Otto; or, up with Dead People



So, nun kommt sie endlich, meine langversprochene Kritik zu „Otto; or, up with Dead People“ des kanadischen Undergroundregisseurs Bruce LaBruce. Wie ihr meinem letzten Post entnehmen konntet hat dieser Film sogar seinen Weg in meine 100 Lieblingsfilme gefunden… So soll dieser Post eigentlich auch weniger eine Kritik im klassischen Sinne einer (sei es noch so illusorisch) um Objektivität bemühten Bewertung des Films sein, sondern eher meine persönlichen Assoziationen zu dem Film schildern (die natürlich sehr, sehr „p“ sind 😉 ).

Spätestens seit sich Zombies in „Dawn of the Dead“, dem zweiten Teil der legendären Zombiefilmreihe von Altmeister George A. Romero, in einem Einkaufszentrum auf die Wühltische stürzten, musste auch dem Letzten aufgehen, dass die Wiederkehr der Toten ins Leben, dass das Phänomen des „Untotsein“ auch im Sinne einer Gesellschaftskritik verstanden werden konnte. In „Otto…“ klärt uns gleich am Anfang des Films die Stimme der Regisseurin Medea Yarn (Katharina Klewinghaus) darüber auf, dass die Geschichte des Zombies Otto in eine Zeit (unsere?) fällt, in der Zombies nichts Außergewöhnliches mehr darstellen und die Begegnung mit Untoten in ihrer Alltäglichkeit jeglichen Schrecken verloren hat. Obwohl sich Zombies ja bekanntlich nicht auf biologischem Wege fortpflanzen gibt es scheinbar auch eine eigenen Gesetzen folgende Evolution der Zomies, von denen immer mehr rudimentäre Sprech- und Denkfähigkeit aufweisen. Eine neue Welle schwuler Zombies überschwemme zur Zeit Berlin, erfahren wir, während wir zu herrlich schaurig-poppiger Musik den jungen und auch als Zombie noch hübschen Otto (Jey Crisfar) aus seinem Grab emporsteigen und über den Friedhof wanken sehen. Im Laufe des Films wird uns immer wieder die Diskriminierung der Zombies durch die „Menschen“ vor Augen geführt, bis hin zum „Zombie Bashing“, dessen Opfer auch Otto einmal wird.

Der Film könnte nun in eine relativ plumpe Analogie abdriften, zwischen den (noch immer) gesellschaftlich außenvorstehenden Homosexuellen, deren Existenz von manch Einem ja bekanntermaßen ebenso gründlich verdrängt wird, wie die des Todes, bzw. der an den Tod erinnernden Verstorbenen. Die Wiederkehr der Begrabenen, dem Vergessen Anheimgegebenen wäre dann als sarkastisches Zerrbild der öffentlichen (heteronormativen, wenn man so sagen will 😉 ) Wahrnehmung der Schwulen und Lesben (oder der Gay Pride) im Sinne einer allzu lehrstückhaften Gesellschaftskritik zu verstehen.

Glücklicherweise schlägt der Film eine völlig andere Richtung ein, wobei es ihm gelingt die angesprochene Thematik dennoch, allerdings auf ungleich subtilere Weise mit einzubringen. Medea Yarn ist eben nicht die Erzählerin des ganzen Films, den bald schon erkennen wir, dass sie eine in scharzem Gewand auf Friedhöfen lustwandelnde, politisch engagierte Regisseurin ist, die gerade einen ebenso politisch engagierten Zombiefilm namens „Up with Dead People“ dreht. Obwohl sie durchaus als sympathische Person gezeigt wird, ist ihr Film (im Film) quasi als Parodie auf oben dargestellte Platitüden zu verstehen.  Durch diese ständige Ironisierung und Selbstreflexion des übertrieben Gesellschaftskritischen, bleibt es im Film zwar als Perspektive erhalten, wird jedoch zugleich in den Kontext einer wahrhaftigen und äußerst gefühlvollen Darstellung allgemein menschlicher existenzieller Problematik eingebettet.

Für ihren Film castet Medea eine ganze Reihe von Zombiedarstellern, denn ihre Ausführung über die Alltäglichkeit von Zombies bezogen sich anscheinend auf die Welt ihres Films…oder doch nicht? Auf ihre Anzeige hin meldet sich auch Otto, der…nun, anders ist als die „Darsteller“. Otto scheint ein echter Zombie zu sein, ein schwuler noch dazu, der zwar (da er vor seinem Tod Vegetarier war) keine Menschen aber immerhin rohes Fleisch (von überfahrenen Hasen zum Beispiel) verspeist, nach Leiche riecht und aussieht, durch die Gegend torkelt und nur mit ausdrucksloser Stimme kurze Sätze hervorbringt…

Manchmal schießen Erinnerungen an die Zeit als Lebender wie Blitze durch Ottos untoten Geist, an glückliche Momente, an seinen Ex-Freund… Nun ist Otto längst nicht mehr Angehöriger der Gemeinschaft der Lebenden, die aus seiner untoten Perspektive zu einer einzigen Person verschmelzen „…and I don’t like that person very much.“ Walter Benjamin schrieb einmal über die Melancholie: „Produkton einer Leiche ist das Leben, vom Tode her betrachtet.“ Produktion eines Zombies sind Leben und Tod, vom Wiedergängertum her gedacht, könnte man antworten. Diese Zeit, dieser Ort (oder vielleicht jede Zeit, jeder Ort?) produzieren Wesen, die schon gestorben sind und dennoch weiterlaufen und sprechen und denen nichts anderes übrigbleibt als wie Otto am Ende des Films einen „new way of death“ zu suchen. So liegt über dem ganzen Film eine (trotz Hardcoreszenen) ungeheuer sanfte, durch den augenzwinkernden Humor fast heitere Stimmung der Melancholie, die nicht weiter zu beschreiben, sondern nur zu erleben ist.

Die Virtuosität und spielerische Leichtigkeit des Films geht nicht zuletzt auch darauf zurück, dass hier gekonnt mit Perspektivwechseln gespielt wird. Einige Szenen, die wir zunächst für die (filmische) Realität halten, entpuppen sich später als film(im film)ische der Medea Yarnschen Vision. Viele Szenen scheinen wir durch die Augen von Otto zu sehen, in unnatürlichen Farben und aus schiefen Blickwinkeln. Das Geniale dabei ist allerdings, dass der Film keine letzgültige Aussage über die jeweilige Ebene der „Wirklichkeit“ des Gezeigten trifft. Selbst ob Otto nun ein „echter“ Zombie ist bleibt ungeklärt, deutet doch einiges darauf hin, dass dies nur eine Wahnvorstellung Ottos sein könnte. Auch Medea Yarns bezaubernde Lebenspartnerin Hella Bent (Susanne Sachße), die von klimpernder Musik umhüllt, schwarz-weiß und nur in hübschgerahmten Untertiteln redend, wie sie ist, direkt einem Stummfilm entstiegen zu sein scheint, könnte letzlich eine Phantasie ihrer melancholisch-nostalgischen Freundin sein.

Es gäbe sicherlich noch viel mehr über diesen Ausnahmefilm zu sagen, aber ich hoffe allen Lust gemacht zu haben, die den Film noch nicht sehen konnten. Bei meiner im Prinzip uneingeschränkten Empfehlung wäre vielleicht noch anzufügen, dass dieser Film einige Szenen enthält, die die Ekelschwelle von allzu empfindsamen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes durchstoßen könnten. (Sorry, das konnt ich mir jetzt nicht verkneifen 🙂 )

Dieser Beitrag wurde am Samstag, November 22nd, 2008 in den Kategorien Aktuelles Kino, Alexander Schmidt, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Otto; or, up with Dead People”

  1. Mr. Vincent Vega on November 28th, 2008 at 16:01

    Die Wiederkehr der Begrabenen, dem Vergessen Anheimgegebenen wäre dann als sarkastisches Zerrbild der öffentlichen (heteronormativen, wenn man so sagen will 😉 ) Wahrnehmung der Schwulen und Lesben (oder der Gay Pride) im Sinne einer allzu lehrstückhaften Gesellschaftskritik zu verstehen.

    Ich finde es in diesem Zusamenhang ja so toll, dass man im Englischen von hetero-fascism spricht. *g*

    Schöner Text, und gar nicht „p.“.

    Den letzten Absatz hätte es aber nicht gebraucht.

  2. Christoph Wirsching on November 30th, 2008 at 19:05

    Dein wohlverdientes Feedback:

    Einige Punkte müsste ich vielleicht nochmal im Gespräch hinterfragen, da ich die Tragweite, die einige deiner Thesen zum Film im Verbindung mit dem Benjamin-Zitat besitzen, nicht ganz beurteilen kann – das gehört vielleicht doch nicht hierher, falls du verstehst.

    Interessanterweise erwähnst du die mögliche Schizophrenie Ottos und dass sein „Unleben“ vielleicht nur Einbildung gewesen sein könnte. Das liegt eigentlich nahe, ist mir bisher nicht in den Sinn gekommen – die finale Verbrennung der Otto-Puppe (anhand derer ja auch eine neuerliche Film-im-Film-Brechung vorgenommen wird) hatte ich eigentlich als einen symbolischen, endgültigen „Erlösungsakt“ Ottos verstanden, der damit die Leblosigkeit des „Unlebens“ abtötet oder dagegen protestiert (genauso wie seine Vereinigung mit Fritz), unter diesem Gesichtspunkt erscheinen natürlich große Teile des Films in einem völlig neuen Licht (ganz besonders natürlich die Szene, in der er seinen Ex-Freund wiedertrifft und die meisten Szenen mit Fritz).

    In meinen Augen hast du den filmreflexiven Subtext ein Stück zu ernst genommen, da er mir hier primär (aber nicht nur, natürlich) als Anlass zu ausgelassenem postmodern-filmhistorischen Zitate-Ringelpiez erscheint. Natürlich ist LaBruce aber klug genug, die erneute Doppelung der verschiedenen Erzähl- / Wahrnehmungsebenen [von Otto] mit den Tot / Untot und Gesellschaft / Individuum-Spiegelungen nicht ungenutzt zu lassen, ich meine aber, mehr wäre hier zuviel gewesen und hätte leicht den von mir viel zitierten „Stock-im-Arsch“-Faktor angehoben. So wie er damit umgeht, vermeidet er einen p.-Overkill (wie es ihn sicherlich gegeben hätte, wenn Godard den Film gedreht hätte).

    Eben einige kleine Verweise auf die zahlreichen filmischen Zitate vermisse ich auch ein wenig, sicherlich ist der Film davon so übervoll, dass es zwangsläufig unsinnig wäre, all das in einer Kritik anzureißen, allerdings hat mich das APOCALYPSE NOW-Zitet („I love the smell of the graveyard in the afternoon“) bei der zweiten Sichtung z. B. deswegen besonders amüsiert, weil ja gerade die subversiven „Hardcore-Schocker“ der frühen 70iger (Romero auch, aber natürlich vor allem „The Texas Chainsaw Massacre“ und „Last House on the left“) heute oft als Kommentar auf die Vietnam-Krieg und die Proteste dagegen rezipiert werden (m. E. nach wie vor oft ein wenig vermessen, nicht falsch, aber übertrieben) – daher erschien mir dieses Zitat als indirekter, sehr ironischer Bezug dazu, nur als Beispiel. Und natürlich, dass LaBruce selbst meinte, die schon berüchtigte „Gedärm-Fickszene“ sei eine Hommage an Paul Morrissey’s FLESH FOR FRANKENSTEIN (Referenzen an den zu OTTO thematisch ähnlichen BLOOD FOR DRACULA finden sich ja ebenfalls), der ja wiederum eine frühe Speerspitze des queeren Genrekinos darstellt.

    Aber gut, dass sind nur Kleinigkeiten, du hast dich primär auf den gesellschaftskritischen (oder politischen, gerade in der zweiten Hälfte des Films – in meinem Text hätte ich um ein Haar etwas von „schwulem Agitprop“ geschrieben, wenn das nicht eine Zweckentfremdung des Wortes wäre), oder auch gleich existenzialistischen Gesichtspunkt konzentriert und in diesem Sinne ist dein Text schon sehr ergiebig und im übrigen längst nicht so p. wie von mir befürchtet^^ (oder auch erhofft, je mehr, desto unterhaltender, zumindest bei dir).

  3. Scott on Januar 22nd, 2009 at 03:29

    Hmm, ich habe ja den Reggiseur reden gehört und er meinte, dass ihn die Gespräche mit jugendlichen Schwulen die Idee zu dem Film geliefert hätten. Besagte Jugendliche hätten ihm erklärt, dass sie sich „dead inside“ fühlten.
    Einen Tipp für die Erklärung von Otto wurde auch gegeben: „broken heart“…

  4. Sano Cestnik on Januar 23rd, 2009 at 14:11

    Habe nun endlich einmal deine Besprechung von Otto genauer unter die Lupe genommen. Sehe es ähnlich wie Vincent Vega: Schöner Text, gar nicht p. 😉 und den letzten Absatz hätte es vielleicht nicht gebraucht, stört mich aber auch nicht weiter (und über die Pointe schmunzel ich gerne 🙂 ).
    Finde troz deiner Bedenken ist es doch eine recht schöne Kritik im klassischen Sinne geworden, durchsetzt mit analytischen und interpretatorischen Ansätzen wie ich sie immer gerne lese.
    Schade nur, dass ich den Film immer noch nicht gesehen habe. Müssen wir demnächst mal nachholen (sind ja zum Glück bald Semesterferien). Auf jeden Fall ist mir nach dem Lesen deiner Kritik inhaltlich und formal einiges klargeworden, was ich vorher noch nicht wusste. Ist bisher so weit ich denken kann die einzige Kritik zu dem Film, die ich gelesen habe, und die Lobeshymnen aller Anderen (was ja so ziemlich alle Leute in unserem Umkreis einschließt die ihn gesehen haben), habe ich eher rauschhaft-assoziativ wahrgenommen. Ist eben doch was anderes, wenn man nen Text vor sich hat. 😉

    Und Christophs verschachtelte Antwort les ich nach Sichtung des Films am besten nochmal (und seine Kritik gleich noch dazu – wobei er sich ja eh nicht traut, die auf unserm Blog zu veröffentlichen 🙂 ). Aber ich bin dir sehr dankbar, Christoph, dass du mich nochmal an die göttliche Szene aus Morisseys Film erinnert hast. Flesh for Udo!!!!!
    Sollte eigentlich mal jemand auf Youtube stellen (gibt hoffentlich keine Titten drin, dass mans zensieren müsste…).

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