Quando Alice ruppe lo specchio (1988)
„Es ist Zeit, Lebwohl zu sagen.”
Ich verehre die Filme von Lucio Fulci. Und ich bin kein Gorehound. Ich halte Fulci für einen großen Stilisten, einen visuellen Erzähler, einen bitteren Moralisten, und ich glaube, dass er ein zutiefst unglücklicher Mensch war. Letzteres in mehrfacher Hinsicht: er hatte in seinem Leben oft einfach kein Glück gehabt, vor allem mit den Frauen, wenn man den ganzen Geschichten, die so kursieren Glauben schenken will. Und ich glaube, dass er irgendwann Mitte der Achtziger Jahre Bilanz gezogen und festgestellt hatte, dass er beruflich und menschlich nicht gerade da war, wo er sein wollte. Er war Mitte, Ende 50, und ihm blieben noch ca. 10 Jahre, ohne, dass er es wusste. Aber vielleicht wusste oder ahnte er es doch, das zumindest scheint ein Film wie „Le porte del silenzio“ uns heute zu sagen.
Er hatte ein Comeback erlebt als Regisseur, weil sich Enzo Castellari zu fein dafür war einen Zombiefilm zu drehen. „Zombi 2“ besiegelte seine Karriere, seinen Ruf, und ghettoisierte einen der talentiertesten, sogenannten Handwerker des italienischen Films, der Komödien mit Steno gedreht hatte, Western mit Franco Nero, Historienfilme mit Tomas Milian, Abenteuerfilme und meisterhafte Gialli wie „Una lucertola con la pelle di donna“ und „Non si sevizia un paperino“.
Sicher war es ein Fest für die Besucher von diversen Horror- und Fantasyfilmfestivals, Werke wie „L’aldilà“ oder „Paura nella città dei morti viventi“ auf der großen Leinwand zu genießen. Die Meisten sahen diese Filme jedoch auf abgenudelten Videobändern, im falschen Bildformat, schlecht synchronisiert, geschnitten. Man hatte ganze Arbeit geleistet, diesen Filmen so gut wie alles von ihrer Aura zu nehmen (die heutigen DVD- und Bluray-Veröffentlichungen geben uns eine Ahnung von dem schieren visuellen Glanz dieser und ähnlicher Filme). Zudem ging es mit dem italienischen Genrefilm langsam aber sicher bergab. Fulcis Filme bewegten sich zielsicher auf das Niveau ihrer Videoveröffentlichungen zu.
Man kann darüber streiten, ab welchem Film Fulcis Niedergang begann. Fest steht: seit er für die italienische Alpha Cinematografica die beiden 1988 entstandenen „Quando Alice ruppe lo specchio“ und „Il fantasma di Sodoma“ gedreht hat, haben wir es mit einem neuen Fulci zu tun. Diesem Fulci ist alles egal. Was muss sich sein damaliger Rivale Dario Argento gedacht haben, als er „Quando Alice…“ zum ersten Mal sah? Er war zwar der König des Giallo, der Künstler unter den Handwerkern, aber Fulci war ihm stets dicht auf den Fersen, allein schon, weil er über mehr Erfahrung verfügte. Und dann kommt ein Film, der das ganze vorangegangene Werk zu negieren, auszulachen, mit Scheiße zu übergießen scheint.
Lester (eine unvergessliche Darstellung: Brett Halsey) sieht aus wie ein freundlicher, sanftmütiger Mann, ist aber ein Psychopath, der reiche Witwen auf bestialische Art und Weise ermordet, um sich ihr Geld zu krallen. Damit finanziert er seine Spielsucht.
Der misanthropische Frauenfeind ist, genau wie Fulci, an einem Endpunkt angelangt. Sein Leben wird von zwanghaften Handlungen gesteuert, sei es das Glücksspiel oder das Morden. Und beides gerät ihm außer Kontrolle. Er jongliert quasi mit Kettensägen, und jeden Moment kann etwas schiefgehen. Es ist fast, als wolle er scheitern, als wolle er erwischt werden. Lester will endlich zum Abschluss kommen. Das will Fulci auch.
Der Regisseur hat hier sein eigenes krankes Skript verfilmt, das voll von Geschmacklosigkeiten und schlechten Witzen ist. Die reichen Witwen, die Lester regelmäßig verfallen, haben oft einen physischen Defekt, der von der Kamera geradezu ausgeweidet wird. Sei es ein Damenbart, Pickel oder Herpes, die Close-Ups sind nicht fern. Halsey spielt dabei den müden Casanova, der den Frauen halbherzig Gefühle vorgaukelt. Und dann wird gemordet.
Diese Mischung aus Gorefilm und Screwballkomödie, aus physischem Grauen und heiterem Ton ist eine einzige Diskrepanz. Der schwarze Humor, der hier exerziert wird, ist repetitiv, und hoffnungslos. Halsey bleibt nonchalant, wenn er durch Innereien wütet, aber der Film ist manisch, grimmig, nihilistisch. Dieser Film kommt aus einem sehr dunklen Ort, auch wenn oder gerade weil Carlo Maria Cordios ironische Klänge das Gegenteil behaupten.
Und es ist das Ende des Films, das uns schließlich begreiflich macht, worum es hier wirklich geht. Wir haben Brett Halsey 80 Minuten dabei zugeschaut, wie er vor seinem eigenen Schatten geflohen ist, wie er versucht hat, das Ende dieses missglückten Experiments, das sein Leben ist, hinauszuzögern. Aber man kann nicht ewig fliehen.
„Quando Alice ruppe lo specchio” ist ein Präludium zum formvollendeten Wahnsinn von “Un gatto nel cervello” (der die Figur des Regisseurs Fulci selbst ins Spiel bringt). Vor allem führt er ein ins letzte Kapitel von Fulcis Schaffen: „Il fantasma di Sodoma“, „La casa nel tempo“, „Un gatto nel cervello“, „Le porte del silenzio“ – lauter letzte Filme.
„Quando Alice ruppe lo specchio” kann man alles vorwerfen, was man will, es wäre wahrscheinlich korrekt. Der Film ist selbstherrlich (doch er ist geboren aus Selbsthass), frauenfeindlich (doch nur weil er keinen anderen Ausweg mehr sieht), voll selbstzweckhafter Gewalt (die seit langem schon die Träume seines Regisseurs heimsucht), adoleszent (weil man nur so gegen das Alter rebellieren kann), und absolut zynisch (aber mit einer unterschwelligen Melancholie). Es ist ein schrecklicher Film (doch ich liebe ihn).
„Letzte Filme“!! Ein schönes Genre! Das gilt es zu vertiefen. Danke für diesen Hinweis.
Der schönste letzte Film Fulcis ist in jedem Falle „Le porte del silenzio“, in dem er John Savage auf einen Roadtrip durch New Orleans schickt. Ein Roadtrip ohne Wiederkehr, versteht sich. Große Empfehlung!
[…] seinem schönen Text zu Lucio Fulcis QUANDO ALICE RUPPE LO SPECCHIO führt Sven Safarow die Rubrik des “letzten […]
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