Heimkehr offenbarte es sich, als Dynamit-Harry (Preben Kaas) von Egon (Ove Sprogøe) nach einem Bier gefragt wurde. Der starke Alkoholiker Harry ist zu diesem Zeitpunkt aber seit acht Monaten trocken und gibt energisch zu verstehen, dass er kein Bier unter seinem Dach dulde. Eine Brause könne er Egon anbieten, woraufhin er ein Carlsberg aus dem Kühlschrank holt. Später im Film wird Harry sich selig in einem Tuborg-Transporter betrinken. Meine verehrten Mitreisenden hatte also einen Kasten Limo getrunken.
Ansonsten der vll. erste richtige Film, der zu sich gekommenen Filmreihe. Der Einbruch mit Spielzeugpanzer, die heraus- und hineinmäandernde Suche Bennys (Morten Grunwald) und Kjelds (Poul Bundgaard) nach bürgerlicher Stabilität, der eingefrorene Egon, das Mitfiebern, ob Egon endlich erkennt, dass er sich nur auf Børge (Jes Holtsø) verlassen kann: dieses Mal fällt der Film nicht zwischendrin auseinander, sondern liefert von Anfang bis Ende.
nichtssagend
Im Gegensatz zum entsprechenden Drittel der SIMPSONS-Halloween-Episode, in der ebenso eine kleine, sich rasend schnell entwickelnde Zivilisation beobachtet wird – hier im Kühlschrank, dort in einer Schüssel –, wird hier nichts geboten, außer dem Gefühl machtlos zuzuschauen, dass eine Zivilisation untergeht … wobei das Motiv der auslöschenden Bomben noch aus dem Kalten Krieg stammt, während sich aktuell so viel zusätzliche Möglichkeiten einer Ausradierung aufdrängen.
großartig +
Neben dem Umstand, dass Baumkronen, Treppen und Mühlrädern in CAPTAIN LIGHTFOOT wie Monumente einer existentiellen Schönheit eingefangen werden (Kamera: Irving Glassberg), ist dies ein Film des Geschehens. Nicht nur weil er seinen Fetischen freien Lauf lässt, wenn beispielsweise ein ungeschickt hantierenden Rock Hudson mit seinem Schwert (d.i. seinem Penis) ausversehen Frauenröcke anhebt oder wenn er jungen selbstbestimmten Frauen den Hintern versohlen darf. Vor allem ist es der Film eines romantischen Aktionismus, weil fast alle Männern von keinem Gedanken in ihren Handlungen behindert werden. Impulse treffen auf sie, worauf sie lächelnd oder beleidigt ins Getümmel springen. Frauen bekommen derweil die Freiheit ganz Emotion zu sein, weshalb sie aber zu passiv für das aktive Hallodritum werden, das CAPTAIN LIGHTFOOT antreibt. Sirk lässt uns aber nicht einfach nur den Spaß dieses puren romantischen Handlungsdrangs, sondern bietet darüber hinaus noch das Amüsement der ungläubigen Verblüffung der Gecken ansichtig zu werden, wenn sie erleben wie jemand geplant und strategisch handelt … weshalb dies nicht weniger als ein angeschickerter Film von, mit und für Narren ist.
Sonnabend 05.08.
nichtssagend
Drei Roboter machen einen Touristenausflug in die Postapokalypse und interpretieren die Rückstände der menschlichen Zivilisation, der sie ansichtig werden, etwas falsch. Wodurch selbstredend bissige Kommentare über den aktuellen Zustand der menschlichen Zivilisation gemacht werden. Dazu gibt es Katzen. Kurz: eine Komödie mit sehr cleveren Witzen und einem cleveren Aufbau, wobei aber tunlichst darauf geachtet wird, sich nichts – d.i. geniale Dumm- und Albernheiten – zu wagen.
ok
Nette kleine Pulpminiatur, die vorhersehbar wie nüchts ist, dafür aber den sehr schön unangenehmen Auftritt eines riesigen Spinnenwesens sein Eigen nennt. Zudem: Zwei der Protagonisten haben Sex, und es wird auch mehr oder weniger gezeigt. Es ist irritierend, wie sehr solches Bildmaterial irritieren kann, weil es eben so selten geworden ist.
Donnerstag 03.08.
gut –
Großartig: Wie der Fußballkommentator der Übertragung des Länderspiels zwischen Dänemark gegen Schweden ebenso den Raub der Olsenbande kommentiert, die die Wohnung eines reichen Fußballfans ausräumen, während dieser nicht den Blick vom Fernseher abwenden kann; als auch der Einsatz von Enten beim Überfall eines Geldtransports und die Gesangseinlage einer konkurrierenden Bande, die Egon Olsen die Beute unter der Nase entwendet.
Nicht so großartig: Dass auch hier die Luft irgendwann raus ist und das Hin und Her zwischen den beiden Banden, was den zweiten Teil des Films bestimmt, schnell totgeritten ist.
Juli
Montag 31.07.
gut –
Immer noch auf der Suche nach neuen Wegen – wobei die kommende Formel sich aber dieses Mal langsam abzuzeichnen beginnt – begibt sich die Olsenbande im dritten Teil in eine Hinterwäldlerkomödie, wobei sie von den Hillbillys tüchtig abgezogen werden. Dabei haben sie mit gefluteten Nazibunkern und einer Militärklamotte Kontakt.
Sonntag 30.07.
gut
Eine Art Übergangsfilm, der eigentlich zu nichts Neuem überführt. Während nämlich die kommenden Filme sich darauf einschießen, den ersten Teil zu kopieren und lediglich den Stummfilmslapstick-Anteil verringern, versucht der zweite Teil zu neuen Ufern aufzubrechen. Was zuerst vorzüglich gelingt, wenn die rehabilitierte Olsenbande plötzlich die Absurdität der Arbeitswelt in Form einer Tati-Komödie zu spüren bekommt – sie müssen am Fließband die Qualität von Bällen und Murmeln für den Spielzeugfachhandel prüfen, indem sie gegen jedes einzelne Produkt mit dem Finger schnippen. Nach einer sehr schönen Befreiungsszene, in der die ganze Fabrik mit den Bällen zu spielen beginnt, befindet sich der Film aber in einer Sackgasse. Also wird eine Bank ausgeraubt, die die Olsenbande – inzwischen bei einer Reinigungsfirma angestellt – säubert. Das folgende Hin und Her zwischen Mafia und dem sich reinwaschen wollenden Egon Olsen erreicht nur noch selten den absurden Schwung, mit dem der Film begann. Am bleibendsten ist deshalb wohl der Auftritt von Ghita Nørby als Sozialarbeiterin, die mit ihrem schönen Lächeln Egon auf die anständige Bahn bringt, vor allem aber die Reinigung der Reihe bewirkt, die nach dem ersten Teil nicht in die Puffs und Sexshops des ersten Teils zurückkehrt.
Donnerstag 27.07.
fantastisch –
Ich habe noch nie einen Schauspieler (Rossano Brazzi) gesehen, der romantische Leidenschaft mit dem Gesichtsausdruck eines gefühlsbetonten Pornodarstellers während einer Hate-Fuck-Szene spielt, während er in einem zuckerüberzogenen, deliranten Bayern steht, das von Ludwig II.’s Fieber-träumen entworfen scheint. Und während er sich in eine nette All-American Love rettet, um die verrückte, anstrengende Ehefrau (Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg) aus seinem Kopf zu streichen. Sirks Heimkehrerball ist einfach ein durchgeknallter, sensationeller Horror-Heimatfilm.
Mittwoch 26.07.
großartig –
Als Kind habe ich die Olsenbande geliebt. Seit mein Alter zweistellig ist, habe ich aber keinen der Filme mehr gesehen. Nun war ich erfreut festzustellen, dass (zumindest) der erste Teil zu großen Teilen in einem Puff spielt – sowohl Egon (Ove Sprogøe) als auch Benny (Morten Grunwald) gehen mit ihren Frauen in den ersten Stock und tauchen später im Hintergrund des Bildes wieder auf, dessen sie sich ihren Hosenstall bzw. ihr Hemd schließen. Außerdem geht es im Film immer wieder um Nacktfotos, Sexmagazine, Sexshops und (verklemmte) Männer, die vor lauter nackter Haut genau wissen, was sie wollen, aber nicht immer, wie sie es bekommen. Der Film spielt mittels all des Sexes mit dem Bild von Skandinavien als dem Schmuddelmekka der 1960er und 1970er Jahre. Der Heist-Slapstick, der sichtlich von Stummfilmen inspiriert ist, ist aber auch ganz schön.
Dienstag 25.07.
großartig –
Ein moderner Einsiedler Kosuke (Nagaoka Tasuku) sitzt in seinem Pappkarton- und Zeltwandhaus in der Wildnis und hört nachts die Geräusche der wilden Tiere. Oder anders: der zölibatär Lebende, der sich von zu komplizierten Affären erholen möchte, hört wie sich seinen Sexualtrieb bemerkbar macht. Die grobe Filmhandlung besteht im Grunde lediglich daraus, dass er von Shiori (Mamiya Yuki) verfolgt, belästigt, angeteast und sexuell provoziert wird, weil sie mit ihm schlafen möchte, es ihm aber nicht zu einfach machen will, wenn er schon nicht dafür bezahlt. Andere Menschen landen im Orbit dieser Ausgangslage und bedeuten zuvorderst auch noch mehr Komplikationen für ihn.
Die Handlung ist aber nur das hauchdünne, ein wenig bescheuerte Gerüst für ein erstaunlich erotisches Spiel mit der Lust– gerade für einen Roman Porno. Ständig begehrt sie auf, führt dazu, dass Kosuke unbefriedigt mit ihr zurückbleibt, bis das sexuelle Drängen aus allen Nähten platzt und der Film in der Montage einer exzentrischen Zeltplatzorgie seinen Höhepunkt findet. Und Shiota Akihiko nutzt die Kamera zurückhaltend, aber effektiv als Werkzeug, um dies mit lakonischer Absurdität zu erzählen und um das Ansteigen der Lust, durch die die Leute ein wenig bescheuert handeln, zu genießen. Von Beginn an lässt er keinen Zweifel daran, dass er da ist, um Blödes zu kleinen, schönen Wunderlichkeiten zu machen. So feiert Mamiya Yuki vll. einen der denkwürdigsten ersten Auftritte in einem Film, wenn sie mit einem Fahrrad unvermittelt in diesen und dabei ins Meer fährt.
Montag 24.07.
großartig –
Es hätte dazu kommen können, dass ich beim Perlentaucher über BARBIE hätte schreiben dürfen. Nur leider habe ich es nicht zur PV geschafft … angesichts des Textes von Carolin W. bin ich ganz glücklich, dass ich verhindert war. Ansonsten war es so nun ein Erlebnis mit Lotti Z. (7 Jahre) den Film zu gucken, die einerseits nicht ganz verstand, was da alles los war, die aber gleichzeitig nur zu gut verstand und vom Drama wirklich mitgenommen war.
großartig
Benno Führmanns Eyes! Die hat ja schon Kim Carnes besungen. Er schaut fast den gesamten Film mit dem Dackelblick eines geschlagenen Hundes, und doch leuchten sie Blau voller Sehnsucht Ein sanfter Regenbogen des Verlangens geht von ihnen aus. Irgendwie habe ich sie das erste Mal wirklich gesehen.
WOLFSBURG selbst hatte ich schon einmal gucken wollen und wie ich nun feststellte, hatte ich auch schon ca. eine Stunde durchgehalten, bevor ich entnervt abgebrochen hatte. Mir erschien es damals wie eines dieser vorhersehbaren, getragenen deutschen Dramen, die überkonstruierten Plots brauchen, um ihre Sucht nach grellen Konflikten zu befrieden. Und irgendwie ist es das auch irgendwo. Nur betont Petzold eben nicht das Offensichtliche der Handlungsebene, sondern das Innere der Protagonisten. Vor allem in dem er mit Auslassungen und Anspielungen arbeitet, die wie verräterische Herzen funktionieren. Wenn Führmanns Figur beispielsweise seine Freundin bittet das Wasser für ein gemeinsames Bad einzulassen und er daraufhin losfährt und nie geklärt wird, ob er sie einmal mehr hat sitzen lassen oder ob zwischen Bitte und Abfahrt noch etwas geschah. Es brennt einem unter den Nägeln, es wissen zu müssen. Oder wenn beständig die Wahrheit in der Luft liegt, aber dann doch nie angesprochen wird.
Mehr als alles andere ist WOLFBURG aber ein Film übers Auto- und Fahrradfahren. Über den dringenden Wunsch wegzukommen, nicht in der eigenen Wohnung zu sein … und doch sich nicht loszuwerden. Nicht über den Fakt hinwegzukommen, dass man in Wolfsburg lebt.
Sonntag 23.07.
ok –
Ich hätte mir den Anti-ARIELLE-Film mit High-School-Außenseiter-Schlagseite gewünscht, den der Trailer versprach, und nicht diesen lauen TURNING RED-Aufguss, der sich dann in Wirklichkeit vor mir abspielte. Zumindest die Bilder waren schön glitzernd und leuchtend.
ok
Vier Gedanken zu diesem grotesken Film, der, wie Jochen W. sagt, die dreistündige „Was bisher geschah“-Montage der prätentiösesten Soap Opera der Welt sein könnte:
– Die Musik irrlichtet durch den Film. Manchmal passt sie, meist dudelt sie aber an den Szenen und ihren emotionalen Inhalten vorbei und versucht sie mit etwas aufzuladen, was nicht da ist.
– Ich hatte nicht das Gefühl, dass Nolan Quantenphysik, Atombombe, Wissenschaftleregos, Liebes- und politische Wirren, Moral und Krieg wirklich über eine oberflächliche Zusammenmatschung hinaus in den Griff bekommen würde. Nachdem sich abzeichnete, dass OPPENHEIMER infolge der erhebenden Explosion nicht enden würde, sondern weitergeht, damit Nolan als Twist noch jegliches lose Ende aufsucht und uns präsentiert, dass die offenliegengelassenen Momente tatsächlich noch gefüllt werden müssen, war ich ziemlich entnervt.
– Es gibt einige denkwürdige schauspielerische Auftritte. Rami Malek schafft es beispielsweise sich in drei kurzen Darbietungen so aufdringlich ins Bild zu drängen, dass es scheint, dass er eine neue Art gefunden hat, fröhlich in die Kamera zu winken, ohne es tatsächlich tun zu müssen. Aber Cillian Murphy ist der faszinierendste von allen, wenn er scheinbar – Achtung Bonmot! – mit der Fusion etwas falsch verstanden hat und spielt, als würde er den vierten Tag am Stück in Lärz durchmachen. Die Augen weit aufgerissen, verhärmt, blickt er steif umher, als würden immer wieder neue Informationen in seinen sich wunderndes, chillendes, jungfräuliches Bewusstsein eindringen.
– Zumindest habe ich jetzt ziemlich viel Lust AMERICAN PROMETHEUS zu lesen und etwas mehr herauszufinden, als dieses groß aufgezogene Ding, dass sich im Grunde mit der Ambivalenz begnügt: es ist nicht klar zu unterscheiden, ob Oppenheimer nun berechnender Opportunist oder wirklich von seinem Gewissen verfolgt ist.
Sonnabend 22.07.
gut
Schönes Lustspiel für den Sonntagnachmittag mit Verwechslungen, Intrigen und Liebe … wobei Jopie Heesters kaum eine Chance erhält als verliebter Jüngling zu punkten, wie der Antagonist, der Vater seiner Figur, kaum Untaten vollbringen darf. Glückselige Harmonie für 80 Minuten … mit etwas anzüglicher Zweideutigkeiten hier und da. Biedermeier unter der Naziherrschaft.
gut –
Das zentrale Stilmittel von Yukisadas Film besteht darin, Satis GYMNOPÉDIES anzuspielen, wenn Regisseur Furuya (Itao Itsuji) mal wieder beiläufigen Sex mit wieder jemandem hat. Seine Frau liegt im Koma, ebenso wie seine Karriere. Mit Sex versucht er die innere Leere zu füllen. Weshalb Satis nostalgisches Klaviertröpfeln hervorragend funktioniert. Der Sex wirkt damit traurig und verloren, statt verführerisch und lüstern, aber zudem auch absurd, weil Furuyas Traurigkeit auch übergriffig und egoistisch ist. Der japanische Titel und sein englische Äquivalent sind dem deutschen deshalb mal wieder vorzuziehen – AROUSED BY GYMNOPÉDIES –, da es eben nicht um einen Klang der Verführung geht, sondern um Trauer, Sex und Albernheit. Ansonsten wird kaum etwas versucht. Das Ergebnis ist so mehr oder weniger ein One Trick Pony.
Freitag 21.07.
gut
Die Geschichte eines Moses (Rock Hudson als Colonel Hess), der 400 Waisenkinder im Korea-Krieg ins gelobte Land eines Kinderheims führt. Zuweilen scheint es, dass ein sirksches Melodrama Einzug halten möchte – wenn ca. nach der Hälfte des Films Mary Hess (Martha Hyer) in der Heimat ein Kind bekommt, im provisorischen Waisenhaus in Korea sich parallel aber auch die Liebe zwischen ihrem Mann und der Heimchefin En Soon Yang (Anna Kashfi) anbahnt. Doch so sentimental es in den Film hineinschwingt, so wenig materialisiert sich das Drama. Stattdessen eben der verkappte Bibelfilm, der der Selbstkasteiung von TWELVE O’CLOCK HIGH – die dort nötig ist, um einen Krieg zu gewinnen – den Drang zum Aufbau entgegenstellt. Nicht nur militärisch muss gewonnen werden, sondern die nächste Generation der Bevölkerung gerettet werden. Weshalb es eben nicht nur Soldaten, sondern auch Sozialarbeiter bedarf. Und dann kann auch das Trauma eines im Zweiten Weltkrieg weggebombten Waisenhauses durch den Bau eines neuen im anderen Land abgeschüttelt werden. Auge um Auge, wie Jesus es sich gewünscht hätte, vll.
gut –
Ich war sehr müde und Lotti Z. hat die Pippi-Filme in den letzten drei Jahren hoch und runter geschaut. Es waren nicht die besten Voraussetzungen, um PIPPI IN TAKA TUKA LAND zu genießen. Vor allem wurde noch deutlicher, dass der Film, sobald Taka Tuka Land erreicht ist, deutlich abfällt. Denn irgendwie fiel ich nach dem sehr schönen Anfang völlig aus dem Film. Auch im Saal wurde es deutlich ruhiger und die zuvor fröhliche Stimmung verflüchtigte sich. Denn: Nur Messer-Jocke stellte sich vermehrt dem Umstand entgegen, dass der Film fast nichts mehr mit Piraten und Pippi anzufangen weiß.
Donnerstag 20.07.
großartig
Durch so manchen Shoot-Out zwischen Jägern fühlen sich Heimatfilme zuweilen wie Western an, auch wenn sie rein mythologisch etwas diametral Entgegengesetztes verhandeln. Dort der Westen, der besiedelt werden muss und wo sich die Zivilisation durch Gewalt aus dem Naturzustand erhebt. Grob. Hier das idealisierte Landleben, dass sich der Dekadenz der Zivilisation entgegenstellt. Grob. Und auch wenn TAKE ME TO TOWN nahe der Frontier angesiedelt ist, die Leute Cowboyhüte tragen und es um Tänzerinnen in Saloons geht, handelt es sich eben doch nicht um einen Western, sondern um einen Heimatfilm.
Eine Tänzerin (Ann Sheridan) kommt bei einem gottesfürchtigen Holzfäller (Sterling Hayden) unter, weil sie sich vor dem Gesetz verstecken muss. Dabei lernt sie die Vorzüge eines bescheidenen Lebens kennen und besiegt – auch durch drei sensationell geschriebene und gespielte Tristkinder – ihre innere Dekadenz, während eine puritanische Gemeinde durch sie etwas mehr Atmen lernt … wobei das pharisäische Herabschauen auf verderbte Frauenzimmer auch aus den Mitmenschen rausprügelt werden muss.
Das Drehbuch hält so manche Dialogperle bereit. Wenn beispielsweise Ann Sheridan von den drei Kindern ins Haus des abwesenden Hayden gelotst wird, sie ihnen im Abendkleid, das ihren Körper mehr herauskehrt, als versteckt, Essen kocht und Hayden nach Heimkehr sie abweidend begrüßt:
Kind: He likes you.
Sheridan: What makes you say that?
Kind: The way he looked at your meat pie.
Und Sirk hat sichtlich Spaß die Heimat mit Sex zu durchziehen und sie frivol in eine genüssliche Feuchtfröhlichkeit zu ziehen, die mit sich im Reinen ist … während nominell durch die Handlung das Gegenteil erzählt wird.
Mittwoch 19.07.
gut +
Vom Charme des Schlangenölverkäufers und den schrecklichen Zuständen, wenn Geld in der Politik herrscht. Inkl. AVE MARIA-Glückseligkeitstrübnis. ♥
Dienstag 18.07.
großartig +
Die Komödien Sirks sind alles in allem die Gegenstücke zu seinen Melodramen. Die Familien zerfallen hier zwar auch, doch werden sie gekittet. Die Ursachen der Konflikte sind einfach auch nicht umfassend, sondern betreffen nur einzelne Schwarze Schafe oder Verblendete. Alle sind zwar exzentrisch, aber nicht ver- und entrückt, vom Schmerz zerfressen oder niedergekämpfte Romantiker.
In HAS ANYBODY SEEN MY GAL? bekommt die Familie Blaisdell 100.000 $ geschenkt. Und weil die Mutter endlich auf großem Fuß leben und eine repräsentative Existenz führen möchte und weil der Vater sich ihr nicht in den Weg stellt, sterben Liebe und Unschuld in der Familie fast einen melodramatischen Tod.
Unter den Blaisdells befindet sich inkognito aber auch ein Millionär (Charles Coburn), was aus HAS ANYBODY SEEN MY GAL? im Grunde ein Anti-CITIZEN KANE macht. Er hat keine Erben und kommt bei der Familie unter, um zu schauen, ob sie sich als solche eignen. Wie allbegabter Santa Claus rettet er die Existenzen der Kinder in dem Sturm, der auf das Geld folgt. Und durch das einfache Leben und das Servieren von Tuttifrutti-Eisbechern erhält er aber sein Gefühl von Rosebud zurück und erkennt, dass Geld korrumpiert, weshalb niemand damit behelligt werden sollte. Und ganz anders als CITIZEN KANE gibt es hier keine bittere, von der Gnade geküsste Kunstfertigkeit, sondern Tanz, Amüsement und das hinter Spaß versteckte Misstrauen in die US-amerikanischen Werte der 1950er Jahre.
Montag 17.07.
fantastisch –
Spätestens wenn ein Kind hier in einem einem Flugzeug nachempfundenen Karussellwagen sitzt und während der Fahrt zusehen muss, wie sein todes-sehnsüchtiger Vater (Robert Stack) mit seinem Flugzeug abstürzt, wenn das Kind noch dazu hysterisch darum kämpft, dass alles aufhört – die Szene vor sich, das Drehen der Jahrmarktsattraktion – dann sollte klar sein, dass THE TARNISHED ANGELS nur zu gern über den Strang schlägt. PTSD, unerfüllte Liebe und sexuelles Verlagen, gescheiterte Karrieren, das Stranden am Rand der bürgerlichen Gesellschaft: alles frisst an den Leuten und lässt sie verrückt und sadistisch werden, aus der Haut fahren … und vor allem führt es zu Unmengen fließenden Alkohols. Aber Sirk lässt die Leute und den Film nicht einfach nur freidrehen. In kleinen Momenten von zwischenmenschlicher Nähe innerhalb dieses Säuresees findet sich mehr Hoffnung und Mitgefühl als in den Filmographien der allermeisten Regisseure.
Sonntag 16.07.
uff
Thomas Astruc has been robbed. Jeremy Zag drängt den kreativen Kopf einer oft hässlichen Serie, die aber in einigen Folgen das eigene Korsett abwirft und erzählerischen Schneid beweist, aus dem dazugehörigen Kinofilm. Er macht ein Egoprojekt daraus, in dem Zag für Regie, Drehbuch, Produktion und die Songs verantwortlich zeichnet, das aber nur einen groben Zusammenschnitt einer nicht existenten Serie bietet, die durch fürchterliche Lieder völlig außer Form gerät.
großartig –
Es beginnt mit einer schnellen Trauung. Tony Curtis und Piper Laurie können es schlicht nicht erwarten, miteinander ins Bett zu steigen. Was folgt ist ein filmischer Cockblock. Eine Komödie deren Witz darin liegt, wie sich alles gegen den – natürlich nie genannten, aber stets überdeutlich gemeinten – Sex verschwört. Krankheit, Armee, Schwiegereltern, die sich in den heimischen vier Wänden ausbreitende Familie, Alptraumkinder und die Bestrebung eines Kapitalisten eine Pipeline durch den Weinberg und das Haus von Tony Curtis zu ziehen – mit anderen Worten dessen Bestrebungen selbst Piper Laurie zu begatten –: die USA mit all ihren Institutionen wehrt sich gegen die Lust. Hinzukommt das nicht diagnostizierte PTSD des Kriegsheimkehrers Curtis sowie ein Psychiater, der den Wahnsinn der Situation nicht erkennen möchte, aber jeden, der vor ihn tritt, zum Neurotiker erklärt. Das moderne Familienleben als Zirkus. Ein Vergnügen.
Sonnabend 15.07.
fantastisch –
DIE GÖTTLICHE KOMÖDIE unter den Flutschfilmen. Nicht weil die Geschichte eines macht- und geldgeilen Abstiegs innerhalb einer symbolischen Parallelgesellschaft – dem unser Held (Jamie Gillis) nur durch Liebe entkommt – den Abstieg Dantes in die Hölle nachzeichnen würde. Auch nicht, weil der Film episch und ausladend wäre. Sondern, weil die Inszenierungskunst – die Farben! – diese Welt mit einer poetischen Gnade ausstattet, die ebenso die Jahrhunderte überdauern müsste.
Freitag 14.07.
gut –
Einer der vier apokalyptischen Reiter wird ausgetauscht. Statt dem kanonischen Hunger reitet Conquest durch den Himmel. Was steckt aber in Eroberung drin, was nicht in Krieg enthalten ist? Ich dachte an Liebe und sah mich bestätigt, als sich Glenn Fords Julio in die verheiratete Marguerite (Ingrid Thulin) verliebt und sie eine Affäre beginnen. Vielleicht habe ich deshalb zu sehr ein Melodrama mit kochendem Blut erwartet, Eifersucht und unkontrollierte Gefühlsausbrüche. Der Titel wird solche Erwartungen bestimmt auch befeuert haben Stattdessen bleibt THE FOUR HORSEMEN OF THE APOCLYPSE aber gesetzt, ernst und zurückhaltend.
Erzählt wird die Geschichte einer argentinischen Familie. Die eine Tochter eines Gauchos (Lee J. Cobb) ist mit einem Deutschen (Paul Lukas) verheiratet, ihre Schwester mit einem Franzosen (Charles Boyer). Der Sohn des Deutschen (Karlheinz Böhm) wird glühender Nazi, der französische Teil ringt in Paris lebend um Neutralität. Die Besatzung Frankreichs zerreißt die Familie vollends. Aber kaum einmal kommt es vor, dass Gefühle aus jemanden herausbrechen. Still schwillt das Drama an und erst am Ende löst ein Bombenhagel den Knoten – der Gefühle und der Alliierten.
Meist suchen die Figuren nach Contenance und sperren die bewussten oder unbewussten Gefühle weg. Bei Paul Lukas‘ Figur trägt es beispielsweise sehr schöne Blüten. So wird er in einer jubelnden Menge vor Hitler stehen. Seine Vorbehalte schwinden dabei langsam, und er hebt bedächtig den Arm, und das sichtliche Unbehagen des Schauspielers Lukas wird dabei nutzbar gemacht. Die Anhängerschaft seiner Figur ist naiv, opportun, voller Scheuklappen. Die Nazis scheinen Recht zu haben und was spricht gegen persönliche Vorteile. Bitter wird er dafür zahlen müssen.
Die Verdrängung des französischen Teils der Familie, die ihre Beklemmung in feiner Gesellschaft, in der großer Kunst und der Liebe betäubt, hat noch verheerendere Folgen. Sie stehen im Zentrum der Geschichte, und mit ihnen wird CASABLANCA variiert. Der Mann von Julios geliebter Marguerite ist selbstredend ein Chef innerhalb der Resistance. Bevor Julio aber zum Bruce Wayne/Batman der Resistance wird und der Film wieder Fahrt aufnimmt, verwehrt sich den klaren Situationen und dem Drama geradezu verwehrt. Stattdessen wird das immer Gleiche immer wieder durchdekliniert. THE FOUR HORSEMEN hängt so in den Seilen und weiß nicht, was er mit sich anfangen soll. Das Leiden an sich und die Unentschlossenheit der Hauptfiguren ist selbst unentschlossen … und, da alles schnell verstanden ist, öde.
Am besten ist der Auftakt in Argentinien. Nicht nur weil hier alles kompakt zu finden ist, was danach schwerfällig wiedergekäut wird, sondern weil der dekorative Einsatz von Melonen schlicht atemberaubend ist.
gut
Sowohl Louis Armstrong als auch Duke Ellington spielen mit. Der eine spielt Trompete in der Hölle und denkt sich mit Dämon-Kollegen Pläne aus, um Menschen zu verführen. Der andere spielt mit seinem Orchester in einer zwielichtigen Kneipe, die durch teuflisches Geld einen neureichen Anstrich bekam. Nur der Gospel in der Kirche steht in himmlischen Zusammenhang. Die Welt ist verderblich und zwei der größten Jazzstars befinden sich selbst in einer Repräsentation ihrer Kultur im spirituellen Ghetto.
Das Bezeichnende an diesem naiven religiösen Märchengleichnis mit der zumeist tollen Musik ist aber, wie einfallslos die Teufel und wie passiv und hilflos die Engel im Kampf um die menschlichen Seelen sind. Auch wenn es also um den Kampf um Seelen geht, um Gott, seine Helfer und Widersacher, steht doch der selbstbestimmte Mensch im Mittelpunkt.
Donnerstag 13.07.
großartig +
Ein Geisterfilm über eine verdrängte Vergangenheit, die aus dem Verschwiegenem lärmt und die eine eigene Immanenz erlangt. Ein tragischer Liebesfilm, in dem Ann (Katharine Hepburn) versteht, dass sie sich nicht in ihren Mann verliebte, sondern in eine Vorstellung von ihm. Ein Psychodrama, das durch Selbsthass und Unsicherheit gespeist wird, in dem Alan (Robert Taylor) darüber verrückt wird, dass sich seine Frau nicht in ihn verliebte, sondern in seinen abwesenden Bruder, der alles ist, was er gerne wäre. Ein Noir-Thriller, in dem Tiere die animalische, tobende, nicht zu bändigende Seite des Menschen zeigen, aber auch sein zuweilen instinktives Vertrauen. Ein todessehnsüchtiger Film, in dem Robert Mitchum den Traum des Aussteigers leben darf, worin dieser nur noch von außen zuschauen braucht, ohne in den emotionalen Aufruhr hineingezogen zu werden. Lediglich in einer Idylle außerhalb der Menschenwelt braucht er herumzugeistern. Und darüber hinaus handelt es sich bei UNDERCURRENT um einen sich ewig verändernden Slowburner der Anpassung und des Erschaffens. Alle versuchen sie sich nämlich an die Situationen dieses Films anzupassen, an die Ergebnisse der chemischen Reaktionen dieser Konstellation, wo jeder zugefügte Tropfen die Gesamtheit verändert. Wobei sie aber jeweils ihre eigenen Monster Frankensteins erschaffen: die Frau den Mann ihrer Alpträume, der Mann, die Frauen, die ihn nie liebten.
gut +
Tex Averys Version von OF MICE AND MEN, bei dem Screwy Squirrel seinen Tod findet und von Lenny, einem Hund, der nur jemanden zum kuscheln sucht, zerquetscht wird. Irgendwo steckt darin bestimmt ein Symbol für das Verhältnis von Studio, Publikum und dem kreativen Verantwortlichen.
großartig –
Der Anzug, den Hayley Atwell im Orient Express trägt, ist ein modischer Coup. Und ansonsten ist dies hier einfach ein Film für die ganze Familie, wie ich bei critic.de darzulegen versuche.
Mittwoch 12.07.
großartig –
In seiner Action ist AIR FORCE ONE spürbar solider als der MISSION: IMPOSSIBLE-Film von gestern. Dafür handelt es sich um einen süffigen old schooliger-Thriller über eine Tochter, die erkennen muss, dass sich ihr Vater zwar völlig idealistisch auftritt, seine Arbeit in der Politik aber auch Schattenseiten hat. So bekommt sie von einem Terroristen (Gary Oldman) unter die Nase gerieben, dass Papas Handeln aus anderer Perspektive auch fragwürdig aussehen kann und Proteste verursacht. Weshalb Harrison Fords One-Man-Army-Präsident und -Vater moralisch zwar kein Held mehr sein kann, aber mit seinen Fäusten Tatsachen schaffen und zumindest seine Familie schützen kann.
Es geht aber auch um die Frage, was schützenswerter ist: der Präsident als Symbol oder als Institution? Ob also Harrison Ford als Person zu retten ist oder die Verfassung, die regelt, wann ein Nachvoller zu bestimmen ist, der für ihn übernimmt. Durch diesen Komplex steckt in AIR FORCE ONE ebenso ein Procedural über Regierungsarbeit bei der Auseinandersetzung mit Terroristen – als auch ein schönes Dokument seiner Zeit. Letzteres nicht so sehr, weil nicht an die Institutionen geglaubt wird und nur an das heldenhafte Individuum, sondern weil in einem kasachischen Gefängnis die Internationale als Hymne eines verbrecherischen, pseudosozialistischen Triumphs gespielt wird. Die sowjetische Hymne konnte nicht einfach verwendet werden, da diese ja auch die russische ist und Russland in dem Film ein Verbündeter – tatsächlich wirkt Russland dabei wie der Marionettenstaat, den die Terroristen diagnostizieren. Deshalb findet die Internationale Verwendung, die damit als Hymne der Hoffnung zu Grabe getragen wird. Mit dem realexistierenden Sozialismus brach eben nicht nur der reale Part zusammen, sondern auch die letzten Reste der Utopie gleich mit. Und nirgendwo ist es so spürbar, wie in AIR FORCE ONE.
fantastisch –
Dies ist ein buntes, verschnörkeltes Musical über zwei junge Frauen, die verheiratet werden müssen. Bzw. über zwei Frauen, die in der Liebe ihren Daseinsgrund sehen und deshalb Männer ranschaffen müssen, ohne dies aber offen zeigen zu dürfen. Ein geerdetes Musical über gegenseitige Rücksicht-nahme und die Schwierigkeiten einander wahrzunehmen. Und vor allem ein buntes, unbedarftes Musical, dem die ADDAMS FAMILY unscheinbar in den Gliedern steckt: eines der Kinder ist in seiner Gedankenwelt durchgehend vom Tod angezogen, während in der Mitte des Films plötzlich ein heidnisches Halloweenfest gefeiert wird, bei dem Kinder einen Scheiterhaufen bauen, ihre bedrohlichen Nachbarn töten und wo es kurzzeitig scheint, als würden Triebtäter, die sich an Kindern vergreifen, Teil des Films werden. Als würde das Herz des Films immer wieder dunkle Bluttropfen in seinen strahlenden Blutkreislauf pumpen.
Dienstag 11.07.
gut +
Mal wieder ist alles penibel wie ein Pop-up-Buch aufgebaut, mal wieder dringen die Gefühle (hier: schmerzhafte Verluste) aus den Ritzen der liebevollen Gestaltung … oder sehen als Atombombentests im Hintergrund ganz unschuldig aus. Die Ankunft der Druckwelle ist so lediglich zu erahnen. ASTEROID CITY ist also ein typischer Wes Anderson-Film … nur scheint Anderson das Gefühl der Normalität nicht mehr akzeptieren zu können. THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU beispielsweise schafft es seiner sehr eigenen Parallelwelt den Anstrich des Normalen zu geben. Und ASTEROID CITY könnte das auch und ist wiederholt auf dem Weg dorthin, bis dann doch wieder eine Metaebene einbricht, die uns erklärt, dass wir nur eine Theaterproduktion sehen. Einblicke in die Hintergründe der Produktion werden uns gewährt, in denen sich die Figuren und ihre Schauspieler spiegeln. An diesen Stellen schwingt das Gefühl eines Sinnverlusts offensiv mit – nicht nur formal im Aufbrechen der etablierten Welt, sondern wird es hier auch explizit kommuniziert. Der Film wird damit noch barocker, mehr zum Irrgarten … und zunehmend zur Selbstparodie, weil die barocken Irrgärten sehr selbstzweckig vom emotionalen Kern auf die penible Konstruktion weißen. Worin aber nun wieder eine eigene Art von Schmerz steckt, wenn der Film sich selbst nicht mehr zu trauen scheint und deshalb noch mehr erzählerischen Pomp liefert.
gut +
Persönlich hätte ich mir mehr Platz für das Team gewünscht und weniger für: Ethan Hunt wird vom schlechten Gewissen des Professionals heimgesucht. Was mich aber am ehesten mit diesem zumeist sehr schönen kinetischen Kino entzweit hat, war Henry Cavills Interpretation von Leon Goretzka, der einen Schauspieler zu mimen versucht.
Montag 10.07.
ok
Der Wahn eines jungen Polizisten (Stefan Kolosko), der feststellt, dass er sich in seinem Job die Finger mit der Wirklichkeit schmutzig machen und seine Ideale hinterfragen muss. Eines Polizisten, der wahnhaft nach Vaterfiguren sucht, die ihm versichern müssen, dass er alles richtiggemacht hat. Er fleht geradezu in seinen ewigen Nachfragen, ob sein Handeln in Ordnung war. Als Krimi oder irgendwie interessante Geschichte taugt auch diese DERRICK-Folge nicht viel. In dieser einen Figur und ihrer Unsicherheit erreicht GEGENÜBERSTELLUNG trotzdem eine enorme, entrückte Intensität.
gut
Mangolds Film ist ziemlich deutlich darin zu kommunizieren, dass dies ein Remix der vorrangegangenen Teile ist. Gerade weil die Geschichte darin kulminiert, dass Indy – körperlich und geistig – in der Vergangenheit festsitzt und in seine Gegenwart zurückmuss. Dass er eigentlich ein Gefangener seiner selbst, seine Ikonenhaftigkeit und seiner Filme geworden ist. Bitter ist dabei, dass es aber Phoebe Waller-Bridge ist, die als einzige Figur mit der Aura des Unfertigen und von Selbstsuche ausgestatten ist, die nach diesem Teil vergessen sein wird. Und dass der von seinem Sein überdrüssige Indiana Jones zur Akzeptanz seines Lebens in der Gegenwart als alter Mann eine alte Liebe aufgedrückt bekommt, wo er doch endlich mal wieder aufbrechen sollte.
Sonntag 09.07.
großartig
Der Running Gag des Films ist, dass festgestellt wird, dass endlich mal Lesen und Schreiben gelernt werden müsse. Was nichts anderes heißt, als sich sozialistisch zu organisieren und die Welt zu verändern. Stattdessen rennen die Stierkämpfer aber zwanghaft dem kindischen Traum einer Pseudoaristokratie nach. Nichts können sie, außer ihr Leben für Geld, Glitter und den fragilen Thron sportlicher Anerkennung aufs Spiel zu setzen. Die Frauen können hingegen nur beten und auf ihren Knien enden, weil sie ihr Leben sinnlos für Gockel und Kindsköpfe opfern.
Das jeder der Beteiligten seine Situation erkennen und ändern, die Gesellschaft herausfordern und seinen Dornenweg nicht einfach nur wie von Gott gegeben ertragen könnte, wenn sie denn nur Lesen und Schreiben könnten, ist aber eben nur ein Witz. Ein Scherz, der einen anderen Horizont andeutet, der aber durch die melancholische Selbstaufgabe der Beteiligten in ihren Lusthaushalt aus religiösen, sozialen und sexuellen Begierden und Fetischen völlig unerreichbar bleibt. Eine Utopie, die insult to injury hinzufügt.
Dieses Melodrama ist deshalb nicht auf Herzen aus, die durch die Widersprüche zwischen Individuum und Gesellschaft gebrochen werden, nicht auf große Gefühle, sondern auf ein langsames Ersticken im erzählerischen Pomp. Ersticken in einer entrückten Parallelwelt aus Ritualen, glitzernden Pailletten und Ikonen. Was geschehen wird, steckt mehr oder weniger bereits in den ersten Minuten. Das Ausbuchstabieren des Unausweichlichen ist aber nicht Selbstgefälligkeit, sondern ein schmerzhaftes Ausleben von Selbsthass und ein Eingestehen der eigenen Wünsche.
In diesem Film, in dem es darum geht, dass eine schlechte Frisur authentisch ist und eine gute die eigene Korruption verrät, in dem es zentral darum geht, dass Frauen wie Stiere furchtlos angegangen werden müssen und dass diese einen nicht selbst zum Tier machen dürfen, das in der Arena der Liebe vorgeführt wird, ist Rita Hayworths Femme fatale vll. die faszinierendste Figur. Ihr versteinertes Lächeln ist nicht das einer Verführerin, sondern einer Frau, die Statue werden möchte. Die sich selbst negiert und nur mehr als Pin-Up-Groteske etwas Selbstwert findet. In einem Film aus pompöser Selbstkasteiung steckt in ihrem Lächeln der größte Schmerz.
großartig
Detlef im Kampf mit dem Material, das spürbar unter den Nazis entstanden war. Er gewinnt, finde ich, knapp aber eindrucksvoll. Meine ich auf critic.de.
Sonnabend 08.07.
gut
Die Struktur ist seltsam. Die Exposition dauert gleich mal eine Stunde – die erste Hälfte davon braucht es, um die handelnden Figuren vorzustellen, die andere, um die Handlung in Gang zu setzen. Nicht dass es sonderlich zerrig wäre, denn sichtlich ist BELLS ARE RINGING nicht dafür da, eine Geschichte zu erzählen. Stattdessen bildet der Film eine Bühne für Gesangsnummern und dient als Ausdrucksmöglichkeit seiner Hauptdarsteller – alles abseits von ihnen, der Subplot um eine Buchmacherkonspiration und der Polizei auf ihren Fersen funktioniert nur so mittelprächtig. Was heißt, dass Dean Martin mit öliger Stimme singen und Stil verbreiten darf, während Judy Holliday mehr oder weniger den Film tragen muss. Und ihre körperliche Präsenz und ihr komödiantisches Timing ist auch toll, weshalb der Film durchaus schön anzusehen ist. Wenn sie aber tanzen soll, zeigen die Cinemascopebilder oft ihren ganzen Körper in starren Einstellungen, in denen sie ziemlich steif wirkt. Es ist als fordere die Kamera etwas mit ihrem Glotzen, dass sie nicht zu leisten in Stande ist.
nichtssagend
Es ist ganz witzig, was sich Kieślowski so als Punk und Heavy Metal vorstellt und wie sehr dieser aufgefahrene Stereotyp die Realität dann doch trifft. Ansonsten eine THE STING-Komödie über Briefmarken, Hunde und dem Scheitern am eigenen Erbe.
fantastisch –
Der Film erzählt von einem Trio. Hasegawa Kazuo spielt einen niederen Samurai, der ein Vulkan aus Gefühlen ist, aus dem alles heraussprudelt, was in ihm steckt. Die grellen Farben des Films sind die seinen.
Yamagata Isao spielt einen besser gestellten Samurai, einen ruhigen, zurückhaltenden Mann, der sich nie die Blöße gibt, offen zu zeigen, was in ihm vorgeht. Dass er seiner Frau vertraut, der Hasegawas Figur obsessiv den Hof macht, hat wohl auch damit zu tun, dass jede andere Reaktion Selbstoffenbarung bedeuten würde. Die Schleier, die die Räume einhüllen und ihnen als Trennwände dienen, sind die seinen.
Kyō Machiko spielt die Frau zwischen den beiden, die sich nach Leidenschaft verzehrt, die aber die gesellschaftlichen Schranken nicht übertreten möchte. Aus These (Romantik) und Antithese (bürgerliche Selbstkontrolle) bildet sie die Synthese eines romantischen Opfertodes, der die bürgerlichen Werte rettet. Auch wenn es nicht immer so scheint, dies ist ihr Film.
Die Exposition baut dabei eine einfache Liebesgeschichte auf. Eine Rebellion führt einen Mann und eine Frau zusammen, die sich schmachtend anschauen. Im Gelächter, wenn Hasegawa seinen Fürsten um die Hand der Frau bittet und er erfährt, dass diese bereits verheiratet ist, bricht die Romanze und wird ein galliges Melodrama männlicher Konkurrenzgebaren. Die letzte halbe Stunde besteht dann aus wehenden Vorhängen, die ein Labyrinth des Stillstands bilden. Es gibt nur noch den Hauch eines Geschehens, wenn alles auf eine Entscheidung hinarbeitet, sich dessen Implikationen aber zu monumental ausmachen, als dass die Figuren sich trauen würden, einfach aktiv zu werden. GATE OF HELL ist dergestalt ein implodierender Film.
Freitag 07.07.
uff
Meditation über Schuld und Unschuld in Angesicht des Holocausts … wobei eine Frau, die als jüdisches Mädchen fast im KZ landete und gerade so überlebte, lernen muss, dass die Polen, die sie vor die Tür setzten, gute Gründe hatten, und sie doch auch auf deren Schmerz Rücksicht nehmen müsse. Darüber hinaus wird in einem philosophischen Seminar über die ethischen und moralischen Implikationen des Trolley-Problems gesprochen, dass den Kern von DEKALOG, ZWEI ausmachte. Es ist konsternierend wie relevant Piesiewicz und Kiéslowski diese Bonmots finden, die sie aus den Geboten ziehen.
ok
Ein impotenter Ehemann schaut neidisch dabei zu, wie ein Zapfhahn ganz solide in die Tanköffnung seines Autos gesteckt wird. Immer wieder scheint mal durch, dass Kiéslowski nicht so bieder ist, wie der DEKALOG oft durchscheinen lässt. Aber es bleibt eben bei kleinen Momenten.
Donnerstag 06.07.
gut
In der sehr cleveren Didaktik bzgl. des Themas Stehlen – eine leibliche Mutter (Maja Barełkowska) wurde von ihrer eigenen Mutter (Anna Polony) ihres Kindes und ihres Mutterseins beraubt, indem diese die Enkelin an sich reißt und als eigenes Kind ausgibt, weil die eigene Tochter – also die leibliche Mutter – ein Papakind war und die Mutter der Mutter sich so um das eigene Muttersein betrogen fühlte, weshalb die leibliche Mutter nun ihr Kind entführt, aber, weil sie nie richtige Mutter wurde und selbst noch Kind ist, an ihrem gestohlenen Kind scheitert – steckt ein berührendes Drama. Ich gehe davon aus, dass ich diesem in einem anderen Kontext etwas mehr hätte abgewinnen können. So wurde DEKALOG, SIEBEN jedoch von seiner cleveren Didaktik und vom Rest der Serie mit sich hinabgezogen.
Mittwoch 05.07.
gut
Das Schlimmste am Dekalog ist wahrlich, dass ich nicht mal mehr einen Film über einen Spanner genießen kann, der als ganzer Trübling bei der Konfrontation mit einem wirklichen weiblichen Körper versagt. Denn nichts darf hier irgendwie Leichtigkeit versprühen und alles muss mindestens in aufgeschnittenen Pulsadern enden. Weil das Absurde immer die anderen sind. Noch dazu stört mich, dass Kiéslowski (mal wieder) eine Frau mit Unglück und männlicher Abneigung zu bestrafen scheint … weil sie es wagte, Begehren auszulösen. Welch Meisterwerk dies in der Hand von einem Autor hätte sein können, der seinen Lusthaushalt etwas neugieriger gegenüberstände…
Montag 03.07.
großartig –
Der deutsche Trailer war zwar schwer erträglich, in seiner originalsprachlichen Gesamtheit fand ich den Film dann aber doch sehr schön. Mehr dazu beim Perlentaucher.
23.06.-02.07.: Il cinema ritrovato
Sonntag 02.07.
großartig –
Ein Märchen über einen Deal mit dem Tod, der sich selbstredend als moralisches Gleichnis mit einer Höhle voller Kerzen offenbart. Das Schöne an MACARIO ist aber, dass der Film mit dem Magen gedacht ist, einen gebratenen Truthahn als Ende aller Wunscherfüllung präsentiert und in der ersten Hälfte geradezu besessen von dessen Köstlichkeit ist.
Sonnabend 01.07.
großartig –
Ein Film über Klasse und einen unbestimmten Kapitalismus, an dem nichts haften bleibt. Ein italienischer Anwalt (Enrico Maria Salerno) wartet in Los Angeles auf seinen Anschlussflug nach Mexiko und macht solange einen Tagesausflug in die Stadt. Bei seinen flüchtigen Begegnungen strebt er beständig nach oben und nutzt bei seinem sich ausdehnenden Verbleib zufällige Bekanntschaft auf zufällige Bekanntschaft als Stufe eines Aufstiegs … wobei er die Überwundenen trotz teilweise inniger Beziehungen einfach hinter sich lässt. Die Verlassenen trüben langsam aus dem Film, bis auch er in einer Blase verschwindet. Autos, leere Straßen am Tag, Gesellschaften in zunehmend prunkvollem Ambiente, dunkle Hinterzimmer, Lost in Translation: Das Unbehagen an der Moderne als ein Film für Marc Maron, wo wir wie Erwachsene zusammensitzen können und das Ende nicht verstehen.
gut
Das – wie die Tochter in der Einführung anmerkte kaum unkenntlich gemachte – Familienleben der Drehbuchautorin Suso Cecchi d’Amico zeigt Frauen, die sich über den Fakt verbinden, dass Männer keinen Halt geben und in den meisten Fällen Schweine und/oder Idioten sind. Der Tod eines Ehemannes (Philippe Noiret) löst einen familiären Zerfall aus, in dem sich die Frauen als Divas zeigen, aber am Ende, wenn (fast) alle Männer exorziert sind, wieder zusammenfinden. Nur Bernard Bliers dementer Opa darf bleiben, weil er strickt und offen ein Kind ist, was die anderen Männer hinter den Fassaden ihrer Professionalität verstecken.
ok
Eine Frau sitzt mit sich selbst im Zugabteil und ist sich fremd. Gänge der Bahn und Gesichter des Unvertrauten. Dazu kryptische Beschreibungen des Subjekts.
ok
Maria Stuarts Geschichte – mit bösen Protestanten und guten Katholiken – als Fotoroman verschwommener, fragmentarischer Fotos mit hysterischen Stimmen aus dem Off.
ok
Das Geheimnis um diesen Film, der in Sizilien gefunden wurde und zu dem es keinerlei Informationen über seine nackte Existenz hinaus gibt, ist deutlich spannender als der Film selbst … mit seinen ewigen Zwischentiteln und seinem ewigen Kreisen um ein Minimum von Problemlagen. Den im Katalog versprochenen Fetischteil um ein blondes Haarteil, das in einem Safe versteckt und für seltene Liebkosungen hervorgeholt wird (oder so), muss ich darüber hinaus in den wenigen Momenten, in denen meine Augen zufielen, verpasst haben.
großartig
Esoterischer Religionsschangel in ernsten, schwarzweiß Bildern eines weltlichen Gefängnisses – die Wände des kaiserlichen Palastes, in dem die Handlung größtenteils spielt, sind von senkrechten weißen und schwarzen Streifen gekennzeichnet –, der von zweideutigen Zoten durchzogen ist. Mehr dazu beim Sammeltext auf critic.de, wo Jenny J. beispielsweise sehr schön WOMAN ON THE BEACH zusammenfasst oder Lukas F. die Filme Mamoulians oder Sivlia S. das Leben mit Verlust.
ok –
Als Jekaterina Michailowa Maslowa (Anna Sten) nach einer Liebesnacht mit ihrem Traumprinz Dmitri Iwanowitsch Nechljudow (Fredric March) eine 100 Kopeken Note erhält, weil er schon wieder zu einer Militärübung aufgebrochen ist, von seiner vorhandenen Liebe nicht aufgehalten werden möchte und nichts Besseres weiß, wie sich mit Geld dankbar zu zeigen und sich zu entschuldigen, da mag es einem das Herz brechen. … bis Anna Sten theatralisch zu weinen beginnt und so schmierenkomödiantisch wie möglich ihre Trauer darstellt. Sie macht etwas Albernes aus ihren (und gerade auch unseren) Gefühlen.
Symptomatisch ist es für diese Version von Tolstois AUFERSTEHUNG, die in der Form von WE LIVE AGAIN zu einem gar schrecklichen Schinken geworden ist. Das Vehikel, mit dem Samuel Goldwyn nun endlich Anna Sten zur neuen Garbo, zur neuen Dietrich machen wollte – nach dem dieses Unternehmen mit NANA im gleichen Jahr schon ziemlich faszinierend scheiterte –, ist lediglich an der Ausstellung von Relevanz interessiert. Der Inhalt wird auf bedeutungsschwangere Monologe und Symbole sowie das soziale Begehren auf grobe Parolen heruntergebrochen. Sten sieht ihren Vorbildern zwar ähnlich, erreicht aber nicht mal die Dietrich, wenn sie mit überzogener Ironie gegen eine Fehlbesetzung ankämpft. Frederic March stellt zumindest die Verderbnis seines Dmitri ganz passend blutleer dar, lässt sich ansonsten aber anstecken. Und Mamoulian interessiert sich in Goldwyns Fesseln wenigstens für Tiere und Bärte, die dem Rest genug Quatsch entgegenstellen, um ihn erträglich zu machen.