Public Access (1993)
Bevor es das Internet gab, war der Offene Kanal das ungefilterte Sprachrohr der Bürger. Er war das authentische Beispiel eines nichtkommerziellen, demokratischen Medienangebots. Was würde wohl passieren, wenn man den Offenen Kanal ernstnehmen würde? In Public Access jedenfalls wird er zu einem perfiden Manipulationswerkzeug des Status Quo.
Bryan Singers Debütfilm ist ein interessantes companion piece zu The Usual Suspects, weil in beiden Filmen die Themen Identität und Macht verhandelt werden und ein großes Geheimnis im Mittelpunkt steht. Aber hier wird das Geheimnis noch gewahrt und nicht als Taschenspielertrick entlarvt. Public Access erzählt, durchaus fiebrig und besessen, von der Unterseite amerikanischer Idealvorstellungen und ist dabei weniger ein Film Noir als ein düsteres Märchen, irgendwo zwischen Blue Velvet und Twin Peaks angesiedelt.
Whiley Pritcher (Ron Marquette), ein sprichwörtlicher Fremder, kommt in die Kleinstadt Brewster, mietet sich ein Zimmer und kauft Sendezeit beim Offenen Kanal, um eine Sendung zu moderieren, die er „Our Town“ nennt und die sich mit der Frage beschäftigt: „What‘s wrong with Brewster?“ Damit macht er sich Freunde wie Feinde (in dieser Stadt scheint der Offene Kanal einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung zu leisten). Seine Rolle nimmt er dabei außerordentlich ernst. Nur was genau das für eine Rolle ist, ist schwer zu sagen. Ist er ein Demagoge? Ein Aufrührer? Ein Verfechter des Status Quo? Oder doch eher der Bluthund des amerikanischen Kleinstadtmythos?
So unglaubwürdig die Prämisse, entwickelt der Film dennoch einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Die Leerstellen, die Synkopen, die absurden Details sind es, die unser Interesse wecken. Und natürlich Whiley, der meta villain. Keine Figur im klassischen Sinne, ist er eher eine Präsenz, die die Stadt befällt – oder ihr Inneres nach Außen kehrt. Whiley ist die fleischgewordene Fassade, die es gilt aufrechtzuerhalten. Sein glattes Gesicht ist eine Maske, mehr nicht. Wenn er lächeln soll, lächelt er. Was er denkt und fühlt, ist und bleibt ein Mysterium. Seine Alpträume, an denen er nachts leidet, versprechen Menschliches, aber das wird im Film nicht eingelöst. Er ist nicht weit weg von Kevin Spaceys Verbal Kint oder Werner Herzogs the Zec (beide von Christopher McQuarrie erfunden oder in Szene gesetzt). Er wirkt wie ein Mann mit einer düsteren Vergangenheit, aber vielleicht hat er gar keine. McQuarrie selbst kommentiert seine Figur folgendermaßen: „[…] he’s had Americana poured into him through a very strange filter.“
James Mottram nennt Marquettes Leistung sehr richtig eine „unnervingly bland performance“. Und das soll sie auch sein. Sie lebt von ihrer ausdruckshaften Ausdruckslosigkeit.
Der Film gewann den Großen Preis der Jury des Sundance Film Festivals, bekam aber hinterher keinen Verleih. Das verwundert nicht, wirkt der Film doch in vielerlei Hinsicht unausgereift und unkommerziell. Public Access ist ein ambitionierter, aber auch etwas schludriger Studentenfilm. Das Drehbuch musste Christopher McQuarrie in 15 Tagen schreiben, als die Finanzierung plötzlich da war. Das Unfertige, Skizzenhafte ist sichtbar und doch lebt der Film von dem Eifer des ersten Films, von der Geschichte, die nicht aufgelöst werden will und von einem in Ansätzen wirklich eleganten Stil. John Ottman beweist als Komponist und als Editor ein Gefühl für Rhythmus und Atmosphäre. Bryan Singer hat hier noch Regieeinfälle und es ist zum Großteil sein Verdienst, dass Whiley Pritcher so faszinierend erscheint. Die Kamera hat ein klar erotisches Interesse an ihm, umgarnt ihn, scannt ihn, ohne ihn je zu erklären. So kreiert man Mythen.
Todd McCarthy schrieb damals in der Variety: „What Singer and his co-scenarists Christopher McQuarrie and Michael Feit Dougan seem to be getting at is some sort of critique of Reagan-era greed, hypocrisy and anti-humanism, as well as a commentary on the power of the media and its ability to distract the public from real issues with its attractive surfaces.
Unfortunately, the filmmakers haven’t been able to articulate their views with much clarity.”
Die von McCarthy als Schwachpunkt wahrgenommene Unklarheit arbeitet eher für als gegen den Film. Public Access funktioniert auf einer instinktiven Ebene. Die Macht der Medien oder Korruption und Gier nimmt der Film als gegeben hin. Er kritisiert diese Phänomene nicht, er arbeitet mit ihnen, um zu einer Neueinschätzung des amerikanischen Sozialgefüges zu kommen. Unter der Oberfläche brodelt es. Und hinter den Kulissen war es nicht anders: Hauptdarsteller Ron Marquette stirbt nur ein Jahr nach Erscheinen des Films in der Wohnung seiner Freundin Deedee Pfeiffer. Die Legende besagt: „When she arrived at the apartment, Marquette walked out of a bedroom and without saying a word put a pistol in his mouth and pulled the trigger. He left no note and no explanation why he wanted his girlfriend there. Remarkably, Pfeiffer managed to get through taping a Cybill pilot just days after the suicide.”
Quellen:
Fleming, E.J.: Hollywood Death and Scandal Sites: Seventeen Driving Tours with Directions and the Full Story, 2d ed. Jefferson: McFarland 2015.
McQuarrie, Christopher: The Usual Suspects. The Complete Screenplay. London: Faber and Faber 1996.
Mottram, James: The Sundance Kids: How the Mavericks Took Back Hollywood. London: Faber and Faber 2006.
Onlinequellen:
Public Access
[…] – Sven Safarow bespricht auf Eskalierende Träume den mir bisher vollkommen unbekannten und sehr vielversprechend klingenden ersten Spielfilm von Bryan Singer: „Public Access“ von 1993. […]